Tarnkappe

Linksbündig Wirtschaftsförderung statt Wahrheitsfindung oder wenn Redakteure zu Clowns werden

In Night on Earth, einem Film von Jim Jarmusch, spielt Armin Müller-Stahl "Helmut", einen Clown, der in New York Taxi fährt und nur im stop and go Tempo vorwärts kommt. Das liegt daran, dass "Helmut" gelernt hat, ein Clown zu sein und nicht Gas zu geben.

Night on Earth ist die Nr. 29 der "50 Lieblingsfilme der SZ-Kinoredaktion", die als "SZ-Cinemathek" von der Süddeutschen Zeitung herausgebracht werden: Woche für Woche stellen Redakteure des Münchner Blatts im Feuilleton Filme vor, die zeitgleich in einer hübschen Sonderedition als DVD zu erwerben sind, 9,90 Euro das Stück, billig, billig. Billig, billig. Die Süddeutsche hat diese Koppelung von redaktionellen Jubelarien mit den bejubelten Produkten zuvor mit Büchern ("Die SZ-Bibliothek") und mit Klaviermusik ("Der Klavier-Kaiser") ausprobiert. Wenn es so weiter geht, legen die Feuilletonisten irgendwann die besten Pop-Platten aller Zeit auf ("Die SZ-Diskothek") und die Wirtschaftsredaktion wird ein Aktienpaket schnüren, das Woche für Woche erweitert wird ("Die 50 Lieblingswerte der SZ-Börsenredaktion"). Dann darf Star-Autor Willi Winkler die wildesten Metaphern küren ("Der Worte-Winkler") und schließlich werden SZ-Redakteure als Animateure mit ihren Lesern auf Schiffsreisen gehen. Letzteres bietet die Zeit schon an? Oh.

In Zeiten schwindender Erlöse fühlen Verlage sich in Zugzwang. In diesen Zeiten nehmen sie das, was ihnen am Teuersten ist, und versilbern es: Kompetenz und Glaubwürdigkeit ihrer Redaktionen. Also wird zum Beispiel SZ-Filmchef Fritz Göttler aus dem Dunkel ins Licht geschickt, preist Der Leopard als seinen Lieblingsfilm und führt zur Kasse: Neunneunzig, bitte! Nacht auf Erden. Ein Kritiker von Rang lebt von seiner Rätselhaftigkeit, seinen Überraschungen, seiner Unbestechlichkeit. Er reduziert Kultur nicht auf den Wohlfühlfaktor, das unterscheidet ihn von Elke Heidenreich. Das Rätsel Göttler ist fortan gelöst: Der Leopard ist sein Lieblingsfilm.

Schlimmer als die Selbstverstümmelung kluger Kritiker zu kleinen Kinoguckern ist die Umwandlung der Zeitung zum Supermarkt mit ausführlicher Produktempfehlung. Die SZ war eine der ersten Zeitungen, die lernen musste, dass die Unabhängigkeit der Redaktion ein hohes Gut ist: ein querulatorischer Leser hatte mehrfach erfolgreich auf Trennung von redaktionellen Beiträgen und Anzeigen geklagt. Der Klassiker, ein Bericht über Hilfe im Trauerfall, in dessen Umfeld die Anzeigen von Bestattungsunternehmen gedruckt werden, erscheint inzwischen als "Sonderveröffentlichung" oder wird gleich als "Anzeige" kenntlich gemacht. "Wer unter redaktioneller Tarnkappe wirbt, handelt wettbewerbswidrig", hatten Gerichte den Medien beigebracht: Wahrheitsfindung, bitteschön, statt Wirtschaftsförderung.

Für die neuen, viel krasseren Geschäftsideen der SZ gelten solche Skrupel offenbar nicht mehr. Als der Großkritiker Joachim Kaiser seine Klavieredition vorstellte, brachte die SZ dies als Aufmacher auf der Titelseite, es war wohl die wichtigste Nachricht des Tages. Der Buch- und DVD-Verkauf wird mit regelmäßigen Meldungen auf der Titelseite und Lobhudeleien im Feuilleton angekurbelt. Hans-Werner Kilz, der Chefredakteur, scheint das Unbehagen an der zunehmenden Vermarktung seiner Truppe nicht zu teilen: Er hat gemeinsam mit dem Verlags-Geschäftsführer Klaus Josef Lutz alle Abonnenten der Süddeutschen angeschrieben und ihnen versprochen: "Mit Ihrer Sammel-Marke können Sie jetzt direkt in die Gesamtedition einsteigen. Wir liefern dann umgehend das erste Paket mit vier Filmen plus Gratis-DVD ganz bequem zu Ihnen nach Hause." Ein großer Autor war Kilz nie. Leider, so stellt sich heraus, ist er auch kein großer Journalist. Denn große Journalisten achten auf die strikte Trennung von Redaktion und Geschäft, die die Unabhängigkeit, Objektivität und Seriosität - kurz: die Qualität - einer Zeitung ausmacht.

Aber ist es nicht so, dass die Zeitungen Geld verdienen müssen, um die Redaktion aufrecht halten zu können? 50 DVDs für eine Korrespondentenstelle? Nein, hier wird nicht an die Zeitung, sondern ans Betriebsergebnis gedacht. Wer den guten Ruf seiner Feuilleton-Redaktion kommerzialisiert, sägt am Ast, auf dem er sitzt. Sollen die Korrespondenten lieber nebenher Taxi fahren als zu Clowns zu werden. Selbst "Helmut" in Night on Earth kommt damit vorwärts.


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