„Die Wand“ von Marlen Haushofer: Strickliesels Liebste

Roman Marlen Haushofers "Die Wand" gilt als Fibel des Feminismus. Die Perspektive von Ohnmacht und Opfertum war jedoch schon zur Entstehungszeit überholt
Marlen Haushofer (1920-1970)
Marlen Haushofer (1920-1970)

Foto: Imago

Marlen Haushofers Roman Die Wand ist durch die in die Kinos gekommene Verfilmung von Julian Pölsler als Fibel des Feminismus wiederentdeckt worden. Dabei war er schon zur Zeit seiner Entstehung von gestern.

„Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. (…) Ich rechne nicht damit, dass diese Aufzeichnungen jemals gefunden werden. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, ob ich es wünsche.“

In diesen Worten der namenlosen Ich-Erzählerin aus Marlen Haushofers 1963 erschienenem Roman Die Wand glaubten schon in den siebziger Jahren Fans progressiver Bekenntnisliteratur den authentischen Ausdruck weiblicher Subjektivität zu erkennen.

Frauen, so die dort vorherrschende Meinung, können keine anderen Gründe für ästhetische Produktion haben als Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und drohenden Wahnsinn. Wer weiblich war und „aus Freude“ schrieb, war verdächtig, Frauen hatten sich zu ihrem Opferdasein zu bekennen, um sich emanzipieren zu dürfen.

Aus dieser Haltung erklärt sich der frühe Massenerfolg ungleich komplexerer Romane wie Die Glasglocke von Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmanns Malina ebenso wie die damalige Unpopularität von Elfriede Jelinek oder Gisela Elsner, deren Sarkasmus den Identitätsfeministen zu kalt und deren Spott über das eigene Geschlecht ihnen unsolidarisch schien.

Kälber und Kätzchen

Heute jedoch, da Jelinek zur Vorläuferin der Genderlinken und Elsner zur gesamtdeutschen Polit-Ikone neutralisiert worden sind, kann die Stricklieselfraktion des deutschen Feminismus widerspruchslos rehabilitiert werden. Die in den österreichischen Wäldern aufgewachsene Tochter einer Kammerzofe und eines Revierförsters, die während des Zweiten Weltkriegs Arbeitsdienst in Ostpreußen leistete, einen Arzt heiratete, zwei Kinder großzog, aber Wert darauf legte, dass ihr Schreiben „kein Hobby“ sei, ist für diese Renaissance prädestiniert.

Haushofers Roman, dem Gerücht zufolge eine tiefgründige Parabel, ist in Wahrheit ein Beispiel für den Umschlag von Vieldeutigkeit in Banalität. Wie in einem Kafka-Abklatsch findet sich die Heldin eines Tages in einer von einer unsichtbaren Wand umschlossenen Gebirgslandschaft wieder. Die Menschen sind verschwunden, sie muss sich von den Früchten des Waldes ernähren und nimmt sich einer Katze und einer trächtigen Kuh an. Einen Mann, der plötzlich auftaucht, um ihre Tiere zu töten, erschießt sie. Das Buch schließt allerdings nicht pessimistisch, sondern mit der Hoffnung, dass ihre Tiere einst junge Kälber und Kätzchen werfen.

Regisseur Julian Pölsler gelingt es in seinem Film, in einer Gratwanderung zwischen Hans-Christian Schmid und Hedwig Courths-Mahler alle Aspekte der Geschichte hervorzuheben, die Marlene Haushofers mediokre Prosa vor 40 Jahren zum „verkannten Meisterwerk“ avancieren ließen: Anklänge an pausewangsche Öko-Apokalypse mischen sich mit erdigem Agrarfeminismus, kinderfreundlicher Tierrechtspropaganda und Klagen über die transzendentale Obdachlosigkeit.

In besseren Zeiten wären solche Events von feministischen Gruppen gesprengt worden, heute gelten sie als Zeugnis eines fortschrittlichen Bewusstseins. Allzu gut passen sie zu einem „Postfeminismus“, der die Nähe von Frauen und Tieren lobpreist und unter dem Label Critical Crafting das Häkeln als subversive Kulturtechnik entdeckt.

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