In der aktuell mutierenden Krise standen die Naturwissenschaften lange so hoch im Kurs wie die Aktien des Onlinehandels. Doch mit den plötzlich korrigierten Inzidenzvorgaben und trotz baldiger Öffnung der Friseurläden scheint der Stern von Virologie und Epidemiologie zu sinken. Es häufen sich Warnungen vor einer undemokratischen„Expertokratie“, und der Trainer des FC Bayern mault stellvertretend für viele, langsam könne er „sogenannte Experten“ nun „nicht mehr hören“. Immer lauter wird die Frage, wie viel oder wenig die gefeierten Wissenschaften zur Überwindung der Not beitragen oder ob sie nicht selbst schon ein Teil des Problems sind. Dieser Frust ist nicht nur ein Kollateralschaden des periodisch verlängerten Lockdowns. Das Problem liegt tiefer: Inwiefern ist eine genuin gesellschaftliche Krise mit den Bordmitteln der Naturwissenschaften zu überwinden?
Neutral gibt es nicht
Fast vergessen ist heute der in den 1960er Jahren erbittert tobende „Positivismusstreit“ in den Sozialwissenschaften: Kann naturwissenschaftliche Methodik auch soziale Zusammenhänge erfassen? Der Kritische Rationalismus um Karl Popper plädierte für eine faktenbasierte, „wertneutrale“ Sozialwissenschaft, die auch das soziale Miteinander quasinaturkundlich als Ansammlung von Tatsachen analysieren und von moralischen Urteilen absehen solle. Die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno und den jungen Jürgen Habermas betonte hingegen die Eigenlogik der sozialen Welt gegenüber der natürlichen, die Unzulänglichkeit naturwissenschaftlicher Methodik sowie die Notwendigkeit, sich als kritische Theorie der Gesellschaft gegenüber wertend zu positionieren.
Aus diesen Diskussionen ging ein einst viel gelesenes Büchlein von Jürgen Habermas hervor: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Es wirft die Frage auf, ob die Naturwissenschaften nicht grundsätzlich das falsche „erkenntnisleitende Interesse“ zur Bewältigung sozialer Krisen mitbringen. Jede „kritische“ Wissenschaft sei parteiisch und wertbehaftet. Sie müsse Machtverhältnisse als gerade nicht „natürlich“ aufdecken, sondern als menschengemacht und veränderlich. Kritische Wissenschaft folgt dem erkenntnisleitenden Interesse der „Emanzipation“.
Der Unterschied zu den Naturwissenschaften liegt gerade nicht darin, dass diese frei von parteiischen Interessen wären. Im Gegenteil ist der Glaube, nur wertfreie Fakten zu sammeln, ein häufiges Selbstmissverständnis der Naturwissenschaften. Nach Habermas folgen auch diese einem erkenntnisleitenden Interesse, nämlich demjenigen an der „Beherrschbarkeit der Natur“. Die Naturwissenschaften sollen den Menschen von der bedrohlichen Übermacht der Natur befreien und diese der menschlichen Herrschaft unterwerfen.
Doch belässt es die Naturwissenschaft nicht bei der Beherrschung der äußeren Natur. Ihr Siegeszug führt vielmehr dazu, dass auch soziale Zusammenhänge zunehmend als „Objekte“ der Forschung betrachtet werden, die es analytisch zu berechnen und technologisch zu beherrschen gilt. Das Muster der Naturbeherrschung („Wissen ist Macht“) wird auf die Beherrschung von Menschen übertragen.
Habermas hatte damals vor allem die Atomphysik vor Augen. Heute wäre auch an die KI-Forschung oder die Gentechnik zu denken, die ganz neuen Formen technologisch-wissenschaftlicher Herrschaft den Weg ebnen. Problematisch ist diese Verstrickung von Wissenschaft in Herrschaft vor allem dann, wenn sie nicht erkannt, ja verschleiert wird, indem die Forschung ihre vermeintliche Neutralität als Monstranz vor sich herträgt. So wird aus Wissenschaft „Ideologie“: ein Herrschaftsinstrument, das sich in unbewusster Komplizenschaft von der politischen Macht vereinnahmen lässt.
Spätestens jetzt sind wir zurück in der Gegenwart. Wenn Virologie und Epidemiologie behaupten, bloß Fakten zu liefern, erhalten sie einen schönen Schein aufrecht, der blind für ihre Verstrickung in Herrschaftsregime macht. Diese Verstrickung ergibt sich nicht erst durch die neue Nähe von Wissenschaftsprominenz und politischen Schaltzentralen, sondern „a priori“: Die individuelle Forscherperson ist mit ihrem erkenntnisleitenden Interesse an Naturbeherrschung unvermeidlich Agentin dieser Herrschaft und kann sich deshalb nicht von dieser ausnehmen. Dem kommt entgegen, dass derzeit viele politische Verantwortliche sowie große Teile der Medienöffentlichkeit eine „szientistisch“ verkürzte Wissenschaftsgläubigkeit an den Tag legen. Nur der Traum von einer Berechenbarkeit der Welt nach dem Vorbild „harter“ Naturwissenschaften kann erklären, warum man derzeit so oft und ehrfurchtsvoll davon hört, dass „Merkel eine Physikerin“ ist.
Die Politik ist überfordert
Man kann das Virus rein als naturwissenschaftliches Problem betrachten. Allerdings wäre das bereits mit Blick auf die sozialen Übertragungswege naiv. Und was wissen Naturwissenschaften über die Nöte des Homeschooling, über den Alltag in Pflegeheimen, über drohende Insolvenz, Suizidgefahren, Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit? Hier sind andere Disziplinen gefragt, etwa die frühkindliche Pädagogik, die Soziologie, Psychologie oder Sozialarbeitswissenschaft. Die aber werden noch immer kaum gehört, weil ihre Kritik dem szientistischen Mainstream als „unwissenschaftlich“ gilt. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar behauptete jüngst: „Virologen haben keine Meinung, die haben Fakten.“ Tatsächlich aber haben auch die Naturwissenschaften keine „Fakten“. Sie mögen Tonnen an Daten sammeln, kommen aber auch nur zu Theorien über jene Fakten, die mit anderen Theorien konkurrieren. Es wirkt sympathisch, wenn naturwissenschaftliches Spitzenpersonal bisweilen im Clinch liegt oder sich als „fallibilistisch“ im Sinne Poppers gibt. Selten aber geht die Selbstkritik bis zum Eingeständnis ihrer herrschaftssichernden Rolle.
Traditionell sollen die Wissenschaften von der Angst vor Naturgewalten befreien. Nun aber kommen heftige Panikimpulse direkt aus diesen Disziplinen. Das ist nicht unbeabsichtigt: Angst ist aus epidemiologischen oder auch ökologischen Gründen nützlich, wenn harte Maßnahmen durchzusetzen sind. Bekannt ist inzwischen, dass das Innenministerium im März 2020 bei namhaften Wissenschaftsinstitutionen ein Papier mit „Schockwirkung“ bestellte – und bekam. Sogleich verkündete die Kanzlerin, es würden sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung anstecken. Christian Drosten malte noch unlängst täglich 100.000 Infizierte an die Wand.
Wie sehr den gefeierten Disziplinen die politische Umarmung schmeichelt, zeigt sich, wo sie sich an die Regierung regelrecht heranschmeißen. Etwa bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina oder beim Ethikrat, der zuletzt, wie von der Regierung bestellt, „Sonderrechte“ für Geimpfte ablehnte. Zwar hört man aus den Expertenkreisen jetzt immer öfter, dass am Ende immer die Politik entscheide. Was aber, wenn diese überfordert, ja hörig ist? Niemand kann bezweifeln, dass die Politik sich Rat holen und die Wissenschaft diesen auch geben sollte. Doch mahnt der Schmusekurs von Regierung und Wissenschaft zur Vorsicht. Die Politik will Zeit gewinnen und unpopuläre Entscheidungen als alternativlos markieren. Da sollte sich Wissenschaft nicht zum Zwecke der ideologischen Akzeptanzbeschaffung funktionalisieren lassen.
Schon Habermas prognostizierte eine expertokratische „Verwissenschaftlichung der Politik“, die eine „Entpolitisierung der Masse“ bewirke. Die Demokratie schlittert in eine Routine institutionalisierter Kompetenzüberschreitung, wenn Politik und Beratung am Parlament vorbei per Notverordnung regieren. In parlamentarischen Verfahren stecken immer grundlegende Wertentscheidungen, die laut Habermas stets an das wertbehaftete Selbstverständnis der Bevölkerung zurückzubinden sind. Nehmen wir die schwerwiegende Frage nach der Impfreihenfolge: Wurde diese vor ihrer Festlegung ernsthaft diskutiert?
An die Stelle demokratischer Deliberation der politischen Frage, wie wir gemeinsam leben oder auch sterben wollen, darf nicht länger die Unterwerfung der Exekutive unter das szientistische Diktat weniger, machtpolitisch unreflektierter Naturwissenschaften treten. Umgekehrt sollten sich die gefeierten Disziplinen wieder etwas Abstand zur Macht gönnen – auch um den kritischen Wissenschaften etwas Platz zu machen, die derzeit „gesilenced“ werden. Oder will man die Kritik weiter der Querdenkerei überlassen? Es geht bei Corona nicht nur um „Naturforschung“, sondern um das Zusammenleben. Auch in dieser Hinsicht wäre es ermutigend, wenn sich die derzeit gehypten Wissenschaften als lernfähig erweisen würden.
Kommentare 178
Angela Merkel ist Chemikerin, nicht Physikerin, so viel ich weiss.
„So wird aus Wissenschaft „Ideologie“: ein Herrschaftsinstrument, das sich in unbewusster Komplizenschaft von der politischen Macht vereinnahmen lässt.“
Das ist auf die Naturwissenschaften gemünzt, nehme ich an. Von den Sozial- und Geisteswissenschaften lässt sich dasselbe sagen. Allerdings handelt es sich hier häufig um bewusste Komplizenschaft. Auftragsstudien, deren Ergebnisse die politische Marschrichtung bestätigen sollen und Handlungen notwendig machen, sind z. B. beim BMFSFJ schon seit einer ganzen Weile gang und gäbe. Deren Beispiele gäbe es noch mehr. Praktisch der gesamte Phil. 1-Bereich kämpft derzeit mit Reputationsproblemen. Insofern liest sich dieser Artikel wie eine Retourkutsche oder besser: wie ein Versuch, die Naturwissenschaften mit hinunter ins Feld der politisch motivierten Beliebigkeit zu ziehen, so nach dem Motto: Die doch auch... Die Animositäten zwischen den verschiedenen Fakultäten sind ja hinlänglich bekannt.
Was die Wissenschaftsgläubigkeit in der Coronakrise anbelangt: So exakt, wie sie sich selber immer geben, sind die Naturwissenschaften gar nicht. Andererseits hat sich meiner Ansicht nach auch ein viel zu grosser Teil einer eigentlich rein wissenschaftlichen Diskussion in die Öffentlichkeit verlagert. Das musste ja schief gehen! Hier ist die viel beschworene Wissensgesellschaft an ihre Grenzen gestossen. Ein Teil der Menschen redet plötzlich daher, wie gestandene Virologen, obwohl sie von der Materie selber eigentlich gar nichts verstehen, weil sie all die Wissenschaftsfragmente, die da tatgtäglich via Ticker an die Oberfläche gespült werden, gar nicht richtig einordnen können.
Ich glaube, es sind weniger die Naturwissenschaften, die plötzlich entzaubert dastehen, sondern vielmehr unser Verständnis davon, was sie in einer schweren Krise wie der Vorliegenden überhaupt zu leisten vermögen.
Die Natur beherrschen zu wollen ist nicht möglich, wenn man sich selbst als Bestandteil der Natur erkennt und begreift. Naturwissenschaftlich könnte man sich als Koeffizient oder Variable begreifen.
Der „Wiener Kreis“ insbesondere Ernst Topitsch bieten interessante Ansätze, die Dilemmata der Gegenwart zu analysieren, um möglicherweise die richtigen Schlussfolgerungen für tragfähige Denk und Handlungsmuster die Zukunft von Gesellschaften betreffend zu entwerfen.
https://www.springer.com/it/book/9783662231524?utm_campaign=sl-buybox_chapterPage_print&utm_medium=referral&utm_source=springerlink#otherversion=9783662231524
und
https://www.springer.com/it/book/9783709182536
was nützen alle überlegungen zum verhälnis von wissenschaftlicher arbeit
zu politischer praxis, wenn eine
populär sich dünkende "nase-voll-politik" (jetzt brandenburg beherrschend),
sich den scheinbaren, dringlichen bedürfnissen der wähler
nach "freiheit" anbequemt, die zügel schießen läßt
und sehenden auges(mit prognosen aus der statistik):
auf eine natürliche katastrophe zulaufen läßt
("zusteuert" wäre schon zuviel gesagt).
man wird, frisch frisiert, durch endlich nachgeholtes shopping ent-spannt,
zur beerdigung gehen können.
Na das ist doch mal ne schöne Überraschung. Super Artikel und nicht nur wegen Corona ein wichtiges Thema. Danke!
Mein einziger Kritikpunkt ist die Überschrift die fälschlich suggeriert, dass es auch der einen Seite die etwas beliebigen Theorien gäbe und auf der anderen reine, schöne Fakten stünden. Das nun gerade nicht!
Ich bin da in diesen Tagen sozusagen der Prototyp der inneren Zerrissenheit, weil ich eigentlich ein Kritiker nicht der Wissenschaften, sondern des Szientismus bin, andererseits denke, dass man den dümmsten Stimmen unter den Corona-Leugnern kein Futter geben sollte. Das Problem dabei ist einfach, dass sie komplexere Kritik gar nicht erst verstehen wollen, sondern lieber irgendeinen billigen politisch motivierten Propagandamüll konsumieren.
Ich möchte aber einen Punkt noch stärker betonen, weil er der wichtigste ist, den es zu verstehen gilt:
„Der Unterschied zu den Naturwissenschaften liegt gerade nicht darin, dass diese frei von parteiischen Interessen wären. Im Gegenteil ist der Glaube, nur wertfreie Fakten zu sammeln, ein häufiges Selbstmissverständnis der Naturwissenschaften. Nach Habermas folgen auch diese einem erkenntnisleitenden Interesse, nämlich demjenigen an der „Beherrschbarkeit der Natur“. Die Naturwissenschaften sollen den Menschen von der bedrohlichen Übermacht der Natur befreien und diese der menschlichen Herrschaft unterwerfen.
Doch belässt es die Naturwissenschaft nicht bei der Beherrschung der äußeren Natur. Ihr Siegeszug führt vielmehr dazu, dass auch soziale Zusammenhänge zunehmend als „Objekte“ der Forschung betrachtet werden, die es analytisch zu berechnen und technologisch zu beherrschen gilt. Das Muster der Naturbeherrschung („Wissen ist Macht“) wird auf die Beherrschung von Menschen übertragen.“ (Arnd Pollmann)
Das ist gut, aber der Clou liegt eigentlich nicht darin, dass man meint mit Wissenschaft & Technik alles beherrschen zu können oder dass es dort Interessen gibt, das auch, ja, aber wenn wir verstehen wollen, wo denn eigentlich das Problem liegt muss man an einer anderen Stelle ansetzen, bzw. diese betonen:
Es gibt k e i n e Fakten!
Da liegt der Hund begraben, wir sind es aber von klein auf gewohnt, zu glauben (und meinen irgendwann, dieser Glaube sei Wissen), es sei selbstverständlich anders. Fakten seien einfach die ungefilterte Darstellung der Dinge/der Welt/des Soseins wie sie eben sind. Vor oder jenseits aller Theorie.
Theoretisieren könne man viel, heißt es da, aber irgendwann müssen – meistens qua Messung – die Fakten auf den Tisch. Aber alles was gemessen wird, egal was, ist immer nur ein Ausschnitt von Welt. Das ist kein Fehler, darin liegt der Wert des Messens, einen isolierten und möglichst wenig beeinflussten Bereich zu haben.
Lebenswelt ist aber immer ein beeinflusster Bereich, der einfach überall aus mal stärkeren, mal schwächeren Wechselwirkungen besteht. Mit Messungen, bestimmten Versuchsanordnungen und Laborbedingungen versucht man diesen Effekt der Wechselwirkungen klein zu halten, um Erkenntnisse über die Relevanz bestimmter Einflussgrößen zu bekommen. Das ist ein hochgradig künstlicher Akt – in Teilen erfolgreich und völlig berechtigt – nur produziert er mit viel Aufwand eben erst, was er dann als Normalfall auf die Lebenswelt zurück übertragen will.
