Strenge Regeln für den Handel mit "heißer Luft"

Rezession Ein Abschwung verheißt weniger Treibhausgase, den Klimawandel stoppt er nicht

Wer dieser Tage die Diskussionen über die Finanzkrise verfolgt, trifft im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf einen eigentümlichen Widerspruch: Während Außenminister Frank-Walter Steinmeier in den Erschütterungen an den Weltbörsen einen "empfindlichen Rückschlag" für den internationalen Klimaschutz sieht, spricht sein Parteikollege und Umweltminister Sigmar Gabriel von "neuen Chancen für Investitionen in Klimaschutz- und Effizienztechnologien". Sir Nicholas Stern, Autor des vielbeachteten Berichts zur Ökonomie des Klimawandels stimmt ein: "Die gegenwärtigen Probleme unterstützen den Trend zu Investitionen in den Klimaschutz, sie verdeutlichen die Gefahren durch globale Risiken und die Vorteile der internationalen Zusammenarbeit." Unterstützen oder gefährden also die Finanz- und die sich abzeichnende Weltwirtschaftskrise die internationalen Bemühungen um einen Schutz des Weltklimas?

Diese Frage hat einen wirtschaftlichen und einen politischen Kern. Politisch ist die Antwort klar: Ein Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Gelder, die die Staaten heute zur Sicherung ihrer Finanzsysteme aufbringen, können nicht zugleich für Anstrengungen in der Klimapolitik verwendet werden.

Das gilt besonders im Verhältnis zu den Entwicklungsländern, die bei den Verhandlungen über ein Folgeabkommen zum auslaufenden Kyoto-Protokoll in Kopenhagen im nächsten Jahr eine wichtige Rolle einnehmen - und weitgehende Forderungen an die Industrieländer stellen werden. In der dänischen Hauptstadt sollen diesmal längerfristige Lösungen, mindestens bis 2020, gefunden werden. Ohne Mitwirkung der Entwicklungsländer ist eine solche Vereinbarung aber weder sinnvoll noch durchsetzbar. Bis 2020 werden deren Emissionen die der Industrieländer überholt haben. China ist bereits heute absolut der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen, auch wenn es pro Kopf noch weit unter den Emissionen in den USA und Europa liegt.

Schon jetzt argumentieren die Entwicklungsländer, dass die aktuelle Finanz- und die aufziehende Weltwirtschaftskrise ihre Zahlungsfähigkeit begrenzen, wenn es um ihre UN-Verpflichtungen geht. Sieben Nationen, hauptsächlich aus Afrika, sehen sich (eigentlich schon seit langem) außer Stande, ihre laufenden Beitragspflichten gegenüber den Vereinten Nationen zu erfüllen. Die Afrikanische Union (AU) verlangt Ausnahmeregeln, "weil die Finanzkrise eine nicht von diesen Staaten zu verantwortende Gewalt darstellt" - eine zulässige Befreiungsregel nach UN-Recht.

Auch die USA, mit 440 Millionen US-Dollar pro Jahr der Hauptgeldgeber der UNO, haben mit der Finanzkrise ein Argument in der Hand, um ihre notorische Säumigkeit zu begründen. Die Bush-Regierung hat vorsorglich das Einfrieren von Zahlungen angekündigt und Hoffnungsträger Barack Obama öffentlich erklärt, er werde bei den angestrebten ambitionierten Energie- und Klimaprogrammen "wohl Abstriche geben müssen", um die unerwarteten Belastungen des US-Haushalts aus der Finanzkrise zu verkraften. Kenner der internationalen Klimagespräche wie der Verhandlungsführer von Bali, Yvo de Beur, sprechen deshalb von "Risiken" für ein Klimaabkommen in Kopenhagen. Auch Chinas Chefunterhändler Yu Qingtai ist "pessimistisch", dass man im kommenden Jahr zu einem Abschluss kommen werde.

