Irgendwann der verschwommene Eindruck: Wer weiß schon genau, wie dieser Kerl zu deuten sei?
Foto: Boris Roessler/Pool/AFP/Getty Images
Zwei Tage bevor sich der Bundeswehroffizier Franco A. vor Gericht verantworten muss, stellt der russische Auslandssender RT ein „Exklusiv-Interview“ mit ihm ins Netz. Es ist sein erstes vor laufender Kamera. „Franco, hallo und vielen Dank, dass du hier bist“, eröffnet die Interviewerin, als spräche sie mit einem alten Kumpel. Anschließend darf sich Franco A. in einem 45-minütigen Gespräch selbst erklären: Er sei falsch verstanden und dargestellt worden. „Ich bin kein Staatsfeind. Eigentlich genau das Gegenteil.“ Für Franco A. die perfekte Bühne, auf der er üben kann, bevor es vor Gericht ernst für ihn wird.
„Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ – so lautet der ze
tet der zentrale Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Als christlicher syrischer Obstbauer „David Benjamin“ hatte Franco A. Anfang 2016 Asyl beantragt und später subsidiären Schutz erhalten. Unter dieser Identität habe er – so die Anklage – Attentate vorbereiten wollen, auf den damaligen Justizminister Heiko Maas, Claudia Roth oder Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung, deren Tiefgarage Franco A. ausgespäht haben soll – entsprechende Fotos wurden auf seinem Handy gefunden. In seinem Keller hatte er Waffen, Munition und eine Ausgabe von Mein Kampf gebunkert. Erwischt wurde Franco A., als er am Flughafen in Wien eine Pistole abholen wollte, die er dort auf einer Toilette deponiert hatte. Seit dem 20. Mai läuft der Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt.Während der Ermittlungen hat Franco A. immer wieder reichweitenstarke Medien gesucht, um seine Version zu vervielfältigen. Mitunter kamen sich Zeitung und Terrorverdächtiger ganz nah: 2019 veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung eine Homestory. Sie ist anspruchsvoll aufgemacht, nähert sich Franco A. durch Gespräche mit Menschen aus seinem Umfeld. Autor Benedict Neff besucht den Oberleutnant in seiner Wohnung in Offenbach, wo dieser mit seiner Freundin lebt. Im Keller sammelte Franco A. Waffen und Vorräte an. Bis in diesen Keller dringt die NZZ nicht vor. Dafür berichtet Neff ausführlich von der „Reinlichkeit“ der Wohnung – daran erkenne man den Soldaten in ihm. Selbst „weiße, flauschige Felle“, die auf den Bänken um den Esstisch liegen, schaffen es in den Text.Alles wirkt schön drapiertFranco A.s Freundin erzählt an ebendiesem Tisch, sie habe von seinem Doppelleben als Soldat und Flüchtling, das über ein Jahr andauerte, nichts mitbekommen. Das habe sie erst über die Nachrichten erfahren. Franco sei eben ein „sehr, sehr neugieriger Mensch“, der viele Dinge mit sich selbst ausmache. Eingeweiht war sie aber, als er bei einem gemeinsamen Ausflug zum Wiener Offiziersball angeblich beim Pinkeln in einem Gebüsch eine geladene Waffe gefunden habe. „Typisch Franco“, findet die Freundin.Obwohl ein ganzes Konvolut konfiszierter Aufzeichnungen von Franco A. für dessen völkisch-nationalistische, rechtsextremistische und antisemitische Gesinnung spricht, meint seine Freundin, dass er „im herkömmlichen Sinne“ politisch nicht zuzuordnen sei. Am Ende des Absatzes dann der bekräftigende Hinweis: „Die Freundin ist Mitglied der Linkspartei.“ Wenige Monate nach Veröffentlichung der NZZ-Reportage fand die taz heraus, dass sie den Mitgliedsantrag der Linken erst elf Tage nach der Festnahme von Franco A. am Wiener Flughafen ausfüllte.Neun Tage vor Prozessbeginn erschien im Zeitmagazin die Reportage „Gut getarnt“. Gleich zu Beginn thematisiert die Autorin Christina Schmidt, die lange Zeit Teil des Rechercheteams der taz um das „Hannibal“-Netzwerk war, Franco A.s Streben danach, Regie zu führen, wie folgt: „Er verlangt, dass nur eine handverlesene Auswahl seiner Sätze in diesem Artikel zitiert werden darf, die ihm vorab vorgelegt werden muss. Franco A. glaubt noch immer, dass er seine Erzählung kontrollieren kann.“ Das erklärt auch, warum er immer wieder Kontakt zu Medien gesucht hat, was ja ungewöhnlich ist für jemanden, der mal notiert hat, wie wenig er ihnen vertraue. So viele Details, Gedanken und ideologische Versatzstücke von Franco A. schaffen es in die Medien, dass fast zwangsläufig das Gefühl zurückbleibt: So genau wisse man halt auch nicht, wie dieser Kerl zu deuten sei.Nicht nur die NZZ, auch die New York Times besuchte Franco A.: „The Tale of Franco A.