Dieses notwendige Herausgreifen von etwas aus einem Ganzen, dieser künstliche Akt, zeigt aber gerade nicht, wie die Dinge wirklich sind, sondern was man findet, wenn man 50 komplizierte und präzise Arbeitsschritte unternommen hat.
„Man kann das Virus rein als naturwissenschaftliches Problem betrachten.“
Nee, das gerade nicht. Also ein Virus schon, klar, aber das Infektionsgeschehen in einer Bevölkerung ist anders, als im Reagenzglas oder genoptimierten Labormäusen, bei stabilen Bedingungen und auch die immer populäreren Computermodelle berücksichtigen ja nur die Daten, mit denen sie gefüttert werden. Sie können dabei dann natürlich alle möglichen Varianten durchrechnen, aber wenn wir irgendwann 850 Modelle haben, bleibt die Qual der Wahl am Menschen hängen.
Aber selbst das Virus. Was wäre eine naturwissenschaftliche Betrachtung? Die evolutionsbiologische, also wie Viren entstanden sind, die dann systematisiert wird, in einzelne Stämme usw, Oder eine mikro- oder molekularbiologische, die uns die Funktionsweise vor Augen führt und uns die Steckbriefe der Virusmutationen erstellt oder den Mechanismus erläutert, wie dieses Virus in unseren Körper gelangt? Oder epidemiologisch, wenn man hochrechnet, wie Viren sich ausbreiten und wie und wodurch das ggf. beeinflusst werden kann? Usw.
'Die Naturwissenschaften', gibt es gar nicht auch nicht 'die Biologen', denn der Ethnologe für Wildhunde oder Botaniker des tropischen Waldes wird über Viren rein gar nichts zu sagen wissen und das ist auch nicht schlimm.
„Allerdings wäre das bereits mit Blick auf die sozialen Übertragungswege naiv.“
Richtig. Und hier geht es auch nicht um die Frontstellung Politik oder Wissenschaft, da es weder 'die Politik' (mit der einen Meinung aus homogenem Guss) gibt, noch die Wissenschaft, nicht mal 'die Virologen' (wie wir ein Jahr lang lernen konnten), aber eben auch nicht die Fakten, als Joker, als Rohmasse, als Insel der Reinheit, zu der man gelangen müsste und dann sei alles aufzulösen, weil man hier reines Wissen, kühle klare definitive Messwerte oder so was findet. Nein, das ist Glaube, so funktioniert es nicht.
Wissenschaft und Szientismus
Dieser implizite Glaube an eine Welt, die eigentlich nur als eine Aneinanderreihung von Tatsachen und Fakten da liegt und gehoben oder geborgen bzw, vermessen werden muss, ist der Irrtum. Das ist die Stelle in der Wissenschaft selbst in Glauben übergeht, in einen Glauben an die Meinung, wenn man nur alle Theorie abstreift (und alles Gelaber) bleibt die reine Welt an sich übrig. Dieser Glaube ist Szientismus.
Der Szientismus meint, dass Diskurse, Reden, Philosophieren, Theoretisieren nichts brächten, weil die Welt ja doch so abläuft, wie sie nun mal abläuft. Man wähnt sich überlegen, weil man meint, dass es eine reine Welt (in der reinsten Form in der Physik) gibt und der ganze Rest nur Nebenrauschen ist. Falsch daran ist viel, u.a., dass es die postulierten reinen Messwerte ohne eigene Theorie gar nicht gibt. Auch Szientisten können den theoretischen Kontext gar nicht verlassen, sie können allerdings eine Wissenslücke haben und gar nicht wissen, dass man das nicht kann. Nur wenn man mit dieser Bildungslücke ausgestattet ist, kann man überhaupt daran glauben, dass es eine reine Welt aus kleinen Fakten, die immer und für alle gleich sind, geben kann, die man dann am Ende nur noch zusammensetzen muss. Aus dieser Ecke kommen dann auch immer wieder Weltbilder, die bestimmte Reinheitsideale bedienen, die man in der Ecke zunächst gar nicht vermuten würde, zuletzt in KI-Forschung und Transhumanismus.
Wissenschaft, auch Naturwissenschaft, ist sich ihres Status als Teildisziplin bewusst. Das ist der Unterschied zum Szientismus, der immer wieder die Grenzen überschreitet und sagt, letztlich sei der Mensch doch auch nur ein Tier und von daher auch nur mit diesem Blick wirklich zu verstehen. Innerhalb des Kontextes der Wissenschaft ist es okay von Fakten zu reden, aber wenn wir einen Hund als Summe von Atomen betrachten, haben wir kein sehr viel genaueres Bild des Hundes vor uns, sondern eines, in dem der Hund gar nicht mehr zu erkennen ist. Der Wissenschaftler kennt die Grenzen seiner Disziplin. Als Privatmensch darf er natürlich jede beliebige Meinung haben und äußern. Wenn man diese Grenzen erkennt, benennt und nicht verwischt ist das kein Problem. Wichtiger ist aber, dass immer mehr mündige Bürger diese Grenzen und die gelegentlichen Versuche sie zu verwischen, erkennen.
Üben wir es also ein, dieser Artikel ist ein sehr guter Aufschlag.
Geben sie jetzt wieder den Coronadeppen? Man, man man, was für ein Schwachsinn.
ja, analytik ist d e r weg,
wenn man den tat-sächlich handlungs-leitenden konzepten
nicht den status von natur-gemäßen, alternativ-losen imperativen gibt.
aber es ist ein weg, der wohl-versorgt ist mit:
gleit-mitteln.
"Spätestens jetzt sind wir zurück in der Gegenwart. Wenn Virologie und Epidemiologie behaupten, bloß Fakten zu liefern, erhalten sie einen schönen Schein aufrecht, der blind für ihre Verstrickung in Herrschaftsregime macht."
So dankenswert die Erinnerung des Autors an den Streit zwischen dem Kritischen Rationalismus und der Frankfurter Schule sind, so problematisch finde ich es, dass er mit seinen Gedanken komplett bei den Metalehren der Philosophien verbleibt (zwei Lehren)) und sich wenig Gedanken über die eigentliche Medizin (Forschung und Theorien) selbst macht.
Alle modernen Leitlinien der medizinischen Forschung und Lehre verpflichten sich heute der evidenzbasierten Medizin und / oder der wissenschaftsorientierten Medizin . Bestes Beispiel dafür sind die Corona-Impfungen, wo es kompetente Statistiker und Mathematiker braucht, welche die Schutzwirkung und Nebenwirkungen empirisch-statistisch dokumentieren. Die Ergebnisse werden in Fachzeitschriften dokumentiert und die Rohdaten von X-Zulassungskomissionen geprüft. Progressive Mediziner erheben zusätzlich die Forderung nach einer kompletten Veröffentlichung der Rohdaten (Open Source) und manche progresssive Parteien nach einer Freigabe der Patente für eine staatliche Impfproduktion, um die schnelle Versorgung zu gewährleisten. Mit solchen Regularien sollen subjektive Fehler wie Herrschaftseinflüsse der Pharmakonzere auf Ergebnisse eingeschränkt werden, d.h. durch offene, kritische, breit-gesellschaftliche, gegebenfalls kontroverse fachspezifische Wissenschaftlichkeit und nicht wie der Artikelautor meint, durch weniger Naturwissenschaftlichkeit und Empirie oder alternativ Herrschaftskritik an der Corona-Impfung. Kritik an der evidenzbasierten Medizin kommt vor allem von Seiten der Homöpathie und esoterischen Lehren mit Placebo Effekten.
Ein weiterer Irrtum des Autors besteht meiner Ansicht nach darin, die Pandemie vorrangig als "soziale Krise" zu definieren, während sie in Wirklichkeit zunächst eine medizinisch-gesundheitliche Katastrophe darstellt (die viele Tote weltweit fordert), aus der im Umgang damit erst eine soziale Krise erwachsen kann. Die Gesellschaft kann froh sein, wenn Virologen und Epidemiologen (Forscher) der Gesellschaft eben Empfehlungen aufgrund von empirischen Studien abgeben, welche die wissenschaftliche Community überprüft. In welchem Masse dann neben dem Wert des Erhalts von Leben und der Vermeidung von Krankheit andere Werte wie Freiheitsrechte und sozialpolitische Anliegen bei den Pandemie-Entscheidungen berücksichtigt werden, sind dann natürlich gesamtgesellschaftliche, politische Entscheidungen, die in Westeuropa, USA, Brasilien, Australien oder Neuseeland, China offensichtlich unterschiedlich gelöst wurden. Deswegen sind aber die jeweiligen fachspezifischen Erkenntnisse der Virologen und Epidemiologen und die empirische, evidenzbasierte Auswertungen nicht weniger zutreffend, signifikant, wahr.
Tatsächlich bezahlt die Gesellschaft die medizinische Forschung zum grossen Teil auch aus öffentlichen Mitteln und der Anteil an den Gesundheitsausgaben im Bruttosozialprodukt wuchs in den Industrieländern kontinuierlich, was in erster Linie aufgrund der hohen Arbeitsproduktivität möglich ist. Davon kommt in den Nicht-Industrieländern viel zu wenig an. Das wäre meiner Ansicht nach eine der zentralen modernen Herrschaftsfragen, für eine gerechte weltweite Verteilung der Gesundheitsressourcen zu sorgen.
puh! gottseidank nix bedenkenswertes.
eine argumentative äußerung von Ihrer seite hätte mich überrascht!
„So exakt, wie sie sich selber immer geben, sind die Naturwissenschaften gar nicht.“
Doch, exakt sind sie bisweilen schon, aber das ist nicht der Punkt. Dass aus Exaktheit ein Fetisch gemacht wird, ist das Problem. Die Exaktheit ist immer dadurch erkauft, dass sie einen Teilausschnitt bildet.
In der Folge hört man dann solche Behauptungen wie die, dass es 'Rot' eigentlich gar nicht gäbe, viel mehr seien das elektromagnetische Wellen oder dass es 'Liebe' nicht gäbe, da diese in Wahrheit ein Ausstoß bestimmter Neurotransmitter darstelle.
Das wirkt schon für unser Alltagsverständnis schräg, um tiefer zu verstehen, warum es tatsächlich falsch ist, muss man die unterschiedliche Reichweite oder den Umfang von Begriffen untersuchen.
Also: Was ist eigentlich gemeint, wenn wir hier, da und dort, von Liebe reden? Wenn man den Begriff [Liebe] und den Begriff [Ausstoß, einer Mischung von Neurotransmittern in einen Organismus] (seit Frege wissen wir, dass ein Begriff mehrere Wörter beinhalten kann) in allen Kontexten umstandslos und nicht sinnentstellend ersetzen kann, sind die Begriffe inhaltlich identisch. Sind sie es nicht, redet man schlicht nicht von der selben Sache, egal wie exakt die eigene Beschreibung auch ist.
"Angela Merkel ist Chemikerin, nicht Physikerin, so viel ich weiss."
Angelika Merkel studierte Physik, forschte im Bereich physikalische Chemie (Dissertation) bzw. in Abteilungen zur Theoretischen Chemie.
es gibt eine homologie zwischen wissenschaft und politik:
die ziele von beherrschung und nutzung von noch unzureichend-erkannten
bewegungs-gesetzen und -kräften.
die mögliche isolierung von "verunreinigungen" aus naturwissenschaftl.
experimentalen laboratoriums-konstellationen
läßt wissenschaft "reiner" erscheinen, in der politik herrscht oft:
überdetermination.
„So dankenswert die Erinnerung des Autors an den Streit zwischen dem Kritischen Rationalismus und der Frankfurter Schule sind, so problematisch finde ich es, dass er mit seinen Gedanken komplett bei den Metalehren der Philosophien verbleibt (zwei Lehren)) und sich wenig Gedanken über die eigentliche Medizin (Forschung und Theorien) selbst macht.
Alle modernen Leitlinien der medizinischen Forschung und Lehre verpflichten sich heute der evidenzbasierten Medizin und / oder der wissenschaftsorientierten Medizin . Bestes Beispiel dafür sind die Corona-Impfungen, wo es kompetente Statistiker und Mathematiker braucht, welche die Schutzwirkung und Nebenwirkungen empirisch-statistisch dokumentieren. Die Ergebnisse werden in Fachzeitschriften dokumentiert und die Rohdaten von X-Zulassungskomissionen geprüft.“
Das sehe ich allerdings genau anders herum, da die wiederholte Anwendung von Methoden aus dem Kontext des üblichen Besteckkastens der Naturwissenschaften (die sich ja immer schon der Mathematik und Statistik bedient hat) gerade nicht dazu führt, zu verstehen, wo hier überhaupt das Problem liegen könnte.
Sie sind doch Psychologe. Methoden zu kennen ist gut, aber in der Psychotherapie ja gerade in dem Sinne, dass man – gegen das Klischee – nicht normiert und zum funktionierenden Objekt wird, sondern im guten Fall in die Freiheit des reflexiven und selbstbestimmten Ichs entlassen wird. Was die szientistisch angehauchte Verwissenschaftlichung in der Psychotherapie angerichtet hat, daran kann man ja mal erinnern, da ich selbst Kernberg-Fan bin, bin ich auf der anderen Seite natürlich nicht abgeneigt psychodynamische Ansätze mit der Wissenschaft und ihren Methoden zu vereinen, aber zwischen Skinner und Kernberg liegen nun mal Welten.
Aber zum Artikel. Noch in die besten Ansätze ist viel ungesehener Funktionalismus eingewoben, können wir gerne vertiefen, weil es für alle Seiten lehrreich ist.
Die Naturwissenschaften sind - anders als die Soziologie und andere Geisteswissenschaften - exakte Wissenschaften. Ihre mathematische Modelle beruhen auf experimentelle Nachweise. (Poper)Die Pandemie ist sehr sehr einfach zu verstehen. Wir haben ein gefährliches Virus, gegen das nur flächendeckende Impfung (die zur Herdenimmunität führen muß) hilft. Die Verbreitung des Virus wird durch Quarantänemaßnahmen, wie wir sie aus den Zeiten der Pest kennen, eingedämmt. In den westlichen Ländern sind diese freiheiteinschränkenden Maßnahmen zum Gesundheitsschutz ineffizient, weil sie inkonsequent umgesetzt werden. Ergebnis, die Pandemie geht weiter und weiter, endlos.....
Das ist sehr unschön und deshalb wird den Überbringern der schlechten Nachricht, also Virologen, Epidemiologen, etc. die Schuld an der nicht zu kontrollierten Pandemie gegeben. Ein uralter Reflex, sehr primitiv.
Wären die Gesundheitsschutzmaßnahmen konsequent umgesetzt worden, hätte man den Impfschutz radikal vorangetrieben, könnte man auch hierzulande wieder das (sinnlose) Oktoberfest feiern.....
Ja, ich habe da etwas verwelchsert ;-)
Sicher können wir Theorien über die menschliche Individualität, die Psyche und das menschliche Verhalten von Pawlow, Skinner, Beck, Meichenbaum, Freud, Jung, Reich, Kernberg, Satir, Richter, Holzkamp und vielen andere in einen Zusammenhang mit der Entwicklung der Ideologien unserer modernen Gesellschaft und auch die der Entwicklung der Produktivkräfte stellen, sie davon ableiten und die Untersuchungen fördern manch Interessantes zutage. Ich lese solche wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten sehr gerne, empfinde sie als bereichernd und möchte sie nicht missen.
Die Epidemiologie beschäftigt sich nun gerade im Kern aber mit den Häufigkeiten von Erkrankungen (den Inzidenzen) und der Prävalenz, sie ist quasi empirische Statistik und Methodenlehre per se auf der Basis von (theoretischen) Krankheitsdefinitionen, die fraglos neben der naturwissenschaftlichen Forschung auch von gesellschaftlichen Interessen und Ideologien, vor allem bei psychischen Erkrankungen, beeinflusst und geleitet werden (siehe ICD). Über das Virus Sars-Cov-2 sind allerdings heute, was die Verbreitung, Erkrankungen, Sterblichkeit betrifft, die relevanten Daten bekannt, weil noch nie soviel empirisch geforscht wurde wie zu diesem Virus. Es handelt sich dabei um einzelne Tatsachen, die nachweislich wahr, im Rahmen einer allgemeinen Theorie über virologische Infektionserkrankungen.
