Gefühltes Völkerrecht: Annalena Baerbock und ihre Taiwan-Rhetorik
Konflikte „Prowestlich“ und „antiwestlich“ – mehr muss man nicht wissen? Taiwan zeigt die Probleme einer „wertebasierten“ Außenpolitik à la Annalena Baerbock deutlich
Eventuell zeigt sogar diese Touristin auf der Insel Pingtan mehr Sachverstand im Taiwan-Konflikt als die deutsche Außenministerin
Foto: Hector Retamal/AFP/Getty Images
Die deutsche Außenministerin betont ja gerne, sie sei „Völkerrechtlerin“. Auch ohne an das Affärchen zu erinnern, das vor Jahresfrist um Annalena Baerbocks Lebenslauf entbrannte, lässt sich das zurückweisen. Mehr noch: Mit fahrlässigen und oberflächlichen Äußerungen und Andeutungen zum „Völkerrecht“ führt sie auf gefährliche Pfade. Das zeigen die Parallelen, die Baerbock zwischen Taiwan- und Ukraine-Konflikt zieht. Für Letzteren verwendet sie stets die Formel vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“. Bezogen auf Taiwan und China bedeutet dies, dass jede Inanspruchnahme taiwanischen Territoriums durch China „völkerrechtswidrig“ sei.
Das ist nicht nur falsch, so
falsch, sondern widerspricht auch der Politik ihrer eigenen Regierung. Völkerrecht ist das Recht, das zwischen den Staaten gilt. Und wie die USA und die allermeisten Länder betrachtet Berlin die Insel, die eine Unabhängigkeit nie proklamiert hat, nicht als Staat. Nur die Volksrepublik ist Mitglied der Vereinten Nationen – das bewirkte 1972 zum einen der US-Präsident Richard Nixon, der Maos China umgarnte, um der UdSSR zu schaden. Es widersprach zum anderen der Realität, dass die relativ kleine Insel und nicht das riesige Land das offizielle China sein sollte. Taiwan verlor in der Folge seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat sowie die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, deren Vollversammlung dem mit überwältigender Mehrheit zustimmte. Statt des bis dahin akzeptierten taiwanischen wurde damit der Alleinvertretungsanspruch Pekings bejaht. Seitdem wird Taiwan nicht nur nach Chinas Verfassung als Teil des Landes betrachtet, sondern auch völkerrechtlich herrscht diese Sicht vor.Staaten wollen unteilbar seinDas weiß natürlich das Auswärtige Amt, das seine Ein-China-Politik bisher nie in Frage gestellt hat. Doch mit der jetzigen Ministerin, die sich als „Völkerrechtlerin“ nur fühlt, greift ein Diskurs gefühlten Völkerrechts um sich, der wenig mit realem zwischenstaatlichen Recht zu tun hat, aber viel mit Wunschdenken. Rhetorisch macht Baerbock das Land zum Vorreiter einer ansonsten von nur wenigen westlichen Politikern propagierten „wertebasierten“ Außenpolitik. Diese verwechselt das Völkerrecht mit einer Menschenrechtspolitik, die im Einzelfall auf ihre Selektivität hin zu prüfen wäre. Offen oder tendenziell spricht dieser Diskurs „autoritären Staaten“ die Legitimität ab, um zu versuchen, auch ihre Souveränität zu untergraben. Schnell ist dann berührt, was einen Staat zuerst ausmacht, nämlich die Hoheit über das Territorium, das er beansprucht.Welches Gewaltpotenzial entsteht, wenn solche Kernfragen von Staatlichkeit aufgeworfen werden, zeigte sich seinerzeit in Jugoslawien, wo auch die deutsche Politik den Teilrepubliken früh die Anerkennung in Aussicht stellte und zum Staatszerfall beitrug. Doch Beispiele dafür, wie sensibel Staaten auf Sezessionsszenarien reagieren, bieten auch die parlamentarisch-demokratischen Zentralstaaten Westeuropas. Wo immer sich hier Bestrebungen nach Selbstständigkeit zeigten, wurden diese unterdrückt und drastisch verfolgt – man denke an Katalonien und Nordirland. Und auch im föderalen Deutschland können sich Bundesländer entgegen manchen naiven Vorstellungen keineswegs einfach so verselbstständigen. Volksabstimmungen zumal über die Loslösung von Landesteilen sind unzulässig. Wie die allermeisten Staaten nimmt Deutschland selbstverständlich seine Unteilbarkeit in Anspruch – egal, ob das als „legitim“ erscheint. Wer da China seine Doktrin staatlicher Einheit per se vorhält, möge sich daran erinnern.Das anzuerkennen, spricht natürlich nicht dagegen, tiefe Sympathie für das real existierende Taiwan zu empfinden. Vielfach ist der Autor vor Ort gewesen; er engagiert sich für den deutsch-taiwanischen Austausch – etwa in dem Versuch, eine Partnerschaft zwischen den Landkreisen Cuxhaven und Hualien mit anzustoßen.Dieses Ansinnen, von dem noch zu berichten sein wird, erwies sich aber als lehrreich bezüglich