Es war einmal ein Konzernchef, der verhielt sich etwas seltsam. 2007 setzte der CEO der Deutsche Post AG, Klaus Zumwinkel, branchenweit einen Mindestlohn durch, der 25 Prozent über dem Gängigen lag. Was war in ihn gefahren? Schlug in ihm ein Herz für Briefträger? Nein. Der später wegen Steuerhinterziehung verurteilte Postboss hatte einen Weg gefunden, Konkurrenz auszuschalten. Per Mindestlohn konnte er das gerade aufgehobene Postmonopol faktisch wieder einführen. Briefdienstleister wie PIN und TNT schickten viele in die Arbeitslosigkeit.
Das wird sich nun wiederholen. Aber in größerem Maßstab. Denn diesmal geht es um riesige Branchen: Gastronomie, Hotellerie und Kultur. Corona war ein Vorgeschmack: Auf jeden Lockdown folgte der Aderlass. Als Restaurants und Veranstaltungssäle wieder öffneten, mussten die Betreiber feststellen, dass viele Mitarbeiter nicht zurückkehrten. Diesen war in der Pandemie nichts anderes übrig geblieben, als den Job zu wechseln. Die Folgen stehen in vielen Lokalblättern. Dort häufen sich Berichte über Gaststätten, die wegen Personalmangels in den finalen Shutdown gehen.
Der Mindestlohn von 12 Euro wird daran nichts ändern. Im Gegenteil. Viele Gastrobetriebe und freie Kultureinrichtungen kommen nur über die Runden, wenn Menschen für einen geringeren Stundenlohn als üblich arbeiten. Hier wimmelt es von Studenten und Nebenjobbern, die etwas dazuverdienen. Manchmal für die Miete, manchmal für den Urlaub. Dass solche Jobs Familien ernähren müssen, ist eher die Ausnahme.
Als Olaf Scholz wahlkampfwirksam 12 Euro forderte, konnte er sich sicher sein, auch klassische mittelständische Unternehmer auf seiner Seite zu haben. Diese haben schon bisher mehr als 12 Euro gezahlt. Der Mindestlohn ändert für sie nichts, außer dass – siehe Deutsche Post – der ein oder andere Konkurrent verschwindet.
Für Restaurantinhaber sieht die Sache aber schlechter aus. Einige von ihnen waren schon vorher am Limit. Die mit Corona verbundenen Hygiene- und Kontrollmaßnahmen gehen ins Geld. So ist die Gastronomie gezwungen, die Preise anzuheben. Der Mindestlohn wird diese Teuerung weiter befeuern. Wird Essengehen ein Luxus?
Schlimmer noch ist die Lage in der freien Kulturszene. Höhere Ausgaben werden so manchem das Genick brechen. Nicht jedes Programmkino kann sich Ticketabreißer für 12 Euro die Stunde leisten. Als die FAZ im Sommer jubilierte, dass das deutsche Kinosterben bisher ausgeblieben sei, vergaß sie zu erwähnen, dass nur das großzügige Fördergeld von Bund und Ländern den Kinos über die Lockdowns half. Realistischer äußerte sich Christian Bräuer, Vorsitzender der Gilde deutscher Filmkunsttheater. Er bezeichnete die öffentlichen Hilfen als „Schwimmflügelprogramme – sie halten uns über Wasser“. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Sobald sie wegfallen, werden viele Kinos untergehen. Ein Fall von Insolvenzverschleppung.
Doch solche Wahrheiten will keiner hören. Unsere vertraute Freizeitwelt wird sich verändern. Liebgewonnene Kultur- und Gastrobetriebe werden verschwinden. Und jene, die überleben, werden teurer und elitärer sein. So richtet der gutgemeinte Mindestlohn in manchen Branchen maximalen Schaden an.
Kommentare 13
>>Wird Essengehen so zum Luxus?<<
Das ist es für bestimmte Einkommensgruppen schon lange.
>>Hier wimmelt es von Studenten und Nebenjobbern, die etwas dazuverdienen. Manchmal für die Miete, manchmal für den Urlaub. Dass solche Jobs Familien ernähren müssen, ist eher die Ausnahme.<<
Also die brauchen auch nicht so viel, oder was soll das heißen?
>>Nicht jedes Programmkino kann sich Ticketabreißer für 12 Euro die Stunde leisten.<<
10 wären aber drin, oder? ;-)
>>Doch solche Wahrheiten will keiner hören. Unsere vertraute Freizeitwelt wird sich verändern. Liebgewonnene Kultur- und Gastrobetriebe werden verschwinden. Und jene, die überleben, werden teurer und elitärer sein. So richtet der gutgemeinte Mindestlohn in manchen Branchen maximalen Schaden an.<<
Mal sehn ob einer die Wahrheit hören will, die ich raushaue. Das nennt man stinknormaler Kapitalismus! Das war nach jeder Krise so. Nur dass diesmal die Welle in ein System reinschwappt, das nach der letzten großen Krise auch nur mit staatlichem Kredit am Laufen gehalten wurde. Da trifft es nun nicht mehr nur die Arbeitenden, sondern auch die kleineren Kapitalisten. Man nennt es Imperialismus.