Und in der evidenzbasierten Medizin kann die Theorie die einzelnen Kausalitäten oft (noch) gar nicht detailliert erklären. Die Gesellschaften verlassen sich auf den Nachweis der Signifikanz von bestimmten Zusammenhängen wie bei den Impfungen und Medikamenten. Selbst der Vatikan tut das, sogar wenn geklonte Zellen aus Abtreibungsföten bei der Impfstoffentwicklung verwendet wurden:
"Wenn ethisch einwandfreie Impfstoffe gegen Covid-19 nicht verfügbar seien, sei es akzeptabel, eine Impfung zu erhalten, bei der Zelllinien abgetriebener Föten für die Forschung und Entwicklung der Stoffe verwendet worden seien, schrieb die Glaubenskongregation des Heiligen Stuhls am Montag.
Man urteile nicht über die Effizienz oder Sicherheit der Impfstoffe, da dafür etwa biomedizinische Forscher verantwortlich seien." https://religion.orf.at/stories/3203682/
Mir würde es allerdings zu weit gehen, im Rahmen eines kurzgefassten Kommentars auf Empirie-Praxis-Theorie-Ideologie Fragen aus erkenntnistheoretischer Sicht einzugehen. Ich bleibe da Pragmatiker.
Ich habe die Lektüre dieses hier völlig unpassenden Artikels nach der Hälfte abgebrochen. Die Politik in Deutschland folgt nicht der Wissenschaft. Weder bzgl. der Klimakrise, noch bzgl. Coronamanagement. Mit Abstrichen hätte man diese These für den ersten Lockdown vor einem Jahr vertreten können. Aber mittlerweile hat doch die Dummheit hier fast auf ganzer Linie gesiegt. Neuester Schildbürgerstreich: Brandenburg will die "Notbremse" gegen Corona erst ab einer Inzidenz von 200 (statt 100) anwenden.
Ja, ganz gut erklärt. Trotzdem möchte ich den Blick etwas modifizieren.
„Es gibt k e i n e Fakten!“
So möchte ich das nicht formulieren, tatsächlich läßt sich, was Du in Deinem Kommentar sagst, nicht in diese Bemerkung zusammenfassen. Nehmen wir den Tod. Es gibt selbstverständlich und sogar relevante Unterschiede in der Definition des exakten Todeszeitpunkts, und es gibt die auch nicht absolut bestimmbare Differenz zwischen Re- und Nichtreanimierbarkeit. Aber jenseits dieser Feinbestimmung gibt es den Fakt Tod. Und im Feinbereich kann man noch einigermaßen verläßlich angeben, wie wahrscheinlich es ist, mit der Reanimation Erfolg zu haben. In diesem Sinn gibt es r e i n e Fakten. Und in diesem Sinn gibt es in den Naturwissenschaften Fakten, die von der subjektiven Betrachtung unabhängig sind. Und das erklärt den Begriff Naturwissenschaft. Eine Naturwissenschaft betrachtet die Welt unter der Form des Objekts, stellt Zusammenhänge her, die sich nicht unter subjektiven Perspektiven ändern. Das definiert den Bereich, in dem naturwissenschaftliches Denken/Wissen bis auf genauere, tiefere Einsichten als objektive Erkenntnis anzuerkennen, nicht zu kritisieren ist. Nun ist allerdings der Begriff „objektive Erkenntnis“ eine c.i.a., denn Erkenntnis ist immer Erkenntnis eines Subjekts, dies ist eine meist unerkannte Aporie, wir müssen objektive Erkenntnis als quasiobjektiv unterstellen. Bevor es Leben gab, war die Welt eine reine Objektwelt. Aber nur ein Gott hätte diese objektive Wahrheit erfassen können. Und seit es Leben gibt, ist die Welt keine reine Objektwelt mehr. Eine reine Objektwelt existiert also nicht von den zwei Seiten aus, vom Objekt und vom Subjekt. Das ist das große, immer noch bei vielen Naturwissenschaftlern anzutreffende Selbstmißverständnis, daß die Welt sich objektiv, gar vollständig objektiv erfassen ließe. Die Welt ist ein subjektvermitteltes Ganzes, wollen wir sie verstehen, wozu wir durch unsere Reflexionsfähigkeit prinzipiell, aber auch prinzipiell unvollständig in der Lage sind, müssen wir sie unter der Form des Objekts und unter der Form des Subjekts betrachten. Als eine Welt der Fakten und als eine Welt der Bedeutungen. Das eine kann eine bedeutungslose absolute Wahrheit beanspruchen, das andere perspektivenabhängige subjektive Wahrheiten, die es immer nur im wettstreitenden Plural gibt. Philosophisch ist der Positivismus Unsinn, nicht aber die vom Subjekt abstrahierende Naturwissenschaft, die sich dieser entsubstantialisierenden Beschränkung ihrer Sicht bewußt ist.
Der Gegensatz ist hier der von Natur- und Geisteswissenschaft, also von allgemeingültiger und bedingter Wahrheit. Das ist etwas anderes als der von Wissenschaft und Politik. Wo die Geisteswissenschaft bedingte Wahrheiten liefert, also eine Pluralität wählbarer Formen, die wahrscheinlichkeitstheoretisch in einer Prioritätenliste vorgelegt werden könnten und so eine wahrheitsgeleitete Entscheidung nahelegen - würde man das nicht nur interkommunikativ verbindlich machen, sondern oktroyieren, hätten wir eine wissenschaftlich begründete Diktatur der Wahrheit -, da setzt Politik das Subjekt an die Spitze, den subjektiven Voluntarismus, in der Demokratie ist das der Mehrheitswille des Volkes. Aber die soziale Vernunft reicht meistens, einen Kompromiß einzugehen zwischen unseren subjektiven Wünschen und dem, was uns die Vernunft gebietet. Dann sind Politiker bereit, auf Wissenschaftler zu hören und deren Votum in Erwägung zu ziehen, und umgekehrt überläßt die Wissenschaft die endgültige Entscheidung den politischen Institutionen.
Dieses Ideal ist leider erst möglich in einer postkapitalistischen Gesellschaft, denn im Kapitalismus ist das Volk unter ideologischem Einfluß und die Politik wird lobbyistisch von Wirtschaftsinteressen okkupiert.
Übrigens, ich begann damit, daß der Tod als ein Fakt zu verstehen ist. Im Fall von Krankheit ist das schon sehr viel schwieriger zu vereindeutigen bzw objektivieren.
„die mögliche isolierung von "verunreinigungen" aus naturwissenschaftl.
experimentalen laboratoriums-konstellationen
läßt wissenschaft "reiner" erscheinen, in der politik herrscht oft:
überdetermination.“
Ja, das sind einfach zwei Paar Schuhe. Weiß ja im Grunde auch jeder, dass die Wissenschaft gute Erkenntnisse aus ihrem jeweiligen Fachbereich liefern sollte, damit die Politik auf ihrer Basis und in der Abwägung anderer ebenfalls bedeutenden Komponenten Entscheidungen treffen kann. Es trifft also maximale Tiefe, auch maximale Breite.
Natürlich liegt es im Rahmen des Ermessensspielraums der Politik, bestimmte Bereiche stärker als andere zu gewichten, eben je nach Lage der Dinge. Dass die Politik notorisch korrupt ist und die Wissenschaft es oft zu werden droht, darf uns nicht gefallen, aber die Stimmung ist inzwischen wirklich so, dass immer mehr abwinken, was im Grunde gut ist, damit es genau jetzt weiter auf die Nüßlein gibt.
„Über das Virus Sars-Cov-2 sind allerdings heute, was die Verbreitung, Erkrankungen, Sterblichkeit betrifft, die relevanten Daten bekannt, weil noch nie soviel empirisch geforscht wurde wie zu diesem Virus. Es handelt sich dabei um einzelne Tatsachen, die nachweislich wahr [sind], im Rahmen einer allgemeinen Theorie über virologische Infektionserkrankungen.“
Klar, aber Wissenschaftstheorie ist auch psychologische Konzepte sind keine Altherrendebatten von irgendwie historischem Interesse, oder wenn man gewisse Neigungen hat.
Ich schrieb ja, dass man in einem gewissen Kontext ruhig von Fakten und Tatsachen sprechen kann, aber das sollte einen dann nicht in jedem Einzelfall immer wieder dauerberuhrigen, denn die Kluft zwischen dem was man weiß, nicht weiß und was funktioniert ist ja da und erklärungsbedürftig, weil 'Hauptsache es klappt' eben der theoretische Schlafwagen ist, der aber, da Theorie und Praxis eben nicht getrennt sind, den Funktionalismus in all seinen Facetten, darunter auch jenen, die im Freitag immer wieder kritisch adressiert werden, befördert.
Das ist ja die Botschaft von Habermas, die zwar aus 1968 stammt, aber – schlimm genug – keinesfalls antiquiert ist.
„Mir würde es allerdings zu weit gehen, im Rahmen eines kurzgefassten Kommentars auf Empirie-Praxis-Theorie-Ideologie Fragen aus erkenntnistheoretischer Sicht einzugehen. Ich bleibe da Pragmatiker.“
Pragmatismus und gesunder Menschenverstand schließen ja keine theoretische Genauigkeit aus und wenn es als gesetzt gilt, dass alles was man machen kann, sowieso gemacht wird, ist das ein Pragmatismus der sich seiner gesellschafltichen Verantwortung nicht stellt, da machen sich die Forscher als Naturwissenschaft und Technik auch gerne mal einen schlanken Fuß und das Thema hier ist ja nun mal Szientismus und das Corona-Management ein Seitenaspekt davon, nicht umgekehrt.
Objektivität kann man nur heucheln, habe ich einmal irgendwo gelesen. Bekannter: Es gibt keine Tatsachen, nur Interpretationen. Oder ganz einfach: Das Wissen von heute ist der Irrtum von morgen.
Du schreibst es selbst: Der Szientismus ist das Problem. Und unsere Vorstellung von Wissenschaft, die immerzu Lösungen parat halten und möglichst sofort alles aufklären soll. Es ist wie im Artikel beschrieben: Wir haben uns zu stark daran gewöhnt, mittels Wissenschaft die Natur im Zaum halten zu können. Machbarkeitswahn.
Liebe? Die Farbe Rot? Ach, das ist doch nur ein biochemischer Prozess und das andere sind Lichtwellen...
Wir sollten die Welt nicht zu stark entzaubern. Dafür ist unser Bedürfnis nach Mystik viel zu stark. Bemessen wir der Wissenschaftlichkeit zu viel Bedeutung zu, fehlt den Menschen irgendwann einmal etwas. Und dann orientieren sie sich halt anderswo. Tendenzen dazu sind ja schon seit geraumer Zeit auszumachen.
Danke für den Beitrag !
„Aber jenseits dieser Feinbestimmung gibt es den Fakt Tod.“
Klar, innerhalb eines bestimmten Kontextes und seiner Prämissen gibt es immer Fakten. Aber man muss eben sehen, dass der – immer ein ganz bestimmter – Kontext eben zwingend dazu gehört und dass die Formulierung von kontextfreien Fakten ziemlich identisch mit der Behauptung eines Blicks von Nirgendwo ist, den es aber eben nicht gibt.
Da muss man gar nicht den Tod bemühen, es gibt auch Ladenöffnungszeiten und Tomatensaucen, die sind, wie sie sind.
„Und im Feinbereich kann man noch einigermaßen verläßlich angeben, wie wahrscheinlich es ist, mit der Reanimation Erfolg zu haben. In diesem Sinn gibt es r e i n e Fakten.“
Warum bleibst Du nicht bei dem Begriff, den Du selbst gewählt hast, Wahrscheinlichkeit. Ist ja auch kein Problem damit umzugehen, wir tun das ja alle. Aber Philosophie wäre schlicht sinnlos, würde sie es dabei belassen. Dass sie es genau nimmt, ist ja gerade ihr Bonus. Und die über jeden Kontext erhabenen Fakten oder auch nur Kriterien existieren schlicht nicht, was man ganz praktisch daran sehen kann, dass wir die Diskussionen gar nicht hätten, die wir aber haben.
„Und in diesem Sinn gibt es in den Naturwissenschaften Fakten, die von der subjektiven Betrachtung unabhängig sind. Und das erklärt den Begriff Naturwissenschaft. Eine Naturwissenschaft betrachtet die Welt unter der Form des Objekts, stellt Zusammenhänge her, die sich nicht unter subjektiven Perspektiven ändern.“
Auch das ist ja nur eine Idealisierung, was man leicht daran sehen kann, dass man auch in den Naturwissenschaften alle 20 Jahre anders denkt, vielleicht mit mehreren kleinen, dann aber durchaus auch epochalen Brüchen, die ja nicht nur mehr Wissen bedeuten, sondern mitunter eine völlige Revision, die durchaus auch die Rolle der Möglichkeit eines objektiven Blicks beinhaltet.
Noch die Grundlagen der Naturwissenschaft sind ja kreíert, das wirft Heidegger ihr vor (wenn er sagt, sie denke und also definiere nicht, wie sie überhaupt zu einer Annahme kommt), vielleicht kann man sagen, dass sie das nicht muss, solange die Ergebnisse brauchbar sind, aber das ist durchaus ein gültiger Kritikpunkt, von Ludwik Fleck über Thomas Kuhn, zu Robert Brandom und auch Siri Hustvedt. So bleibt das Spiel am Ende natürlich zirkulär, was denn auch sonst? Da muss man schon den Schritt raus machen.
„Nun ist allerdings der Begriff „objektive Erkenntnis“ eine c.i.a., denn Erkenntnis ist immer Erkenntnis eines Subjekts, dies ist eine meist unerkannte Aporie, wir müssen objektive Erkenntnis als quasiobjektiv unterstellen.“
Dein einziges Problem ist, dass Dir das völlig klar ist, den meisten aber nicht. Und dieses Wissen muss eben noch ein bisschen einmassiert werden. Du sagst Objektivität sei im Grunde Intersubjektivität, aber gar nicht so wenige halten letzteren Begriff für Quatsch und meinen mit Objektivität genau das, dass man nämlich immer, wenn man nur vorurteilsfrei drauf guckt, zu bestimmten Ergebnissen kommt und kommen muss, weil die Welt eben ist, wie sie ist und es wird keinerlei Notwendigkeit gesehen, über den Rest zu diskutieren, da es zum Szientisten gehört davon auszugehen, dass seine Sicht sowieso stimmt. Das ist ja der Reflexionsmangel, der bisweilen exorbitant ist, obwohl man's bei einigen gar nicht glauben sollte.
Was meinst Du mit wie vielen Leuten ich schon diskutiert habe, die, weil sie die Planeten in der richtigen Reihenfolge kennen und die Evolutionstheorie halbwegs drauf haben, meinen, sie seien unfehlbar. Für die beginnt die Esoterik schon bei der Soziologie, alles was nicht in ein Messgerät passt läuft da unter 'Geschwurbel'. Es ist ja nicht so, dass man Dawkins laut ausgelacht hat, es gab Jahre in diesem Jahrtausend, da galt er als einer der einflussreichsten Denker weltweit, weit über sein Fachgebiet hinaus, in dem er heute nur noch selten ernst genommen wird.
„Eine reine Objektwelt existiert also nicht von den zwei Seiten aus, vom Objekt und vom Subjekt.“
Vor allem ist sie immer ein Konstrukt.
„Das ist das große, immer noch bei vielen Naturwissenschaftlern anzutreffende Selbstmißverständnis, daß die Welt sich objektiv, gar vollständig objektiv erfassen ließe.“
Klar, für Dich vielleicht einen Nebensatz wert, aber genau hier liegt den Punkt, denn es zu erläutern gilt. Natürlich gäbe es weitere, aber es ist längst nicht bei der Überzahl der Naturwissenschaftler so, dass sie das wüssten. Und der Philosoph ist aufgefordert, über die Folgen nachzudenken, die so etwas hat.
„Die Welt ist ein subjektvermitteltes Ganzes, wollen wir sie verstehen, wozu wir durch unsere Reflexionsfähigkeit prinzipiell, aber auch prinzipiell unvollständig in der Lage sind, müssen wir sie unter der Form des Objekts und unter der Form des Subjekts betrachten. Als eine Welt der Fakten und als eine Welt der Bedeutungen.“
Warum nicht als Theorie über die Welt oder Weltbild?
„Philosophisch ist der Positivismus Unsinn, nicht aber die vom Subjekt abstrahierende Naturwissenschaft, die sich dieser entsubstantialisierenden Beschränkung ihrer Sicht bewußt ist.“
Wieviel Prozent der Deutschen sind sich dessen bewusst? Also geschätzt. <5% oder doch <1% oder noch geringer?
