Theater in den Zeiten der Kürzungen

Bühne Maxim Gorkis Stück „Kinder der Sonne“ wird im Deutschen Theater aufgeführt. Vermutlich hat es das Zeug zum Kassenschlager. Leider

Maxim Gorkis Stück Kinder der Sonne handelt von Künstlern und Intellektuellen im vorrevolutionären Russland, die im Haus des Wissenschaftlers Protassow zusammenkommen und von einer besseren Welt schwadronieren. Tatsächlich aber sind sie mit ihren privaten Befindlichkeiten beschäftigt und von der sozialen Realität, die sie umgibt, denkbar weit entfernt. Nun hatten die Kinder der Sonne am Deutschen Theater in Berlin Premiere, und so weltfremd wie die beschriebene Gesellschaft ist auch die Inszenierung selbst. Ganz ungelegen kommt das dem Theater aber nicht.

Wie nicht erst die aktuellen Entwicklungen in Hamburg oder Halle zeigten, wo der Sparzwang zu Schließungen führt, stehen kulturelle Institutionen trotz Subventionierung unter enormem ökonomischem Druck, den sie, notfalls zulasten der künstlerischen Qualität, mit kalkulierten Publikumserfolgen lindern können. Das Zeug dazu haben auch die Kinder der Sonne. Das zeigt schon ein Blick auf die Besetzung mit Schauspielern aus der ersten Reihe des hochkarätigen Ensembles, darunter Nina Hoss und Ulrich Matthes sowie (als Gast) Katharina Schüttler. Stets gut besuchte Vorstellungen dürften also gesichert sein, auch wenn – oder weil? – der künstlerische Ertrag gegen null tendiert, weil die künstlerische Leitung aus Stephan Kimmig (Regie), Katja Haß (Bühne) und Anja Rabes (Kostüme) übersieht, dass es nicht reicht, etwas Richtiges zu wollen; man muss auch wissen, wie man es erreicht.

Was der Abend will, führt beispielhaft sein Ende vor: Angetan mit einem Pullover, wie selbst C ihn nicht mehr verkauft, steht Jegor (Markus Graf), die einzige verbliebene proletarische Figur, an der Rampe. „Ihr werdet schon sehen“, brüllt er die Vertreter einer bürgerlichen Elite an, die sich zum Zeichen, dass der gesellschaftliche Wandel sie verdrängt, an der rückwärtigen Bühnenwand versammelt hat. Dann dreht sich der Mahner um und blickt mit finsterer Miene ins Publikum, bis das Licht erlöscht. In dieser Plattitüde formuliert sich die landläufige Auffassung, nach der sich das Publikum von dem, was auf der Bühne verhandelt wird, gemeint fühlen soll. Doch dazu hat es an diesem Abend keinen Anlass: Zwar wurden die Inhalte des Stücks zugespitzt und aktualisiert, die Mittel, derer sich die Inszenierung bedient, sind jedoch historisch so überholt, dass das Ergebnis die Gegenwart zwangsläufig verfehlt.

Das gilt – ausgerechnet – in erster Linie für die Spielweise. Fast alle Szenen finden an der Rampe statt, wo sie bei Bedarf durch falsche Tränen und Gefühle dramatisch aufgeladen werden. Das Standspiel verleitet vor allem Ulrich Matthes zum enervierenden Dauereinsatz der Hände. Die Aussprache ist bei allen tadellos, doch was sie zu sagen haben, gerät in der Textfassung des Regisseurs allzu oft zum Klischee. Einen ähnlichen Effekt erzielen die Kostüme, die Figuren durch Stoffe und Farben zu Typen degradieren. Am ehesten vermag es Katrin Wichmann als Melanija, durch Distanz und leise Ironie die Figur vor der platten Symbolik schützen, für die im Bühnenbild aus dem Metallbaukasten die eingebauten Stolperschwellen stehen.

Nach 100 Minuten endet dieser Abend – und schon im begeisterten Applaus erweist sich seine Wirkungslosigkeit. Dafür hat er das Zeug zum Kassenschlager, und in Zeiten, in denen der Sparzwang zu Schließungen führt, erfüllt das seinen Zweck. Zur Regel werden sollte diese Art Theater aber nicht.

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