Tanzt mit mir den heißen Klima-Cha-Cha-Cha!

Klimaschutzgesetz Im Umgang mit der Klimakrise führen Wissenschaft, Politik und Industrie immer wieder einen eigenartigen Tanz auf. Das ließ sich kürzlich wieder gut beobachten
Ausgabe 26/2021
Aktivisten der Klimagruppe „Extinction Rebellion“ in Berlin am 15. Juni
Aktivisten der Klimagruppe „Extinction Rebellion“ in Berlin am 15. Juni

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Es ist doch eine ziemlich eigenartige Choreografie, bei der man Wissenschaft, Politik und Industrie in Endlosschleife zuschauen kann. Die Wissenschaft verkündet besorgniserregende Erkenntnisse, die Politik reagiert viel zu spät mit viel zu kleinen Maßnahmen und die Industrie beschwert sich dann trotzdem darüber. Also muss die Wissenschaft noch mehr besorgniserregende Erkenntnisse verkünden, und so geht das munter immer weiter. Die verlässliche Abfolge ist, wenn man so will, ein sauber einstudierter Cha-Cha-Cha. Cha – warnen, Cha – dösen, Cha – maulen.

Gerade ließ sich das wieder schön am Beispiel Klima beobachten. Zuerst schockt der Weltklimarat: Erwärmt sich das Weltklima um zwei Grad, werden 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen ausgesetzt. Bis zum Jahr 2050 laufen zudem acht bis achtzig Millionen Menschen zusätzlich Gefahr, Hunger zu leiden – abhängig davon, wie hoch die Treibhausgasemissionen sein werden. Selbst wenn die sinken sollten, werden der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Nahrungsknappheit und die Verbreitung von Krankheiten immer schneller zunehmen. Was die Forschenden auch noch schreiben: Die Erde kann sich von all dem erholen, die Menschen nicht. Jeder „Bruchteil eines Grads Erwärmung“ zähle nun, um das Schlimmste abzuwenden. Cha!

Kurz darauf beschließt die deutsche Bundesregierung – gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht – ihr neues Klimaschutzgesetz: Klimaneutralität schon 2045 statt erst 2050, bis 2030 soll der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent statt um 55 Prozent sinken. Und alle Sektoren bekommen verbindliche Ziele, die gab es bislang nur bis 2030. Die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks schwelgt in Erinnerungen an den Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 und lässt sich zu dem Satz hinreißen: „Wir haben Geschichte geschrieben, und daraus machen wir Zukunft.“

Warum nennt Klimaforscher Mojib Latif es dann trotzdem ein „Larifari-Gesetz“? Weil die dafür notwendigen Veränderungen gewaltig wären, die tatsächlich beschlossenen aber winzig sind. Der Kohleausstieg müsste dafür bis 2030 über die Bühne gehen, ist aber erst für 2038 geplant. Die erneuerbaren Energien müssten viel schneller ausgebaut werden als nun beschlossen. Der CO2-Preis für Verkehr und Gebäude müsste bei 100 Euro liegen, liegt aber derzeit nur bei einem Viertel davon. Bis 2026 soll er auch nur auf 55 bis 65 Euro klettern. Ein Enddatum für den Verbrennungsmotor gibt es nicht. Die Industrie träumt zwar vom „grünen“ Wasserstoff, aber niemand weiß, wo der herkommen soll. Und die Tierbestände müssten für ein Erreichen der Klimaziele ebenfalls schrumpfen, aber darüber wollte die Regierung nicht einmal diskutieren. Cha. Die Industrie fängt trotzdem schon mal an zu maulen: „Ausufernde Regulierung und eine Verbotskultur“ seien mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, kritisiert Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ihm geht das alles zu schnell; er möchte, wenn schon, dass nun schleunigst öffentliches Geld in die Infrastruktur fließt. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, findet das Gesetz übereilt, fordert mehr Geld vom Bundesumweltministerium und eine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Cha!

Der Weltklimarat hat sich 1988 gegründet, 1990 veröffentlichte er seinen ersten Sachstandsbericht. Schon damals mahnte er: Wolle man einen Temperaturanstieg vermeiden, müssten die Emissionen umgehend um sechzig Prozent gesenkt werden. „Die Zeitbombe tickt“, sagte damals der britische Meeresbiologe und Leitautor John Woods. Das ist jetzt mehr als dreißig Jahre her. Und zwo, drei, Cha-Cha-Cha!

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