Teilweise holzschnittartig

Mediathek Ken Burns’ Dokumentarfilmreihe „Vietnam“ lässt tief ins Archiv blicken
Ausgabe 42/2017

Allzu viel Zeit bleibt nicht mehr, um sich in der Arte-Mediathek die neunteilige Dokumentarfilmreihe Vietnam anzusehen. Noch bis zum 28. Oktober findet man dort die große und großartige Kriegsdarstellung von Ken Burns und Lynn Novick, die so umfassend und detailliert wie nie zuvor den Krieg in Südostasien, die weltweiten Verstrickungen und die gesellschaftlichen Konflikte und politischen Entwicklungen in den USA beschreibt. Rund 80 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kommen zu Wort.

Ken Burns, seit fast 30 Jahren Amerikas bekanntester Dokumentarfilmer, zeigt auch in Vietnam seinen unverwechselbaren Stil: fließende Bewegungen der Kamera über Schwarz-Weiß-Fotografien, dann Interviewsequenzen aus den Berichten der 80 Befragten, gefolgt von Originalaufnahmen aus dem Krieg, die er mit atemberaubenden O-Tönen und der Rock-, R&B- und Soulmusik der späten 1960er und frühen 1970er Jahre verbindet. Burns hat sich dabei an seine eigene Regel gehalten, dass keine Wissenschaftler als Experten an prominenter Stelle auftreten sollen. Im Zentrum stehen die Inhalte der Zeitzeugen, die selbst im Krieg gekämpft haben. Historische Einordnungen oder Statements von Politikern erfolgen meist aus dem Off.

Vietnam ist eine Dokumentation von Ken Burns, aber ohne seine Partnerin und langjährige Co-Regisseurin Lynn Novick hätte er die Reihe nicht drehen können. Es ist vor allem ihr zu verdanken, dass die Doku die epische Geschichte der Menschen sowohl in Vietnam als auch in Amerika ist. Ein Zeichen hierfür ist, dass sie am 17. September in den USA uraufgeführt und noch am selben Tag in Vietnam mit Untertitelung ausgestrahlt wurde. Man wollte, so Novick, das Material nicht nur für den amerikanischen Konsum zur Verfügung stellen, sondern es auch nach Vietnam zurückgeben.

Burns und Novick nutzen hierfür eine Möglichkeit, über die sie in früheren Filmen wie über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nicht verfügten: Überlebende der gegnerischen Seiten des Konflikts zu befragen, Vietnamesinnen und Amerikaner, Zivilisten und Soldatinnen, Deserteure und Demonstrantinnen gleichermaßen. Alle kommen zu Wort. Dem selbstgesteckten Ziel, die Geschichte durch die Erfahrungen der Beteiligten sichtbar werden zu lassen, werden sie auch meist gerecht. Nur wenn es um Nordvietnam geht, wird es teilweise holzschnittartig. Auch wenn sie die Konfliktlinien innerhalb der Führung um Ho Chi Minh über Kriegsstrategien beschreiben, werden die Nordvietnamesen doch durchweg als „die Kommunisten“ bezeichnet. Hier ist es dann doch eher eine Draufsicht als eine Einsicht.

Trotzdem haben die beiden ein gutes und opulentes Werk geschaffen. Sie konnten aus einem riesigen Fundus an Filmmaterial und Tausenden von Standbildern auswählen. Teile davon wurden erstmalig zugänglich gemacht, darunter nie zuvor gesehene Aufnahmen aus vietnamesischen Regierungsarchiven. Nach Aussagen der leitenden Produzentin Sarah Botstein sind die 2.000 Standbilder, die in der Filmreihe zu sehen sind, Teil einer Vorauswahl von mehr als 20.000 Bildern, die wiederum aus einer fast fünfmal so großen Datenbank stammen. Und das bezieht sich lediglich auf die Fotos. Die Zeit, sich all dies anzusehen, lohnt sich ohne Vorbehalte.

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