Sudan: EU trägt Mitverantwortung für jetzige Zustände

Meinung Weil die Zurückdrängung von Geflüchteten schon in Ostafrika beginnen sollte, flossen bereits unter Diktator Omar al-Baschir Finanzmittel nach Khartum, die den RSF zugutekamen. Über die Verstrickung der EU in den Sudan-Konflikt
Ausgabe 20/2023
Mitglieder der Rapid Support Forces (RSF) in Abraq – 60 Kilometer von Khartum entfernt
Mitglieder der Rapid Support Forces (RSF) in Abraq – 60 Kilometer von Khartum entfernt

Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP via Getty Images

Ostafrika schafft es nur selten in deutsche Medien. Wenn doch, dann zumeist, weil die Konflikte dort nicht mehr zu ignorieren sind. Und weil sich Menschen auf die Flucht nach Europa begeben. Geografisch ist der Sudan Scharnier zwischen Nord- und dem subsaharischen Afrika. Seit jeher ziehen Menschen auf der Flucht durch den Sudan nach Libyen, um sich von dort nach Europa aufzumachen, besonders aus Äthiopien und Eritrea. Dazu wird die Formel bemüht, wer globale Fluchtströme verringern wolle, müsse Fluchtursachen nachhaltig bekämpfen. Im Prinzip einfach und einleuchtend. In der Praxis heißt das für die EU: Militarisierung und Überwachung – wie im Sudan.

Die EU Horn of Africa Migration Route Initiative – auch Khartum Prozess genannt –, die 2014 in Kraft trat, ist ein Bündnis verschiedener europäischer wie afrikanischer Länder. Es bindet Entwicklungsgelder an Migrationskontrolle, indem der Finanzfluss aus Europa – etwa aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien – von der Fähigkeit afrikanischer Staaten abhängig gemacht wurde, Wanderungen „illegaler Migranten“ zu stoppen. Offiziell sollten damit Menschenhandel und Formen moderner Sklaverei bekämpft werden. Ein großer Teil der Gelder floss jedoch in Strafverfolgung, Justiz und Grenzsicherheit.

Verbrechen waren bekannt

Für Sudan hieß der Khartum Prozess nicht nur, dass die EU mit einem Diktator, dem 2019 gestürzten Omar al-Baschir kooperierte, der sein Land in Kriege und während der Sezession des Südsudan geführt hatte. Er bedeutete vor allem, dass die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) legitimiert wurden, die heute eine der beiden Kriegsparteien sind.

Al-Baschir hatte die RSF zum Grenzschutz eingesetzt. Dank des Khartum Prozesses erhielten sie einen Status als reguläre Einheit, obwohl von den RSF verübte Verbrechen schon damals bekannt waren. Dazu zählten die Beteiligung am Genozid in Darfur und Gräueltaten, die von Vergewaltigungen bis hin zum Raub in all den Regionen reichten, in denen die RSF präsent waren. Aus den mit dem Khartum-Prozess entstandenen riesigen Flüchtlingslagern drangen Berichte über Menschenhandel und sexuelle Übergriffe nach draußen. Wer das hörte, der wusste, die EU traf eine Mitschuld an den Menschenrechtsverletzungen der RSF.

Dabei ist der Sudan ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie nachhaltiger Wandel hätte funktionieren können. Nach der Revolution von 2019 kamen viele Exilanten wieder in ihr Heimatland: Junge, gut ausgebildete Sudanesen, optimistisch, voller Tatendrang und hochmotiviert. Das wurde durch diverse zivilgesellschaftliche Initiativen sichtbar, die Aufgaben eines maroden Staates übernahmen. Doch Europa wusste das nicht zu würdigen. Nach dem jetzigen Gewaltausbruch werden Sudanesen, die in der Lage sind, sich woanders ein neues Leben aufzubauen, vermutlich nie mehr zurückkommen. Sie werden nicht erneut riskieren, alles zu verlieren, inklusive ihr Leben.

Und der Rest? Denkbar, dass Tausende aus Ostafrika versuchen, über das Mittelmeer zu entkommen. Was ihnen dabei droht, ist klar. Sollte man deshalb nicht an die ethische Verantwortung liberaler Demokratien erinnern? Nur scheint – wer systematisch diktatorische Regime finanziert, ihnen Waffen liefert und „failed states“ in Kauf nimmt, um Fluchtbewegungen zu verhindern – eine solche Verantwortung nicht zu kennen. Der Teufel, der im Sudan wütet, kommt auch aus Europa.

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