Den großen Kapitalisten bekommt die Krise gut. 50% Vermögenszuwachs in zwei Jahren - da muß man ziemlich fleißig sein, nicht wahr?
Zu Herrn Zumwinkel gibt es aber ein völlig anderes interessantes Zitat! Es betrifft eine Kungelrunde im Ausschuss für Post & Telekommunikation von hochrangigen Bundestagsmitgliedern unter denen sich auch ein Partisan und Ex-Genosse befand. Das war Gerhard Jüttemann (PDS). Es ging dort um die Zukunft der Post. Der Herr Zumwinkel hub an: "Meine Herren, wir werden uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, portugiesische Stundenlöhne zu zahlen um überleben zu können." Antwort von Gerhard Jüttemann: "Herr Zumwinkel, sie vergaßen die afrikanischen Stundenlöhne!"
Deshalb überzeugt mich auch mehr der Bericht des Insiders und verdienten Altgenossen, den ich persönlich kenne, als diese steile These von der Erhöhung der Stundenlöhne um die Sklaventreiber wie PIN-AG und TNT aus dem Markt zu drängen. Da ich auch Gewerkschafter bin, kenne ich die damaligen Kämpfe gegen die Tarifverträge dieser "christlichen Scheingewerkschaften" und habe selbst erlebt, wie dort in strafbarer Art und Weise die Malocher um ihren verdienten Lohn gebracht wurden. Selbst wenn der DGB damals aus "Rücksichten" auf die Gazprom-Grün-Regierung" nicht die Maximalforderungen durchsetzte - mit einer Strategie des Herrn Zumwinkel hat das nichts zu tun. Letztlich wurde die Berechtigung dieser Scheingewerkschaften zum Abschluss von Tarifverträgen gerichtlich bestätigt, was dann den Sklaventreibern, u.a. den Springer-Konzern dazu trieb, die Finger von diesem Geschäft zu lassen.
Ferner ist die Frage zu stellen, in welcher Welt der Autor lebt. Für die meisten Familien in meinem Umfeld dient ein Essen in einem Restaurant nur der Begehung eines besonderen Anlasses, wie Geburtstag, Hochzeit, Beerdigung. Sonst muss es eben die Imbissbude sein, wo sich das verabscheuungswürdige Volk zu Fleischeslust versammelt. Aber die lesen auch nicht den "Freitag", fallen daher nicht ins Gewicht.
ja,
stink-normal das seltene essengehen von arbeiter-haushalten
bis in die 80er jahre, wienerwald-hähnchen, der jugoslawe,
waren ausnahmen.
dann boomte es beim juppie-bedarf. für kleines geld gabs pommes
u.a. an der bude...
jetzt ist die schere zwischen niedrig-lohn-/transfer-beziehern
und gehobener kauf-kraft wieder am größer werden...
ja, es hängt vieles davon ab, in welcher welt man lebt...
das ein-kommen entscheidet dabei einiges...
bei vielen gehts um prekäres aus-kommen...
Wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird, dann fehlen auch die jungen Leute in der Wirtschaft - vor und hinter dem Tresen.
Bravo! Jaa, diese Niedriglöhner arbeiten doch nicht fürs Über-, sondern fürs Luxusleben - und nennen das Arbeit. Die wollen auch nur in Restaurants und ins Schillertheater.
Also, Mindestlöhne sind der falsche Weg. Ich sehe zwei Wege, für den Erhalt unseres Lebensstils (Essen gehen, Programmkino...). Erstens: Kinderarbeit legalisieren, sagen wir mal so ab 12 oder 14. Die können sich Handys und Konsolen kaufen und lernen was übers wahre Leben, was diese Schule nicht bietet. Und jedes Café hat wieder genug Baristas und Geschirrabräumer.
Und zweitens: BGE einführen! So in Höhe der Mindestlebenskosten und nach Streichen aller anderen Sozialleistungen. Dann können die "Arbeitgeber" mit den Stundenlöhnen noch viel weiter runtergehen.
Zitat: "Doch solche Wahrheiten will keiner hören. Unsere vertraute Freizeitwelt wird sich verändern. Liebgewonnene Kultur- und Gastrobetriebe werden verschwinden. Und jene, die überleben, werden teurer und elitärer sein. So richtet der gutgemeinte Mindestlohn in manchen Branchen maximalen Schaden an."
Ein schöner Artikel, allerdings mit einen teuflischen Pferdefuß.
