Theatertreffen im Krebsgang

Bühne Nicht nur Schlingensiefs Stück spricht dafür: Beim aktuellen Treffen wird der Authentizität gehuldigt. Wer zuviel Echtheit fordert, zerstört jedoch das Theater

Das Berliner Theatertreffen begann vor einer Woche als sakrales Fest, und genauso wird es in einer Woche enden. Ganz ohne Glaubensbekenntnis mag da auch die Mitte nicht auskommmen. Jedes Jahr im Mai werden in Berlin zehn Inszenierungen gezeigt, die eine 7-köpfige Fach-Jury aus der Jahresproduktion des deutschsprachigen Theaters als "bemerkenswert" erachtet und eingeladen hat (weil in diesem Jahr eine nicht kommen kann, sind es nur noch neun). Den Auftakt machte Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, ein "Fluxus-Oratorium" von Christoph Schlingensief, wo der Autor die Gefühle besingt, die seine Krebserkrankung in ihm ausgelöst hat. Zum Abschluss wird das Hamburger Schauspielhaus Volker Löschs Inszenierung Marat, was ist aus unserer Revolution geworden? präsentieren, die anhand des Themas Arbeitslosigkeit dem eigenen Bewusstsein als dem richtigen Bewusstsein frönt. Der Unterschied zwischen beiden Arbeiten liegt letztlich in der Antwort auf die Frage, was einem mehr behagt: das Eingeständnis einer Schwäche oder Selbstgerechtigkeit.

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Dass Glaubensfragen den Rahmen des Theatertreffens bilden, kann Zufall sein. Dass sie auf einer Veranstaltung gestellt werden, die dafür nicht geschaffen ist, hat hingegen System. Das belegt der Blick in die Texte, mit denen die Juroren die Einladungen begründen: Der Götze, dem dort gehuldigt wird, hört auf den Namen "Authentizität". Der Ruf nach Echtheit der Menschen und ihrer Empfindungen prägt die Diskussionen und Debatten in einem Maße, dass einem um die Zukunft des Schauspiels angst und bange werden kann. Das Protokoll der Jurydiskussion schürt diese Angst, wenn dort "Authentizität" und "Inszenierung" als Gegenbegriffe verwendet werden. Zu Ende gedacht, ist der Ruf nach Authentizität also gleichbedeutend mit der Forderung nach Abschaffung des Theaters.

Diesen Gedanken würde die Jury sicher von sich weisen. Und doch findet er sich in den Elogen wieder, mit denen die Einladungen begründet werden. Besonders arg trifft es diesbezüglich Jürgen Gosch, dem doch tatsächlich bescheinigt wird, dass er "eigentlich gar nicht inszeniert". Warum seine Version von Tschechows Die Möwe trotzdem in die Auswahl gekommen ist, müssen Übersinnliches beschwörende Adjektive wie "magisch" erklären.

Bis in alle Ewigkeit

Denkbar wäre allerdings, dass hinter solchen Formulierungen das Bemühen steht, mit Rücksicht auf Privates einem Urteil auszuweichen. So ist über Schlingensief zu lesen, dass seine Arbeit sich einer "eindeutigen Analyse entzieht". Von dort bis zum erteilten Prädikat "genial" ist es ein sehr kurzer und sehr alter Weg. Auch Jürgen Gosch – da es offiziell bekannt ist, darf es hier erwähnt werden – ist schwerkrank, und Die Möwe entstand im Wissen darum. Die Premiere fand in der Berliner Volksbühne statt, inzwischen spielt die Aufführung im erheblich kleineren Deutschen Theater. Durch den Umzug ist sie fraglos eine andere geworden, allerdings keine "Krebs-Theaterinszenierung", wie in Sachen Schlingensief zu lesen war.

Ganz ohne Mitleidsfaktor ist Gosch mit einer zweiten Arbeit vertreten, der Zürcher Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs Stück Hier und Jetzt. Auch hier gerät die Begründung zumindest schief, wenn die Jury als besondere Qualität den Umstand preist, "dass man bis in alle Ewigkeit sitzen bleiben wollte". Ob die Festivalleitung den Titel deshalb zum Motto des Theatertreffens ausgerufen hat? Das Stück ist jedoch weit weniger harmlos, als die Kritiker-Formulierung suggeriert, und die Inszenierung ist es nicht die Spur: Sie bringt Unvereinbares und Widersprüchliches wie weit entfernte Orte, Zeiten und Emotionen gleichberechtigt zusammen, ohne sie miteinander zu versöhnen. Mit Menschen und ihren Empfindungen hat das ausgesprochen viel zu tun. Aber authentisch ist es nicht.

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