Was kann die Kultur, kann das Theater angesichts des Krieges ausrichten? Was kann es überhaupt sagen oder tun? Die „Hoffnungen auf die Kraft des Friedens und des Gesprächs“ seien durch Putins Angriff „bitter enttäuscht worden“, schrieb der Hamburger Kultursenator und Präsident des Deutschen Bühnenvereins Carsten Brosda (SPD) in einer Stellungnahme. Der Krieg ziele auch, meint er, „auf die Möglichkeiten für Kunst und Kultur, sich überall auf der Welt frei zu entfalten“. Denn gerade diese seien es, die „über Grenzen hinweg die Grundlage für Frieden und Verständigung schaffen können." Hiermit ruft Brosda das auf, was die Grundlage von unserem Kulturverständnis ist: dass uns die Kunst, das Theater irgendwie zu besseren Menschen mache, die Gewalt eindämmt, die Friedenswahrscheinlichkeit steigert.
Friedrich Schiller hat dafür in seinen berühmten Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen vehement gestritten, aber leider im Laufe seines Lebens immer mehr den Glauben daran verloren.
So geht es mir eigentlich auch gerade. Der Krieg ist nicht nur ein Schock oder erschüttert das eigene Sicherheitsempfinden, er löst auch eine tiefgreifende Kulturkrise aus. Angesichts eines neuen Wettrüstens, auch von deutscher Seite, bisher völlig unvorstellbar, denke ich gerade weniger: „Theater – jetzt erst recht!“, sondern eher „Theater – wozu jetzt noch?“.
Ukrainische Filmemacher greifen nun zur Waffe
Die vielen symbolischen Solidaritätsaktionen und -bekundungen, die seit vergangener Woche an den Theatern anlaufen, haben dieses Gefühl im Grunde noch verstärkt. Einige Häuser wurden in den Farben der ukrainischen Flagge gelb und blau angestrahlt, bei manchen waren es die Webseiten. Auch Lesungen, Diskussionsrunden oder Konzerte wurden und werden spontan auf den Spielplan gesetzt, weil man „nicht tatenlos“ bleiben wollte. Wobei diese Solidaritätsaktionen wahrscheinlich weniger den Menschen in der Ukraine nutzen, sondern eher der eigenen Bewältigungsstrategie dienen, was man natürlich niemandem verdenken kann. Am deutlichsten wurde das bei einer Lesung des Gorki-Theaters in Berlin, die den Titel trug „Sprachlos die Sprache verteidigen“. Die Theater, die uns alles oft so gut erklären können, stehen nun wortlos da.
Was also die schreckliche Frage nach dem Verhältnis von Künstler*in und Krieg betrifft, kann es vermutlich keine Antwort geben. In den Kulturnachrichten ist zu lesen, dass die Theater in der Ukraine nun Verletzte und Flüchtende versorgen, ihre Keller zum Schutz gegen Bombenangriffe anbieten, dass Theatermacher:innen Molotow-Cocktails herstellen. Ukrainische Filmemacher greifen statt zu ihrer Kamera nun zur Waffe, wohingegen nach Berichten der amerikanischen Fachzeitschrift Variety der Filmschauspieler Sean Penn „on the ground“ in Kiew sei, um den Überfall des russischen Militärs zu dokumentieren. Wer wollte sagen, was sinnvoller ist?
Dass es auch für Kultur und Theater den Frieden braucht, zeigt sich in diesen schmerzvollen Gegensätzen in greller Deutlichkeit.
„Frieden ist das A und O aller menschenfreundlichen Tätigkeit, aller Produktion, aller Künste, einschließlich der Kunst zu Leben“, schrieb Bertold Brecht und ließ, dies zu erinnern, Picassos Friedenstaube auf den Vorhang am Berliner Ensemble malen. Dieser Vorhang wurde jetzt wieder aufgehängt. Wer hätte sich das träumen lassen.
Eine Inszenierung, die ich vor ein paar Wochen sah, geht mir in dieser neuen Weltlage nicht mehr aus dem Kopf. Ich war nach Hamburg gereist, um die als sensationell gefeierte Darstellung von Lina Beckmann in der Rolle des Bühnenmonsters Richard III zu sehen. Atemberaubend ihr Spiel, das den machthungrigen Seelenkrüppel so abgrundtief ausleuchtet, dass einem schwindelt. Doch wie fern schien mir gleichzeitig dieser Tyrann, der alles mordet, was sich ihm in den Weg stellt, alles in der tödlichen Logik des Machterhalts denkend. Eine Ferne, die jetzt einer schrecklichen Nähe gewichen ist. Und wie konnte ich bloß denken, das alles sei nur Spiel?
