Ihr 2017 gestarteter Podcast hat Kultstatus, und in ihrem gleichnamigen Buch endlich. über trauer reden fordern Susann Brückner und Caroline Kraft einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod. Der sei letztlich auch eine Klassenfrage, finden die Autorinnen.
der Freitag: Warum ist es Ihnen so wichtig, öffentlich über das Thema Trauer zu sprechen?
Susann Brückner: Wir alle sollten mehr Geschichten darüber erzählen, was das für einen Krater ins Leben reißen kann, wenn man jemanden verliert. In unserem Buch erzählen wir persönliche Geschichten über Trauer, um zu zeigen, wie unterschiedlich sie sich äußert, und auch, dass es kein Zuviel oder Zuwenig davon gibt.
In linken Milieus scheint es immer noch verpönt, über Gefühle zu sprechen. Das Motto lautet oft „Denken statt fühlen“. Was sagen Sie dazu?
Brückner: Get rid of your toxic masculinity, kann ich nur sagen! Besonders revolutionär ist es nicht, den Laden unbedingt am Laufen zu halten, indem man etwas verdrängt, was später sowieso an die Oberfläche kommt. Gerade in linken Milieus versteht man doch, dass das Private politisch ist. Das heißt nicht, dass man ständig öffentlich weinen muss, aber das Reden darüber kann befreiend sein. Es ist die stärkere Position.
Caroline Kraft: Denken und Fühlen sind keine Gegensätze, und wir können sehr wohl gesellschaftliche Missstände sehen und gleichzeitig an uns selbst arbeiten. Ich habe zu meiner taz-Kolumne Schluss jetzt. viele Zuschriften meist älterer Herren bekommen mit dem Tenor: „Das ist ja privat, das ist ein Tabu, weil es intim ist.“ Es hat aber noch nie geholfen, Dinge unter den Teppich zu kehren. Wir empfinden es als empowernd, über diese Dinge öffentlich zu sprechen. Zur patriarchalen Auslegung von Stärke gehört ja auch die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten. Und die Gesellschaft geht auf Abstand zu Trauernden, weil wir wahnsinnige Angst vor Ausnahmesituationen haben.
In Ihrem Buch erzählen Sie auch von Ihren persönlichen Erfahrungen mit Suizid. Verursacht die patriarchale Auslegung von Stärke auch Suizide mit?
Brückner: Ganz sicher. Zum Beispiel bei meinem Bruder, der einfach nicht in der Lage war, Hilfe zuzulassen. Da sind mehrere Risikofaktoren zusammengekommen: Suizid in der Familie, Trennung, Einsamkeit. Jede Hilfe abzublocken, ist nicht stark.
Zur den Personen
Susann Brückner lebt und arbeitet in Berlin und Wien. Sie schreibt u. a. für die Berliner Zeitung. Caroline Kraft schreibt als freie Autorin u. a. für Zeit Online. Ihre Kolumne Schluss jetzt. erschien in der taz. Kraft ist ausgebildete Sterbebegleiterin. endlich. über trauer reden (17 €, 240 S., mit Illustrationen von Tine Fetz) ist bei Goldmann erschienen
Frau Kraft, Sie wenden sich in einem Kapitel gegen die Pathologisierung der Trauer. Nur mit Krankenschein und Konsultation eines Psychiaters war es Ihnen möglich, sich die nötige Zeit zum Trauern zu nehmen. Sind aber nicht Hilfsangebote wie Therapien auch im Widerstand gegen Trauernormen immer nützlich?
Kraft: Dass die WHO die anhaltende Trauerstörung in diesem Jahr als Diagnose aufgenommen hat, sodass es Lohnfortzahlung und Therapiemöglichkeiten gibt, ist einerseits positiv zu bewerten. Unsere Gesellschaft sieht Trauer aber immer noch als Störung im System, zumal wenn sie vermeintlich zu lange dauert. Da wird die Pathologisierung problematisch.
Was bedeutet Ihre allgemeine politische Forderung, nicht nur Privilegierten Zeit zum Trauern und einen würdevollen Abschied zu ermöglichen, konkret?