„Der Gegensatz ist hier der von Natur- und Geisteswissenschaft, also von allgemeingültiger und bedingter Wahrheit.“
Eigentlich ja nicht mal so, weil die Methodik ja sehr ähnlich ist, die Exaktheit ist eine andere, was aber wiederum mit der Komplexität der Objekte zu tun hat.
„... da setzt Politik das Subjekt an die Spitze, den subjektiven Voluntarismus, in der Demokratie ist das der Mehrheitswille des Volkes.“
Ich will das hier nicht überstrapazieren, aber auch das sehe ich bestenfalls als Ideal. Politik kann einen gewissen Rahmen schaffen, wenn sie gut ist, aber Thema ist ja hier die Wissenschaft.
„Aber die soziale Vernunft reicht meistens, einen Kompromiß einzugehen zwischen unseren subjektiven Wünschen und dem, was uns die Vernunft gebietet. Dann sind Politiker bereit, auf Wissenschaftler zu hören und deren Votum in Erwägung zu ziehen, und umgekehrt überläßt die Wissenschaft die endgültige Entscheidung den politischen Institutionen.“Idealerweise ja.
Das schießt die Wirtschaft aber oft quer, bzw. nicht mal die Wirtschaft, der Filz und der Rekurs auf den Neoliberalismus/Kapitalismus allein ist so unterkomplex, wie es der Szientismus ist, aber beide gehen mitunter wunderbare Allianzen ein, die gar nicht so schwer zu verstehen sind.
„Dieses Ideal ist leider erst möglich in einer postkapitalistischen Gesellschaft, denn im Kapitalismus ist das Volk unter ideologischem Einfluß und die Politik wird lobbyistisch von Wirtschaftsinteressen okkupiert.“
Ich würde das als Teilaspekt sehen, aber lass uns versuchen den Szientismus zu verstehen, mit seinen Nützlichkeitsideen und wie sie unser aller Denken geprägt haben und prägen.
„Wir sollten die Welt nicht zu stark entzaubern. Dafür ist unser Bedürfnis nach Mystik viel zu stark.“
Doch, wir können das durchaus versuchen. Erkenntnis ist ein hohes Gut, nur sollten wir so ehrlich sein und sagen, dass wir an bestimmten Stellen eben nicht weiter kommen und das ist beim der engen Version des Naturalismus (das ist der Szientismus) m.E. der Fall. Schon für den Naturalismus wird es m.E. eng, weil er in meinen Augen primär darauf gebaut hat, die Welt besser als all seine Vorgänger erklären zu können und diese erklärende Kraft und das gleich an mehreren Stellen.
Der Szientismus ist sowieso Firlefanz.
Unter Mystik werden wir beide Unterschiedliches verstehen, ich sehe darin die höchste Form der Erkenntnis und gerade nicht, dass man unseren Neigungen nach netten Geschichten – die uns durchaus ausmachen – nachgibt.
„Bemessen wir der Wissenschaftlichkeit zu viel Bedeutung zu, fehlt den Menschen irgendwann einmal etwas. Und dann orientieren sie sich halt anderswo. Tendenzen dazu sind ja schon seit geraumer Zeit auszumachen.“
Wie gesagt, ich lebe da in einem Zwiespalt. Ich glaube, dass eine zu wissenschaftliche Sicht auf die Welt defizitär ist, aber da heute viele Menschen große Schwierigkeiten damit haben, sogenannte Fakten von plumpsten Fakes und dreistesten Lügen zu unterscheiden, wäre ich direkt glücklich, wenn mehr Menschen die Planeten kennen und ein wenig Evolutionstheorie, obwohl es mir sonst bei diesen Leuten kalt den Rücken runter läuft.
"Es gibt k e i n e Fakten!"
Das ist eine Frage der Interpretation bzw. der Auskleidung des Begriffs. Traditionell wird man unter einer Tatsache (aka Fakt) einen für wahr anerkannten Sachverhalt ansehen. In der Pandemiekommunikation haben wir es ersteinmal mit Daten zu tun, also mit Sachverhalten. Diese könnten zu Tatsachen werden, würde man sich die Mühe machen, sie wissenschaftlich zu verifizieren. Dafür reicht wohl gerade die Zeit nicht. Also macht man sie qua Akklamation zu Tatsachen und auf dieser wackeligen Grundlage Politik. Mit Wissenschaftlichkeit hat das m. E. n. wenig zu tun.
"Die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno und den jungen Jürgen Habermas betonte hingegen die Eigenlogik der sozialen Welt gegenüber der natürlichen"
Der Glaube an einen Unterschied zwischen sozialer und natürlicher Welt ist nicht haltbar. Menschen sind Säugetiere: Ihr Sozialverhalten beruht auf evolutionsbiologisch fassbaren Motiven und unterscheidet sich nicht grundlegend von dem Verhalten anderer Tiere. Wann überhaupt soll die "soziale" Welt die "natürliche" abgelöst haben? Würden wir eine Gruppe von überlebenden Homo habilis finden: Wäre ihr Sozialverhalten dann ein Fall für einen biologischen Verhaltensforscher oder für einen Soziologen? Und sind die Kriege verschiedener Schimpansengruppen etwa kein soziales Phänomen?
"Nach Habermas folgen auch diese einem erkenntnisleitenden Interesse, nämlich demjenigen an der „Beherrschbarkeit der Natur“."
Die Naturwissenschaft hatte in den ersten Jahrhunderten so gut wie keinen praktischen Wert. Der instrumentelle Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnisse hat sich erst im 19. Jahrhundert ergeben. Noch heute gibt es rein theoretische Gebiete, die nicht dazu beitragen, irgendetwas zu beherrschen. Ein Astrophysiker, der sich mit schwarzen Löchern beschäftigt, hat vermutlich keine Machtambitionen.
Davon abgesehen sehe ich keinen Widerspruch zwischen der Tatsache, dass Wissenschaft auf Interessen beruht und der Möglichkeit echter Erkenntnisse. Selbst wenn Wissenschaftler die Natur "beherrschen" wollen, wird das offenbar umso besser gelingen, je besser sie die Natur verstehen.
Auf ein paar Tatsachen wird man sich mit den meisten immer einigen können. Aber es geht ja um Grundsätzlicheres. Was macht etwas eigentlich zu einem Faktum oder einen Tatsache? Man muss sie behaupten, aber damit in man schon in einem normativen Spiel.
Man muss das nicht überdehnen, denn dann ist man beim radikalen Konstruktivismus (Luhmann selbst muss man hier ausnehmen), der behauptet der ontologische Status der Dinge sei vollkommen unklar und daher könne man über 'die Realität' keine Aussagen manchen, nur über eine Wirklichkeit, die wahrgenommen wird, was sich – ohne das hier auszuführen – nicht halten lässt.
Dass der Mond auch da ist, wenn ihn niemand bezeugt, davon gehe ich aus. Aber ist er deshalb ein Faktum? Was genau? Für uns? Auch für Blinde, Tiefseefische, Plankton und Schachcomputer? Sind Primzahlen Fakten?
1980 war es ein Faktum, dass der Pluto ein Planet ist, heute ist es ein Faktum, dass er keiner ist. Der Pluto hat sich nicht groß geändert.
Wenn jemand auf eine kleine Ameise einen grossen Stein fallen liesse, würde sie nicht faktisch tod sein ? Oder, ist es nicht ein Fakt, dass man mit Diamanten Glas schneiden kann ? Oder die Erdanziehung dafür sorgt, dass alles nach unten fällt ? Das wären objektive Fakten. Den Unterschied zwischen echten objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Tatsachen oder Fakten und dem Sientismus erklärt es nicht, wenn behauptet wird es gäbe keine Fakten, aber das hast Du ja auch nicht gemeint, oder ?
Die Politik ist ganz gewiss nicht überfordert. Die Politik benutzt die Wissenschaft, bzw. opportunistische Wissenschaftler, nicht umgekehrt.
Ich hatte schon vor 10 Monaten mal versucht, das zu erläutern. Der Beitrag von damals schein jetzt aktuell zu werden.
>>"Es gibt k e i n e Fakten!"<<
2+2 = 4
Der Quatsch war ja von mir.
2+2=4 ist eine schöne Antwort.
Haupt- und Nebensatz werden durch Komma getrennt.
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Was ist Fakt, was nicht? Alles? Nur das, was man zählen, wiegen, messen kann?
Was in wahren Aussagen darstellbar ist? Aber da wird es zirkulär, weil Behauptung und Verifikation zusammen fallen,
Wenn der Stein so fällt oder geformt ist, dass da eine Lücke bleibt …
Aber ich weiß, was Du meinst. Man kann das so aufziehen, dann bleiben (da Einheiten willkürlich gewählt werden) Relationen (also Beziehungen zwischen Dingen) übrig.
Ob Meter, Meile oder Elle, die Erde ist immer größer als der Mond. Aber schon die Geschwindigkeit ist das wieder so eine Sache, sie ist vom Beobachter und dessen Standort abhängig. Und mit der Zeit wird es ganz vertrackt, geht man von den Relationen des Mesokosmos, also der Alltagswelt weg.
Aber tun wir mal so, als sei das kein Problem, dann ist dieses rein physische Sosein in seinen Relationen (Druck, Härte, Erdanziehung) ja genau das, was Szientisten gelten lassen.
Gunnar Jeschke hat das erweitert. Dass 2+2=4 sind, kann man vielleicht noch naturalisieren (wobei, ist man genau, auch das nicht geht, weil dabei die Fähigkeit zum Zählen und Addieren, die man an 2 Kühen und 2 Kühen ja erst lernen soll, bereits vorausgesetzt ist, aber das versteht auch heute kaum jemand ;-) ), aber Du erinnerst Dich, die Wurzel aus -1 ist nichts, worauf man mit dem Finger zeigen kann. Ist das Ergebnis ein Fakt?
Und Erleuchtung: Fakt oder Fiktion oder einfach Hirnzustand?
„Der Beitrag von damals schein jetzt aktuell zu werden.“
Meine Antwort von damals aber auch: Dass nämlich, wer so agiert, ein Narr ist. Denn wenn sich irgendwann nichts tut, wird ratzfatz aus dem Rückenwind ein Gegenwind. Die Union war auf 40%, jetzt sind es noch 33%. Das braucht nur im 2 Wochen Takt um 1% zu fallen, dann war's das.
Dass die Union demnächst bei 45% steht, darauf würde ich zumindest keine Kiste Bier setzen.
Da muss ich jetzt mal den inneren Mathematiker auspacken.
Im Sprachspiel der Wissenschaft Mathematik ist die intuitiv wahre Aussage "2+2+=4" nicht selbstevident und bedarf des Beweises. Die formale Grundlage dafür wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts durch die Axiomatik von Guiseppe Peano geschaffen. Dass eine solche Grundlegung benötigt wird, hatte man zuvor aus der Entdeckung nichteuklidischer Geometrien gelernt.
- sie haben durchaus recht, daß z. alchemistisches, praktisch-technisches
streben nach natur-beherrschung mit den kosmologien der auf die sterne
zielenden natur-wissenschaft erstmal wenig zu tun hatte.
"die sinne konnten nur stören. idealistische philosophie,mathematik ,und
theologie waren die ergebnisse dieser geistigen produktion. es ist klar,
daß diese wissenschaft der materiellen produktion nicht als "produktivkraft"
dienen konnte, und den materiellen produzenten war sie ...
fremd und unheimlich."*
anders in der zweiten "periode, als die wissenschaft empirisch wurde"*..
die empirische naturwissenschaft wird nachträglich empirisch
und bekommt über die experimentelle verknüpfung kontakt mit den sinnen.
die gründe für die revolutionäre veränderung des weltbildes durch kopernikus
waren dem wesen nach philosophischer und ästhetischer natur.**
- sie haben durchaus unrecht, wenn sie menschliches sozial-verhalten
reduzieren auf eine verlängerung seiner biologischen anlagen.
dazu gibt es zahlreiche aussagen aus der --->"anthropologie"(wikip.)
- * otto ullrich, technik und herrschaft,s.69
- ** j.d. bernal,wissenschaft, 381
Dann sag ich auch noch was zur Faktizität von „2+2=4“.
Der Ausdruck ist reine Metaphysik, denn weder 2 noch 4 noch + noch = sind physisch real. Das ist alles menschengemacht und daher im wörtlichsten Sinne Fakt (factum). Im Unterschied zu „Gott“ allerdings bezieht es sich auf Realität, ist die äußerste Abstraktion von der realen Materialität, ist reine Formalität, muß, um an Realität gebunden zu bleiben, resubstantialisierbar sein, und drückt dann eine nicht mehr bezweifelbare formale Wahrheit aus. Mathematik und Logik sind die Gebiete des Geistes, die diese reinen Wahrheiten aussprechen, und dabei nur sagen, daß man nicht anders denken kann, ohne daß das Denken beliebig, also Unsinn wird.
In Mathematik und Logik muß man widerspruchsfrei definieren können, und dann hat man eine unbezweifelbare formale Wahrheit.
Für das Wahrheitsproblem in der Realität hat das keine unmittelbare Bedeutung. Hier kommt am schönsten zum Vorschein, daß Wahrheit und Realität (materiale Wahrheit) nicht das Gleiche sind, der mathematische und der wirkliche Fakt nicht im Begriff „Fakt“ zusammenfallen.
Michael Esfeld und Dirk Pohlmann im Gespräch zu der Thematik.
2 + 2 = 5 !
„Unter Mystik werden wir beide Unterschiedliches verstehen, ich sehe darin die höchste Form der Erkenntnis“
Also sehen wir das gleich. Als Agnostiker (für mich eine Weltanschauung) sind meine Möglichkeiten sowieso stark begrenzt. „Das Nichts nichtet.“ (Heidegger) Das ist für mich einer der klügsten, je ausformulierten Gedanken.
Ansonsten bin ich nahe am Solipsismus gebaut.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Was ist Fakt, was nicht?"
Das mit der Würde ist kein Fakt, sondern ein Desiderat. Man kann sogar argumentieren, dass das bisherige Regierungshandeln in der Corona-Krise dem nicht unbedingt entspricht.
Es gibt bestimmte Dinge, die in so guter Näherung immer wieder bestätigt werden, dass sie als Fakten bezeichnet werden können:
- das Fallgesetz
- die Beschreibung des Wasserstoffatoms durch die Schrödinger-Gleichung
- chemische Gleichgewichtskonstanten
- ein Pferd und ein Esel können zusammen Nachkommen haben, aber diese Nachkommen sind nicht fortpflanzungsfähig
Halt. Eines stimmt nicht strikt. Das letzte. Da gibt es seltene Ausnahmen.
Allgemein wird es umso weniger faktisch, je komplexer die Dinge sind.
Und alles, was menschliche Tätigkeiten betrifft (die ganze Soziologie) ist nicht faktisch, weil die Erkenntnis bisheriger Gesetzmässigkeiten zu Verhaltensänderungen führen kann, die diese Gesetzmässigkeiten ausser Kraft setzen.
Kurz: Alle Gesellschafts- und Geisteswissenschaften kennen keine (unverrückbaren) Fakten. Daraus resultiert bei schwächeren Vertretern der "Physikneid", den einige verbohrtere TypInnen so weit ausleben, dass sie behaupten, es gäbe auch in den Naturwissenschaften keine Fakten.
Was richtig ist: Aus naturwissenschaftlichen Fakten folgt n i e m a l s eine alternativlose Politik. Politik hat immer subjektiven Entscheidungsspielraum.
"Dass nämlich, wer so agiert, ein Narr ist."
Da haben Sie schon Recht. Ich hatte nur damals den Eindruck, Sie würden meinen, dass wir nicht von Narren regiert werden.
"ist die intuitiv wahre Aussage "2+2+=4" nicht selbstevident"
Wenn Sie 100%ige Sicherheit wollen, brauchen Sie tatsächlich eine Axiomatik. Ein experimenteller Naturwissenschaftler (mein innerer Mathematiker existiert, aber ich habe mich mit 17 entschieden, ihn drinnen zu lassen) betrachtet als einen Fakt, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wahr ist. Es scheint noch nie jemandem passiert sein, dass er zwei 2-Eurostücke hatte und das waren nicht 4 Euro.
