Zuletzt haben auch Nationalstolz, Trotz und ein dubios finanzierter Rettungsfonds nicht mehr geholfen. Die zypriotische Regierung muss einen Rettungspakt mit den Eurostaaten annehmen, der vom bisherigen Finanzsektor nicht viel übrig lassen wird. Bankkunden mit Guthaben über 100.000 Euro werden bis zu 40 Prozent ihrer Einlagen, ein Geschäftsmodell den Boden unter den Füßen, Zypern seinen Ruf als Anlageparadies verlieren. Das trifft nicht allein die viel geschmähten Oligarchen aus Russland, sondern wird auch den eigenen unternehmerischen Mittelstand enteignen. Ein Eurostaat tauscht seine Geldnot gegen eine absehbare Rezession, die Finanz- gegen eine Wirtschaftskrise – das europäische Modell eben. Die Vergabe von Kredithilfen (diesmal zehn Milliarden E
n Euro) aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist nur gegen die ökonomische Selbstaufgabe des Bedürftigen zu haben. Wieder einmal.Zypern stand am Rand eines Bankrotts, doch Gleiches galt für das Krisenmanagement in der Eurozone. Einmal mehr trat zutage, worin das eigentliche Problem besteht: nicht allein in akuten Staatsdefiziten, sondern ebenso im defizitären ökonomischen Sachverstand der politischen Klasse und in den Fehlgriffen teils kopflos wirkender Euro-Finanzminister. Ohne Not die gesamte europäische Einlagengarantie für Bankguthaben und Sparkonten infrage zu stellen, Europa damit an den Rand einer Bankenpanik zu bringen, zeugt von wenig Professionalität. Inzwischen hat die Mehrheit der Deutschen Angst um ihre Spardepots, auch andere Eurostaaten können sich diesem Stimmungstief nicht entziehen.Selbstverständlich dürfen die Geldgeber bei einer Hilfsaktion für Zypern Bedingungen stellen. Allerdings sollten sie zum Problem passen, das zu lösen ist. Leider bekämpft besonders die deutsche Regierung seit Jahr und Tag die Finanzkrise mit Mitteln, die mehr der Moraltheologie als politischer Ökonomie entnommen scheinen. Die Eurogruppe – gedrängt von Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble und dem IWF – hat dem Umgang mit hochverschuldeten Eurostaaten eine neue Variante hinzugefügt. Um europäische Steuerzahler zu schonen, sollten zypriotische und griechische Kleinsparer und Normalverdiener bluten, hingegen russische und britische Großanleger und Steuerflüchtlinge fast ungeschoren bleiben. So war es vor gut einer Woche gedacht. Als das Parlament in Nikosia diesen Coup stoppte, waren die Herren und Damen der Eurozone (und des IWF) erst einmal so sprachlos wie die eben gewählte konservative Regierung der Insel. Dass bei den Brüsseler Verhandlungen in der Nacht zum Montag der vorgesehene Übergriff auf alle Bankkonten endgültig abgewendet wurde, war das Mindeste, was man erwarten konnte.Vor einem Jahr hat Zypern eine zwei Milliarden schwere Euro-Anleihe aus Russland erhalten, also lag der Gedanke nahe, Moskau noch einmal anzupumpen. Der Finanzplatz Zypern ist wichtig für die russische Ökonomie, als Drehscheibe und Geldwaschanlage. Was allein der Tatsache zu entnehmen ist, dass Zypern zu den wichtigsten Ursprungsländern für Auslandsinvestitionen in Russland zählt. Aus dem mediterranen Steuerparadies floss stets und prompt frisch gewaschenes Oligarchen-Geld zurück nach Russland.EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso reiste nun in der vergangenen Woche mit gleich 15 EU-Kommissaren im Tross nach Moskau zu allfälligen Verhandlungen, worauf Zyperns Finanzminister Michael Sarris unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen durfte. Russlands Regierung fühlte sich zwar düpiert, von der EU nicht einmal ansatzweise in deren Zypern-Pläne eingeweiht worden zu sein, wollte aber Brüssel nicht in die Rettungsparade fahren. Warum sollte man sich in Zypern exponieren, wenn EZB und IWF das Land möglicherweise ungerührt in die Pleite segeln lassen? – musste sich der Kreml fragen. Wir gehen unkalkulierbare Risiken ein, befürchteten Präsident Putin und Premier Medwedjew und ließen den Unterhändler von Zypern-Präsident Anastasiadis im Regen stehen.Keine isländische LösungRussland hielt sich bedeckt. Andere Akteure kamen dagegen ganz selbstverständlich aus der Deckung: die EZB und deren Präsident Mario Draghi. Einmal mehr hat die Zentralbank bei Zypern den Beweis angetreten, Staaten retten oder sich selbst überlassen zu können. Als Mario Draghi Mitte 2012 in London erklärte, die EZB werde im Rahmen ihres Mandats „alles Notwendige tun, um den Euro zu retten“, war bald klar, was gemeint war: ein notfalls unbegrenzter Aufkauf nicht refinanzierbarer Staatsanleihen klammer Eurostaaten. Draghi hat seinerzeit nicht hinzugefügt, dass „alles Notwendige“ natürlich nur für alle „systemisch Relevanten“ getan werde. Zypern gehört nicht dazu.Da sie damit rechnen musste, dass besonders Kunden der angeschlagenen Bank of Cyprus und der Laiki-Bank zur Kasse gebeten werden, hatte die zypriotische Regierung bereits vor dem Brüsseler Krisentreffen am Sonntag Kapitalverkehrskontrollen beschlossen, die sofort greifen sollten, sobald die Banken wieder öffnen würden. Die Kapitalflucht von der Insel wird das zwar behindern, aber nicht lange aufhalten.Bliebe noch die Frage nach dem isländischen Weg – die Banken pleitegehen zu lassen, ohne Rücksicht auf die ausländischen Gläubiger zu nehmen. Bei Zypern war das a priori ausgeschlossen. Dazu hätten die Zyprioten erst einmal eine andere Regierung wählen und aus der Eurozone aussteigen müssen, um dann auch noch den Mut zu haben, einen überdimensionierten Bankensektor abzuschreiben – samt Job- und Wohlstandsverzicht.