„Techno ist wie ein Puls“

Im Gespräch Hendrik Weber alias Pantha du Prince bringt ein großartiges neues Album heraus. Seine Musik soll ein utopischer Ort sein, erzählt er

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Hendrik Weber aka Pantha du Prince und die Kollegen The Bell Laboratory
Hendrik Weber aka Pantha du Prince und die Kollegen The Bell Laboratory

Foto: Beggars Group

Es geschieht selten, dass man im Januar ein Album hört und ziemlich sicher ist, soeben das Album des Jahres gehört zu haben. Elements of Light von Hendrik Weber alias Pantha du Prince ist ein solcher Ausnahmefall. Es vereint die warmen aber kristallklaren Technoklänge, die für Pantha du Prince so typisch sind, mit klassischen Glockenklängen, die von einem fünfköpfigen Orchester erzeugt werden. Wie alle Pantha-Alben ist es ganz schön komplex – und gleichzeitig absolut tanzflächenaffin. Und es hat sogar Michael Jäger überzeugt, der für diese Zeitung meist über Neue Musik schreibt und Techno bislang für stumpfes Maschinenrattern hielt. Also haben wir Hendrik Weber zu einem Gespräch über freie und besetzte Klänge, Tribalismus und Religion und neurobiologische Erkenntnisse über die Clubkultur getroffen.

Der Freitag: Beginnen wir mit dem Versuch einer Begriffsklärung: Was bedeutet Techno für Sie?

Hendrik Weber: Techno ist für mich zunächst eine Form von tribalistischer Tanzmusik, die mich von sehr frühen Teenager-Tagen an begleitet hat. Was mich an Techno fasziniert, ist die Idee der Unendlichkeit. Die Idee, dass da etwas immer konstant Puls abgibt. An diesen Puls können sich Leute aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten einfach andocken. Diese Offenheit ermöglicht es, jederzeit tanzen zu gehen, den Körper zu bewegen. Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, in der es ein VW-Werk gab. Ich habe oft im Wald gestanden und von dort auf das VW-Werk geschaut. Auch das ist für mich Techno.

Auf Elements of Light hört man Momente, in denen sich das Gemeinschafts- und Unendlichkeitsgefühl besonders verdichtet, bevor der eigentliche maschinelle Technoklang kommt. Da scheint noch etwas anderes neben dem sozialen Fest zu sein. Etwas Individuelles, das sich darauf erst zubewegt.

Solche Phasen der Verdichtung gibt es auch an einem Abend im Club. Manchmal zieht sich das über Stunden. Bei Elements of Light hatte ich das natürlich im Hinterkopf. Ich versuche, dass sich ein Moment ergibt, der die erlebte Zeit sozusagen zusammenfaltet. Um das zu erreichen, brauche ich diese Verdichtungsmomente. Und den Puls. Ohne den wäre die Erzählung eine andere.

Sie sprechen von einer Erzählung. Hat Elements of Light eine Handlung?

Ich glaube es ist eher eine Verbildlichung als eine Erzählung. Vielleicht muss man es sich wie wissenschaftliche Schaubilder vorstellen, die in 3-D im Raum stehen und klingen.

Wenn man den Titeln der Stücke folgt – und das entspricht dem Höreindruck –, scheint es eine Geschichte zu sein: Zuerst wird das Licht aus der Wellen- und Korpuskeltheorie zusammengesetzt, dann ist es da in seiner vollen Größe und löst sich wieder auf als Spektrum.

Auf eine Art ja. Aber es soll am Ende natürlich möglichst eins sein: das, warum wir uns sehen.

Wenn man das Album nebenbei hört, hat man den Eindruck, es sei ganz kurz, zehn Minuten vielleicht. Dabei sind es 45.

Beim Abmischen dachten wir auch immer: Wie, schon vorbei? Wir haben nie das Gefühl gehabt, dass wir die erlebte Zeit wirklich erlebt haben. Es ist seltsam, dass die Zeit sichtbar wird, als Energie die mit der Uhr nicht mehr messbar ist. Das habe ich aber nicht bewusst konstruiert.

Wie müssen wir uns den Entstehungsprozess vorstellen?

Ich habe zunächst musikalisches Material generiert, das auf der Idee von Techno basiert. Es gibt ein Blueprint dieses Stücks als elektronisches Stück. Davon ausgehend haben wir Noten erstellt und bestimmte Spielweisen besprochen. Besonders faszinierend fand ich dieses Moment von Freiheit, in dem ich den Musikern die Interpretation überlassen habe. „Intuitives Spielen“ trifft es vielleicht ganz gut. Es gab keinen Commander.

Adorno schreibt in Bezug auf die Neue Musik von Ausnahmemomenten, die auf eine Utopie verweisen. Der Komponist baut in die Musik aber etwas ein, das zeigt, dass die Utopie noch nicht da ist. Die Musik bekommt Risse, damit sie nicht zur Ideologie wird.