Kraft: Die Abschaffung des Sterbegelds im Jahr 2004, die zu einer Privatisierung des Bestattens geführt hat, rückgängig zu machen, wäre ein erster Schritt. Außerdem müssten sich die Bedingungen, unter denen ordnungsbehördliche Bestattungen stattfinden, stark verbessern – denn wenn es um die Ärmsten in unserer Gesellschaft geht, zeigt sich die Ungleichheit, selbst im Tod, sehr deutlich. Solange sich alles ums Funktionierenmüssen dreht, und das ist im Kapitalismus leider so, werden Trauernde nicht zu ihrem Recht kommen. Ich frage mich: Wäre es denn wirklich so revolutionär, eine Trauerzeit einzuführen, die sich jede*r nehmen kann, unabhängig davon, in welchem Verhältnis man zu der verstorbenen Person steht?
Brückner: In einer idealen Welt würde sich bei einer Todesnachricht eine Maschinerie in Gang setzen, die Geld ausschüttet und niedrigschwellig kostenlose Beratung anbietet. Dass es Trauerberatung gibt, weiß einfach nicht jede*r, das ist eine Klassenfrage.
Oft löst Trauer noch viel mehr aus, eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, mit psychischen Krankheiten, der Sprachlosigkeit in den Familien, speziell unter den Nachfahren der deutschen Tätergeneration. Wovon hängt es ab, wie der Einzelne mit Verlust umgeht?
Brückner: Wie Resilienz entsteht, hängt von vielen Faktoren ab: der Beziehung zu den Toten, der Fähigkeit zur Selbstreflexion ...
Kraft: Studien haben gezeigt, dass es ganz maßgeblich davon abhängt, ob man Unterstützung erfährt, Widerhall findet, wenn man über seinen Schmerz redet. Es gibt Risikofaktoren, wie gewaltsamer Tod oder der Verlust eines Kindes, die die Trauer erschweren. Aber wenn man weiß, mit welchen besonderen Herausforderungen man konfrontiert ist, ist man besser gewappnet.
Können die Deutschen da etwas von anderen Kulturen lernen?
Kraft: Ja, da gibt es viele Beispiele, etwa den Día de Muertos in Mexiko oder die irischen Totenwachen, da kommt die ganze Nachbarschaft im Haus der toten Person zusammen und feiert.
Brückner: Man kann auch in die deutsche Geschichte zurückgehen, es gab einmal einen anderen Umgang mit dem Sterben. Wahrscheinlich gab es nach Krieg und Holocaust eine Zäsur, dass man einen höchst traumatischen Umgang mit dem Tod pflegt: verdrängen, wegschauen, weitermachen.
Wurde das durch Corona verstärkt?
Kraft: Trauerprozesse wurden während der Pandemie massiv erschwert. Das betrifft nicht nur die Hinterbliebenen von mehr als 130.000 Coronatoten allein in Deutschland, sondern auch von all den Menschen, die in dieser Zeit in einem Krankenhaus und Pflegeheim gestorben sind. Hier war Abschiednehmen aufgrund der Schutzmaßnahmen fast nicht möglich, viele Familien und Freund*innen blieben mit dem Gefühl zurück, ihre Sterbenden im Stich gelassen zu haben. Wir sollten nicht wieder den Fehler machen, dieses Trauma als Gesellschaft wegzuschieben. Ein kollektives Trauma muss kollektiv verarbeitet werden.
Was machen Journalist*innen oft falsch, wenn es um den Tod geht?
Kraft: Artikel zum Thema werden meist mit weinenden Menschen, vertrockneten Rosenblättern oder Grablichtern bebildert. Warum keine Bilder, die man gerne ansieht, die nicht reproduzieren, was man schon tausendmal gesehen hat?
Brückner: Man merkt immer, wie Journalist*innen der Kuli zittert, sobald es um Suizid geht. Dass wenig darüber berichtet wird, verstärkt den Schuld-Scham-Komplex. Man könnte auch ohne Voyeurismus darüber schreiben oder sich statt auf den Werther-Effekt auf den Papageno-Effekt berufen und von Leuten erzählen, die Suizidgedanken überwunden haben.
