Theater und Proteste im Iran: „Es ist schwer, die Angst abzuschütteln“
Interview Als Schauspielerin kennt die Theaterwissenschaftlerin Maryam Palizban die Szene im Iran sehr gut. Ein Gespräch über Frauen auf der Bühne, Theater als Vitrine des Regimes – und wachsenden Widerstand
Maryam Palizban: „Das iranische Theater hat zwei Gesichter“
Foto: Laura Schaeffer für der Freitag
Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini Mitte September protestieren Tausende Menschen im Iran für ein Ende der islamistischen Diktatur. Die iranische Theaterszene, die sich teils stark vom Regime vereinnahmen lässt, steht vor einer Entscheidung: für oder gegen die Revolution zu sein. Maryam Palizban spricht über eine Welt zwischen Anpassung und Freiheitskampf.
der Freitag: Frau Palizban, war Mahsa Aminis Tod der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?
Maryam Palizban: Schon im November 2019 sind im Iran Unruhen ausgebrochen, ausgelöst durch die plötzliche Erhöhung der Benzinpreise – damals zwar nur in einzelnen Städten und Provinzen, aber mit sehr vielen Toten und Verletzten. Die Regierung hatte das Internet fü
ten. Die Regierung hatte das Internet für eine Woche komplett abgeschaltet. Als es nach einer Woche wieder angeschaltet wurde, kamen die ganzen Bilder, Videos und Zahlen, die auch damals sehr hoch waren.Menschenrechtsorganisationen sprechen von über 1.500 Toten und Hunderten von Verhafteten.Die zweite wichtige Stufe in der Entwicklung war der Abschuss einer ukrainischen Linienmaschine auf dem Flug von Teheran nach Kiew durch das iranische Militär im Januar 2020, was das Militär aber lange verleugnet hat. In dem Flugzeug saßen fast nur iranische Bürger und Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft, darunter auch Menschen, die ich kannte. Aber die Regierung hat den Abschuss der Maschine lange abgestritten. Für mich war das der Punkt, wo mir klar wurde, dass dieses Regime nicht reformierbar ist. Seitdem gibt es keine gemäßigte „Mitte“ mehr, was die Haltung zur Regierung betrifft. Entweder man ist dafür oder dagegen. Bis vor ein paar Jahren gab es noch viele, die reformistische Ideen unterstützt haben. Inzwischen schämt man sich fast dafür, den Reformisten geglaubt zu haben.Welche Rolle spielt das Theater im Iran bei der Debatte um die Rechte von Frauen?Ich habe die Fragen mit vielen Kolleginnen und Kollegen und auch einem Freund, der Theaterkritiker und Uni-Dozent in Teheran ist, diskutiert. Ihre Identitäten kann ich aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich machen, aber das sind die Themen, die uns alle beschäftigen. Der Theaterkritiker hat es so formuliert: Das iranische Theater hat zwei Gesichter. Das eine ist schön und voller Hoffnung. Das andere ist ekelhaft und ziemlich traurig. Das hat damit zu tun, dass einerseits die Jugend das Theater liebt und sich immer wieder mit großer Hoffnung und besten Noten für ein Theaterstudium entscheidet. So hat man fast in jeder Generation total junge, kreative und gut ausgebildete Theatermacher. Aber es dauert nicht lange, bis sie merken, dass es in diesem System zunehmend unmöglich ist, umzusetzen, was sie wollen. Und das ist das andere, hässliche und traurige Gesicht des Theaters, das dann immer gewinnt. Der Teheraner Freund hat Peter Brooks Begriff „Deadly Theatre“ verwendet, um es zu beschreiben. Denn eines Tages hat das Regime verstanden, dass das Theater eine gute Vitrine ist, in der der Iran international repräsentiert werden kann.Und hat es kooperiert?Das iranische Theater hatte stets sehr guten Rückhalt in der iranischen Mittelschicht. Dann aber begann der Staat, mit klaren Mitteln – wovon das stärkste das Kapital ist – diese Szene zu zerstören. Das Theater wurde Kulturwirtschaft. So wurden Arbeiten für das