Auf dem diesjährigen Kunstfest Weimar, das vergangenes Wochenende zu Ende gegangen ist, spielte sich auf einem feuilletonistischen Nebenschauplatz ein kleiner, aber überraschender Medienskandal ab: In der Sparte Performance wurde Animate von Chris Salter gezeigt; angepriesen als ein „faszinierender Augmented-Reality-Parcours zur drohenden Klimakatastrophe“. Der Kulturjournalist Thilo Sauer sah sich die Installation mit VR-Brille für den Deutschlandfunk an und urteilte abschließend in seiner sonst mild betrachtenden Radiokritik, dass in puncto virtueller Realität schon mehr möglich sei, Animate sei deshalb „sicherlich nicht state of the art“.
Das stimmt nicht, befand das Kunstfest Weimar und verfasste eine Gegendarstellung. Dieses „
ndarstellung. Dieses „Urteil“ sei, weil es Bezug auf „den aktuellen Stand der technologischen Entwicklung“ nehme, keine „persönliche Meinungsäußerung“, sondern eine „Tatsachenbehauptung“ und damit eine „Fehldarstellung“. Es folgten beharrliche Erläuterungen – deren technische Detailversessenheit einer gewissen Komik nicht entbehrt –, die beweisen sollten, dass es sich bei Animate um eine Augmented-Reality-Performance von „noch nie“ da gewesener „Größenordnung“ handele. Mit dieser Gegendarstellung wolle man verhindern, den „Ruf der Künstler“, mit denen man zusammenarbeite, durch „Fehldarstellung in der Presse“ zu beschädigen – außerdem behalte man sich rechtliche Schritte vor.Nun könnte man das Ganze schlicht mit Humor betrachten und freundlich annehmen, in Weimar herrsche eben immer noch der traditionelle Geist Goethes, der das Problem mit den lästigen Kritikern zu lösen versuchte, indem er forderte: „Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent.“ Vielleicht ist es den Machern des Kunstfests tatsächlich nur um eine formale Richtigstellung gegangen. Sich dann aber nicht zu entblöden, wegen einer technischen Detailfrage rechtliche Schritte zu erwägen, von Rufschädigung und Fehldarstellung zu raunen, ließ den überschaubaren Kreis der deutschsprachigen Theaterjournalist:innen dann doch ein wenig fassungslos zurück.Letztlich ist dieser Vorfall symptomatisch für die gesellschaftlich um sich greifende, viel besprochene Abneigung gegenüber den sogenannten etablierten Medien. Das damit verbundene Misstrauen ist in seiner Erzählung anscheinend so wirkmächtig, dass mancher meint, auch mal im Feuilleton aufräumen zu müssen. Einerseits völlig absurd. Andererseits rückt hier eine Theaterkritik (!) auf einmal in den Bereich der Lügenpresse und wird auf den Schauplatz unserer aktuellen Lieblingsbeschäftigung gezerrt, dem „Kampf um die Wahrheit“.Die Weimarer Episode setzt zudem eine Reihe von Angriffen fort, die in jüngster Zeit im Kulturjournalismus irritierend die Runde machten: Prominentestes Beispiel ist Karin Beier, Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, die voriges Jahr in einem Interview bekannte, Theaterkritik sei für sie „Scheiße am Ärmel der Kunst“.Das Theaterportal Nachtkritik – selbst ein Flaggschiff der Kritik – berichtet, der Schauspieler und Regisseur Benny Claessens (vom Feuilleton gerne als „Wunderkind“ bejubelt) habe einer Rezensentin in einem Social-Media-Post mit den Worten gedroht: „Your time is over, Darling“.Offene FeindschaftDie neue Leitung der Berliner Festspiele spielt vage mit dem Gedanken, die Kritiker:innenjury des Theatertreffens durch ein Kurator:innenteam zu ersetzen. Intendant:innen schwärmen in Interviews von den Möglichkeiten, die Social Media den Theatern biete, die Kritik zu umgehen, oder sprechen von dem Verfall der Theaterkritik, die es in fünf bis zehn Jahren sowieso nicht mehr geben werde.Damit dreschen leitende Vertreter:innen der Theaterhäuser hemmungslos auf eine immer stärker marginalisierte Sparte des Kulturjournalismus ein, deren einflussreiche Zeiten der männlichen „Großkritiker“ tatsächlich längst vergangen sind (und die sich niemand zurückwünschen kann). Das historisch immer schon problematische Verhältnis von Kunst und Kritik hat, so scheint es, die Dimension einer offenen Feindschaft angenommen, bei der die Kritik reichweitentechnisch unterliegen muss. Mit eigenen Social-Media-Kanälen, eigenen Podcasts, Trailern und Blogs bedienen die Theater sich mittlerweile der gängigen Werbestrategien, um, wie alle anderen Teilnehmenden des Aufmerksamkeitsmarkts auch, ihr Produkt zu bewerben. Damit wirft das Theater sich offenbar frohgemut in den Strom einer kapitalistischen Bewertungslogik, in der alles, was nicht dem Verkaufsinteresse zuspielt, eliminiert werden muss. Rechtliche Schritte wegen Rufschädigung statt Auseinandersetzung mit Kritik.Nun wäre da aber noch der paradoxe Umstand, dass die Theater weiterhin beharrlich an ihrem Selbstverständnis festhalten, sie seien eben Orte der „Kunst“ und damit Orte des gesellschaftlichen Dialogs, der pluralistischen Meinungsvielfalt, sogar Garanten der Demokratie und so weiter. Wenn wir jedoch annehmen, dass Theaterkritik doch im Grunde Teil dieses gemeinsamen Gesprächs ist, das davon handelt, dass wir dasselbe gesehen, aber etwas vollkommen Unterschiedliches erlebt haben (also die Erfahrung von Pluralität gemacht haben) – dann wäre es nicht nur zutiefst widersprüchlich, sondern auch absurd dumm, diesen Gesprächsfaden abreißen zu lassen. Alles andere wäre dann „Scheiße am Ärmel von Kommerz“.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.