Nein, da nach rechts rüber wird er sich jetzt nicht drängen lassen, und wenn die vielen Leute um ihn herum noch so schubsen. Vojislav Kostunica ist ein störrischer Kandidat. Böse schielt er auf die Hand eines Parteifreunds, die an seiner Schulter liegt und ihn zum Gruppenfoto auf die Stufen schieben will. Lieber bleibt er einfach stehen unter den drängenden Anhängern auf der Straße einer serbischen Kleinstadt, unschlüssig zwar, aber auch ein bisschen hochmütig. So ist der ganze Mann: Genau weiß er immer nur, was er nicht will. Und er ist stolz darauf.
Vojislav Kostunica möchte zwar Politiker sein, mag aber auf keinen Fall im Pulk laufen. Das Syndrom steht schon am Anfang seines Werdegangs. Als junger Uni-Assistent musste er 1974 erleben, wie sein Doktorvater beim Tito-Regime in Ungnade fiel. Der Professor hatte die neue Verfassung kritisiert, die den Albanern im Kosovo auf Kosten serbischer Macht Autonomie einräumte - eine "serbisch-nationalistische Position", wie das damals, nicht zu Unrecht, genannt wurde. Nach dem Fall des Institutschefs wurden nach kommunistischer Sitte die Assistenten eingeladen, dem Ketzer abzuschwören. Kostunica, der nicht einmal Parteimitglied war, weigerte sich einfach aus Prinzip. Ein Dissident war geboren. Er blieb sich bis heute treu: skeptisch, spröde, manchmal bis zum Zynismus scharf in der Kritik, aber aufgehoben in sich und seinem Kreis. In seinem Lebensstil pflegt der Wissenschaftler aus Belgrader Bürgerfamilie, der früher Basketball gespielt hat und heute gern vor dem Computer sitzt, die manchmal arrogant wirkende Bescheidenheit des Anti-Politikers aus dem Uni-Milieu. Vuk Draskovic bewegt sich durch Serbien in einer Fahrzeugkolonne mit Sekretären und Security. Kostunica fährt einen kleinen Yugo, Baujahr 1990, und in seiner Etagenwohnung will er selbstverständlich bleiben, sollte er wirklich Präsident werden.
Dass er jetzt, mit 56 Jahren, zum vielleicht letzten Hoffnungsträger der verzweifelten serbischen Opposition wurde, verdankt Kostunica vor allem seiner Beharrlichkeit; überraschende Einfälle und spektakuläre Wendungen sind ihm fremd. Nach seiner Entlassung 1974 tauchte er sofort tief in die Szene ein. Abgefallene Wissenschaftler wie ihn gab es im Belgrad der siebziger und achtziger Jahre eine Menge; sie durften disputieren und schreiben, die KP hatte nichts dagegen. Auch Kostunica trat seinen langen Marsch durch die Institute an - kein leichtes Leben, aber eines, das es ihm erlaubte, mit sich zufrieden zu sein. Intensiv forschte der junge Jurist, seinem widerspruchsfreudigen Naturell entsprechend, über die "Rolle der Opposition". Regelmäßig trafen sich die forschenden Belgrader Freigeister im Oberseminar von Dragoljub Micunovic , dem Doyen der Szene, der gern Lob und Tadel über die heranwachsenden Demokraten ausgoss und Kostunica für ein besonderes Talent hielt.
Als 1989 das politische Tauwetter einsetzte, verwandelte sich das Oberseminar von "Micu" erst in eine Partei und dann in eine Parteienlandschaft; kaum einer der damaligen Diskutanten, der nicht irgendwann irgendwo Anführer einer Partei oder Bewegung geworden wäre. In Kostunicas Wohnung fiel im September 1989 der Beschluss, die Demokratische Partei wieder zu gründen - als Sammelbecken der liberalen, westorientierten Oppositionellen und mit dem Institutsdirektor als Parteivorsitzendem. Die bärtigen Serbisch-Nationalen, Vuk Draskovic zum Beispiel, hatten damals schon ihre Vereine und Gesellschaften, in denen sie pittoreske Mützen trugen, traurige Lieder sangen und von ehemaligen Reichen schwärmten. Übervater "Micu" - der sich heute, im Alter, immer noch seine kleine Partei hält - versuchte, beim nationalen Wählerpotenzial anzudocken, das damals schon dem dröhnenden Vojislav Seselj zujubelte, und wurde immer serbischer. Kostunica machte da nicht mit. Er wolle "kein Seselj im Frack" sein, ließ er wissen, und gründete seine eigene kleine, aber feine Demokratische Partei Serbiens - wieder ein Akt des Widerstands.