Was nun die politische Anwendung betrifft, so sind dort die subjektiven Spielräume und die Unsicherheiten bezüglich menschlichen Verhaltens so gross, dass naturwissenschaftliche Ergebnisse in diesem Kontext als Fakten gelten dürfen - sie sind einfach sehr viel bessere Näherungen. Ihre Verwendung als Fakten erhöht die Gesamtunsicherheit nicht signifikant.
Es gibt da nur einen Haken. Diese Ergebnisse müssen mit einer validen Methodik erhalten worden sein und man muss ihre Unsicherheit abschätzen können.
Um diesen Punkt drückt sich der Artikel oben herum. Das ist aber genau der Punkt, der bei grossen Teilen der Covid-19-Wissenschaft nicht gegeben ist. Leute ziehen Schlussfolgerungen, die man aus den Daten nicht ziehen kann, die sie haben und gehen damit an die Öffentlichkeit. Die Politik greift sich aus so geschaffenen bunten Durcheinander schlechter Wissenschaft das heraus, was ihr gerade in den Kram passt.
Kein Narr:
Die europäischen Regierungen wollen die gesamte Bevölkerung gegen das Corona-Virus impfen. Aber was ist mit denen, die bereits immun sind? Macht bei denen eine Impfung überhaupt Sinn? Und wie viele sind bereits immun?
Ein Gespräch mit dem Arzt und Wissenschaftler Dr.Dr. Christian Fiala über natürliche und künstliche Immunität, unser Kunstwerk Immunsystem und medizinische Vernunft:
https://odysee.com/@Punkt.PRERADOVIC:f/210309_FIALA:f
Ja.
"Don't think. You don't need to think."
Ich kannte diesen Kurzfilm tatsächlich noch nicht.
Die verlinkte Grafik über die Inzidenzen pro Altersgruppe zeigt die Wirkung der bisherigen Impfungen bei den > 80 jährigen.
Inzidenz nach Altersgruppe
Die Todesfälle nach Impfung sind in den USA seit Jahresbeginn um das Fünfzigfache gestiegen
Studie mit einem Medikament gegen “erwartete” schwere Corona-Impfschäden angemeldet
Da möchte ich mir etwas Zeit nehmen, weil ich etwas ausführlicher antworten will. Vermutlich heute Abend.
„Kurz: Alle Gesellschafts- und Geisteswissenschaften kennen keine (unverrückbaren) Fakten. Daraus resultiert bei schwächeren Vertretern der "Physikneid", den einige verbohrtere TypInnen so weit ausleben, dass sie behaupten, es gäbe auch in den Naturwissenschaften keine Fakten.
Was richtig ist: Aus naturwissenschaftlichen Fakten folgt n i e m a l s eine alternativlose Politik. Politik hat immer subjektiven Entscheidungsspielraum.“
Der Kommentar ist ganz aus dem Geiste des Szientismus geschrieben, der in Artikel kritisiert wird.
Es ist die Kombination aus hoher Exaktheit, bei geringer Komplexität für de Naturwissenschaften mit einem graduellen Übergang zur Kombination von geringerer Exaktheit, bei hoher Komplexität bei Sozial- und Geisteswissenschaften.
Die Frage was Fakten sind, ist gar keine wissenschaftliche, sondern philosophisch, die ist auch keine Geisteswissenschaft.
Och, das würde ich so nicht sagen, nur nicht bezogen auf Corona.
Den Bonus bzgl des Neuen habe ich auch gegeben, wie die meisten anderen. Angesichts des Umgangs mit der zweiten Welle, sinkt mein Zuspruch Woche für Woche, auch da bin ich aber nicht originell, er sinkt ja bei allen. Das war mein Argument: Wer die Zahlen vermeintlich künstlich aufdonnert, zahlt dafür die Zeche, wenn er nicht auch die Lösung präsentiert.
"Wenn Virologie und Epidemiologie behaupten, bloß Fakten zu liefern, erhalten sie einen schönen Schein aufrecht, der blind für ihre Verstrickung in Herrschaftsregime macht. Diese Verstrickung ergibt sich nicht erst durch die neue Nähe von Wissenschaftsprominenz und politischen Schaltzentralen, sondern „a priori“: Die individuelle Forscherperson ist mit ihrem erkenntnisleitenden Interesse an Naturbeherrschung unvermeidlich Agentin dieser Herrschaft und kann sich deshalb nicht von dieser ausnehmen."
Den individuellen Forscher "a priori" als unvermeidlichen Agenten von Herrschaft zu bezeichnen, halte ich für undifferenzierten Unsinn. Ich frage mich, wie der Autor damit z.B. den Wandel vom heliozentrischen zum kopernikanischen Weltbild erklären will, den Wandel von Hipparch, Aristoteles über Galileo, Kopernikus bis zu den empirischen und mathematischen Beweisen von Kepler (Keplersche Gesetze). Kopernikus z.B. arbeitete als Domherr, Arzt und politischer Administrator und er gehörte selbst zur damaligen Herrschaft. Er publizierte sein Buch "De revolutionibus orbium coelestium", weil er seinen eigenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Überlegungen mehr Vertraute als der kirchlichen Lehre und den Lehren der weltlichen Herrschschaften in dieser astronomischen Frage. Die Kirchen und Herrschaften taten zu Kopernikus Lebzeiten seine Darlegungen über die Umlaufbahnen der Planeten / Sonne mehr oder weniger als "Hirngespinst" ab und ignorierten sie mehr oder weniger. Als Buch war seine Theorie aber anderen Gelehrten zugänglich.
Kepler als Mathematiker an den Universitäten entdeckte dann zur Theorie von Kopernikus anhand empirischer Beobachtungen die Gesetzmässigkeiten der Planetenlaufbahnen (Kepler-Gesetze), die eine exaktere Theorie ermöglichten mit einer besseren Wirklichkeitsübereinstimmung. Kepler arbeitete schon wissenschaftlich spezialisiert im Vergleich zu Kopernikus als Mathematiker an Hochschulen. (wissenschaftliche Arbeitsteilung). Er erlebte familiär die Unterdrückung durch die damalige Herrschaft nicht wegen seiner Astronomie-Entdeckungen, sondern weil seine Mutter mehrere Jahre wegen Hexenanklage im Kerker mit Folter festgehalten wurde und ihr der Tod drohte. Erst die Gesetze von Kepler auf Basis der empirischen Beobachtungen der Planeten machten das Kopernikus Weltbild unumstösslich und änderten mit der Zeit das kirchliche und staatliche Weltbild.
Dem stimme ich weitgehend zu, das ist gut zusammengefaßt. Mein Einwand betrifft nur den Punkt: „Allgemein wird es umso weniger faktisch, je komplexer die Dinge sind.“ Denn es ist nicht die Komplexität selbst, die Faktizität von Possibilität trennt. Man macht ja den Unterschied von Kompliziertheit und Komplexität, um zu differenzieren zwischen reduzibler und irreduzibler Vielheit. Eine komplexe Einheit ist mehr als die Summe ihrer Konstituentien, wird also zerstört, vernichtet, wenn sie in Teile zerlegt wird. Eine Maschine kann zerlegt und wieder zusammengebaut werden, sie ist vielleicht kompliziert, aber nicht komplex. Das geht bei Leben nicht. Komplexität ist die Bedingung für die Entstehung von etwas ganz Neuem, Emergenz. Aber insofern das Neue zeitlich stabil ist, ist es als eine neue Stufe der Faktizität aufzufassen. Vielleicht wäre es deutlicher, man unterschiede Material- von Lebenswissenschaften statt Natur- von Geisteswissenschaften, oder Objekt- von Subjektwissenschaften, die wesentliche Differenz ist die Notwendigkeit, den Determinismus aufzugeben (wohlgemerkt gehört der Probabilismus zum Determinismus, ein statistischer Determinismus). Wenn das richtig ist, gibt es auf der Geist-/Subjektebene durchaus Faktizität, einen mehr oder weniger starken Determinismus. Dem spürt die naturwissenschaftliche Geisteswissenschaft nach resp kann man so von naturwissenschaftlicher Psychologie, Soziologie usw reden. Der positivistische Fehler in solchen Wissenschaften liegt darin, daß sie ihr Arbeitsfeld für auf Naturwissenschaft reduzibel halten. Das schönste Beispiel dafür aus jüngerer Zeit war die materialistische Hirnphysiologie, die meinte, Denken auf chemophysikalische Naturzusammenhänge zurückführen zu können. Denken ist kreativ, es ändert die Welt, setzt den mechanischen Determinismus außer Kraft, dazu hat es sich evolutiv entwickelt. Daher muß man den naturwissenschaftlichen Determinismus, besser Quasideterminismus, von dem selbstorganisierenden Subjektivismus (Voluntarismus) unterscheiden, den Faktenraum vom Möglichkeitsraum, eben Natur- von Geisteswissenschaft.
Mit dieser Präzisierung ist das weitere, was Sie schreiben, durchaus richtig, auch der Schlußsatz „ Politik hat immer subjektiven Entscheidungsspielraum.“ Dieser Satz ergibt sich schon aus der Definition von Politik. Aber er darf auch nicht mißverstanden werden. Nicht alles steht zur Disposition (es ist keineswegs so, daß es keine Fakten im menschlichen Bereich gäbe). Als einfaches Beispiel hier nur der Hinweis, daß die Erkenntnis der Homosexualität als eines biologischen Fakts verbietet, sie politisch zu unterdrücken, denn das wäre inhuman. Was nicht bedeutet, daß man sie nicht kulturell einbinden kann.
„Wenn Sie 100%ige Sicherheit wollen, brauchen Sie tatsächlich eine Axiomatik.“ - Das ist der Unterschied von formal und inhaltlich. Das inhaltliche Denken ist immer (Realität) interpretierendes Denken.
Übrigens: Mit der Steuerprogression ist 2+2 nicht mehr 4. Quantität schlägt in Qualität um. Selbstverständlich muß mathematisch die Arithmetik gelten. Aber selbst in der (mathematischen) Wissenschaft gibt es eine Grenze der Anwendbarkeit der einfachen Arithmetik. Daher gibt es unterschiedliche Grenzwerte für die Prädikativität im abzählbar Unendlichen.
„Also sehen wir das gleich. Als Agnostiker (für mich eine Weltanschauung) sind meine Möglichkeiten sowieso stark begrenzt. „Das Nichts nichtet.“ (Heidegger) Das ist für mich einer der klügsten, je ausformulierten Gedanken.“
Ich weiß nicht, was Heidegger damit meint. Er ist allerdings von der (östlichen) Mystik beeinflusst, der ich auch nahe stehe.
„Ansonsten bin ich nahe am Solipsismus gebaut.“
Das halte ich für problematisch, allerdings muss man da zwei Aspekte trennen. Hier und da sage ich, dass wir nicht Körper sind, die sich durch eine materielle Welt bewegen, sondern Psychen, die sich durch Weltbilder bewegen. Der Solipsismus ist erkenntnistheoretisch halbwegs diskutabel, in dem Sinne, dass alles, was uns begegnet, eben unsere Erleben ist, selbst den anderen erleben wir immer auch als unserer Interpretation. Das hat einen gewissen solipsistischen Touch, da wir unserer Psyche nicht entrinnen können.
Ontologisch ist der Solipsismus m.E. nicht zu halten, einfach aus dem Grund, dass ich nicht sehe, dass es plausibel ist, dass wir Welt und andere a) erzeugt haben, aber b) einfach nicht wissen, wie. Schwierig, dass alles zu rechtfertigen, ohne sich in einem Wust von seltsamen Zusatztheorien zu verheddern.
@ Reinkarnation, @ Moorleiche
Bei einseitigen Positionen ist immer die Gefahr sehr groß, zu Unsinn zu gelangen. Natürlich passiert alles Menschliche immer ganz konkret in einzelnen Menschen. Jedoch der Solipsismus ist in besonderer Weise absurd. Was wären wir ohne die Menschheitsgeschichte. Auf die Welt geworfen (schon dazu brauchen wir zwei andere Menschen) würden wir keinen Tag überleben, ohne die Einbettung in Gesellschaft und Geschichte wären wir nichts von dem, was wir sind. Richtig ist, ein ganz kleines bißchen sind wir nur wir selbst. Aber darum von Solipsismus zu sprechen, ist abwegig.
"Die Frage was Fakten sind, ist gar keine wissenschaftliche, sondern philosophisch"
Es ist auch keine philosophische Frage, sondern eine Frage der Definition, oder meinetwegen, wie bei der Bedeutung jedes Wortes, eine Frage intersubjektiver Übereinkunft.
Was nun die Intersubjektivität betrifft, dürften sich fast alle einig sein, dass Fakt bedeutungsgleich mit Tatsache ist (nur ein lateinisches Lehnwort dafür) und dass eine Tatsache eine objektive Realität ist, die bewiesen werden kann (ich weiss, ich verwende hier die Definition eines bekannten Philosophen, aber Kant hat nur klar ausgedrückt, wie der Begriff von der überwältigenden Mehrheit verwendet wird).
Was nun den Geist des Szientismus betrifft, würde ich vorschlagen, dass wir die Welt gerecht zwischen denen aufteilen, die lieber wie im Mittelalter leben möchten und denen, die es vorziehen, von modernen Technologien und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu profitieren. Wir würden dann pro Kopf beiden Welten die gleichen Ressourcen zuweisen. Und natürlich würden wir die Grenze durchlässig machen. Jede(r), die/der die Seite wechselt, würde ihr/sein Ressourcenpaket mitnehmen.
Ich gebe der Mittelalterseite etwa zwei Generationen, vielleicht auch nur eine. Dieses Experiment ist nämlich schon mehrfach unternommen worden.
"Wer die Zahlen vermeintlich künstlich aufdonnert, zahlt dafür die Zeche, wenn er nicht auch die Lösung präsentiert."
Darauf können wir uns einigen.
Worauf wir uns wahrscheinlich nicht einigen können: Gerade weil Propaganda betrieben wurde, wurden die Daten nicht objektiv gesammelt und interpretiert und gerade deswegen kann das mit der Lösung nicht funktionieren.
Das Folgende ist ein sehr unzeitgemässer Satz, aber er stimmt: Für intellektuelle Redlichkeit gibt es keinen Ersatz.
Schon gar nicht in der Wissenschaft.
"Denn es ist nicht die Komplexität selbst, die Faktizität von Possibilität trennt. Man macht ja den Unterschied von Kompliziertheit und Komplexität, um zu differenzieren zwischen reduzibler und irreduzibler Vielheit."
Ja, da war ich zu kurz und deshalb unexakt. Aber im Grunde liegen wir gar nicht so weit auseinander. Die Maschine ist kompliziert, aber nicht komplex und deshalb vollkommen faktisch. Sie kann in praktisch ausreichender Näherung berechnet und reproduziert werden.
Mit der Unterscheidung von Materialwissenschaften und Lebenswissenschaften bezüglich der Komplexität stimme ich nicht überein. Sie müssten dann schon die Molekularbiologie, in der recht vieles sehr gut reproduzierbar (und vorhersagbar!) ist, zu den Materialwissenschaften rechnen. Es gibt umgekehrt auch unbelebte Vorgänge, die schlecht im Sinne beweisbarer Tatsachen beschreibbar sind.
"Der positivistische Fehler in solchen Wissenschaften liegt darin, daß sie ihr Arbeitsfeld für auf Naturwissenschaft reduzibel halten."
Ja, das ist falsch. Und Sie haben Recht, dass das schon in den Lebenswissenschaften anfängt. In einer lebenden Zelle sind alle Gesetze der Physik (und Chemie) gültig, aber eine Beschreibung einer lebenden Zelle a l l e i n mit Begriffen der Physik oder Chemie wäre völlig nutzlos.
"Als einfaches Beispiel hier nur der Hinweis, daß die Erkenntnis der Homosexualität als eines biologischen Fakts verbietet, sie politisch zu unterdrücken, denn das wäre inhuman."
Ich weiss, dass ich mich hier in eine Shitstorm-Gegend begebe, aber dem ist nicht so. Ein strenggläubiger Muslim kann einräumen, dass Homosexualität ein biologischer Fakt ist und trotzdem auf ihrer Unterdrückung beharren. Dazu muss man nur das Primat individueller Rechte gegenüber der Gesellschaft ausser Kraft setzen.
Ich könnte mich noch weiter in den Shitstorm begeben und darauf verweisen, das jede Art sexueller Devianz ein biologischer Fakt ist. Dann verbietet sich nach Ihrem Argument das Verbot aller sexuellen Praktiken, sofern sie einvernehmlich erfolgen. Damit sind Sie bei der Frage, wer bezüglicher sexueller Handlungen einwilligungsfähig ist. Diese ist aber nicht im Sinne objektiver Realität zu beantworten. Die Einschätzung, wer einwillungsfähig ist (und ob wirklich alle einvernehmlichen Handlungen erlaubt sein sollen), ist eine Frage gesellschaftlicher Übereinkunft.
