Studieren als Investition

Urteil aus Karlsruhe In Ländern, die Studiengebühren einführen, können Hochschulen nach einer Schamfrist frei ermessen, wie hoch sie diese ansetzen wollen

"Karlsruhe macht den Weg frei!" so lauteten unisono die triumphierenden Schlagzeilen. Ebenso dürften sich die Finanzdienstleister und Kreditinstitute gefreut haben, die demnächst die Republik mit Studiengebührenfinanzierungsmodellen überschwemmen werden. Dass es ein "schwarzer Tag für die Studierenden und für den Sozialstaat" sei, jener 26. Januar 2005, als der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) das Studiengebührenverbot im Hochschulrahmengesetz des Bundes für null und nichtig erklärte, fand lediglich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sekundiert von den Studierendenvertretungen. Endlich sei ein "internationaler Wettbewerbsnachteil" des deutschen Hochschulsystems "gefallen", frohlockte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter Gaethgens, und meinte damit das Recht, unentgeltlich studieren zu können.

Zwar hätte nach den Diskussionen der letzten Monate, insbesondere angesichts der politischen Kräfteverhältnisse, die in der Föderalismusdebatte sichtbar wurden, kaum noch jemand auf ein anderes Urteil gewettet. Allerdings konnte sich wohl auch niemand vorstellen, dass die Karlsruher Begründung derartig einstimmig, parteilich, neoliberal und zynisch ausfallen würde, wie es dann der Fall war. Als sei der Urteilstext in einem der notorischen Think Tanks der Bertelsmann Stiftung entstanden, befand etwa der frühere Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium Wolfgang Lieb. Kurz: Das BVerfG hat ein politisches Gefälligkeitsurteil geliefert, welches die Position der CDU in der Föderalismuskommission komplett übernimmt.

Die Bundesregierung beanspruchte, mit dem begrenzten Gebührenverbot von 2002 die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherzustellen, nachdem einige Länder konkret mit Studiengebühren zu planen begannen. Diese Zielsetzung würde jedoch erst dann gesetzlichen Regelungsbedarf erfordern, fand das Gericht, wenn die Lebensverhältnisse sich bereits "auseinander entwickelt haben". Der Bund darf also erst löschen, wenn das Haus halb abgebrannt ist. Diese juristische Logik, die man getrost für volkswirtschaftlichen Unsinn halten darf, ist ebenso kurios wie der Urteilsbefund, dass Gebühren in der "bislang diskutierten Größenordnung von 500 Euro je Semester im Vergleich zu den ... Lebenshaltungskosten von nachrangiger Bedeutung sind". Dies entspricht nicht nur dem Zynismus von Besserverdienern (die vermutlich demnächst an der Hochschule gerne unter sich bleiben wollen), sondern ignoriert schlicht die Tatsache, dass in allen relevanten hochschulpolitischen Beschlussdokumenten diese 500 Euro lediglich als legitimationspolitische "Einstiegsgebühr" gekennzeichnet sind, um über diesen Hebel mittelfristig ein nach oben und unten wesentlich stärker ausdifferenziertes Preissystem zu bewirken. Auch die Argumentation, im Falle einer Gebührenerhebung in einzelnen Bundesländern würden sich die Hochschulen in den - vorerst noch - gebührenfreien Ländern überfüllen und Qualitätsverluste für das ganze Hochschulsystem seien die Folge, ließ das Gericht nicht gelten, da die "Überbelegung einer Hochschule ... regulierend auf das Verhalten der Studierenden einwirken" und "binnen kurzem" sogar "eine ausgewogene Inanspruchnahme der Hochschulen" im Ganzen erzeugen könne. Das ist angebotsökonomische neoklassische Gleichgewichtstheorie in juristischem Gewand.

Gerade das letzte Zitat macht deutlich, wie sehr sich die gesellschaftspolitischen Geschäftsgrundlagen für die Hochschulentwicklung mittlerweile verändert haben, seitdem sich in der Bundesrepublik 1970 alle Ministerpräsidenten auf eine Abschaffung von Studiengebühren verständigt hatten. Unentgeltlichkeit des Studiums und das Recht auf freien Hochschulzugang ohne zusätzliche Hürden galten in der Hochschulreformära als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips und des Grundrechtes auf freie Berufswahl. Die mittlerweile herrschende Position des "Wettbewerbsföderalismus" zielt hingegen darauf, dass jedes Bundesland nach eigenem Gutdünken seine ökonomischen und technologisch-wissenschaftlichen Standortvorteile optimiert. Soziale Rechte sind dabei ebenso ein Hindernis wie rahmengesetzliche Vorschriften, die noch ein Minimum an Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit garantieren möchten. So ist es nur logisch, dass auch die Rektorenkonferenz fordert, nach der Schamfrist einer niedrigschwelligen "Einheitsgebühr" es den Hochschulen freizustellen, ob sie Gebühren erheben möchten und, wenn ja, in welchem Umfang. Ein hierarchisch zerklüftetes, völlig neuartiges Hochschulsystem wäre die Konsequenz, in welchem der Grad an sozialer Exklusivität der jeweiligen Einzelhochschule durch die Höhe ihres Preises bestimmt ist. Spekuliert wird, dass in einem solchen Prozess circa 10 bis 15 überschaubare und internationale relevante "Eliteuniversitäten" übrig bleiben. Der Rest ist vergleichsweise egal!

Wie produktiv sich dadurch auch das individuelle Bildungsverhalten ändert, hat der baden-württembergische Wissenschaftsminister Frankenberg sofort erkannt, wenn er sich in einem Kommentar zum Urteil vom 26.1. wie folgt äußert: "Es geht ab sofort für den Studenten nicht mehr nur um das Fach eines Studiums, sondern stärker auch um seine Finanzierung." Genauso soll es sein: Der Student von morgen wickelt sein Studium wie eine Investition ab. Der fachliche Inhalt interessiert nur insoweit, als er zur künftigen Re-Finanzierung plus Zinsen beiträgt. Auf diese Weise werden exakt jene Sekundärqualifikationen erworben, mit denen man im Wettbewerb der High Potentials individuell bestehen kann. Ob derartige soziale Muster auch gesellschaftlich nützlich sind, ist eine völlig andere Frage.


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