Theater für alle ist schwer

Kulturkommentar Unter Sebastian Hartmann fand in Leipzig ein spannendes Experiment statt, das für andere Städte nicht ohne Relevanz ist. Man hätte ihm gerne noch länger dabei zugesehen

Sebastian Hartmann verlässt das Centraltheater, klagen die einen. Aber erst in zwei Jahren, quengeln die anderen – nach der Nachricht des Intendanten, seinen Vertrag am Schauspiel Leipzig 2013 nicht zu verlängern. Hartmann argumentiert mit der klammen Haushaltslage, die eine betriebswirtschaftliche wie künstlerische Handlungsfreiheit nicht gewährleiste. Ausreichend erklärt ist die Leipziger Situation damit nicht.

„Das Theater, das wir im Moment erleben, ist für die Stadt nicht zukunftsfähig“, konstatierte Kulturbürgermeister Michael Faber bereits wenige Monate nach seiner umstrittenen Inthroni­­sa­tion im Frühjahr 2009. Mittlerweile der Befugnis über die städtischen Eigenbetriebe beraubt, versuchte er, durch Hartmann-Kritik das eigene Profil zu stärken. Hartmann war bereits kommunalpolitischer Spielball, als er noch gar nicht in Leipzig war.

Erst echauffierte man sich über die auswärtige Findungskommission, dann über einen für Kunstblut und Theaterdonner berüchtigten Hartmann. Dabei sollte dieser nach dem Willen der Stadt das Theater nicht nur für ein neues, vor allem junges Publikum öffnen, sondern es zugleich in die Bundesliga der deutschen Bühnen führen. Beides ist ihm gelungen.

Verloren hat er frühere Theatergänger. Mancher fühlte sich von Hartmanns schnoddriger Art vor den Kopf gestoßen, nicht wenige konnten mit seiner Ästhetik nichts anfangen, und viele wissen nicht, wovon sie sprechen. Die Leipziger Theaterdiskussion zeichnet sich dadurch aus, dass sie ahnungslos geführt wird. Ja, dank Hartmann kam das Theater ins Gerede, aber inhaltlich stritt man nicht. Zuletzt wurde Hartmann zum Pfund im beginnenden Oberbürgermeister-Wahlkampf.

Dabei fand in Leipzig unter Sebastian Hartmann ein spannendes Experiment statt, das für andere Städte nicht ohne Relevanz ist. Denn das Stadttheater hat ein Repräsentationsproblem, weil es seine bürgerliche Basis zu verlieren droht. Aber wie soll ein Haus ein sich mondän gebendes Bürgertum, studentische Kreise, einen teilweise verheerten Mittelstand und viele Arbeitslose zugleich ansprechen – und dabei eine künstlerische Linie behaupten? Ähnliche Probleme haben in Leipzig Oper und Gewandhaus, wenn nach dem obligatorischen Beethoven mal ein „neuer“ Komponist wie George Enescu gespielt wird – und die Hälfte des Publikums in der Pause geht.

Hartmann hat, indem er das Theater als sozialen Ort entwarf, Menschen dafür begeistert, die diesem bis dato ferngeblieben waren. Auch wenn im Einzelnen korrekturbedürftig, hätte man Sebastian Hartmann dabei gern noch länger zugesehen. Drei Jahre sind fürs Scheitern nicht genug.

Tobias Prüwer ist Theaterredakteur beim Leipziger Stadtmagazin Kreuzer

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