Wer den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn als Argument für das Sterben der kleinen Restaurants, Gaststätten, Wirtshäuser, Programmkinos und Kneipen anführt, muss dann ehrlicherweise auch dazuzusagen, dass er selbst davon profitiert, wenn in dieser Branche Hungerlöhne von fünf oder vier Euro brutto gezahlt werden, weil es keine Untergrenze für Lohndumping gibt.
Die Wahrheit ist: Wenn man ein nagelneues T-Shirt für 2 Euro und 49 Cent kaufen will oder kauft, muss man sich im Klaren darüber sein, dass das nur mit miesen Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und anderen Schweinerein in der Dritten Welt funktioniert.
Die Wahrheit ist, nicht der gesetzliche Mindestlohn ist die Ursache dafür, dass kleine Restaurants, Programmkinos, Kneipen usw. vom Markt verschwinden, sondern die Unternehmenskonzentration und die Marktmacht der großen Ketten mit ihren vielen Filialen.
Joseph Schumpeter und seine Anhänger nennen das den Prozess der "schöpferischen Zerstörung". Aber Zerstörung bleibt nun mal Zerstörung. Die hoch gelobte und gepriesene Marktwirtschaft hat auch ihre destruktiven Schattenseiten. Diese Wahrheiten will keiner hören.
Dazu passt eine Doku von arte:
https://www.youtube.com/watch?v=ko4_GFPKGPs
(von Youtube noch nicht zensiert)
ja , so könnten derart liberal-soziale programme kulminieren !
- unser liberaler frank :
bangt er um die bald einkommens-losen,
die aufs betteln umsatteln müssen ?
oder um erschwingliche dienst-leistung aus sweat-work
für besser-gestellte,
die sich wohlfeile lakeien-arbeit/bringe-dienste
noch nicht so recht leisten können ?
- wer ein geschäfts-modell betreibt, in dem kein mindest-lohn
für abgeleistete arbeitszeit abfällt, sollte seinen betrieb infrage
stellen.
- aber heute werden ja schon lohn-spar-modelle kurs-mäßig
prämiiert, die nur ein bloßes versprechen auf gewinne durch
billig-arbeiter-ausbeutung stützt.
ja, die rationalisierung ist der zwilling zur globalisierung.
automatik-kassen ersetzen kassiererinnen,
die bestückung der verbraucher-märkte wird out-gesourct.
die produkt-anbieter müssen ihren markt-platz bezahlen.
https://www.arte.tv/de/videos/095178-000-A/auslaufmodell-supermarkt/
Mir fallen jetzt allerlei ironische Anmerkungen zum Beitrag ein, also über dem am Kern der Sache 'vorbeischreiben', aber warum immer wieder in den gleichen Haufen greifen (Handschuhe dabei von Vorteil).
Wieso eigentlich muss "freizeit" billig sein? Oder habe ich da etwas falsch verstanden: "Viele Gastrobetriebe und freie Kultureinrichtungen kommen nur über die Runden, wenn Menschen für einen geringeren Stundenlohn als üblich arbeiten."
Wer "über die runden kommen" will, braucht also billiglöhner*innen, oder?
In der Schweiz ist das anders (siehe hier). Dort sind im gastgewerbe mindestlöhne von fast 20 CHF (etwa 19 EUR) ganz normal. Trotzdem gibt es viele gaststätten mit vielen besucher*innen.
Was wir uns in der freizeit leisten können, liegt folglich am einkommen der gaststättenbesucher*innen. Dass in D-land die löhne - insbesondere die, von jenen 20 prozent der niedriglohnarbeiter*innen - viel (um ca. 30 prozent zu niedrig) sind, liegt auf der hand.
Wir exportieren über unsere verhältnisse - und bereichern die exporteure - und leben - in folge der zu niedrigen löhne - unter unseren möglichkeiten.
Das ist die traurige realität deutscher verhältnisse!
Henry Ford wurde ja der Satz zugeschrieben, er müsse seinen Arbeitern so viel Lohn zahlen, dass sie seine Autos kaufen könnten. Gleiches sollte ja wohl analog für Beschäftige in Gastronomie und Kulturbetrieben gelten. Und wenn bewahrenswerte Kulturinstitutionen "im Markt" nicht bestehen können, dann muss man sie eben subventionieren. Macht man mit der Buchpreisbindung, macht man mit Theater- und Konzertkarten...
Zitat: "Wir exportieren über unsere verhältnisse - und bereichern die exporteure - und leben - in folge der zu niedrigen löhne - unter unseren möglichkeiten."
Das Problem dabei ist, dass das im autoritätsgläubigen Deutschland nur wenige Untertanen wahrhaben wollen und die Augen vor den Tatsachen verschließen.
Ganz im Gegenteil: Die "fleißigen" und "tüchtigen" Deutschen zeigen dann auch noch mit dem Finger auf die "faulen" Südländer und andere Ausländer, die sich permanent verschulden, um unsere (billigen) Exportgüter zu kaufen, wenn sie ihre Schulden langfristig nicht zurückzahlen können.