Kommentare 6
Da es auch unter diesem Artikel an Worten zu fehlen scheint, möchte ich den Versuch einer Anregung starten, wohl wissend, dass dieser vermutlich nicht auf fruchtbaren Boden fallen – eventuell sogar gecancelled werden wird...
"Der Krieg in der Ukraine löst eine tiefgreifende Kulturkrise aus"
Wie wäre es, wenn man versuchen würde zu verstehen, dass das Verhältnis durchaus auch umgekehrt betrachtet werden kann: "Eine tiefgreifende Kulturkrise löst (unter anderem) den Krieg in der Ukraine aus."
Wenn ich lese, dass zum Beispiel die Frankfurter Buchmesse den staatlichen russischen Institutionen gekündigt hat, die für den russischen Nationalstand auf der Messe verantwortlich sind und das mit mit dem Krieg in der Ukraine begründet. Wenn der PEN Verband der Ukraine allen Ernstes fordert, weltweit "alle russischen Bücher und Verlage zu boykottieren", dann habe ich das Gefühl, dass hier etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, das auch die Welt der Kultur in ihrem aktuellen Selbstverständnis als eine heile Welt entlarvt, die sich an Bedingungen dieser Krise angepasst und in ihr eingerichtet hat, ohne zu bemerken dass sie auf diese Weise ihre Sprache verloren hat.
Wie kann es sein, dass man dem politischen Gegner und sei er noch so weit weg, alle Möglichkeiten nimmt, seine Sicht der Dinge darzustellen und vor allem künstlerisch zu artikulieren? Wie kann man Dirigenten entlassen oder pauschal Bücher verbannen, wenn man weiß, dass jede Rede, die sich nicht an ein Gegenüber wenden kann zu einem Monolog verkommt, auch wenn dieser von vielen geführt wird, die aber alle für das eine Prinzip, die eine Sicht der Dinge stehen? Mir fällt dazu nur der Begriff Gleichschaltung ein, auch wenn die Theater- und Medienmacher, die Veranstalter der Buchmessen und die Politiker, die jetzt dafür sorgen, dass man russische Kultur, russische nur noch gefiltert präsentiert bekommt, das natürlich weit von sich weisen. Aber genau das scheint mir Teil der Krise zu sein, die auch in anderen Zusammenhängen längst das Etikett "Cancel Culture" bekommen hat. Wir dulden nur noch eine Sicht der Dinge, egal ob es um Kultur, Corona oder den Krieg geht, und alles andere wird ausgeblendet. Das erklärt für mich die Sprachlosigkeit.
Wie wäre es zum Beispiel wenn man sich, um die Sprachlosigkeit zu überwinden an einen Künstler wenden würde, von dem man prinzipiell weiß, dass er gegen den Krieg ist, dem man kulturell schon einmal vertraut hat, der aber in Ungnade gefallen ist weil er, wie es einem vorkommen mag, die Seiten gewechselt hat. Ich denke zum Beispiel an Emir Kusturica, der auf Vorschlag des des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu die Intendanz am Zentralen Akademischen Theater der Russischen Armee in Moskau übernommen hat. Wäre das keinen Versuch wert? Natürlich ein Politikum, würde es für reichlich Gegenwind sorgen – die Frage ist, ob sich so ein Versuch, angesichts der Sprachlosigkeit und im Vertrauen auf eine künstlerische Metaebene, auf der man sich vielleicht über ideologischen Grenzen hinweg wieder verständigen und gemeinsam eine Sprache finden könnte, die alle verstehen, nicht lohnen würde – nur der Versuch einer Anregung, wie gesagt...
Wenn man bedenkt, dass in vielen Kulturbetrieben ukrainische und russische Menschen gleichermaßen arbeiten, kommt ihnen eine besondere Brückenfunktion zu. Hier kann Gemeinsamkeit der Menschen beider Völker jenseits der durch die russische Regierung geschaffenen Situation aufrechterhalten werden. Das ist enorm wichtig für die Zukunft.
Eine Frage nur: Wo war eigentlich die Schockstarre nach dem Maidan-Putsch bzw. den Angriffen der Asov-Nazis auf den Donbass?Nicht missverstehen, das macht die aktuelle Situation nicht besser, aber diese Doppelmoral kotzt micht bodenlos an. Und auf dieser Basis kann ich diese Leute auch nicht ernst nehmen: Gespielte Empörung, Theater halt.
Es lässt sich alles dekorativ überhöhen, auch die eigene Erschütterung.
Es lässt sich alles niederschreiben, auch die eigene Überheblichkeit.
Ich halte es da doch lieber mit Bertold Brechts A und O und Picassos Friedenstaube.
"Wäre das keinen Versuch wert?"
Unbedingt - jede Anregung zu einem möglichen Weg der Vermittlung ist jetzt soviel wert.