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Linksbündig Peter Handke und Heinrich Heine

Was verbindet Peter Handke und Helmut Kohl? Heinrich Heine! Auf diese skurrile Pointe könnte man zuspitzen, was sich im Gefolge einer sonderbaren Jury-Entscheidung in der letzten Woche zu Düsseldorf am Rhein ergeben hat.

Als der deutsche Bundeskanzler im Mai 1985 US-Präsident Ronald Reagan zum Staatsbesuch empfing, ließ er sich auch von einem Sturm der Entrüstung in den Medien und unter den Intellektuellen nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Unbeirrt hielt er daran fest, ein historisches Zeichen zu setzen und nötigte seinen Mentor zu einem symbolträchtigen Spaziergang auf dem Soldatenfriedhof im rheinland-pfälzischen Bitburg, obwohl sich herausgestellt hatte, dass dort Angehörige der Waffen-SS beerdigt lagen.

Legt man die Maßstäbe zu Grunde, die die Jury des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises angewandt hat, als sie dem Schriftsteller Peter Handke die inzwischen mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung zuerkannte, dann war auch Helmut Kohl in Bitburg ein Kämpfer gegen den Mainstream. Einen "poetischen Blick" auf die Welt wird man dem Machiavelli aus der Pfalz kaum nachsagen können. Aber dass auch Kohl "eigensinnig" und "rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale" anging, hatte man schon daran sehen können, dass er Zeit seines Politiker-Lebens Spiegel-Interviews verweigerte. Muss man ihn jetzt nicht auch nachträglich mit dem Heinrich-Heine-Preis ehren?

Es stimmt, dass Peter Handke, wie er diese Woche in der FAZ schrieb, niemals irgendein Massaker auf dem Balkan gerechtfertigt hat. Wer sieht, wie schnell derzeit Politiker mit rotem Kopf "Skandal" rufen, die Handke wahrscheinlich kaum gelesen haben, aber wissen, dass er sich "einem verbrecherischen Regime angedient" hat, kann das Anliegen des Autors gut nachvollziehen, sich den Reflexen der Mediengesellschaft zu entziehen und die Wahrheit über die Balkankriege selbst zu suchen. Trotzdem musste mit der Zuerkennung des Heine-Preises jetzt der falsche Mann für das Bemühen herhalten, zu demonstrieren, dass es noch selbstständig denkende Menschen gibt, die nicht jede Medienschablone übernehmen.

Im Sommer 2005 veröffentlichte Handke seinen Essay Die Tablas von Daimiel oder Ein Umwegzeugenbericht zum Prozeß gegen Slobodan Milosevic´. In dem Textbeschreibt er nicht nur den Besuch beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal und dem inhaftierten Politiker. Der eindrucksvollere Teil ist der Besuch bei den serbischen Flüchtlingen aus dem Kosovo. So, wie er deren Leidensgeschichten notiert, hat Handke beispielhaft vorgeführt, wie man den Geschundenen der Geschichte eine Stimme leiht. Also genau das getan, was auf Pen-Kongressen immer als die vornehmste Aufgabe des Schriftstellers gepriesen wird.

Schon mit seinem frühen Text Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Sawe, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien wollte Handke einen symbolischen Faden zum Balkan spinnen und Serbien nicht in der Schmuddelecke der europäischen Zivilisation stehen lassen. Er hat also sehr wohl der Völkerverständigung gedient, für die der Düsseldorfer Preis auch vergeben wird. Selbst wenn einem noch sein Satz aus dem Jahr 1999 in den Ohren gellt: "Manchmal wäre auch ich gern ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für das Kosovo kämpft."

Die Frage ist nur, wann Eigensinn zur Macke wird. Wer die Zwangslage zwischen der individuellen Wahrnehmung und ihrer medialen Überformung zum Thema machen will, darf der dafür so einseitig Belege sichten? Zur Suche nach der "offenen Wahrheit", für die Handke jetzt den Preis erhalten soll, hätte gehört, dass er sich der anderen Seite so genähert hätte wie der serbischen. Spätestens seit dem Sprechstück Publikumsbeschimpfung gilt Peter Handke als Interpret des Subtilen, als Kritiker von Systemzwängen, der eindeutige Positionen verweigert. Um so bestürzter verfolgte man, wie er sich mit seinem Projekt einer poetischen Wahrnehmung nun selbst in ein geschlossenes System namens Serbien sperrte. Kein Wunder, dass diese romantische Suche nach der verschleierten Wahrheit am Grab von Slobodan Milos?evic´ endete. Mit der Teilnahme an dessen Beerdigung riskierte Handke ein ähnlich fatales Bild wie Kohl beim Gang nach Bitburg.

Der Dichter vor dem rosenübersäten Sarg des Diktators und eine Jury, die ihn dafür mit Heine-Lorbeer bekränzt. Bislang konnten Kunst und Kritik mit Fingern auf die Politik zeigen, wenn es um das nachwirkende Gift fahrlässiger Symbolpolitik ging. Seit Düsseldorf zeigen diese Finger endgültig auf sie selbst zurück.


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