intellektuelle oder ästhetisch radikale Theater unmöglich gemacht. Dann hat man Theater als eine Art Geldwaschmaschine entdeckt, riesige Theaterproduktionen mit Stars wurden mit viel privatem Geld produziert, die Gagen wurden riesig und die Ticketpreise auch. Aber es entstand auch die Frage: Wer ist das Publikum für dieses Theater? Für die gebildete iranische Mittelschicht gibt es jetzt kein Theater mehr. Während Corona wurden dann viele kleine und unabhängige Theater einfach geschlossen.Was bedeutet es, eine Schauspielerin im Iran zu sein?Als Schauspielerin im Iran muss man nicht nur die Haare verstecken, sondern die gesamte Körpersprache kontrollieren. Ich weiß nicht, wie oft ich bei Dreharbeiten oder Proben darauf angesprochen wurde, dass ich mich zu „attraktiv“ bewegt hätte und Szenen deshalb wiederholen musste. Aber es geht noch viel, viel weiter – man glaubt es kaum, so absurd ist es eigentlich. Es wird alles versucht, damit, zum Beispiel, keine Frau allein auf einem Filmplakat abgebildet ist. Auch in den Filmen sollte es besser keine weiblichen Hauptrollen geben. Es muss dann noch mindestens zwei weitere männliche Hauptfiguren geben. Die Zensurbehörde versucht alles, um ein starkes öffentliches Frauenbild zu unterdrücken. Selbst in den Verlauf von Geschichten oder wie sie enden, greift sie ein. Eine Frau darf auch nicht allein auf der Bühne singen. Ich selbst habe traditionelle iranische Musik studiert und Konzerte gegeben; aber es mussten immer mindestens ein, meistens jedoch zwei Männer mit mir auf der Bühne singen, damit du als Frau nicht die einzige Stimme auf der Bühne bist. Das wird seit Gründung der Iranischen Republik verhindert. Das ist auch der Grund, warum ich mich stark in der iranischen Frauenbewegung engagiere, obwohl ich seit Jahren in Berlin lebe. Denn auf diesem Weg findet eine starke Manipulation statt; ohne dass man es direkt merkt, wird auch die innere Freiheit ins Gefängnis gesteckt.Placeholder infobox-1Welche Rolle spielen Frauenthemen im Theater?Vielleicht hat das Theater dieses Thema nicht direkt durch Stücke oder Dinge beeinflusst, die auf der Bühne passiert sind. Aber von innen, durch diese Arbeit selbst: was das Arbeiten beim Film und Theater für Frauen bedeutet. Weil sich, auch verstärkt durch den Blick von außen, in der Arbeit für Film und Theater immer deutlicher die Frage stellte: Wie fühlen sich Frauen in der Gesellschaft? Wie wollen sie überhaupt weitermachen? So gibt es in der iranischen Kulturszene auch seit mindestens drei Jahren eine starke #MeToo-Bewegung, die in der Corona-Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat. Fälle von Übergriffen bekannter Männer aus dem Kulturbetrieb wurden veröffentlicht. Dazu muss man sagen, dass es für Frauen, die sich hier äußern, im Iran ein viel größeres Risiko gibt als etwa in Deutschland. Denn das hat ganz andere Folgen: Die iranischen Männer anzugreifen, heißt auch, das Patriarchat anzugreifen, auf dem das gesamte System beruht, und das Recht und Gesetz hinter sich hat. Bei vielen Frauen, die mit ihrem Namen Übergriffe veröffentlicht hatten, kam es zu Prozessen, die ihnen das Leben unmöglich gemacht haben. Es gab auch Fälle in der iranischen Community außerhalb des Iran. Und bei jedem dieser veröffentlichten Fälle konnte man stets merken, wie politisch diese Bewegung ist. Die Seite, die ich gern weiterempfehlen will, heißt Harrasswatch.Die Seite ist noch am Netz?Ja. Es gibt viele ähnliche Seiten, unter anderem auf Instagram, die immer wieder von der iranischen Cyberarmee verfolgt werden. Dann verschwinden sie, tauchen aber woanders schnell wieder auf. Einer der wichtigsten Momente, und darauf bin ich total stolz, ist die Gründung der „Gruppe der 800“ in der iranischen Filmszene, die das ganz