Superwütend. Supergeil?

USA Spaßpunker Bela B und der Kritiker Jerry Saltz sind sich einig: Der Schmerz nach der Trump-Wahl ist gut für die Kunst. Eine Replik
Ausgabe 48/2016
Auch Johnny Rotten konnte die Wiederwahl von Margaret Thatcher nicht verhindern
Auch Johnny Rotten konnte die Wiederwahl von Margaret Thatcher nicht verhindern

Foto: Graham Wood/Evening Standard/Getty Images

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump fühlen sich die großen Fragen plötzlich ganz nah an: „Was tun?“ auf der einen Seite, „Was soll’s?“ auf der anderen. Dazwischen steht eine dritte: „Was wird jetzt aus der Kunst?“ Der Kritiker Jerry Saltz ist sich im New York Magazine sicher: „Der Schmerz nach der Wahl ist gut für die Kunst.“ Trauma gebiert Meisterwerke, schreibt Saltz und verweist auf Picassos Guernica, auf Francis Ford Coppolas Apocalypse Now und den Hip-Hop.

Auch Spaßpunker Bela B von den Ärzten kann der Wahl eines sich mit Neonazis umgebenden Demagogen etwas Gutes abgewinnen. In der jüngsten Sendung des Endzeitboten Jan Böhmermann hoffte er: „Endlich muss diese langweilige Mainstreammusik aus den USA weichen, es werden superwütende Punksongs geschrieben werden.“ We are doomed, but we have the songs.

Die „Mainstreammusik“, der Bela B fehlende Wut vorwirft, das sind vor allem Hip-Hop und R & B – zwei Genres, die gerade alles andere als langweilig sind. Sie schaffen das, was Rock seit 25 Jahren nicht mehr gelingt: Sie fangen die Gegenwart ein und machen aus den dringendsten Konflikten resonante Kunst. Allerdings nicht immer mit eindeutiger Andockstelle für weiße Hörer, erst recht nicht in Europa, wo der Rassismus nicht ein milderer, nur ein anderer als in den USA ist.

Musik soll das Konsum- und Genussbedürfnis nach radical chic stillen: „Das wird super für die Plattensammlung“, sagte Bela B bei Böhmermann. Was da „super“ für die Kreativität sein soll, das ist die Explosion von Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt, die in den Tagen direkt nach der Präsidentenwahl ausbrach und mindestens geduldet wurde. Alles gerechtfertigt – wenn die Beats fett genug sind und der halbtote Punk-Ethos nun noch einmal einen letzten Frühling erleben darf, 40 Jahre nach seiner offiziellen Geburtsstunde.

Das England der 70er Jahre war ein furchtbar repressiver Ort, der sich aber, das ist das Geheimnis von Punk, oft unlebbarer anfühlte, als er tatsächlich war. Die Nazi-Koketterie der Sex Pistols und von Joy Division sollte vor allem die Eltern mit ihren „Blitz“-Erfahrungen wütend machen. Fakt ist: Die verklärten „superwütenden Punk-Songs“ konnten weder die Wahl noch die Wiederwahl von Margaret Thatcher verhindern.

Das ist vielleicht sogar eine Art von edlem Scheitern. Es ist aber auf keinen Fall ein Rezept für die Zukunft, wenn Kunst etwas anderes sein soll als das Auflesen und Beschriften der Scherben. Die Hoffnung, dass Kunst mehr kann, dass sie praktisch politisch wirkt, ist auch Selbstüberschätzung. Der britische Satiriker Peter Cook sprach einmal von „diesen wunderbaren Berliner Cabarets, die so viel dazu beigetragen haben, dass Hitler nicht an die Macht kam, und den Krieg verhinderten“.

So scharf Tucholskys Satiren, so wuchtig Wassili Grossmans Stalingrad-Roman Leben und Schicksal, so überwältigend Schostakowitschs 8. Symphonie sein mögen: Es wäre wohl doch schöner, sie hätten nicht geschrieben werden müssen. Das Auflesen und Beschriften der Scherben ist natürlich wertvoll – darauf zu warten, dass die Vase auf den Boden fällt, aber nicht. Eher solipsistisch und grausam und vor allem naiv.

Das ist das große Missverständnis: dass es jetzt einfach weitergeht, nur eben schlechter, dafür mit besserer Musik. Je autoritärer die Politik, desto stärker die Kunst – diese Gleichung geht nur bis zu dem Punkt auf, an dem Bücher verbrannt werden. Oder Plattensammlungen. Oder Menschen.

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