Ökonomisch betrachtet ist die Lage komplizierter. Wenn die Finanzkrise die Weltwirtschaft erfasst, dann ist mit einer längeren Periode der Stagnation und einem rückläufigen Wachstums zu rechnen. Das bedeutet zunächst einen geringeren Ausstoß an Treibhausgasen und entlastet insoweit die Atmosphäre. Die damit einhergehenden Klimawirkungen sind allerdings gering. Weil Treibhausgase sehr langlebig sind, kämpfen wir beim Klimawandel letztlich mit den Emissionen aus über hundert Jahren. Von einer Weltwirtschaftskrise können wir daher keine Änderung der globalen Temperaturentwicklung erwarten. Die zwischenzeitlichen Rezessionen haben allesamt nichts am gegenwärtigen Trend der Akkumulation von Treibhausgasen in der Atmosphäre geändert. Ohne eine grundlegende Wende im Verbrauchsverhalten, das heißt, ohne Korrektur der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Energieverbrauch ist der Klimawandel nicht aufzufangen. Dafür aber ist ein Kyoto-Folgeabkommen unabdingbar.

Welche langfristigen Auswirkungen die aktuelle Finanzkrise auf die Energiemärkte haben wird, ist schwer zu sagen. Nicolas Stern geht davon aus, dass die Preise für Energie, insbesondere Erdöl, hoch bleiben werden. Das ist unwahrscheinlich - die erste Reaktion auf die Finanzkrise waren drastisch fallende Ölpreise. Energie an der Tankstelle wird also in der Krise eher billiger und erst wieder teurer, wenn die Krise ausgestanden ist. Mit billigem Öl und (daran gekoppelt) billigem Gas wird die Nutzung klimaschädlicher Kohle unattraktiver. Ein Plus für den Klimaschutz, zumal bei den zuletzt extremen Preisen für Öl und Gas in Ländern wie Japan ein "Wiedereinstieg in die Kohle" drohte.

Andererseits macht der fallende Ölpreis Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energie wirtschaftlich unattraktiv - das wäre ein schwerer Rückschlag. Deshalb ist das Signal der EU, auch in der Finanzkrise am eingeschlagenen Kurs in der Energie- und Klimapolitik festzuhalten, so wichtig. Es stabilisiert die Märkte für Erneuerbare Energie und den Handel mit Emissionszertifikaten. Die Frage wird sein, ob und auf welchem Niveau diese Politik durchgehalten wird, wenn andere Länder in Kopenhagen nicht mitziehen.

Je schneller wir aus der Finanzkrise heraus sind, umso eher kommen wir zu nachhaltigen Schritten im Klimaschutz. Also Augen zu und durch? Nein!

Die Finanzkrise ist im Kern eine Krise des Modells eines immer währenden Wachstums. Sie zeigt, wie empfindlich das kapitalistische System auf eine Störung des Wachstumsmodus reagiert und wie sorgsam daher der Übergang in das nachfossile Zeitalter gestaltet werden muss. Er gelingt nur, wenn dieser als "Wachstum ohne Umweltverbrauch" daherkommt. Und die gegenwärtige Krise zeigt, welche unheilvolle Rolle der unregulierte Handel mit Finanzmarktprodukten spielen kann. Hiervon kann der Emissionshandel lernen.

Wir dürfen Geschäfte mit "heißer Luft" und "hypothetischen Emissionsminderungen" nur unter strenger Kontrolle zulassen. Das Kyoto-Protokoll war hier konsequent in der Beaufsichtigung von Projekten in Entwicklungsländern, aber nachlässig, was den Handel der Staaten untereinander angeht. Wir können von Glück reden, dass der Kauf von durch keinerlei Anstrengungen gedeckten, überschüssigen Emissionsrechten in Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion bisher nicht den Markt erdrückt hat.

Deshalb brauchen wir künftig strenge Regeln, die Wachstumsprozesse nicht zu unkalkulierbaren Risiken und Schrumpfungsprozesse nicht zur Quelle ungerechtfertigter Gewinne machen. Dies verweist erneut auf die Bedeutung der Verhandlungen in Kopenhagen 2009. Es ist eine Errungenschaft, dass der Ausstoß von Kohlendioxid heute einen Preis hat (s. unten), der weltweit zum Umdenken in der Energiepolitik geführt hat. Die Entwicklungen am Finanzmarkt machen die Aussichten, auf diesem Pfad zu bleiben, leider schlechter.

Reimund Schwarze ist Professor für Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

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