Sumpfgegugge

Medientagebuch Zwei Leipziger Journalisten werden verurteilt, weil sie nicht lockerließen. Die Leipziger Bevölkerung nimmt´s gelassen: Hauptsache, die Zeitung wird nicht teurer

Wenig ist für die Leipziger so weit weg wie Dresden. Dort wird regiert, hier wird gelebt. Messestadt, Buchstadt, Heldenstadt. Und weil die Leipziger gern ein wenig zum Größenwahn neigen, halten sie Olympische Spiele in ihrer Stadt für möglich und einen City-Tunnel für die Drei-Stationen-U-Bahn sogar für nötig. Wird in Leipzig ein „Sachsensumpf“ freigelegt, dann geht man da mal hin, da zeigt man auf den Schlamm und sagt: Gugge!

Nun müssen zwei Leipziger Journalisten je 2.500 Euro zahlen, weil sie nicht lockerließen, die Gummistiefel über­zogen und sich in den Sumpf begaben und dann auf zeit-online.de die falschen Fragen stellten bei ihren Recherchen zu jener Akten-Affäre um Rotlichtkontakte einiger Juristen und, so der Verdacht, um eine mögliche Verstrickung jenes Richters, der den Zuhälter zu einer vergleichsweise milden Haftstrafe verurteilte. „Ermittelten die Polizisten möglicherweise illegal oder verdeckt gegen N.? Gerieten sie unter Druck, weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?“, fragten Thomas Datt und Arndt Ginzel 2008. Die zweite Frage beinhalte, so das Urteil am Landgericht Dresden vom vergangenen Freitag, eine ehr­abschneidende Tatsachenbehauptung gegenüber den beiden Polizisten.

Gäbe es den Journalisten-Club am Leipziger Neumarkt noch – womöglich würden sich die Zeitungs-, Radio- und Fernsehkollegen nach Feierabend über ihr Bierchen beugen und einander stecken, was so nicht länger hinzunehmen sei und was man ja wohl immer schon gesagt habe. So aber verglüht die Prozess-Nachricht wie eine Sternschnuppe am August-Himmel. Die Berichterstattungen bleiben im Rahmen des Nötigsten, die Kommentierungen kreisen im Selbstreflexiven.

Nasi Goreng am Neumarkt

Über das Urteil schreibt Sven Heitkamp in der Leipziger Volkszeitung (LVZ): Es habe, „wenn es seine Gültigkeit behält, ernste Konsequenzen für die Presse. Obwohl sie ein unabhängiges Kontrollorgan sein sollen, müssten die Medien mehr als bisher Sorge vor strafrechtlicher Verfolgung haben.“ Lobenswert sei indes eine anderere Entscheidung des Richters: „Wer Material für redaktionelle Beiträge recherchiert, sie aber nicht selbst verfasst, kann für die veröffentlichten Formulierungen auch nicht haftbar gemacht werden. Es wäre wünschenswert, dass es bei dieser Klarstellung bleibt.“ Die Leipziger, die heute am Neumarkt Nasi Goreng gabeln, wünschen sich, dass ihre Zeitung nicht mehr als einen Euro kostet.

In der Leipziger Internet-Zeitung wird der rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen Johannes Lichdi zitiert: „Das entscheidende Verdienst des Prozesses ist es aber, dass erstmals ein unabhängiges Gericht die Tatsache als erwiesen festgestellt hat, dass bei den polizei­lichen Ermittlungen im Jahre 2000 die Bildvorlagen in den Vernehmungen der ehemaligen minderjährigen Prostituierten nicht vollständig protokolliert wurden.“ Egal, sagen die Leipziger, „die sind doch alle weggelobt worden, ­hocken jetzt in Dresden.“

Was es für die Demokratie bedeutet, beeilen sich Deutscher Journalisten-Verband, Reporter ohne Grenzen und Presserat zu reklamieren, sie nennen das Urteil „überzogen“, einen „Skandal“, einen Angriff auf die Pressefreiheit. Mit der Freiheit nahmen es die Leipziger mal sehr genau. Während die einen Pressefreiheit für eine Gratiszeitung halten, nehmen es die anderen mit Humor. Als sich einer beschwert, dass über den Sachsensumpf auf LVZ-online nichts zu finden sei, bekommt er den Tipp: „Schau doch mal unter Auenwald nach.“

Die Bloggerin Kay Kloetzer lebt in Leipzig

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