Theorie und Praxis

Streik In Spanien gehen Frauen heute für ihre Rechte auf die Straße. Die Aussichten auf Erfolg scheinen dabei eher gering. Wie könnte man das Problem anders angehen?
„Ohne uns steht die Welt still.“ Spanische Frauen wollen heute ein Zeichen setzen. Doch funktionieren Streiks heute noch als Mittel feministischer Kämpfe?
„Ohne uns steht die Welt still.“ Spanische Frauen wollen heute ein Zeichen setzen. Doch funktionieren Streiks heute noch als Mittel feministischer Kämpfe?

Foto: Juan Naharro Gimenez/Getty Images

„Ohne uns steht die Welt still.“ Was für ein Satz! Rien ne va plus, nichts geht mehr. Nichts geht mehr ohne Frauen – wenn sie sich verweigern. Wenn sie nicht arbeiten, nicht putzen, nicht pflegen, nicht lächeln, nicht kochen, nicht einkaufen. Kurz: Wenn sie streiken. So wie die Frauen in Spanien heute, am Internationalen Frauentag. Zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Abend wollen sie aussteigen aus ihrem Alltag als Angestellte, Arbeiterin, Ehefrau, Hausfrau, Mutter, Chefin.

Frauen machen auch in Spanien die Hälfte der Bevölkerung aus. Aber sie werden nicht als die Hälfte der Bevölkerung behandelt, nicht mit gleichen Rechten, Chancen und Pflichten. Die spanischen Frauen haben dieselben Probleme wie Frauen fast überall in Europa und der westlichen Welt: Sie werden schlechter bezahlt als Männer und bekommen eine geringere Rente. Sie sind seltener in Führungspositionen zu finden, und sie haben Schwierigkeiten, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie erleben Vergewaltigungen, Partnerschaftsgewalt, Alltagssexismus. Das Leben von Frauen in Afrika, dem Nahen Osten und in anderen Regionen der Welt gestaltet sich durch Krieg, Terror und Diktaturen noch weitaus dramatischer.

Es reicht jetzt, finden die spanischen Frauen und setzen mit ihrer Absage an ein „ganz normal weiter so“ ein klares Zeichen: Wir wollen mehr Gleichstellung und mehr Gleichberechtigung. Mit dem Streik verbinden sie die Hoffnung, dass sie gehört und ihre Forderungen ernst genommen werden. So wie 1975 in Island. Damals gingen 90 Prozent der Isländerinnen auf die Straße. Sie demonstrierten, hielten flammende Reden, forderten vehement ihre Rechte ein – und hatten Spaß dabei. So etwas hatte Island noch nie zuvor gesehen, der Streik war ein einzigartiger Aufstand und ein feministischer Schulterschluss von Arbeiterinnen, Akademikerinnen, Müttern, Kinderlosen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Beamtinnen. Mit maßgeblichen (Er)Folgen für die Gleichstellung von Frauen in dem kleinen nordischen Land – und für die feministische Geschichtsschreibung: Seither gilt der Isländer Frauenstreik als Meilenstein feministischer Proteste.

Der sich nicht so leicht wiederholen lässt. Das zeigte sich exemplarisch beim Frauenstreiktag 1993 in Deutschland. Am 8. März sollten Frauen nicht ins Büro gehen, den Männern die Kinder auf den Schreibtisch setzen, sich beim Sex verweigern. Der Streik sollte auch die zerfaserte deutsche Frauenbewegung einen. Ost und Westfrauen stellten nach dem Mauerfall erstaunt fest, dass ihr kleinster gemeinsamer Nenner ihr Geschlecht ist. Die Konfliktlinie lässt sich als Diskrepanz von Theorie und Praxis beschreiben: Ostfrauen kannten (fast) keine feministische Literatur, lebten aber so selbstbestimmt wie Westfrauen das theoretisch propagierten, aber häufig nicht ins Leben übertragen konnten.

Der Streik war ein Flop. Diesen Satz zu schreiben, tut weh, er ist aber wahr. Die Aktivistinnen haben es nicht vermocht, mehr als ein paar Tausend Frauen auf die Straße zu bringen. Zu divers waren die Frauen damals, mit zu unterschiedlichen Bedürfnissen, politischen Ansichten, Lebensumständen. Viele fanden sich in den Forderungen, auch wenn sie sie selbst betrafen, nicht wieder. Das kann man den Frauen nicht vorwerfen, vielfältige und unterschiedliche Forderungen lassen sich nun mal schlecht in einem einzigen Slogan zusammenfassen.

Möglicherweise ist Streik – anders als 1975 in Island und anders als vor 100 Jahren, als Frauen in ganz Europa das Stimmrecht erstritten – für Frauen heute keine relevante Protestform mehr. Da mögen es Arbeitskämpfe mit einer einzigen und klaren Forderung nach beispielsweise 10 Prozent mehr Lohn vielleicht leichter haben.

Es sei den Frauen in Spanien zu wünschen, dass ihr heutiger Streik ein Erfolg wird. Nur sieht es bislang nicht danach aus. Zu groß ist beispielsweise die Zahl derer, die da sagen: Was soll das? Ich geh da nicht hin. Das mag man fatalistisch finden, wenig kämpferisch, unfeministisch. Ist aber die Realität. Wie löst man das Problem? Vielleicht sollte es in digitalen Zeiten schlicht mehr zündende Hashtags geben, die sich im Netz viral verbreiten. #MeToo und #aufschrei haben gezeigt, dass ein paar Zeichen genügen, größtmögliche Aufmerksamkeit für Ungerechtigkeiten zu generieren und Frauen in aller ihrer Diversität zusammenzubinden.

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