In Ihrem Podcast wird viel gelacht, ohne das schmerzhafte Thema in irgendeiner Weise zu verharmlosen. War das eine bewusste Entscheidung?
Kraft: Definitiv. Trauern und Spaßhaben schließen sich nicht aus. Es zeigt, dass nicht alles wahnsinnig schwer und traurig ist, es bringt ein bisschen Distanz rein.
Brückner: Es hilft in akuter Trauer, zu sehen: Denen ging’s auch mal schlecht, aber jetzt können sie wieder lachen.
Kommentare 5
Ein durchaus passender Beitrag an einem Karfreitag über die Tabuthemen Tod, Trauer und Suizid in unserer angeblich "aufgeklärten" und "tabufreien" Gesellschaft.
Auch wenn es nur die Moppedfahrer in diesem Lande interessieren wird: Im März 2022 hat sich der Deutsche Chris Pfeiffer nach jahrelangen Depressionen (von denen in der Öffentlichkeit bislang nichts bekannt war) im Alter von 51 Jahren das Leben genommen. Chris Pfeifer war einer der zweifelsohne weltweit besten Motorrad-Stuntfahrer, ein Akrobat auf zwei Rädern.
Guckst du hier (von Youtube noch nicht gelöscht/gesperrt/zensiert):
https://www.youtube.com/watch?v=ilrrLvjPir4
Dass auch ausgewiesene "Spaßvögel" unter Depressionen leiden können, offenbart der Komiker Kurt Krömer alias Alexander Bojcan in seinem aktuellen Buch "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression."
https://www.swr.de/swr2/literatur/kurt-kroemer-spricht-ueber-seine-depression-100.html
Zitat 1: "Man kann auch in die deutsche Geschichte zurückgehen, es gab einmal einen anderen Umgang mit dem Sterben. Wahrscheinlich gab es nach Krieg und Holocaust eine Zäsur, dass man einen höchst traumatischen Umgang mit dem Tod pflegt: verdrängen, wegschauen, weitermachen."
Im Dritten Reich bzw. im Zweiten Weltkrieg wurde der Tod auf dem Schlachtfeld für "Führer, Volk und Vaterland" allerdings als "Heldentod" gefeiert.
Tod, Trauer und Suizid waren aber schon immer Themen, über die niemand in unserer Gesellschaft gerne spricht. Mit der sogenannten "geistig-moralischen Wende" eines gewissen Dr. Helmut Kohl von der Christlich Demokratischen Union (CDU) in den 1980er Jahren liegt es sicherlich auch an der von neoliberal-konservativen Politiker/Bürgern viel gepriesenen "Eigenverantwortung". In der Ellbogen-Gesellschaft gilt das Motto: Jeder ist sich (im Leben) selbst der Nächste. Das gilt auch für das Sterben und den Tod.
Zitat 2: "Die Abschaffung des Sterbegelds im Jahr 2004, die zu einer Privatisierung des Bestattens geführt hat, rückgängig zu machen, wäre ein erster Schritt."
Das "Sterbegeld" wurde m. W. aber nicht ganz abgeschafft. Beamtinnen bzw. Beamte bekommen auch weiterhin Sterbegeld. Beamte sind schließlich "besondere" Bürger, die nicht der Allgemeinheit und den Malochern, sondern dem Staat und der neoliberal-konservativen Regierung dienen.
Zitat 3: "Man merkt immer, wie Journalist*innen der Kuli zittert, sobald es um Suizid geht."
Bei vielen Journalist*innen zittern wahrscheinlich sogar die Tasten auf der PC-Tastaturrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
Was sagen die Komiker von Tageschau, heute-journal, RTL News usw. zu Tod, Trauer und Suizid?
Offenbar hat eine Welt, in der der eigene Tod die einzige Sicherheit ist, die das Leben bietet, nur darauf gewartet, dass ihr erklärt wird, wie der richtige Umgang mit dem Tod aussieht.
