Aus Mangel an Kunst ist noch niemand verhungert. Fehlt Geld, sparen Politiker daher als Erstes bei der Kultur. Anders war es auch nicht in Griechenland. Mit Beginn der Wirtschaftskrise musste das prestigeträchtige „Athens & Epidaurus Festival“ harte Kürzungen hinnehmen. Das Event gleich ganz abzublasen, traute man sich wohl nicht. Zu weit zurück reicht die Tradition. 1955 gegründet, entwickelte sich das Festival rasch zum kulturellen Aushängeschild des Landes. Maria Callas, Luciano Pavarotti, Pina Bausch und die ersten Orchester der Welt traten hier auf. Glamour und Stars waren Programm des Festivals.
Inzwischen gehört auch der Anblick eines Fixers dazu. Die Augen geschlossen, der Ausdruck entrückt, die Knie gekrümmt wiegt er seinen d&
seinen dürren Körper im Rhythmus eines Liedes, das nur er allein kennt. Die Schwerkraft zieht ihn Richtung Boden, aber er hat sie für einen Moment vergessen.Michális, Verkäufer der Straßenzeitung Shedia, führt durch diesen Teil der Stadtzentrums, durch Syntagma, Omonoia, Monastiraki, vorbei an Suppenküchen, Zigarettenschmugglern und NGO-Zentren. 62 Jahre ist er alt, er wirkt wie jemand, der mehr erlebt hat, als in seine Lebenszeit passt. Bis 2006 führte er ein glückliches Leben, dann starben sein Bruder und seine Eltern kurz hintereinander, die Wirtschaftskrise brach aus. Michális landete auf der Straße, fand dann Obdach in einer ständigen Unterkunft. Ein Schicksal unter vielen. Prostitution und Drogen gehören zu den großen Problemen der Stadt. Nachts fürchtet sich selbst Michális in der Gegend. Touristen wird geraten, sie zu meiden.Die „Invisible Tour“ genannte Führung will das Verborgene zeigen. „Wir hatten vorher den Eindruck, diesen Teil der Stadt auszuklammern. Das wollten wir ändern“, so der künstlerische Direktor Vangelis Theodoropoulos. Unter seiner Leitung hat sich das Festival zur Stadt hin geöffnet – auch aus der Not heraus. In der Krise fehlte vielen Athenern das Geld für die Eintrittskarten. Das Festival drohte den Kontakt zur Stadt zu verlieren. Das Problem versucht man durch kostenlose Veranstaltungen zu lösen: Freiluftkino, Ausstellungen, Performances.Rutschen auf SteinenEs sind wahre Perlen darunter, wie Elena Antonious In situ (lateinisch für „am Ort“) im Archäologischen Museum von Piräus. Mit der Langzeitperformance war sie auch schon im Neuen Museum Berlin zu Gast. Auf einem schmalen Sockel ruht sie sich aus, eine erschöpfte Königin. Mit langsamen Bewegungen variiert sie ihre Stellung, sackt in sich zusammen, steht dann doch auf, blinzelt durch Haarsträhnen hindurch, streckt die Arme aus, tastet in die Leere, zieht die Hände wieder zurück. Ihre Performance ist eine Meditation über den Museumsbesuch, ihre Gestalt der Konterpart zu den Skulpturen. Diese zeigen den fruchtbaren Augenblick, den entrissenen Moment, das Fleisch als Idee. Antoniou hingegen gibt sich als dessen Material zu sehen, den Körper als verschlissene Bedeutungsmaschine, die über die Jahrtausende den Grund vergessen hat, etwas zu bedeuten. Nicht zuletzt stößt Antoniou den Besucher auf die – nur zunächst banale – Erkenntnis, dass ein Raum sich komplett ändert, sobald ein anderer Mensch ihn betritt.5.000 von ihnen passen in das Odeon des Herodes Atticus (erbaut 161 nach Christus), wo am Abend Vincenzo Bellinis Oper Norma über die Bühne geht. Die spanische Startruppe La Fura dels Baus versetzt die verhängnisvolle Liebesgeschichte einer gallischen Druidin und eines römischen Feldherrn erstens in die nahe Zukunft und zweitens auf eine Plastikinsel, was gerade zeitgeistig genug gedacht ist, um das Rendezvous mit der Vergangenheit nicht zu stören. Im Odeon wie noch mehr im einige Stunden von der Stadt entfernten Epidaurus-Theater spielen die Orte selbst die Hauptrolle. Prominente Namen wie Robert Wilson und Romeo Castellucci sorgen für volle Ränge. Öfter ist nicht die Kunst, sondern sind die unbequemen Steine, auf denen die Zuschauer in Abendgarderobe herumrutschen, die eigentliche Attraktion.Experimente und ästhetische Wagnisse sind dagegen in ein brach liegendes Industriegebiet ausgelagert. Hier reflektiert das kolumbianische Mapa Teatro bildgewaltig das Verhältnis von Party und Politik. Das Motto des Abends: „Wir müssen den Karneval beenden und jetzt mit der Revolution beginnen.“ Es kommt jedoch immer etwas dazwischen, die Religion oder das Kokain, ein lähmender Eskapismus. Den Athenern gefällt es, vielleicht auch ein wenig, weil ihnen die Verbindung zwischen der Politik und dem Feiern nicht fremd ist. Es ist nicht üblich, dass sich Zugezogene neu registrieren, weswegen bei Wahlen die halbe Stadt an ihren Geburtsort zurückkehrt, bei der Gelegenheit die Familie besucht und alte Freunde trifft. Die nächsten Wahlen sind schon ausgerufen. Die Revolution wird wohl wieder ausfallen, aber die Party steht fest.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1