"Aber selbst in der (mathematischen) Wissenschaft gibt es eine Grenze der Anwendbarkeit der einfachen Arithmetik."
Sie sagen es: der Anwendbarkeit. Deswegen bleibt 2 + 2 aber doch 4, auch mit Steuerprogression. Am Ende wird die Steuerprogression mit einfacher Arithmetik berechnet (Beweis: es geht mit dem Taschenrechner), es gibt nur z u s ä t z l i c h e Regeln.
„Sie müssten dann schon die Molekularbiologie …. zu den Materialwissenschaften rechnen.“ - Ja, das tue ich. Ich finde es weniger sinnvoll bzw oberflächlich, die Wissenschaften nach ihrem Forschungsgegenstand den zwei Haupttypen zuzuordnen, sondern eben nach ihrem systematischen Herangehen an ihn. Betrachte ich das Forschungsobjekt unter der Form des Objekts, dann betreibe ich Naturwissenschaft. Da der Mensch Natur- und Kulturwesen ist, gibt es die natur- und die geisteswissenschaftliche Erforschung des Menschseins, beim Menschen spielt diese subjektive, geistig vermittelte Seite eine sehr große Rolle, bei Tieren eine viel geringere, und auf der Mikroebene, also der Molekularbiologie allenfalls eine marginale. Warum sollte ich das Geisteswissenschaft nennen? Der Mensch ist auch ein physikalisches Objekt, als solches ist er Gegenstand der Physik.
Mein Argument zur Homosexualität haben Sie nicht widerlegt. Selbstverständlich kann nicht nur, sondern muß ein strenggläubiger Muslim auf ihrer Unterdrückung beharren. Aber wenn diese oder auch eine andere minderheitliche Spielart der Sexualität einvernehmlich ausgeübt wird und keinen allgemeinen Schaden anrichtet, ist es unvernünftig und inhuman, daß die Gesellschaft sie unterdrückt. Das hat man irgendwann bei uns begriffen und die konservative Unterdrückung nur noch darauf gegründet, eine Krankheit heilen zu wollen. Dem widerspricht aber der Fakt der natürlichen Ausstattung mit dieser Verhaltenstendenz. Wenn eine homophobe Gesellschaft ein relatives Recht zu solcher Intoleranz hat, dann ist es das Recht, dumm, unaufgeklärt zu sein. Das müssen wir anderen Gesellschaften zubilligen, wir können ein gutes Beispiel geben, aber aus ihrer Unmündigkeit müssen sich die Gesellschaften selbst befreien. Mit der Aufklärung ist die Unterdrückung sexueller Abweichungen, immer vorausgesetzt, sie schaden nicht, weder der Allgemeinheit, noch den Involvierten, nicht mehr akzeptabel. Das schließt bspw nicht den einvernehmlichen Kannibalismus ein, oder andere Formen gravierender Verletzungen; aber das ist kein spezifisches Problem einer bestimmten Art der Sexualität oder überhaupt der Sexualität. Die Vernunft erweitert und begrenzt den Bereich des Akzeptablen.
Ich wollte hier ein Beispiel geben, wie die Feststellung natürlicher Faktizität den Raum des Handelns beeinflußt.
Meine kleine Anmerkung zur Steuerprogression war nicht ganz ernst gemeint, dennoch: mit „einfacher Arithmetik“ läßt sich unser Gerechtigkeitsbedürfnis nicht befriedigen, zur Steuerprogression brauchen wir nichtlineare Funktionen, wie meine leicht ironische Bemerkung darauf zielte, daß wie in der physikalischen Dreiteilung von Mikro-, Meso- und Makrowelt der Bereich des linearen Steuersatzes nur in einem kleinen Mesosegment als gerecht empfunden wird, im Kleinen und Großen aber nicht. Ab einer gewissen Größe ist Eigentum nur noch Diebstahl, und dessen Fehlen reinste Inhumanität.
Was ist Ihre Definition von "inhuman"?
Mir scheint, Sie behaupten, dass unsere Kultur erleuchtet ist und dass Gesellschaften, die Dinge anders sehen, inhuman sind.
Sind Sie sicher, dass dahinter mehr steht als nur ein Glaube?
Klar, ist der Solipsismus absurd. In nahezu allen ontologischen Konstellationen, muss es Vorläufer des Ich geben.
Beim Erkennen durchläuft aber alles zunächst unseren psychischen Filter. Gerade so kommen ja abweichende Meinungen zustande.
„Was nun die Intersubjektivität betrifft, dürften sich fast alle einig sein, dass Fakt bedeutungsgleich mit Tatsache ist (nur ein lateinisches Lehnwort dafür) und dass eine Tatsache eine objektive Realität ist, die bewiesen werden kann (ich weiss, ich verwende hier die Definition eines bekannten Philosophen, aber Kant hat nur klar ausgedrückt, wie der Begriff von der überwältigenden Mehrheit verwendet wird).“
Kants Realitätsbegriff ist a) wackelig (er nimmt die Dauerhaftigkeit von Phänomenen als Realitätsbeweis), b) bezieht er sich bei der Objektivität von Tatsachen aber vor allem ausdrücklich auch auf geistige Produkte (das moralische Gesetz in mir), das passt nun gar nicht zum Szientismus.
Den Szientismus abzulehnen, heißt nicht die Wissenschaft abzulehnen. Abgelehnt wird eine Wissenschaft, die ihre Disziplingrenzen nicht erkennt.
-
„Worauf wir uns wahrscheinlich nicht einigen können: Gerade weil Propaganda betrieben wurde, wurden die Daten nicht objektiv gesammelt und interpretiert und gerade deswegen kann das mit der Lösung nicht funktionieren.
Das Folgende ist ein sehr unzeitgemässer Satz, aber er stimmt: Für intellektuelle Redlichkeit gibt es keinen Ersatz.
Schon gar nicht in der Wissenschaft.“
Intellektuelle Redlichkeit ist eine Grundforderung, die man nie hintergehen darf. Jedoch kritisieren Sie im fröhlichen Wechsel und ohne es kenntlich zu machen, mal die Politik und mal die Wissenschaft. Da ist die intellektuelle Redlichkeit wegen mangelnder Klarheit auch gefährdet.
Bei der Rolle der Wissenschaft in der Politik geht es um PR oder wie es Bernays formulierte, um Propaganda. Wer wirklich denkt, wir befinden uns in einer wissenschaftlichen Debatte über Fakten oder nicht ist reichlich naiv und kennt nicht die Mechanismen von Marketing und wie diese Wissenschaft für ihre Ziele nutzt.
Dabei dürfen aber auch gerne Geisteswissenschaften dienen. Wie wir aktuell an zahlreichen darreichungen sehen, die uns die Unterdrückung von definierten Bevölkerungsgruppen schmackhaft machen sollen. Damit lassen sich hervorragend kritische Kräfte kanalisieren, die ansonsten Strukturen in Frage stellen könnten und die stattdessen sich darüber freuen moralisch auf der guten Seite zu stehen ohne etwas zu verändern.
Wir leben im Zeitalter des Marketing und der PR. Politische Entscheidungen finden nur noch auf dieser Ebene statt.
oft wird realität als tat-sache gehandelt, als resul-tat wo es meist nur ergebnis
einer unterlassung, einer widerfahrnis ist oder die resultante eines irgendwie
tradierten, un-befragten konzepts/eines gesellschaftlich tief-verwurzelten
irr-glaubens.
wirk-lichkeit ist oft ein synonym von: zwangs-lage.
das zwangs-läufige kommt aus eingeschliffenen praktiken/
allgemein-respektierten ansprüchen, die durch institutionen/organisationen
gestützt, das eigen-handeln von vielen: ersetzt.
geistes-blitze als permanente licht-quelle: sind der tran-funzel unterlegen.
Zu hoch ansetzen würde ich den Humanismus auch nicht. Aber können Sie denn überhaupt keine soziale Realität von Humanismus und Aufklärung wahrnehmen/erkennen? Keinen Zivilisationsprozeß, keine zivilisierende Kulturentwicklung? Keine Veränderung der „weichen Fakten“? Keinen zivilisierenden Fortschritt von Wissenschaft und Kunst?
Wäre es Ihnen egal, heute oder in früheren Epochen zu leben?
Auch der psychische Filter ist nicht „rein unser Ding“. Daß alles im einzelnen Individuum sich realisieren muß, sagte ich ja. Aber ist der Schluck Wasser mein Wasser, weil nur ich ihn trinke? Ist der Gedanke nur mein Gedanke, weil ich ihn jetzt gerade denke? Entsteht der Sinnzusammenhang eines Buches, das ich lese, erst durch mich, wenn ich es lese, bin ich also der Schöpfer des Buchs?
In der Tat, das ist Solipsismus.
leider kommt beim lesen eines buches
manchmal völlig un-vereinbares heraus :-(
Als ob die Denk- und Lernprozesse nicht auf den "Filter" zurückfallen würden. Unsere 'Hardware' ändert sich selbst aufgrund von Verstandesarbeit. Aber es soll ja auch schlaffe Muskeln geben. :-)
Die Welt als Wille und Vorstellung. Mit Einschränkungen. Ich muss zugeben, dass sich Agnostiker auch ein bisschen vor der Auseinandersetzung drücken. Kennst du die Neflixserie „Dark“? Schrödingers Katze. Bemerkenswert. Das geht sogar noch eine Stufe weiter, als die These von der doppelten Wirklichkeit, wie sie in „Matrix“ behandelt worden ist. Also die Idee von einer vorgekaukelten Wirklichkeit. Stanislav Lem hat dieselbe Thematik bereits in den 1960ern im Roman „Der futorologische Kongress“ aufgearbeitet. Elon Musk etwa glaubt, wir leben in einem Softwareprogramm. Psychen die durch Welten wandeln. Klingt interessant.
Was Heidegger damit meint? Genau das: Das Nichts nichtet. Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt, was den metaphysischen Raum anbelangt. Wir wissen nur, dass das Nichts nichtet. Das tut es sogar ganz bestimmt! Heidegger meint das metaphorisch, denke ich. Der Satz macht mich glücklich!
Völlig einverstanden. Ich wollte keineswegs den Solipsismus invertieren. Gerade weil sich alles durch die Individuen realisiert, die materielle Spur des Geistes nur in den Individuen zu finden ist, seine objektivierte Gestalt in Erfindungen, in Texten usw selbstredend nur seine verdinglichte Erscheinung ist, muß auch alles Neue im einzelnen Subjekt passieren. Das geschieht fast wie in der Evolution dadurch, daß die Individuen das Medium der Rekombination von geistigen Substanzen (Gehalten) sind und im Glücksfall tatsächlich auf Neues stoßen. Oft führen sogar Mißverständnisse, also gewissermaßen das fehlerhafte Aufgreifen des schon Bestehenden, zu einem Neuen, in dessen Licht das Bisherige revidiert werden muß. Aber man übersehe nicht, daß das die große Ausnahme ist, im Allgemeinen ist das individuelle Denken nichts weiter als Aneignung dessen, was man richtig als Wissen der Zeit fassen kann. Daß dieses Angeeignete mehr oder weniger individuell gefärbt ist, ist richtig, darin kann aber kaum individuelle Kreativität gesehen werden. In diesem Sinn ist das meiste Denken bloß reproduktiv, nachvollziehend. Und mit dem Anwachsen des geistigen Allgemeinguts wird der Anteil des Fremdgedachten zum Selbstgedachten zwangsläufig immer größer.
„oft wird realität als tat-sache gehandelt“
Tatsachen (und auch Fakten) gehen oft mit einer Behauptung einher, nämlich, mit der, dass etwas so ist/sich soundso verhält. Wird dabei auf die Realität verwiesen, dass es doch tatsächlich so sei, ist das zirkulär.
In diesem Zusammenhang wird auch oft auf sogenannte Evidenzen verwiesen, das soll etwas sein, was sich ohne weitere erklärende Ableitung von selbst erschließt. Nicht nur, dass auch das zirkulär ist, es wird auch bezweifelt. Denn das, was jedem sofort einleuchtet, ist nicht unbedingt das, was sich als wahr – bspw. in der Scientific Communitiy – erweist.
„wirk-lichkeit ist oft ein synonym von: zwangs-lage.“
Auch da gibt es mehrere Begriffe. Philosophisch ist vor allem die feinsinnige Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Realität im Rahmen des radikalen Konstrukrutivismus interessant. Kann man hier nicht ausdiskutieren, sie geht aber nicht auf, da sich die betonte ontologische Enthaltsamkeit, die man in Anspruch nimmt (wenn man sagt, wir könnten nur die Wirklichkeit beobachten), nicht durchhalten lässt.
Die Wirklichkeit als Sachzwang, der man sich fügen müsse, gibt es auch, das ist aber kein philosophisches, eher eine gesellschaftlich-politische Behauptung, die dagen will, dass etwas nun mal so sei und es auch keinen Sinn (mehr) habe, sich dem zu verweigern. Damit wird dann oft das zu rechtfertigen versucht, von dem man Jahre lang gesagt hat, dass es doch nicht so sei und man nicht übertreiben solle.
Es ist doch kein Solipsismus zu behaupten, dass ich Wasser trinke oder einen Text lese und das in einem gewissen Sinne immer exklusiv ist. Denn wenn ich trinke, wird ja nur mien Durst gestillt, nicht Deiner.
Der Solipsismus behauptet, es gäbe überhaupt nur mich oder alles existiere nur für mich oder sei eine Konstruktion/Kreation von mir (inklusive anderer Menschen).
Meine Behauptung ist, dass es eine reale (nicht nur wirkliche) Um- und Mitwelt gibt, dass aber die Erfahrungen, die jeder damit macht, bis zu einem bestimmten Grad einzigartig sind. Damit leugne ich ja nicht, dass ein anderer – den es damit zwingend gibt – andere Erfahrungen machen kann, das ist, ganz im Gegenteil, ja meine Behauptung. Das ist ganz sicher kein Solipsismus, eher Psychologismus.
Meine Anmerkung betraf Dich auch nur indirekt.
"Aber man übersehe nicht, daß das die große Ausnahme ist, im Allgemeinen ist das individuelle Denken nichts weiter als Aneignung dessen, was man richtig als Wissen der Zeit fassen kann."
Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das aber, "das Wissen der Zeit" wäre unabhängig vom Einzeldenken entstanden, was wohl nicht der Fall sein kann. Wobei sicher zutreffend ist, dass dieses qualitative Wissen nur von wenigen vermehrt wird. Oder aber, alles verläuft eher nach 'Zufall und Irrtum' wobei dieser Eindruck auch entstehen kann.
Manfred Eigen im Vorwort zu "Zufall und Notwendigkeit":
"Wir haben gesehen, in welcher Weise die Rolle des Zufalls durch das »Sieb« der Selektion eingeschränkt wurde. Die Evolution der Ideen, die sich in unseren Gehirnen vollzieht, mag komplizierteren - objektiv noch nicht vollständig erkannten - Einschränkungsbedingungen unterworfen sein. So bleibt uns im Augenblick nur die ständige geistige Auseinandersetzung mit den von uns akzeptierten Ideen weltanschaulicher oder religiöser Art anhand der Kriterien objektiver Erkenntnis. Mir schaudert aber bei dem Gedanken einer Dogmatisierung des Objektivitätspostulats, die über die Forderung nach ständiger geistiger Auseinandersetzung hinausgeht. Barmherzigkeit und Nächstenliebe wären die ersten Opfer."
Das dürfte weiter Gültigkeit haben, zumindest einleuchten.
„Kennst du die Neflixserie „Dark“? Schrödingers Katze. Bemerkenswert. Das geht sogar noch eine Stufe weiter, als die These von der doppelten Wirklichkeit, wie sie in „Matrix“ behandelt worden ist.“
Ich glaube gar nicht an diese doppelte Wirklichkeit, sondern daran, dass auch Bücher, Internet, Filme und Träume Realität sind. Zumal wir, wenn wir es mal wirklich untersuchen, mit dem, dem wir Realität zuschreiben – in der Regel, materielle Dinge in der Umwelt von mittlerer Größe – gar nicht so viel zu tun haben. Viel mehr spielt sich in unserer Phantasie ab, die oft nicht zur Realität zählen soll, was ich für Quatsch halte.
