Tanz den Europäer!

Festival Das Festival "Theater der Welt" eröffnet in Essen/Mülheim: mit einer aufregenden Inszenierung des thailändischen Tänzers Pichet Klunchun. Und einem Bagger-Ballett

1910 besuchte der Tänzer Nijinski das Gastspiel einer siamesischen Tanzcompagnie und kreierte danach seinen Danse Siamoise. Anhand von überlieferten Fotos macht sich der thailändische Tänzer Pichet Klunchun beim Festival „Theater der Welt“ mit zwei Kollegen an die Rekonstruktion dieser Aneignung. Mit Schattenfiguren werden Nijinskis Posen konkretisiert und auf der Bühne mit den Figuren und Mythen des traditionellen Khontanzes verlinkt. Der Dämon, der Affe und der Prinz treten in Wettstreit, wobei die abgespreizten Finger, die im rechten Winkel aufgerichteten Handflächen oder das Stampfen an indische Tanzformen denken lassen. Immer wieder korrespondiert der Tanz mit den projizierten Fotos von Nijinskis Choreografie. Unter dem Titel Nijinsky Siam entsteht so trotz mancher Längen ein spannender transkultureller Dialog.

„Perspektivwechsel“ lautet das Motto, das Kuratorin Frie Leysen dem Festival verordnet hat. Das meint vor allem den vielfach gebrochenen Blick, der das Eigene durch das Fremde zu sehen beginnt und dadurch nicht nur Klischees, sondern auch unvertraute Perzeptionsweisen sichtbar macht. Den fremden Blick inszenierte auch der mexikanische Regisseur Claudio Valdés Kuri mit der Inszenierung der 1755 uraufgeführten Oper Montezuma von Carl Heinrich Graun. Ein Werk, das die Eroberung des Aztekenreiches durch den Spanier Cortés vorführt und selbst bereits eine gebrochene Perspektive besitzt. Das Libretto stammt von Preußenkönig Friedrich dem Großen, der darin seinem antihabsburgischen Affekt freien Lauf ließ und eine Lanze für den Aztekenherrscher brach – wobei man die Kolonialismuskritik des alten Fritz nicht überschätzen sollte.

Auf drei beweglichen Treppenelementen (Bühne: Herman Sorgeloos) übersetzt die Regie die Hierarchie des Aztekenreiches in strenge, statische Bilder, ohne die Ambivalenz der archaischen Herrschaft zu verschweigen. Montezuma im Lendenschurz präsentiert sich als friedliebender Herrscher, der aber auch einem Menschenopfer das Herz herausreißen kann. Wenn die Spanier zur Eroberung blasen, flimmern die Logos westlicher Firmen von Nokia bis BP auf, Königin Eupaforice wird auf Stöckelschuhe gezwungen und Montezuma mit Sombrero und Poncho zum Mexikanerklischee zugerichtet.

Wo liegt Astana?

Am Ende dämmert der stolze Herrscher wie ein gefangener Heiliger auf einer Säule dahin. Eupaforices revolutionären Aufstand vereitelt Cortés mit einer grandiosen, halbirrsinnigen Allmachtsarie. Das Schlussbild zeigt die in eine mexikanische Fahne eingezwängte, hoch individualisierte Gesellschaft. Zukunft offen. Vor allem Countertenor Flavio Oliver als Montezuma und Lourdes Ambriz als Eupaforice überzeugen mit lyrischem Schmelz und Koloraturen, während das Barockensemble Concerto Elyma unter Dirigent Gabriel Garrido mit einigen Unsicherheiten zu kämpfen hat.

Zum Auftakt eines Festivals kann ein Feuerwerk nicht schaden – zumal wenn es so schräg daher kommt wie die nächtliche Installation A Piece of Land der Künstlerin Anna Rispoli. Mit Verweis auf Mülheims gewaltiges Neubauprojekt Ruhrbania am Fluss lässt sie zu Händels Feuerwerks-Musik und Heavy-Metal-Songs die Bagger tanzen. Während Gebäudefenster rhythmisch aufglühen, senden auf der Ruhr zwei Schiffe leuchtende Wortkaskaden, die die überalterte Kommune im Pott mit der kasachischen Wüstenhauptstadt Astana in Beziehung setzen. Ein insgesamt gelungener Auftakt.

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