der „moralischen“ Position, die mitschwingt, wenn Baerbock Taiwan jetzt die „Solidarität“ gegen China ausspricht. Sie scheint wie selbstverständlich davon auszugehen, dass sich ganz Taiwan seit jeher nach Unabhängigkeit sehne und nur die Drohungen der autoritären Volksrepublik dagegenstünden. Nach einem „wertebasierten“ Schema, das die Welt in „prowestlich“ und „antiwestlich“ einteilt, klingt das logisch. Doch gerade Taiwan zeigt, dass die Dinge oft komplizierter sind.Ein zutiefst gespaltenes LandZwar ist eine Unabhängigkeitserklärung in der Tat erklärtes außenpolitisches Ziel der jetzigen Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Doch zugleich handelt es sich dabei um einen innenpolitischen Jeton in einem Kampf um den Charakter einer vielfach zerrissenen Gesellschaft. Begründet wurde das heutige Taiwan nach dem Chinesischen Bürgerkrieg von den unterlegenen Truppen der antikommunistischen Guomindang-Partei (GMD). Mit deren Kadern wanderten viele Han-Chinesen vom Festland ein, die Mandarin sprachen. Daneben gibt es Nachfahren der Hakka aus Guandong, deren Dialekt mit dem Kantonesischen verwandt ist. Die größte Minderheit waren Hoklo, die aus Fujian stammen. Zudem gibt es einige Nachkommen der austronesischen Indigenen.Infolgedessen vermischen sich die Agenden der großen Parteien DPP und GMD unentwirrbar mit ethnisch-sprachlichen Konfliktlinien. Die DPP führte lange einen harten Kulturkampf, um den Fujian-Dialekt zur Amtssprache zu machen und das Mandarin zurückzudrängen. Die GMD mit ihrer überwiegend Han-chinesischen Gefolgschaft steht hingegen für das Mandarin und, trotz ihrer antikommunistischen Wurzeln, für eine „Festland-Orientierung“, – quasi der Rest ihrer eigenen Ein-China-Doktrin, die einst die Volksrepublik zum „abtrünnigen“ Landesteil erklärte. Gerade im Erziehungswesen versuchte die jeweils regierende Partei, der jeweiligen „Minderheit“ ihren Standpunkt aufzuzwingen. Nach 2002, dem ersten Wahlsieg der DPP, traf der Verfasser auf zahlreiche Lehrer, die ihren Beruf aufgeben mussten, weil sie nun eine „andere Geschichte“ und eine andere Sprache zu lehren hatten – Fujian unterscheidet sich ziemlich grundlegend von Mandarin.Wie ernsthaft dieser Kulturkampf auf Taiwan betrieben wird, war bis nach Cuxhaven zu spüren: Während dort jene Partnerschaft mit dem Kreis Hualien allseitig begrüßt und konstruktiv vorbereitet wurde, funkte plötzlich die taiwanische „Generalkonsulin“ in Hamburg dazwischen: Man solle sich lieber mit dem Kreis Keelung verpartnern. Der offensichtliche Hintergrund: Dort regierte die DPP, während der Gouverneur von Hualien zuvor Minister in einer Regierung der Guomindang gewesen war – wohlgemerkt einer Partei, die seit den späten 1980ern demokratische Prozesse anerkennt.Nach einem „wertebasierten“ Schema à la „prowestlich“ und „antiwestlich“ lassen sich diese Verhältnisse kaum sortieren. Weiß das die deutsche Außenministerin, wenn sie, ganz nach gefühltem „Völkerrecht“, den in Peking als krasse Provokation empfundenen Besuch der US-Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi mit einer Solidaritätsadresse unterstreicht? Taiwan und China sind sehr eng verflochten. Wer von der Insel kommt, gilt auf dem Festland nicht als „Ausländer“. Das hat für Taiwan, dessen Unternehmen in Südchina ganze Landstriche prägen, enorme Vorteile. Die Loslösungsrhetorik der gegenwärtigen Präsidentin spiegelt nicht den Willen „ganz Taiwans“. Wer sich diese auf internationaler Regierungsebene zu eigen macht, mischt sich in eine nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch komplexe und hochexplosive Gemengelage ein. Diese ist irgendwo zwischen Kulturkampf, Parteipolitik und auch der persönlichen Agenda Tsai Ing-wens anzusiedeln. Die Präsidentin aber wird 2024 abtreten – und dann?Wie wäre es, wenn die neue deutsche Außenministerin in Sachen Taiwan nicht gleich auf der Ebene ganz großer Linien und Prinzipien einstiege – sondern sich erst einmal um das vermeintlich Kleine kümmerte, etwa den deutsch-taiwanischen Austausch? Sie könnte in Taipeh ein Wort einlegen für das Zustandekommen jener bislang von der DPP-Regierung blockierten Partnerschaft zwischen Cuxhaven und Hualien. Die Kreise stehen wie gesagt bereit – der Autor selbst hatte dem dortigen Gouverneur sogar schon ein Modell des Cuxhavener Leuchtturms übergeben.Placeholder authorbio-1
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