„Tender Hearts“: Verliebt in einen Roboter

Streaming Die deutsche Serie „Tender Hearts“ erkundet mit Humor den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Liebesdingen. Filmkritikerin Dobrila Kontić findet Gefallen an der Idee, KI nicht nur als Übel zu betrachten
Ausgabe 14/2023
Friederike Kempter und Madieu Ulbrich in „Tender Hearts“: Kann das Liebe sein?
Friederike Kempter und Madieu Ulbrich in „Tender Hearts“: Kann das Liebe sein?

Foto: Nik Konietzny/Odeon Fiction/Sky Deutschland

Woanders tobt ein Krieg ums Wasser, erfährt man irgendwann im Verlauf der im Jahr 2036 spielenden Serie Tender Hearts. Doch von solchen Problemen ist die Stadt, in der Mila (Friederike Kempter) lebt, noch unberührt. Ein weiches, warmes Licht fällt auf ihre urbane Umgebung und deren farbenfrohe Kleidung. Es dringt durch Milas luftiges Apartment, in dem die Spieleentwicklerin den Großteil ihrer Arbeit erledigt. Fast alle ihre Haushaltsgeräte können sprechen; bei jeder Kaufentscheidung wird sie mittels Videoassistenz persönlich beraten. Nur die Partnersuche gestaltet sich für die junge Frau, die vor einem Jahr von ihrem Freund verlassen wurde, noch immer unkomfortabel. Weshalb sie schließlich der suggestiven Werbung von „Tender Hearts“nachgibt – einem KI-Unternehmen, das Liebesroboter in einem kostspieligen Abomodell anbietet.

Mit zu Beziehungszwecken entwickelten humanoiden Robotern setzte sich zuletzt 2021 Maria Schraders sehenswerter Film Ich bin dein Mensch auseinander. Doch im Gegensatz zu deren Heldin, die einen solchen „Lovedroid“ nur widerwillig für eine Ethikkommission testet, stürzt sich Mila zunächst begeistert in ihr Abenteuer.

Es beginnt mit der Wahl zwischen den drei Modellen, die „Tender Hearts“ anbietet: da wäre der holzfällende Bartträger zum Anlehnen („Reliable Ben“), der abenteuerlustige Surfertyp („Natural Bro“) oder der sensible, kulturell interessierte Kompagnon „Friendly Bo“. Mila entscheidet sich für Letzteren. Er wird ihr in einer Kiste samt Sexzubehör nach Hause geliefert.

Vermeintlich willenlose KI

Bo, von Madieu Ulbrich überzeugend als zwar merklich programmiertes, aber dennoch nicht kalt anmutendes Wesen gespielt, wurde gleichsam gefüttert mit allen online auffindbaren Daten über Mila. Schließlich soll er ihre Bedürfnisse optimal antizipieren können. Jede weitere Interaktion mit Mila fließt im Anschluss in seinen Lernprozess ein, auch bleibt er durchgehend mit der Zentrale von „Tender Hearts“ verbunden. Deren Entwickler wiederum können jederzeit, auch in intimen Momenten mit Mila, auf seine Prozessoren und die integrierte Kamera zugreifen.

In den ersten Folgen scheint Tender Hearts als leichtfüßige Comedy daherkommen zu wollen, der es aber an Dialogwitz und Timing etwas mangelt. Glücklicherweise steuert die Serie dann unverhofft auf eine tiefergehende Beschäftigung mit menschlichen Beziehungsmustern und maschineller Überforderung zu.

Denn obwohl Mila vorsichtig Vertrauen zu Bo und seinen Fähigkeiten fasst, lässt sie sich durch ihre bisherigen Erfahrungen und ihre Umgebung immer wieder verunsichern. Allen voran ist es der in einer „staatlich anerkannten“ offenen Dreierbeziehung lebende Toni, der den vermeintlich willenlosen Bo als Milas Partner nicht tolerieren kann und ihn auf seine Funktion als „walking dick“ reduziert. Genau darauf aber hat es Milas an ihrer sexlosen Ehe verzweifelnde Schwester Anja (Heike Makatsch) abgesehen, als sie auf einer Familienfeier versucht, sich Bo zu „leihen“. Unterdessen bemüht sich Bo – effiziente Maschine, die er ist –, all das auszutarieren, was Mila an ihm stört. Dabei ist ihr Hauptkritikpunkt, dass er keine eigene, von ihr unabhängige Persönlichkeit entwickeln kann.

Eingebetteter Medieninhalt

Das von Eva Lia Reinegger entwickelte Serienkonzept erweist sich mit jeder Folge als durchdachter und vielschichtiger, als zu Beginn erwartet. So wird das in seiner Zweifelhaftigkeit sehr realistisch wirkende Finanzierungsmodell von „Tender Hearts“ebenso thematisiert wie die Frage nach der Würde des Roboters und seinen damit verbundenen Rechten. Dies alles ordnet die Serie wirkungsvoll um die sehr nachvollziehbaren Beziehungsnöte von Mila herum an.

Was Mila im Umgang mit Bo so erlebt und durchmacht, fasst der „Tender Hearts“-Psychologe Vilém (Yousef Sweid) – der sich selbst mit Beziehungen schwertut – an einer Stelle treffend zusammen: „Es passiert, was in jeder Beziehung passiert: Wir sind mit uns selbst konfrontiert.“ Dass diese Selbstkonfrontation auch in einer Mensch-Maschine-Beziehung in zweierlei Richtung geht und dementsprechende Folgen hat, ist eine der sehenswerten Wendungen, die Tender Hearts zu bieten hat.

Tender Hearts Eva Lia Reinegger Deutschland 2023, 8 Folgen, Sky und Wow

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