Die Einzelzelle ist ein langgestreckter, vielleicht zwölf Quadratmeter großer Raum. Gleich neben der Tür ist eine Toilette, daneben hängt ein Waschbecken. An der rechten Wand steht das Bett. Durch ein vergittertes Fenster, 90 mal 60 Zentimeter groß fällt Licht hinein. Auch ein Fernseher steht in dem Raum.
Die Gefangene mit der Buchnummer 4876/11/3, die seit knapp acht Monaten in dieser Zelle der Kölner Justizvollzugsanstalt Rochusstraße einsitzt, ist derzeit wohl Deutschlands wichtigster Untersuchungshäftling: Beate Zschäpe, 37 Jahre alt. Festgenommen am 8. November 2011 in Jena, fünf Tage später überstellt in die JVA Köln. Mutmaßliche Terroristin, mutmaßliche Mordgehilfin, mutmaßliche Brandstifterin. Mutma
rin. Mutmaßliches Mitglied der mutmaßlichen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“.Wenn in den Medien über die NSU berichtet wurde, wurde die Verwendung des einschränkenden Adjektivs „mutmaßlich“ häufig unterlassen. Das hat im Fall Zschäpe nicht nur etwas mit der in einem Rechtsstaat – auch für Neonazis – geltenden Unschuldsvermutung für Beschuldigte in einem laufenden Ermittlungsverfahren zu tun. In diesem Fall steht das Adjektiv auch für eine gewisse Hilflosigkeit der Ermittler.Nach acht Monaten intensiver Ermittlungen einer zeitweise 500 Mann starken „Besonderen Aufbauorganisation Trio“ des Bundeskriminalamtes sind zwar viele Indizien zusammengetragen worden, die eine Täterschaft von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an mehreren Morden und Banküberfällen nahelegen. In der bisherigen Gesamtschau der Ermittler aber gibt es viele Lücken, Widersprüche und Unstimmigkeiten, die mit Mutmaßungen ausgefüllt worden sind. Noch immer kann nicht zusammenhängend erklärt werden, wie das Trio all die Jahre über arbeitete und funktionierte. Wie es sich finanziert hat.Protest oder Pistolen?Das beginnt schon mit der Frage, ob es sich bei der sogenannten Zwickauer Zelle überhaupt um eine terroristische Vereinigung gehandelt hat. Eine solche Vereinigung muss einen Täterkreis von mindestens drei Personen umfassen. Das heißt, außer Mundlos und Böhnhardt, den mutmaßlichen Todesschützen, muss auch Zschäpe bewusst und willentlich an der konspirativ agierenden Gruppe und deren Taten mitgewirkt haben.Die Ermittler haben daran keinen Zweifel: Aus ihrer Sicht ist das Trio Ende Januar 1998 nicht nur wegen einer drohenden Verhaftung untergetaucht, sondern auch um eine Organisation im Untergrund zu bilden, die „organisiert ideologisch motivierte Mordtaten“ begehen sollte. Die ein „Klima der Angst“ für Ausländer schaffen wollte. Eine wichtige Rolle spielt in dieser Argumentation eine Diskussion, die das Trio nach seinem Untertauchen mit ihren Unterstützern Holger G. und Ralf W. führte. Dabei sei es darum gegangen, ob man nur demonstrieren oder „mehr machen“ und sich bewaffnen solle. Diese Auseinandersetzung habe schließlich „drei gegen zwei“ geendet; G. und W. hätten am Ende gegen „die Drei“ gestanden. Die Bundesanwaltschaft wertet dies als Beleg für eine innere Übereinstimmung des Trios in seiner politischen Überzeugung und spricht von einer „Gruppenideologie“.Als belastend wird auch der Umstand gewertet, dass Beate Zschäpe, obwohl ihr eigenes Ermittlungsverfahren bereits 2003 wegen Verjährung eingestellt worden war, all die Jahre hinweg mit ihren beiden Freunden im Untergrund verblieb. Sie habe innerhalb der Gruppe die „anstehenden logistischen Aufgaben bewusst und gewollt zur Förderung der Ziele des NSU“ erledigt. Das