Sympathie für den Feind

Serie Michael Pekler schätzt an „Tehran“ das Spiel mit Spannung und Entschleunigung. Spoiler-Anteil: 13%
Ausgabe 46/2020

Sich am Flughafen von Teheran von einer israelischen Agentin in eine iranische Flugbegleiterin zu verwandeln, ist keine einfache Angelegenheit. Dazu braucht es mindestens ein ausgeklügeltes Versteckspiel auf der Damentoilette. Doch wofür sonst bildet der Mossad seine Einsatzkräfte aus? Wenn Tamar Rabinyan (Niv Sultan) zu Beginn von Tehran (Apple TV+) in der iranischen Metropole landet, treffen jedenfalls Welten aufeinander: religiöse, kulturelle, ideologische – und geheimdienstliche. Tamar soll das iranische Raketenabwehrsystem hacken, damit die israelische Luftwaffe ihren Angriff auf einen Atomreaktor fliegen kann. Israel setzt auf den Präventivschlag gegen den Erzfeind, während die Bevölkerung hier wie dort wieder einmal keine Ahnung hat vom Treiben hinter den Kulissen.

Dass die iranischstämmige Tamar ihren Job nicht von Tel Aviv aus erledigen kann, bietet Showrunner Moshe Zonder (dessen Erfolgsserie Fauda auf Netflix zu sehen ist) jedenfalls eine perfekte Ausgangslage: Die Camouflage, die praktisch die gesamte erste Episode beansprucht, führt zu einem spannungsreichen Wettlauf gegen die Zeit, während Tamar, kaum den Überwachungskameras und Flughafenpolizisten entkommen, undurchsichtige iranische Kontaktmänner erreichen muss. Bis die Undercover-Spionin – der Einsatz wird selbstverständlich vermasselt, sonst gäbe es keine weiteren sieben Folgen – auf sich allein gestellt in Teheran strandet. Die öffentliche Hinrichtung, an der sie im Taxi durch die Stadt vorbeifährt, macht ihr und dem Zuschauer klar, was auf dem Spiel steht.

Normalerweise ist es kein gutes Zeichen, wenn die erste Episode gleich zu den spannendsten einer Thrillerserie zählt, und auch Tehran läuft Gefahr, sich im Folgenden in Nebenschauplätzen zu verlieren. Andererseits hat das Qualitätsfernsehen der vergangenen Jahre gezeigt, dass auch viele Stunden dauernde Erzählungen keineswegs stromlinienförmig auf ein großes Finale zusteuern müssen. Tehran setzt nach dem dramatischen Auftakt auf das Prinzip der Abwechslung von Spannungsaufbau und Entschleunigung, verirrt sich zwischendurch als Identitätsdrama ein wenig zwischen Tamars inneren Konflikten und kehrt am Ende, wenn es Spitz auf Knopf steht, wieder zum eigentlichem Grund für ihr Auslandsengagement zurück.

Erstaunlich ist jedenfalls das Bild, das Tehran – gedreht wurde in Athen, gesprochen wird neben Farsi auch Hebräisch und Englisch – als israelische Serie vom jahrzehntelangen Feind entwirft. Natürlich ist mit den iranischen Agenten in ihren schwarzen Lederjacken und ihrem Chef Faraz Kamali (Homeland-Charaktergesicht Shaun Toub) nicht zu spaßen. Das Hauptaugenmerk ist aber auf das „andere“ Teheran gerichtet: auf die protestierenden Studenten, denen sich Tamar zwischenzeitlich anschließt; auf die Dissidenten, denen sie begegnet; auf eine Liebe, die möglicherweise doch nur einem politischen Zweck untergeordnet ist; auf Doppelagenten, Maulwürfe und immer wieder auf Tamars eigene, durch die Revolution zerrissene Familie.

„Wir wollten auch eine andere, freundliche Seite Irans zeigen“, so Moshe Zonder, der spätestens seit Fauda zu den erfolgreichsten Drehbuchautoren Israels zählt. Ob das aus guter Absicht geschieht, um das eindimensionale Bild des „Schurkenstaats“ sanft zu revidieren und zu zeigen, dass nicht die gesamte iranische Zivilbevölkerung aus religiösen Fanatikern besteht, oder ob mit gewieftem Kalkül, indem man die innere Schwachstelle des Feindes fernsehtauglich unterstützt – der Schattenkrieg wird jedenfalls hochgradig spannend inszeniert. Wobei Tehran offenbar nicht anders kann, als die technische Überlegenheit des Mossad auf den ersten Blick herauszustellen: In kühles Blau getaucht leuchten die Monitore in der israelischen High-Tech-Kommandozentrale, während die Leitung des iranisches Geheimdiensts in altbackenen braunen Polstermöbeln versinkt.

Dass der Mossad derzeit der wohl beliebteste Geheimdienst des Serienfernsehens ist – zuletzt wurde Sacha Baron Cohen in The Spy nach Syrien entsandt – ist nicht verwunderlich. Der Nahe Osten eignet sich dieser Tage wie kaum eine andere Konflikt- und Kriegsregion für das Ersinnen von geheimen Missionen und vereitelten Anschlägen. Wer im Fernsehen davon profitiert, ist jedenfalls schon entschieden: Apple TV hat die Fortsetzung von Tehran bereits in Auftrag gegeben.

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