„Psychen die durch Welten wandeln. Klingt interessant.“
Durch Weltbilder. Wir haben bestimmte Vorstellungen davon, wie die Welt funktioniert, aufgebaut ist, woraus sie besteht, usw. Die teilen wir mit einigen anderen, aber nicht mit allen. Das gruppiert sich im Endeffekt zu verschiedenen recht unterschiedlichen Weltbildern, so unterschiedlich, dass sich die Vertreter nicht einmal streiten (das tun die Teilnehmer annähernd gleicher Weltbilder), sondern einander nichts zu sagen haben. Zwar kaufen sie im selben Supermarkt und können sich über die Spritpreise oder Coronazahlen austauschen, aber kommt man dem Kern ihrer Einstellungen näher, haben sie sich immer weniger zu sagen.
„Der Satz macht mich glücklich!“
Finde ich okay, ich verstehe nur einfach nicht genau, was er meint, insofern bin ich da der Agnostiker.
mir ging es um den handlungs-aspekt von "tat-sachen",
daß es außer wirk-mächtigem handeln : eine menge sach-verhalte
(aus: reasons and causes) für wirk-lichkeit gibt.
die realitäts-haltigkeit eines big games zeigt sich an den spiel-regeln,
die spür-bar sanktionieren oder gratifizieren.
wirk-lichkeit hat etwas mit spür-barkeit zu tun.
damits nicht vermeidbar-schmerzhaft wird, gibt es ein pain-management
und coping-strategien(bewältigungs/anpassungs-praktiken).
mal so nebenbei.
Das Spielfeld von Tatsachen, Fakten und so weiter haben immer mehrere Bedeutungen. Meistens wird damit agiert, dass es bestimmten Fakten gibt und aufgezählt, was diese sind (oder sein sollen). Das ist schon nicht ganz unproblematisch, weil diese sogenannten Existenzsätz (der Form: „Es gibt ...“) nicht falsifizierbar sind, angeblich ein unabdingbares Kriterium der Wissenschaftlichkeit.
Bei den Evidenzen und dem, was ganz einfach der Fall ist (oder zu sein scheint) liegt die Problematik darin, dass die Behauptung (dass etwas so ist) und der vermeintliche Beweise (dass es tatsächlich so ist) auf ein und dieselbe Praxis rekurrieren. Szientisten verstehen in der Regel nicht einmal, wo das Problem liegt. :-)
suchen Sie eine wohnung, die von Ihrem einkommen bezahlbar ist.
setzen Sie nicht auf das ereignisfeld, hoffen Sie nicht auf ein lotto-gewinn,
bei dem Sie mehr glück als verstand hätten!
"Jedoch kritisieren Sie im fröhlichen Wechsel und ohne es kenntlich zu machen, mal die Politik und mal die Wissenschaft."
Wies sollte ich nicht mal die (schlechten Teile der) Politik und mal die (schlechten Teile der) Wissenschaft kritisieren?
Mangelnde Klarheit ist nur dann eine Frage der intellektuellen Redlichkeit, wenn absichtlich das Wasser getrübt wird. Es gibt auch Unvermögen im Ausdruck, gerade im Austausch mit wenigen Sätzen und man kann hier ja nachfragen wie etwas gemeint ist.
"Aber können Sie denn überhaupt keine soziale Realität von Humanismus und Aufklärung wahrnehmen/erkennen?"
Wenn ich an den Jugoslawien-Krieg denke, nicht wirklich.
"Keinen Zivilisationsprozeß, keine zivilisierende Kulturentwicklung? Keinen zivilisierenden Fortschritt von Wissenschaft und Kunst?"
Wenn ich im Alten Testament lese und sehe, wie sich Menschen heute verhalten, glaube ich nicht, dass es den Neuen Menschen gibt. Es laufen immer noch der alte Adam und die alte Eva herum.
Vor allem aber ist es so, dass es auf einigen Gebieten mehr Zivilisiertheit gibt, auf anderen aber weniger. Wenn man etwa Fontane liest, fällt es schwer zu behaupten, dass die Zivilisiertheit heute höher ist als zu seinen Zeiten. Und die damalige Zivilisiertheit in Frankreich und Deutschland hat nicht vor Verdun (keine 20 Jahre nach Fontanes Tod) geschützt.
Mein letztes Argument zu diesen Fragen ist von Nietzsche geborgt, der es allerdings auf die Christen gemünzt hat: Etwas erlöster müssten sie schon aussehen, damit ich an ihren Erlöser glauben könnte. Das scheint mir auf den Humanismus unserer Gesellschaft auch zu passen. Die Ergebnisse überzeugen nicht (mehr).
"Wäre es Ihnen egal, heute oder in früheren Epochen zu leben?"
Nein, ich bin bei aller Zeitgeist-Kritik natürlich ein Kind meiner Zeit. Als solches (und als Naturwissenschaftler) bin ich Anhänger der Aufklärung. Aber ich kann aber auch im Spiegel den Kerl angucken, der seiner Zeit so verhaftet ist und ironisch zu ihm sagen: Du weisst doch ganz genau, dass es kein objektives Fortschrittskriterium gibt.
Das Argument, früher sei alles viel schlechter gewesen, hat mir schon als Kind nicht eingeleuchtet, als wir im DDR-Geschichtsunterricht diese Idee vom ständigen Fortschritt behandelt haben.
Mein damaliges Gegenargument war, dass es in früheren Zeiten keine höhere Selbstmordrate gegeben hat. Wenn das Leben aber ständig besser geworden wäre, hätte man das erwartet.
Was soll ich da jetzt schreiben, was ich nicht schon geschrieben habe? Sie sind ja weder dumm, noch naiv, ich würde mich lieber über den Szientismus mit Ihnen austauschen (obwohl das glaube ich, nicht weit führt), als diese von Corona verseuchte Mischdiskussion zu führen.
Ich gehe da eher thematisch ran und habe keine anderen Interessen, aber ich denke, es werden Diskussionen kommen, bei denen man sich wieder entspannter austauschen kann.
?
"ich würde mich lieber über den Szientismus mit Ihnen austauschen"
Können wir machen. Ich überlege mal, schreibe einen Corona-freien Blogbeitrag zu dem Thema und wenn Sie noch Interesse haben, können wir ja darunter zu dem Thema diskutieren.
Ich weiss noch nicht, ob es dieses Wochenende klappt - am Sonntag wird zwar nicht so gutes Wetter sein, aber in der Schweiz ist die Steuererklärung am 31. März fällig.
"Mein damaliges Gegenargument war, dass es in früheren Zeiten keine höhere Selbstmordrate gegeben hat. Wenn das Leben aber ständig besser geworden wäre, hätte man das erwartet."
Was würde der Herr Jeschke darauf im anderen Blog gewiss Fragen: "Können Sie mir da mal 'ne Quelle nennen, woraus sich das entnehmen lässt?"
Zudem: "Haben Sie auch berücksichtigt, dass die Menschen früher noch an die Todsünde geglaubt haben, also Selbstmord die schlimmste Version dafür war?
Und auch auch noch die Kleinigkeit berücksichtigt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung weit unter der heutigen lag?"
Ok zugestanden, jeder hat mal angefangen.
"Haben Sie auch berücksichtigt, dass die Menschen früher noch an die Todsünde geglaubt haben, also Selbstmord die schlimmste Version dafür war?"
In bestimmten Kulturkreisen zu bestimmten Zeiten. In Japan galt eine ganze Zeit lang ritueller Selbstmord unter gewissen Umständen als ehrenhaft, aber eben auch dort nur in den gehobenen Schichten.
Im Übrigen: Schauen Sie sich doch die Kunst und die Literatur über die Zeiten hinweg an - sowie die gegenwärtige. Dass wir in einem besonders erleuchteten Zeitalter leben, in dem sich die Masse der Leute besonders wohl fühlt, kann man aus einer solchen Betrachtung kaum folgern.
Das ist auch kein Ressentiment von mir. Ich bin durch einen Glücksumstand mit viel Weltvertrauen geboren worden oder habe dieses durch Glücksumständen in den ersten Lebensjahren erworben. Früher hätte man Gottvertrauen gesagt. Ausserdem bin ich noch reich und für mein Alter (meines Wissens nach) überdurchschnittlich gesund. Ich habe persönlich keinen Grund zum Klagen. Ich habe viele junge Leute um mich, die tendenziell auch viel weniger klagen als ältere. Aber ich kann beobachten.
Da war wohl eher die westliche Zivilisation nach Null gemeint, wie auch wahrscheinlich ihre damaligen Überlegungen. Und wenn hier im Forum der Eindruck entstehen mag, dass durch gewisse Schwarzmalerei ein deutsches Hobby gepflegt wird, obwohl ausgerechnet jene wahrscheinlich nicht zum Prekariat zählen dürften (schließe ich einfach mal so), dann wird dabei gerne ausgeblendet/verdrängt, was sehr gut noch zumindest in den 50er Realität war, nämlich wesentlich ärmere Verhältnisse. Ganz zu Schweigen von den Kriegsgenerationen davor usw. usw.
Was mich aber eigentlich verwundert (lesen ihre Studentinnen/Studenten hier eigentlich mit?/ müsste Ihnen doch sicher über deren Reaktionen nicht unbekannt sein/ erinnert mich ein wenig an die Situation mit Otmar Pregetter), warum Sie aus ihrem Umfeld heraus hier im Freitag so viel Zeit investieren (können), was man natürlich auch so aufgreifen kann und es umgekehrt als Lob zu verwenden, eben weil sie es tun.
Aber auch egal, wenn sie ihre 'Studien' mit den Älteren hier betreiben, woraus sich aber wahrscheinlich eher weniger für ihren naturwissenschaftliche Zweig an der Uni 'verwerten' lässt, außer möglicherweise für die dortige Bürokratie.
das ist so ein land-läufiges, mit realitäten gesättigtes "spiel".
mit spielregeln,
wo ein individuelles bedürfnis
auf eine markt-förmige, wirk-same struktur stößt.
um bei diesem spiel erfolgreich zu sein,
sollte man keinen fremdländisch-klingenden namen haben,
eine vorzeigbare einkommens-bescheinigung haben,
und den willen demonstieren,
sich markt-gerecht verhalten zu wollen/ als nachfrager
eines knappen gutes:
die (nicht nur pekuniären) erwartungen eines anbieters
mit starker markt-macht erfüllen zu können.
wer nicht die mittel dazu hat, erfolgreich mitspielen zukönnen,
ist auf (familiale oder staatliche) hilfe angewiesen,
auch wartet die bereitstehende rolle des "obdachlosen"
auf eine personale realisierung.
solcher art sind gesetzmäßigkeiten
diesseits der natur-wissenschaften/philosophie:
keine überzeitlichen,
aber in wirk-same historisch-spezifische strukturen*
eingebettete soziale imperative...
* im sowjet-system gabs andere soziale imperative,
um in einer --->"kommunalka" unterzukommen,
oder in einem für mitglieder der --->nomenklatura
angemessenen habitat.
über "realität", "wirklichkeit", konstruktion und dem
ehernen sozial-ökonomischen gehäuse,
das beachtung einfordert:
---> "lebenswelt" (wikipedia). dort besonders der begriff der
"lebenslage" bei --->björn kraus und dessen
---> "relationaler konstruktivismus"
"lesen ihre Studentinnen/Studenten hier eigentlich mit?"
Ich frage sie nicht danach.
"warum Sie aus ihrem Umfeld heraus hier im Freitag so viel Zeit investieren (können)"
Wie kommen Sie darauf? Ich arbeite (abzüglich MIttagspause) in der Woche täglich um die 11:30 h in meinem Umfeld, mitunter einige wenige Stunden am Wochenende. Die Anzahl Programmzeilen, die ich im vergangegen Jahr zur Corona-Datenauswertung geschrieben habe, ist vernachlässigbar klein gegenüber der Anzahl Programmzeilen, die ich für Spinquantendynamik- und Proteinmodellierungsprogramme geschrieben habe. Ich habe einfach keine Familie, so funktioniert das.
"Aber auch egal, wenn sie ihre 'Studien' mit den Älteren hier betreiben, woraus sich aber wahrscheinlich eher weniger für ihren naturwissenschaftliche Zweig an der Uni 'verwerten' lässt"
Kommt darauf an. Über Darstellung von Daten, bestimmte Aspekte der Matlab-Programmierung und Didaktik habe ich dabei schon etwas gelernt.
Und Wissenschaftspolitik spielt sich auch unter Älteren ab.
Ja, gerne.
Kann ja auch später sein und im Grunde würde ein Dreizeiler als Einführung reichen, die Diskussion entspinnt sich ja dann hoffentlich in den Kommentaren.
Gut, dann habe ich das doch wenigstens geahnt.
Ein wichtiger Aspekt dabei, der bei Diskussionen über den Szientismus, aber durchaus auch breiter, über unser naturalistisches Weltbild, Gewicht hat, ist die Frage nach den Wirkungen.
Wir gehen da pragmatisch ran, untersuchen, ob etwas wirkt, aber konfrontieren uns selbst nicht damit, dass wir bestimmte Wirkungsweisen anhand der Prämissen unseres Weltbildes in Grunde kaum erklären können.
Die Frage was eine Wirkung oder Wirksamkeit überhaupt ist, ist dabei interessant.
„glaube ich nicht, dass es den Neuen Menschen gibt“ - das ist eine weit verbreitete konservative Überzeugung, die den meisten neueren Erkenntnistheorien und neuzeitlichen philosophischen Konzepten widerspricht, insbesondere den Systemtheorien (der Luhmannsche Strukturfunktionalismus ist antiontologisch), dem Historismus und den Entwicklungstheorien, speziell dem Marxismus, dem Strukturalismus wie dem Poststrukturalismus, der Autopoiesis. Stattdessen hält das an der klassischen Metaphysik von Wesen und Erscheinung fest, erklärt das Denken (Bewußtsein) zu einem Epiphänomen.
Damit will ich nicht das Gerede vom „Neuen Menschen“ verteidigen, denn es entspringt der bürgerlichen Allmachtsphantasie, der Mensch könne der absolute Herr über die Welt werden, seiner Selbstvergötterung. Der neue Mensch ist der sich mit Umwelt und Erfahrung verändernde, transformierte alte Mensch. Die menschliche hardware ändert sich wenig. Und ja, es ist „so, dass es auf einigen Gebieten mehr Zivilisiertheit gibt, auf anderen aber weniger“, ich würde von einer sekundären oder Re-Barbarisierung sprechen, der Kapitalismus der schönen neuen Warenwelt hat diese Kehrseite; wieso kommen Sie aber darauf, das würde ich als Anfänger-Denkfehler bezeichnen, daß es sich um ein Nullsummenspiel handelt? Wie können Sie Anhänger der Aufklärung sein, und nicht an ihre Wirksamkeit, nicht an ihren Fortschritt glauben? Wieso meinen Sie, der reflektierte Mensch ist derselbe wie der naive? Meinen Sie, daß sich nur die Technologie der Menschen ändert, was bedeutet, daß alles Nachdenken über sich selbst irrelevant ist, man sich nur noch mit den technischen Wissenschaften beschäftigen sollte, nicht mehr mit der Selbstbildung? Bildung sich auf den Erwerb von technischen Fähigkeiten beschränken sollte?
Wie gesagt, das wäre eine erzkonservative, absolut kulturpessimistische Sicht, aus der heraus das Humanum tatsächlich eine Chimäre ist.
PS. Die Vorstellung, daß die Menschen subjektiv im Verlauf der Geschichte glücklicher werden, ist nachweisbar Unsinn. Denn das Glücksempfinden hängt von physiologischen Prozessen ab, die Resultat der Evolution sind und die Funktion haben, das Handeln biofunktional zu steuern. Der Neutralitätspunkt zwischen Wohl- und Unwohlsein paßt sich der mittelfristigen Situation an, daher können etwa Kinder, die nicht traumatisiert sind, in andauernden Kriegszuständen die gleichen Glücks- und Unglückserfahrungen machen wie Wohlstandskinder, die alles haben. Sind unsere Wohlstandsbürger allgemein glücklicher als Afrikaner, die sich aus unserem Schrott nützliche Geräte zusammenbauen? Bei uns wird einfach auf höherem Niveau gejammert. Die Selbstmordrate bleibt gleich, wie schon Durkheim in der Geburtsstunde der Soziologie feststellte. Der soziale Fortschritt sollte allen Menschen erlauben, auf höherem Niveau zu jammern.
ja, das jammern auf höherem niveau zu erreichen,
ist erstrebenswert.
z.b. statt über verhungerte kinder, im krieg gefallene
zu jammern: sich den kopf zerbrechen,
wie man als sexual-partner kompetenter und frei-gebiger
werden kann.
ich stehe dazu.
es gibt noch eine menge zu ent-rätseln/ent-zaubern/
zu verstehen.