heißt, sie verwaltete das Geld der Gruppe, besorgte Pässe und soll auch 2001 dabei gewesen sein, als Mundlos und Böhnhardt eine Waffe übergeben wurde.Und dann sind da noch die sogenannten Bekenner-Videos, die die Ermittler als „den letzten propagandistischen Akt der NSU“ werten und die Zschäpe auf ihrer viertägigen Flucht verschickt haben soll. Allerdings konnten an keinem der sichergestellten Umschläge und DVDs Fingerabdrücke oder DNA-Spuren von Zschäpe gesichert werden. Ob sie oder andere, noch unbekannte Personen die Sendungen verschickt haben, ist daher fraglich. Zumal in mindestens einem Fall, in Nürnberg, das Video in einem unfrankierten Umschlag den Adressaten erreicht hatte.Abenteuerliche IndizienketteNoch strittiger ist die Frage, ob Beate Zschäpe von den Morden wusste oder sogar an ihrer Planung und Durchführung mitgewirkt hat. Bislang gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie zur jeweiligen Tatzeit an einem der Tatorte oder auch nur in dessen Nähe gewesen ist. Als Indiz dafür, dass sie von den Morden zumindest wusste, werten die Ermittler zwei in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung gefundene Zeitungsausschnitte mit ihren Fingerabdrücken, in denen es um den Sprengstoffanschlag in Köln und die Ermordung eines Migranten in München geht – beide Taten werden dem NSU zugeordnet. Andere Zeitungsartikel dieser Art sind auch im NSU-Video verwendet worden.Deutlich schwerer wiegt jedoch das Waffenarsenal in der Zwickauer Wohnung, von dem Zschäpe gewusst haben muss. Hier fand sich auch die Ceska, mit der die Mordserie begangen wurde.Geradezu abenteuerlich hingegen klingt eine Indizienkette, die die Ermittler in einem 158 Seiten umfassenden Personenbericht über Beate Zschäpe darlegen. Demnach hätten Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 2004 gewettet, wer in einer festgelegten Frist ein bestimmtes Körpergewicht erreicht. Für den Fall des Scheiterns sollte der Verlierer „200 Videoclips schneiden“. Schlussfolgerung der Ermittler: Da beide Wettkandidaten offenbar das Bearbeiten von Videoclips beherrschen und das Bekennervideo aus solchen Clips besteht, haben beide auch an der Herstellung des NSU-Films mitgewirkt. Im Zusammenhang mit der Wette sei Böhnhardt zudem mit dem Spitznamen „Killer“ belegt worden, was aus Sicht der Ermittler „eine Akzeptanz der ihm vorgeworfenen Morde seitens Beate Zschäpe vermuten“ lasse.Dennoch: Die Ermittler können bislang nicht eindeutig nachweisen, dass Mundlos und Böhnhardt wirklich an allen zehn Morden beteiligt gewesen sind, die dem NSU zur Last gelegt werden, oder ob es noch andere Täter aus der möglicherweise größeren NSU-Gruppe gab. Zwar fanden sich die Tatwaffen in der Hinterlassenschaft des Trios. Nicht in jedem Fall aber konnte die Anmietung eines Fahrzeugs zur Tatzeit durch Mundlos oder Böhnhardt nachgewiesen werden. Die zeitlich parallele Anmietung von Wohnmobilen ist neben den Tatwaffen und einer – allerdings nur in einem Fall – zutreffenden Personenbeschreibung eines Zeugen das wichtigste Indiz für eine Täterschaft der beiden Männer.Lediglich die Beweise für die schwere Brandstiftung sind bisher stichhaltig. So konnte man Spuren des für das Feuer in der Frühlingsstraße verwendeten Brandbeschleunigers an Zschäpes Schuhen sichern. Umstritten sein wird der Vorwurf des versuchten Mordes: Eine 89-jährige Frau in der Nachbarwohnung hätte ums Leben kommen können, weil die durch das Feuer ausgelöste Explosion die Wand zu ihrer Wohnung hätte zerstören können.