Theatertreffen in Berlin

Bühne Zeit seiner Existenz - also seit gut 200 Jahren - hat das bürgerliche Theater einen schweren Stand gehabt. Und das ist auch gut so, denn es braucht ...

Zeit seiner Existenz - also seit gut 200 Jahren - hat das bürgerliche Theater einen schweren Stand gehabt. Und das ist auch gut so, denn es braucht den Druck von außen, um sich weiterzuentwickeln. Derzeit aber steht es von einer Seite unter Beschuss, die das Rad der Geschichte radikal zurückdrehen will: den Kleinbürgern. Schon wenige Tage vor dem Ende lässt sich das Theatertreffen 2008 auf diesen Nenner bringen.

Auch im 45. Jahr gilt das Berliner Theatertreffen als Eliteschau des deutschsprachigen Theaters, aus deren Premieren eine Jury zehn Inszenierungen wählt, die sie für besonders bemerkenswert erachtet. Das Resultat als Querschnitt einer Jahresproduktion zu nehmen, ist also nur bedingt legitim; doch wirkt das Auswahlverfahren wie ein Sieb, in dem Repräsentatives hängen bleibt. Und das bot diesmal ein beklagenswertes Bild.

Das begann gleich bei der Eröffnung mit Shakespeares Der Sturm von den Münchner Kammerspielen. Vom Irrtum des Unterfangens kündet bereits vor Beginn eine Projektion, die zum Titel eine sanfte Woge zeigt. So schief wie das Bild gerät die gesamte Inszenierung, die Stefan Pucher als "Making of" eines Hollywood-Streifens anlegt. Eine Haltung zum Geschehen findet er aber an keiner Stelle, und selbst die Besetzung Prosperos mit einer Frau (Hildegard Schmahl) wirkt wie ein Gag aus einem B-Movie. Und da der Abend über die Reproduktion eines zweitklassigen Films nicht hinauskommt, ist er selbst allenfalls drittklassig.

Nicht so arg, doch ähnlich verhält es sich mit Die Ehe der Maria Braun nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder, ebenfalls aus München. Gestützt auf eine treffliche Darstellerriege um die junge Brigitte Hobmeier, erzählt Thomas Ostermeier die Geschichte der "Mata Hari des Wirtschaftswunders" so ums Detail bemüht, dass sich die Frage stellt, warum die Jury nicht den Film eingeladen hat. Vielleicht, weil der Vorlage mit der Bearbeitung für die Bühne ein Stachel gezogen wird, der sie kleinbürgerlich-kommensurabel macht.

Das jedenfalls ist bei Gertrud aus Frankfurt/Main der Fall und die Einladung ein Hohn, weil Armin Petras dergleichen sonst nicht passiert. Offenbar war der Tobak hier aber doch zu stark: Einar Schleefs 1.200seitiger Monolog, der semantisch wie grammatikalisch eine Zumutung ist. Doch auf zwei Stunden ausgedünnt und vier Spielerinnen verteilt, kommt der Text so naturalistisch daher, als sei er von Gerhart Hauptmann.

Von dem stammen Die Ratten, die in Michael Thalheimers Inszenierung vom Deutschen Theater Berlin nominiert waren. Doch hätte es auch eine andere Arbeit des Regisseurs sein können, der seit geraumer Zeit stets an der glatt polierten Oberfläche bleibt. Zum doppelten Ärgernis wird der schöne Schein, weil Thalheimer die Stückfiguren im doppelten Wortsinn vorführt, indem er sie verunglimpft - hier in einem Raum, der zwar keine Stehhöhe, dafür aber eine so katastrophale Akustik hat, dass die Darsteller zum Schreien schier gezwungen sind. Das Resultat ist ein Nullsummenspiel, das die Jury treffend beschreibt, wenn sie "gekrümmte Rücken als triftiges Bild für drückende Verhältnisse" preist.

Ohnehin sind die Begründungen eine eigene Betrachtung wert; und am meisten haben jene Arbeiten darunter zu leiden, die zwar die Einladung zum Theatertreffen, nicht aber solches Lob verdient haben. Am ärgsten erwischt hat es Tschechows Onkel Wanja aus Berlin und von Jürgen Gosch, für die Johannes Schütz einen schmucklosen, engen "Kasten" gebaut hat, in dem zwar die Schauspieler, aber weder echtes Leben noch frische Erde Platz haben, die die Jury gesehen haben wollen.

Wie sehr der Wunsch den Blick verstellen kann, belegt das Regieduo Signa mit Die Erscheinungen der Martha Rubin aus Köln. Kurz, aber erschöpfend gesagt, handelt es sich um 40 Menschen, die sich in eine Siedlung aus alten Wohnwagen begeben und eine gute Woche lang so tun, als seien sie dort zu Hause. Das Publikum kann sie besuchen und selbst entscheiden, inwieweit es sich an der falschen Lebens-Echtheit beteiligt. So schlicht der Theaterbegriff, so typisch ist er für den Beschuss, unter dem das Theater derzeit steht: Nicht, dass alle Dauercamper Kleinbürger sind. Doch wer unter ihnen die künstlerische Avantgarde wähnt, ist es unter Garantie.

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