Nun, meine Ansicht dazu: Wer es nicht spätestens mit Beginn der Pupertät in eine lebenslange Übung übertritt, sich mit dem Gedanken an seinem Tod und dem Tod geliebter Personen zu versöhnen, kann es auch später bleiben lassen. Der Tod ist DAS Thema des Lebens, und wer sich diesem Thema zu spät stellt, wird keine Haltung mehr dazu finden, die in seiner Trauer standhalten wird.
Wie Resilienz entsteht, hängt von vielen Faktoren ab: der Beziehung zu den Toten, der Fähigkeit zur Selbstreflexion ...
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Das stimmt. Resilienz ist eine Gegenkraft, die nicht einfach da ist, oder die man hat oder nicht hat und der man sich bedienen kann, sondern die sich entwickeln muss, wobei vieles zusammenkommt, oder eben - leider - auch nicht. Dann irrt man nach dem Tod seines/seiner Liebsten durch die Welt als gehöre man nicht mehr dazu.
Vielen Dank für Ihre Gedanken, Marit Hofmann.
… trotz alledem hab’ ich meine erheblichen Zweifel, wie weit diese Ratschläge wirklich beim Trauern helfen.
Oder beim Umgang mit Suizid-Gedanken.
Alle Kulturkreise, auch der christliche, haben historisch eine reiche Auswahl von Ritualen, die versuchen, (vernünftigen) Kontext zum Ableben von Mensch zu schaffen.
Die kapitalistischen Reproduktions- und Verbrauchsbedingungen stehen quer zu den meisten solcher ‚rationalisierten‘ emotionalen Reflexionen, und das auch gegenüber allen Religionen, z.B. ganz wichtig, in der einfachen Verfügung-Stellung von ‚Zeit und Raum‘.
In der Verkürzung erscheint eine solche Begründung sicherlich als Binsenwahrheit, behält aber ihre zeitlose Berechtigung, „Wendezeit hin, oder Wendezeit her“. Alle Versuche, das menschliche Ableben auch transzendental als Teil von Mensch-Sein zu gestalten, wurden in den letzten Jahrzehnten zum Scheitern gebracht.
Echte Trauer ist kaum zugänglich für ‚Wirtschaftswachstum‘.
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Das Schlimmste dabei ist die steigende Akzeptanz des gewaltsamen Todes.
Zitat: "… trotz alledem hab’ ich meine erheblichen Zweifel, wie weit diese Ratschläge wirklich beim Trauern helfen."
Es ist zweifelsohne richtig, dass jeder mit der Trauer darüber, dass er einen geliebten Menschen verloren hat, am Ende alleine zurechtkommen muss.
Für die (Über-)Lebenden kann es nichtsdestoweniger hilfreich sein, wenn sie dabei nicht alleingelassen werden.
Ein traditionelles Ritual, das diesem Zweck dient, ist zum Beispiel der sogenannte "Leichenschmaus" (aka Leichenmahl, Leichentrunk usw.), also das gemeinschaftliche Speisen/Trinken der Familienangehörigen, Verwandten, Freunde und Bekannten nach einer Beerdigung bzw. Beisetzung.
Ein Brauch, der in unserer "modernen" und individualisierten Ego-Gesellschaft allerdings zunehmend auch an Bedeutung verliert.
Auf der anderen Seite nimmt auch die Zahl der sogenannten "anonymen" Bestattungen in unserer "christlichen" Gesellschaft zwar langsam, aber stetig zu. Ein Grund für eine möglichst billige Beisetzung liegt darin, das der Nachlass des Verstorbenen nicht für eine Grabstätte mit Vorname und Nachname reicht.
Es gibt aber auch Fälle bei denen keine Hinterbliebenen vorhanden sind. Dann spart man sich allerdings auch die Trauerarbeit. Um Mitbürger, die in unserer Gesellschaft "anonym" gelebt haben, muss niemand trauern.
Und was sagt der amtierende Bundesfinanzminister Herr Lindner von den freien Radikalen dazu, dass es in diesem reichen und mehrheitlich immer noch "christlichen" Land Menschen gibt, die anonym verscharrt werden, weil kein Geld für eine anständige Beerdigung da ist?