“ Das ist praktisch, kann doch „tale“ für „Geschichte“ stehen, aber auch für „Märchen“. Auf dem Titelbild greift Franco A. gerade in einen Holzschrank in seinem Keller. Er ist umgeben von Pappkartons voller Zigaretten und Schnapsflaschen, einem Kanister, Spinnweben und einem Armeerucksack. Alles wirkt schön drapiert, wie für ein Prepper-Magazin.Auch die Autorin der NYT, Katrin Bennhold, hat mit Franco A. persönlich gesprochen – sowie mit Mitgliedern des Netzwerks um „Hannibal“ – der Tarnname eines ehemaligen KSK-Soldaten. Es gelingt ihr, eine interessante Außenperspektive einzunehmen, wenn sie schreibt, dass Franco A.s Geschichte in vielerlei Hinsicht die Geschichte der zwei Deutschlands von heute sei, von denen eines von einem „liberalen Konsens“ geprägt sei und gerade unter Druck des anderen Deutschlands gerate, in dem eine extreme Rechte gegen die pluralistische Gesellschaft antrete. „Deutschlands Nachkriegskonsens“, schreibt Bennhold, „steht auf der Kippe.“Das Ausspähen der Tiefgarage thematisiert Bennhold als „mögliches Ziel“. Sie schreibt, dass Franco A. die Herkunft, das Alter und die Arbeitsadresse von Anetta Kahane notierte. Neben eine detaillierte Lageskizze ihrer Parkgarage schrieb er: „Wir sind an einem Punkt, an dem wir noch nicht so handeln können, wie wir es wollen.“ Bennhold führt Franco A. in seiner Widersprüchlichkeit vor. Wer dazu beitrage, den Staat zu zerstören, tue etwas Gutes, hatte Franco A. mal gesagt. Gesetze seien null und nichtig. Wie könne er das sagen und gleichzeitig behaupten, er verteidige die Verfassung? „Es herrschte eine lange Stille. Franco A. schaute auf seine eigene Abschrift. Er blätterte in den Notizen seines Anwalts. Aber er hatte keine Antwort.“Wer Franco A. googelt, stößt inzwischen auf unzählige Artikel – zu seiner Person, zu seinem Netzwerk, zum Prozess. Die NYT hat sogar einen mehrteiligen Podcast gestartet, der sich um Franco A. und dessen Umfeld dreht. Sein Titel: Day X. Es wirkt wie ein Crime-Podcast, der das Nebulöse der Spannung wegen braucht. Im Fall vermeintlicher Verfassungsfeinde klingt der an abendliche Krimis erinnernde Sound befremdlich.Dabei ist die Frage nach der medialen Glorifizierung mittlerweile jahrzehntealt. Spätestens seit den Schüssen auf John Lennon in New York 1980, deren Motiv laut dem Täter selbst Geltungssucht war, wird debattiert, wie Täter und Verdächtige medial behandelt werden sollen. 2016 starteten französische Medien den Versuch, Namen und Gesichter islamistischer Attentäter nicht zu veröffentlichen, um ihrer Ikonisierung vorzubeugen. Die deutsche Presse reagierte heterogen. Eine neue Richtschnur wurde nicht gespannt.Gerade das Format der „Homestory“ scheint es vielen Rechten angetan zu haben. Man denke an die vielen Texte aus der Wohnstube des rechten Vordenkers Götz Kubitschek. Mit seiner Frau, der Publizistin Ellen Kositza – beide siezen sich stets vor Medien –, seinen sieben Kindern, die alle altgermanische Namen tragen, und mehreren Ziegen wohnt er auf einem alten Rittergut im 200-Seelen-Dorf Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Allein das reicht schon fast als Geschichte.In den vergangenen Jahren sind viele Medien in ebendieses Dorf gepilgert, um letztendlich einen Mythos um Kubitschek als „dunklen Ritter“ (Spiegel) oder als „Prophet of Germany’s New Right“ (NYT) zu erschaffen. Diese Problematik der „rechten Homestory“ hat bereits 2017 Charles Paresse für das Magazin der rechte rand anschaulich aufgezeigt. In seiner Analyse resümiert er, dass dieses Format für die „Neue Rechte“ allzu gut funktioniert hätte. Ihr Selbstbild, ihre Bildsprache und Ästhetik wären damit immer wieder reproduziert worden. Auch wenn die „Neue Rechte“ die „Mainstream-Medien“ verabscheut, ist sie auf sie angewiesen. Mit ihren „eigenen“ Medien wie etwa Compact wäre eine solche Verbreitung nie möglich gewesen.Benedict Neff von der NZZ räumt in seiner Reportage immerhin ein: „Franco A. hat den Morgen so organisiert und durchgetaktet. Gewissermaßen führt er Regie.“ Diese Erkenntnis allein nützt wenig, wenn aus ihr keine Konsequenzen folgen. Offenbar braucht es ein Gericht, um der Selbstinszenierung des Offiziers beizukommen. So sagt ihm der Richter zu Beginn eines Verhandlungstages: „Es könnte sein, dass es in Ihrem Interesse ist, eine Erklärung zu geben, die wir vielleicht glauben können.“ Immerhin dieser Satz weckt die Hoffnung, dass sich die dritte Gewalt von Franco A. nicht so instrumentalisieren lässt wie bisweilen die vierte.
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