Telefon nach Belgrad

GESPRÄCH VOM 2. APRIL 1999 Zwölf Stunden vor den ersten Luftangriffen auf das Zentrum der jugoslawischen Hauptstadt

Frühmorgens kam ich endlich durch. Maca, Archäologin, 40 Jahre alt, antwortet auf meine Frage, wie es ihr geht: »Ich habe Jelena hergeholt, jetzt bleiben wir zusammen, sie hat sich wieder etwas beruhigt.« Erst im zweiten Anlauf verstehe ich, was sie mir mitteilt. Ihre Cousine Jelena, eine Studentin, die aus Sarajevo zu Anfang des dortigen Krieges Anfang der neunziger Jahre nach Belgrad geflüchtet war, wohnte in dem kleinen Nachbarort Pancevo, fast ein Vorort Belgrads, in der Nähe jener Fabrik, die in der ersten Nacht der Luftangriffe am 24. März bombardiert wurde. Es habe drei ungeheure Detonationen gegeben. Die Leute seien aus den Häusern gestürzt und panisch hin und her gelaufen, berichtet Maca weiter.

Serbische Freunde aus Deutschland, aus Kroatien, aus Paris riefen bei ihr an. Die Serben im Ausland seien wohl besonders zerrissen und zerquält. Maca meint, ihnen gehe es psychisch in Belgrad in gewisser Weise am besten. Ein ähnliches Phänomen gab es vor jahren zeitweilig auch in Sarajevo, als die Stadt auf dem Höhepunkt des Bosnien-Krieges monatelang eingeschlossen war.

»Besser mit den anderen am Ort des Geschehens sein als irgendwo draußen in der Zuschauerrolle, wenn die Seele doch in Belgrad ist. Clinton hat geschafft, was noch nie jemand geschafft hat, nämlich die Serben zu einen«, erklärt Maca. Trifft das auch für dich zu, frage ich? Sie lacht: »Ich bin von einem anderen Stern, ich kann mich nicht identifizieren. Aber die Identifikation ist so groß wie nie.« Sie teile diese Gefühle nicht, aber akzeptiere sie und lehne sie nicht als nationalistisches Syndrom ab.

Maca geht auch zu den Rockkonzerten, die Tag für Tag im Stadtzentrum Belgrads Tausende von Jugendlichen anlocken, denn die Arbeit ruht zur Zeit fast ganz. Gestern ging sie nach einer Weile wieder weg, ihre Stimmung war eine andere als die der Menge, die lachte, tobte und sang. Verständnis hat sie auch hier. »Die meisten sind sehr jung«, erklärt sie. »Sie sind im Ausnahmezustand, es ist ihr Lebensgefühl, dem sie da einen Ausdruck geben. Es geht alles durcheinander, es mischt sich alles Mögliche - Antikriegsstimmung mischt sich mit Bereitschaft zum Krieg.«

Was sie wisse und erfahre von den Flüchtlingsströmen im Kosovo? Wenig, meint sie, Studio B des staatlichen Fernsehens bringe etwas differenziertere Nachrichten, die Leute erzählten sich verschiedene Dinge. Sie selbst glaube sowieso keiner Seite mehr.

Ihre Sorge ist, daß radioaktive Waffen im Einsatz sind. Denn die Radioaktivität hätte Langzeitwirkung, würde in den Boden, ins Wasser eindringen. Es ist nur ihre Sorge. Sie spricht in ihrer Umgebung nicht darüber, um die Panik nicht zu verstärken. Der Gedanke an Nuklearwaffen stieg auf, als ihre Mutter, die in der Nähe des Flughafens wohnt, berichtete: eine der Detonationen sah aus wie eine kleine Hiroshima-Bombe. Von radioaktiven Geschossen im Irak hat Maca immerhin gehört. Über das alles denke sie am meisten nach, sagt sie bedrückt, un: »Ich merke, wie allein gelassen man gerade in einer solchen Situation ist, auch wenn es einen Solidarisierungseffekt gibt, der zumindest in dieser Phase etwas erleichtert.« Um ihr Leben habe sie keine Angst. In der vergangenen Nacht riefen Freunde aus dem Ausland an und warnten sie, die NATO könnte dazu übergehen, Regierungsgebäude in der Stadt Belgrad zu beschießen. Sie solle ihre Wohnung im Zentrum schnellstens verlassen oder zumindest während der Luftangriffe in einem Keller oder Bunker Zuflucht suchen.

»Daran werden wir uns nicht halten. Das ist übertrieben«, sagt mir Maca zum Schluß.

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