Die Micunovic -Partei, die er damals verließ, kam schon bald darauf wieder zu sich; der junge Zoran Djindjic stürzte den alten Professor und schickte sich an, zum neuen Star zu werden. Aber Kostunica blieb bei seinem kleinen Verein und brachte es mit ihm einmal - bei den serbischen Parlamentswahlen 1993 - sogar auf knapp sechs Prozent. Das Treiben der übrigen Opposition, besonders ihre verschiedenen Zusammenschlüsse, beobachtete Kostunica skeptisch. Mit dem wilden Draskovic verband ihn gar nichts. Gab Zoran Djindjic eine seiner zweckoptimistischen Erklärungen ab, konnte man sicher sein, dass der pessimistische Kostunica die Seifenblase mit einer trockenen und meistens treffenden Erklärung zerstach. Wurde es feierlich, rief Kostunica kakophon dazwischen. Beliebt machte er sich so nicht. 1996 zögerte er lange, sich der Wahlkoalition Zajedno (Gemeinsam) anzuschließen. Draskovic wollte den nöligen Professor nicht, Djindjic ebnete ihm im letzten Moment den Eintritt. Aber als Zajedno dann nach der Wahl monatelang die Serben zu Hunderttausenden auf die Straße brachte, stellte Kostunica sich wieder abseits. Eine typische Reaktion: Passiert etwas, geht er erst einmal auf analytische Distanz. Wie das Glück es will, kommt ihm seine Zögerlichkeit von 1996 heute zugute. Djindjic und Draskovic kompromittierten sich damals in den Augen vieler Wähler, weil sich beide, als Anführer des Protests, mit Milosevic trafen. Kostunica kennt seinen Widerpart nur aus dem Fernsehen.
Dass er oft als Nationalist etikettiert wird, erklärt sich Kostunica mit einem "bestimmten Teil der Öffentlichkeit", in dem jeder so genannt werde, der die nationale Frage überhaupt aufwerfe. Er sagt von sich, er habe die "serbische Frage nie an die zweite Stelle gesetzt". Sein Vorbild ist Charles de Gaulle, der ein "ernsthafter Nationalist" und ein "ergebener Demokrat" gewesen sei. Taktische Erwägungen, die anderen Oppositionellen bei der Kritik an den USA und der internationalen Gemeinschaft die Zunge zügelten, liegen Kostunica nicht: Unbarmherzig, aber guten Gewissens geißelt er die westliche Strategie gegenüber Serbien. Nur das sei wirklich "westlich", sagt der Freund angelsächsischer Denkungsart, nicht die Unterwerfungsgeste.
Keine ganz ehrliche Antwort: Im Wahlkampf scheut der westorientierte Demokrat sich nicht, nationale Stereotype von der "Tapferkeit" und "Opferbereitschaft" der Serben aufzugreifen, und Mitgefühl mit den Opfern serbischer Vertreibungen und Massaker hat er, anders etwa als der tief national empfindende Draskovic, nie erkennen lassen. Umsturzrhetorik gegen das "Milosevic-Regime" und Schmähungen der Präsidentengattin, mit denen man Jubel ernten kann, widerstreben ihm. Im Klima Serbiens kommt ihm seine Kälte jetzt zupass. Man traut Kostunica zu, in einem zweiten Wahlgang sogar einen großen Teil der Stimmen von zwei extrem nationalistischen Kandidaten zu erben, die den ersten Wahlgang nicht überstehen können.
Schafft er es, wird er über "Regierung" und "Opposition" auch künftig nicht anders denken als in seiner Doktorarbeit. Wenn die Sozialisten verlören, sagt er noch mitten im Wahlkampf, müsse das "nicht für immer" sein, wie die vereinigten Oppositionellen auch "nicht auf ewig" ihre Wahl gewännen. Schafft er es nicht, wird er ab dem 25. September wieder jeden Tag pünktlich um neun Uhr im Institut erscheinen. Vielleicht nicht "auf ewig"; aber doch für eine lange Zeit.
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