Sturz

Linksbündig Bertrand Cantat unter Verdacht

"Rockstar prügelt Freundin zu Tode." Wir kennen diese fette Schlagzeile längst. Mit ihr vermelden die Medien routiniert das wüste Ende der Liaison zwischen einem neureichen Macker und seinem Mädchen. Ein Fressen ohne tiefere Betroffenheit.

Die Nachricht vom Tod der Schauspielerin Marie Trintignant, die von ihrem Freund, dem Rocksänger Bertrand Cantat, schwer geprügelt worden ist, scheint bestens in dieses Muster zu passen. Dennoch ist hier einiges anders. Nicht allein, dass beide sich bisher nicht durch privaten Eskapaden hervortaten; hier sind zwei Personen involviert, die sich den besagten Rollenbildern entziehen. Sogar die Medien scheinen sich nachdenklich zurückzuhalten.

Marie Trintignant, die 41-jährige Schauspielerin aus berufenem Hause und Mutter von vier Kindern, war bekannt für ihre berührende Interpretation von fragilen Charakteren, etwa der alkoholkranken Betty im gleichnamigen Film von Claude Chabrol.

Nicht minder fragil und berührend sind die Chansons und Songs des um zwei Jahre jüngern Bertrand Cantat, Sänger und Kopf der französischen Band Noir Désir. Als "Leuchtturm des französischen Rock" hat Le Monde sie bezeichnet. Besonders ihr jüngstes Album Des Visages des Figures ist ein Meisterwerk der aktuellen Rockmusik. Im wunderschönen "Le vent nous portera" singt Cantat - begleitet von Manu Chaos Klampfe - mit verletztlich klingender Stimme: "Et tout va ira bien / Le vent nous portera" (Und alles wird gut werden / Der Wind trägt uns hinweg).

Nichts (außer dieser Musik) ist gut geworden, vielmehr scheint sich der Name der Band über Cantat gesenkt zu haben: Dunkles Verlangen, außerhalb der Kontrolle. Was ist nur in diesen sensiblen, grandiosen Musiker gefahren, dass er sich in der Nacht vom 27. Juli hat volllaufen und -pumpen lassen, dass er blindwütig, bewusstlos zugeschlagen hat? Über private Gründe wird gemunkelt, doch erklären sie nicht alles.

Cantat besitzt sicherlich ein Faible für düstere Melancholie, die sich auf Des Visages, des Figures in kraftvoll vorgetragenen Songs ausdrückt. Auch wenn er zu poetischem Pathos neigt, behält sein Gesang stets etwas eigentümlich Brüchiges, Ungeschütztes, das von seinen Mitmusikern virtuos akzentuiert und ausgespielt wird. Noir Désir verstehen es vortrefflich, Stimmungen (und Stile) aufzunehmen und zu brechen, ohne ihrer Musik die Kraft und Intensität zu rauben.

Über die große Fanszene hinaus haben sich Noir Désir zudem den Ruf einer Band erworben, die zuvorerst steht im Kampf gegen Globalisierung (The Holy Economic War), für Menschenrechte, gegen den Front National (Un Jour en France). Noir Désir hat für Subcommandate Marcos, die Befreiung Tibets und Palästinas gespielt, ein Konzert zugunsten von José Bové, dem Bauernrebellen musste nun abgesagt werden. Im Interview geizt Bertrand Cantat nicht mit klugen Argumenten, die dezidiert libertäre Ansichten verraten. Zudem hat sich das jüngste Album mehr als eine Million Mal verkauft.

Liegt in diesem Starruhm mit ein Grund für die dissonante Tragödie? Die Macht über ein riesiges Publikum; dazu dessen Erwartung nicht nur auf taffe Musik sondern auch auf eine inspirierende Botschaft? Der Charismatiker - auch nur ein zerbrechlicher Mensch?

In vielen Songs von Noir Désir finden sich kritische Töne über die Welt, welche von mitfühlender Empfänglichkeit zeugen. Sind sie nicht nur metaphorisch gemeint? Etwa im Song vom großen Weltenbrand (Le grand Incendie): "Tu crois toujours que tu peux t´arrêter, / Te jeter dans un coin te coucher / Oublier la cadence". (Du glaubst immer, dass du aufhören kannst / Dich in eine Ecke werfen, dich niederlegen / das Tempo vergessen).

Was vorgefallen ist, ist tragisch und deprimierend. Im Nachinein klingt der Song Lost wie ein verzweifelter Hilferuf, der refrainhaft sich Mut macht in der Zeile "I´m lost but I´m not stranded yet". Nun offenkundig doch. Das Idol ist tief gefallen, das leuchtende Vorbild gibt eine denkbar üble Figur ab.

Auf einer Forumseite im Internet hat jemand notiert: "Auch wenn ich Noir Désir mag, Bertrand Cantat ist ein Mörder." Der Satz darf, muss auch umgekehrt werden. Auf Des Visages, des Figures, so tragisch es klingen mag, beweist Cantat, dass er viel zu sagen weiß über Hoffnungen und deren Verlust. Singen wir für ihn, sonst wird es still nicht nur um Noir Désir.

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Geschrieben von

Beat Mazenauer

Autor, Literaturkritiker und Netzwerker.

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