klare Ziel verfolgt, zumindest in den Verträgen für das iranische Kino und Theater künftig Klauseln einzubauen, die die Frauenrechte schützen. Von den hier aktiven Frauen werden inzwischen viele bedroht.Wie würden Sie die Entwicklung der Theaterszene in den letzten zwei Jahren beschreiben?Während der Pandemie wanderte das Theater stark ins Netz ab, darunter viele Festivals, besonders im Bereich des Studententheaters und des experimentellen Theaters. Doch so wurden viele neue Kommunikationswege gefunden, entstanden Strukturen, die jetzt unmittelbar für die Proteste genutzt werden. Und die Folgen kann man jetzt genau spüren: Noch niemals waren Iraner innerhalb und außerhalb des Iran stärker miteinander verbunden als jetzt.Wie wirkt der Druck derzeit?Während der Rohani-Zeit war die Lage schon schwierig, aber mit Beginn der Präsidentschaft von Ebrahim Raisi ist der Druck auf die Theatermacher noch einmal gestiegen. Im Kulturministerium sitzen verschiedene Gruppierungen, die teilweise auch mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten und mit dem Bildungsministerium. Sie sind wie ein gemeinsamer Körper, um Gefahren für das System abzuwehren. Wer darf was machen? Welche Texte dürfen gespielt werden? Wer darf inszenieren? Mein nicht namentlich genannter Freund aus Teheran hat es so ausgedrückt: Aus dem Patienten Theater wurde ein Fall für die Intensivstation. Das hat das Theater jetzt mit dem System gemeinsam. Denn es wurde so viel Druck gemacht, ökonomisch, aber auch insgesamt, dass überall nun das Gefühl vorherrscht, dass es nichts mehr zu verlieren gibt. Ich habe vor Kurzem mit einer Studentin von mir in Teheran gesprochen, die meinte, sie würde keine Cafés besuchen, obwohl sie geöffnet sind, weil sie nicht dazu beitragen möchte, auch nur den geringsten Anschein von Normalität zu erwecken. Man will auf keinen Fall zurück zu dem, was vorher war.Wie reagiert die Theaterszene auf die aktuelle Krise?Ich habe mir viel mehr erhofft von der iranischen Kunst- und Kulturszene und finde die Art, wie sie konservativ geblieben ist, einfach hoffnungslos. Aber davor haben sie so stark von diesem System profitiert, dass es vielleicht schwer ist, sich davon unabhängig zu machen oder die Angst abzuschütteln. Denn bedroht wird zurzeit wirklich jeder. Es gibt Film- und Theaterstars, die Social-Media-Accounts mit Millionen Followern haben, die sie jetzt einfach schließen oder sich dort mit beschwichtigenden Erklärungen zu Wort melden. Manche stellen sich öffentlich so tot, dass es die Leute im Netz richtig gegen sie aufbringt. Ich möchte von hier aus meine Kollegen natürlich nicht kritisieren, denn ich weiß ja, welche Mittel dieses Regime hat und auch anwendet.Welche Unterstützung wünschen Sie sich international?Ich finde leider, die Regierungen zeigen wenig Interesse, was Menschenrechte im Iran betrifft. Ich setze meine Hoffnungen eher in die internationale Community. Natürlich benötigen die Iraner Hilfe: Sie kämpfen gegen eine Armee. Gegen ein brutales und korruptes System, das sich um jeden Preis halten will.Von hier aus sieht es so aus, als sei das Selbstbestimmungsrecht der Frau im Iran die Chiffre für das Recht auf Selbstbestimmung insgesamt.Ich bin mit dem Begriff „feministische Revolution“ total einverstanden, für das, was jetzt gerade im Iran passiert. Das hat mit allen zu tun, allen, die unter diesem System gelitten haben. Ich weiß, dass der Begriff „Feminismus“ im Iran Panikreaktionen auslöst. Aber ich denke, es ist der einzige Weg, dass es nicht wieder in die falsche Richtung geht – und wir am Ende dann wieder mit einem Patriarchen oder Monarchen dastehen. „Frau Leben Freiheit“ ist das Traum-Motto dieser Revolution.Placeholder authorbio-1
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