Das ist ein sehr wichtiger Punkt, damit die Musik nicht die etablierten Hierarchien bestätigt, sondern versucht, neue Formen darzustellen. Daraus sollte sich die Möglichkeit ergeben, dass auch die Gemeinschaft eine Form findet. Das ist natürlich ein utopischer Ort.

Was bedeuten in dem Zusammenhang für Sie Glocken? Wenn man in Europa Glocken hört, denkt man ja zuerst an Kirchenglocken.

Elements of Light ist ja auch ein einfaches Bild: Die Glocken läuten, man schaut hoch und ist geblendet. In dem Zusammenhang sind Glocken natürlich ein wahnsinnig determinierter Klang, das hat die Kirche ja selbst für sich instrumentalisiert. Mit diesem Stück entreißt man ihr dieses Machtinstrument ein Stück weit, und stellt es dem Tribalismus zur Verfügung.

Und doch liegt das Religiöse darin. Wie man ja auch von der Säkularisierung sagt, man sehe in ihr immer das, was säkularisiert worden ist.

Ich finde es im Moment schwierig, Begriffe wie religiös oder spirituell anzuwenden, weil sie so besetzt sind, dass die meisten Menschen die imaginären Fensterschotten dicht machen. Religiösität ist in dem Zusammenhang eine Versuchsanordnung. Die Glocke ist ein Symbol, das es schon Jahrtausende gibt. Und ein Instrument, das es schon so lange gibt, ist eigentlich gar nicht instrumentalisierbar. Für mich bedeutet dieser Klang Freiheit. Mir ging es aber auch um den Klang an sich, und darum, wie dieses Instrument entsteht, denn auch das ist ein irrsinniger Verdichtungsprozess. Bei der Herstellung spielen alle Elemente eine Rolle: Wasser, Feuer, Erde.

Sie arbeiten mit einem sogenannten Carillon, das aus 50 Glocken besteht.

Der Initialmoment war in Norwegen, wo es im Rathaus von Oslo ein solches Glockenspiel gibt. Es ist irre, wie dieses Instrument eine ganze Stadt zum Klingen bringt. Durch die Delay-Zeiten hört man die Melodie in jeder Straße anders. Im Grunde genommen wird die Architektur der Stadt durch das Instrument abbildbar. Das Schöne an diesem Moment in Oslo war: Es hatte nicht diesen Impetus: „Wir versammeln uns und ihr müsst zuhören, wo sind eure Sünden.“ Oder: „Ah, es ist zwölf Uhr, Mutter hat die Kartoffeln auf dem Herd.“ Sondern es ging um das freie Besetzen dieses Klangs, für alle hörbar. Was ein ultrademokratischer Vorgang ist oder fast schon ein anarchischer Vorgang.

Das deckt sich mit dem, was Sie eingangs über Techno sagten.

Ein wesentlicher Moment im Club ist das Auflösen in der Gemeinschaft. Was nichts mit Faschismus zu tun hat, wie im Ausland oft assoziiert wird.

Was wäre dann das befreiende Moment, das dem Ideologischen vorbeugt?

Die Neurobiologin Hannah Monyer forscht über Tribalismus. Sie sagt, es gibt diesen Moment der sozialen Empfindlichkeit oder Empathie. Wenn ein Glas runterfällt und alle tanzen, wird darauf geachtet, dass es beiseite geräumt wird und keinen verletzt. Das ist ein konkretes Beispiel für einen Organismus, der aus vielen Menschen besteht, die gemeinsam eine Intelligenz bilden, die über den Einzelnen hinausweist. Vielleicht ermöglicht es den Menschen zu erkennen, was sie zusammenhält. Oder es lässt zumindest die Zusammenhänge hervortreten, unter denen das geschieht. Das ist, was ich bei Tanzmusik und insbesondere bei Technomusik sehr eindeutig wahrnehme, und das finde ich faszinierend.

Das Gespräch führten Michael Jäger und Christine Käppeler

Elements of Light Pantha du Prince & The Bell Laboratory Rough Trade/ Beggars Group

Hendrik Weber wurde 1975 in Kassel geboren. Er war Bassist der Hamburger Band Stella und veröffentlicht seit mittlerweile zehn Jahren unter dem Namen Pantha du Prince elektronische Musik. 2004 erschien sein erstes Album Diamond Daze . Es folgten This Bliss (2007) und Black Noise (2010). Weber lebt heute in Berlin, wo man ihn nur selten antrifft. Im vergangenen Jahr hat er unter anderem in Paris, New York, Sankt Petersburg und Asheville, North Carolina aufgelegt

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger, Christine Käppeler | Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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