Ah ja, sicher widerspricht es dem Marxismus, die Idee des Neuen Menschen zu verwerfen. Das ist aber eben eine Erfahrung aus meinem Leben in der DDR und aus der nachfolgenden Analyse, warum das realsozialistische System gescheitert ist. Es hat da ja auch durchaus verschiedene Ansätze gegeben - z.B. in Nikaragua, als Ortega noch jung war, in Kuba unter dem jungen Fidel war es auch nicht wie in der Sowjetunion oder in Rotchina.
Funktioniert hat das nirgends und man muss sich dann halt mal irgendwann fragen, warum nicht. Eine relativ kompakte Antwort darauf findet man in Orwells kleinem Büchlein "Farm der Tiere".
"PS. Die Vorstellung, daß die Menschen subjektiv im Verlauf der Geschichte glücklicher werden, ist nachweisbar Unsinn. Denn das Glücksempfinden hängt von physiologischen Prozessen ab, die Resultat der Evolution sind und die Funktion haben, das Handeln biofunktional zu steuern. Der Neutralitätspunkt zwischen Wohl- und Unwohlsein paßt sich der mittelfristigen Situation an..."
Da sind wir uns einig.
Nur finde ich, dass dieser Fakt ;-) so ziemlich die Luft heraus lässt aus dem Konzept der überlegen humanen Gesellschaft.
Wir fühlen, dass wir für eine humanere Gesellschaft eintreten, aber was genau bedeutet das, wenn es die Einzelne und den Einzelnen nicht glücklicher macht?
Das ist Unsinn. Ich sagte, es gehe darum, daß alle auf höherem Niveau jammern können sollten, selbstverständlich besonders die, die auf einem entsetzlich niedrigen Niveau jammern müssen.
Da sind Sie leider nicht auf meine Argumente eingegangen. Es ist ein bißchen billig, den Marxismus mit den idealistischen, ersatzreligiösen Verunstaltungen dieser kritischen Gesellschaftstheorie zu verwerfen. Und selbst wenn man meint, den Marxismus verwerfen zu können, muß man darum nicht alle Entwicklungskonzepte verwerfen. Ich wäre schon zufrieden, wenn man mir ein nichtmarxistisches Konzept einer fortschrittlichen Gesellschaft, wozu ein revolutionärer Paradigmenwechsel gehörte, vorlegen würde. Diese Gesellschaft hängt mir zum Hals raus. Und ich sehe nicht, wo wir uns den Konservatismus, uns dieser Gesellschaft gegenüber affirmativ zu verhalten, noch leisten können.
Wenn Sie die Einzelnen glücklicher machen wollen, verschreiben Sie Rauschmittel, am besten, nachdem Sie Medikamente entwickelt haben, die die Nebenwirkungen kompensieren können. Man kann auch einen Chip ins Glückszentrum im Gehirn implantieren. Man mache daraus ein Geschäftsmodell – so ist das Glück zu einer käuflichen Ware geworden. Wenn für Sie wichtiger ist, ein subjektives Glücksgefühl zu erreichen als das Glück in der Wahrheit zu finden, einer Wahrheit, die sehr schmerzlich sein kann, den Künstler zu einem anstrengenden, sogar qualvollen Schaffensprozeß an einem Roman anregt, den man verstört und aufgewühlt, und dennoch mit wachsender Begeisterung liest, der unvorstellbar ergreifend in Musik gekleidet werden kann, dann haben wir ein entschieden konträres Menschenbild.
Für mich gehören Glück (Euphorie) und Niedergeschlagenheit, Lust und Leid zum Leben, und dann stellt sich die Frage, wie und woran wir das erleben und wie wir daran wachsen. Ich finde schon, daß die Politik, also das zoon politikon, das wir alle sind, dafür zu sorgen hat, daß ich nie ein angehöriges Kriegsopfer, sondern immer nur den zivilen Tod eines geliebten Menschen betrauern muß.
wieso ist das unsinn?
ich unterstütze doch nur ihr argument.
lesen!
"Ich frage sie nicht danach."
Brauchten Sie auch nicht, sie würden es Ihnen schon sagen. Andernfalls (...).
Im Übrigen lese ich bei Ihnen mehr 'zwischen den Zeilen', also wie Sie genau kalkuliert nur das herauslassen, was eben nicht beantwortet, was der Fragesteller vorgelegt hatte.
Aber da werde ich mich nun tunlichst bedeckt halten, sollte es darüber Nachfragen geben: das zumindest habe ich gelernt.
Es gibt Leute, die es schaffen, daß ihre ironisch gemeinten Texte für bare Münze genommen werden, das kann auch mir schon mal passieren. Nun, wenn Ihr Kommentar nicht ironisch gemeint war, sondern mir zustimmen wollte, haben Sie eine besondere Gabe, eine ernst gemeinte Aussage ironisch aussehen zu lassen. ZB „ z.b. statt über verhungerte kinder, im krieg gefallene zu jammern: sich den kopf zerbrechen, wie man als sexual-partner kompetenter und frei-gebiger werden kann.“ Das wäre eindeutig gewesen, wenn da stünde „statt über verhungerte Kinder … jammern zu müssen, sich den Kopf zerbrechen zu müssen, wie man ...“. So hatte ich es natürlich gemeint. Noch gibt es aber die Kinder, die verhungern müssen; da sind unsere partnerschaftlichen Probleme und diese ganze Idiotie der entfesselten Genderei lächerliche Luxusprobleme.
leider sind die problem-lagen in "unserer" (immerhin zusammenwachsenden) welt
noch sehr unterschieden.
wie kulenkampff("kuli") einmal erwähnte, wußte er, als er sich die fuß-zehen
in stalingrad erfror, daß kein australier an ihn, beim zeitgleichen surfen
in der brandung, dachte.
"Und selbst wenn man meint, den Marxismus verwerfen zu können"
Ich würde nicht alle Erkenntnisse von Marx und Engels verwerfen, nicht einmal alle von Lenin, aber den Marxismus als -ismus, ja, den habe ich verworfen.
"Ich wäre schon zufrieden, wenn man mir ein nichtmarxistisches Konzept einer fortschrittlichen Gesellschaft, wozu ein revolutionärer Paradigmenwechsel gehörte, vorlegen würde."
Sehen Sie, wenn Sie ein solches Konzept vorlegen, können wir gern darüber diskutieren, ob es realistisch ist. Ich glaube nicht an Gesellschaftskonzepte, die am Reissbrett entworfen werden.
Sicher braucht eine Gesellschaft irgendetwas, woran sie gemeinsam glaubt, damit sie zusammenhält. Das kann eine Religion sein oder eine Ideologie, wie etwa der Kommunismus, der amerikanische Traum oder der skandinavische Sozialdemokratismus. Auch ein Nationalismus kann in diesem Sinne funktionieren. Wir wissen aber nicht wirklich, wie es dazu kommt, dass eine Gesellschaft (oder ein grosser Teil von ihr), sich auf eine solche grosse Idee einigt oder wie es dazu kommt, dass sie ihre grosse Idee wechselt. Das letzte Mal, dass das in Deutschland geschehen ist, mit durchschlagendem Erfolg, was die Massenwirkung betraf, wollen wir lieber nicht diskutieren. Auch diese Strömung hielt sich für fortschrittlich in ihrem eigenen Sinn.
Die meisten revolutionären Paradigmenwechsel hatten dystopische, nicht utopische Folgen.
"Diese Gesellschaft hängt mir zum Hals raus."
Damit sind sie nicht allein. Aber machen Sie mal eine Umfrage, wo die Leute von diesem Punkt aus hinwollen. In ganz verschiedene Richtungen.
Das ist auch kein Wunder. Materiell ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie jetzt. Ideell sieht es eher umgekehrt aus. Aber selbst diejenigen, die irgendetwas Ideelles zu erkennen glauben, meinetwegen irgendeine Greta, scheuen den materiellen Abstieg (was auf Greta und ihre Eltern auch zutrifft).
"verschreiben Sie Rauschmittel, am besten, nachdem Sie Medikamente entwickelt haben, die die Nebenwirkungen kompensieren können"
Sie wissen aber schon, dass das die Idee bei der Entwicklung von Heroin war.
Die Geschichte fängt mit einem seit der Antike bekannten Hausmittel an. Wirkbestandteil der gegen Schmerzen, Fieber und Entzündungen verwendeten getrockneten Weidenrinde ist Salicin, das von der Darmflora in Salicylsäure umgewandtelt wird. Synthetische Salicylsäure wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Medikament vertrieben, ist aber gallebitter und führt zu Magenbeschwerden.
1897 hat Felix Hoffmann im Stammwerk von Bayer in Wuppertal-Elberfeld eine nebenproduktfreie Synthese von Acetylsalicylsäure entwickelt und dann patentiert. Der Rest ist Geschichte.
Das Folgende auch. 1898 setzte der gleiche Felix Hoffmann das bekannte Schmerzmittel Morphin mit Acetanhydrid zu seinem Diacetyl-Derivat um. Die Idee war, auf dem gleichen Weg wie bei der Salicylsäure die Nebenwirkungen loszuwerden. Tatsächlich war das neue Medikament sogar stärker wirksam gegen Schmerzen. 1904 wurde bemerkt, dass es (noch) stärker abhängig machte als Morphin, 1931 nahm es Bayer auf politischen Druck aus der Produktpalette. Ob seine Nachfolger als Pharmaka (Oxycodon, Hydrocodon, Fentanyl) wirklich besser sind, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls hat deren sehr liberale Verschreibung die Opioid-Krise in den USA erzeugt.
"Wenn für Sie wichtiger ist, ein subjektives Glücksgefühl zu erreichen als das Glück in der Wahrheit zu finden"
Das ist - mit Verlaub und auf amerikanisch - balderdash. Das "in der Wahrheit" gefundene Glück ist auch ein subjektives Glücksgefühl - was sonst?
"Ich finde schon, daß die Politik, also das zoon politikon, das wir alle sind, dafür zu sorgen hat, daß ich nie ein angehöriges Kriegsopfer, sondern immer nur den zivilen Tod eines geliebten Menschen betrauern muß."
Das ist einfacher gesagt als getan. Zwei tschechische Regierungen haben im 20. Jahrhundert dafür gesorgt, nicht alle Tschechen fanden das gut (Jan Palach nicht) und nicht alle Tschechen hat das gerettet (Lidice).
Wenn übrigens Churchil 1939 für die Briten und Stalin 1941 für die Sowjetmenschen dafür gesorgt hätte, wäre das für die Welt wohl nicht ganz so gut herausgekommen. Je nachdem natürlich, wie sie es einschätzen, was der GröFaZ mit der Weltherrschaft angefangen hätte.
"also wie Sie genau kalkuliert nur das herauslassen, was eben nicht beantwortet, was der Fragesteller vorgelegt hatte"
Ich kann genau kalkulieren - auch politisch, wenn es sein muss - aber ich mache mir ganz gewiss nicht diese Mühe bei Kommentarantworten, bei denen ich nicht mal immer die Teppfuhler entferne.
>>"Ich frage sie nicht danach."
Brauchten Sie auch nicht, sie würden es Ihnen schon sagen. Andernfalls (...).<<
No comment.
Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich einen Dreizeiler geschrieben ;-)
Im Ernst, der Kanton Zürich hat eine neues Online-Steuerprogramm. Ich bin sonst ziemlich kritisch gegenüber Software, aber das Ding ist wirklich gut. Ich habe mindestens eine Stunde, vermutlich eher zwei gegenüber den Vorjahren gespart (plus die Briefmarke für den Versand des unterschriebenen Deckblatts und der Anlagen). Das ist mal Digitalisierung, die funktioniert.
Meinen Szientismus-Blogbeitrag finden Sie hier. Nicht erschrecken, ich stelle mich gar nicht auf die Seite des Szientismus im Sinne seiner gängigen Definition. Diskussionsstoff sollte trotzdem genug bleiben.
Ein bißchen wundert mich schon, wie Sie auf meine Aussage vom substantiellen Glückserlebnis reagieren, denn ich denke, Wissenschaftler, für die ihre Tätigkeit nicht nur Brotberuf ist, sondern eine Passion, vielleicht ist das nicht (mehr) die Mehrheit von ihnen, suchen geradezu nach dem Glück, zu einer tiefen Erkenntnis zu gelangen, ein schwieriges Problem zu lösen, oder wenn sie Lehrer sind, zu erleben, wie sie Einsichten vermitteln können, wie bei ihren Schülern der Groschen fällt. Sehr schade, wenn für Sie das ein böhmisches Dorf ist. Früher, vielleicht heute nicht mehr, das wäre aber ein Armutszeugnis, waren Künstler leidenschaftlich kreative. Und diese Leidenschaft hat sich auf das Publikum von Wissenschaft und Kunst übertragen. Wenn das für Sie „balderdash“ ist, dann outen Sie sich als Technokrat, in Ihren Augen möglicherweise ein Ehrentitel. Ich frage mich allerdings, wie erleben Sie Natur, wie lesen Sie Romane, wie hören Sie eine Sinfonie? Das verstehe ich einfach nicht. Dann wäre für Sie alles, was nicht der Fall ist, das oben zitierte böhmische Dorf?
Selbstverständlich ist das „in der Wahrheit gefundene Glück auch (nur) ein subjektives Glücksgefühl“, was sonst; den wesentlichen Unterschied macht der Grund dieses Gefühls, wenn dieser Unterschied nichts mehr zählt, dann empfiehlt sich doch die von mir angesprochene und von Ihnen etwas detaillierter ausgeführte Drogenstrategie. Was denn nun, ist das eine akzeptable oder inakzeptable Perspektive?
Ich habe vorgebracht, daß das Glück kein kategorisches Ziel der Politik sein kann, habe stattdessen die Wahrheit ins Spiel gebracht. Das ist vielleicht nicht der optimale Begriff, ich habe ihn pars pro toto benutzt, ich meine ua natürlich auch ganz fundamental das sich im Anderen und sich durch den Anderen Erkennen, dieses Glück in der Erfahrung und Erkenntnis des Allgemeinen und des Besonderen – auch dafür ist der Begriff Wahrheit doch nicht ganz verkehrt.
Auch Sie haben wohl meine Aussage zu Kriegs- und privatem Unglück nicht verstanden, das war dann mein Formulierungsfehler. Ich würde es begrüßen, wenn wir nie wieder Kriegstote zu betrauern hätten (unter Krieg fasse ich auch Bürgerkrieg und andere organisierte Massentötungen), nur noch die durch Unfall oder natürliche Umstände zu Tode gekommenen. Zur zum Leben gehörenden Notwendigkeit der Trauerarbeit ist der zivile Tod eine vollkommen hinreichende Bedingung. Daß das überflüssige, selbstverschuldete Leid verschwindet, dafür hat die Politik zu sorgen.
„Im Ernst, der Kanton Zürich hat eine neues Online-Steuerprogramm. Ich bin sonst ziemlich kritisch gegenüber Software, aber das Ding ist wirklich gut. Ich habe mindestens eine Stunde, vermutlich eher zwei gegenüber den Vorjahren gespart (plus die Briefmarke für den Versand des unterschriebenen Deckblatts und der Anlagen). Das ist mal Digitalisierung, die funktioniert.“
Das freut mich, mein Mikrotrauma von 2019 habe ich in einen Beitrag gepresst und die emotionalen Ausschläge durch Lakonie ersetzt. :-)
„Meinen Szientismus-Blogbeitrag finden Sie hier. Nicht erschrecken, ich stelle mich gar nicht auf die Seite des Szientismus im Sinne seiner gängigen Definition. Diskussionsstoff sollte trotzdem genug bleiben.“
Prima und danke, schaue ich mir nachher an, leider geht die Arbeit heute nicht ganz an mir vorbei, aber ich switche immer mal hin und her, das tue ich ohnehin gerne.
Inhaltlich bin ich in der Regel unerschrocken, also keine Sorge.
"Sehr schade, wenn für Sie das ein böhmisches Dorf ist."
Wie kommen Sie darauf? Lesen Sie meine Antwort doch noch einmal. Ich sage lediglich, dass auch das ein s u b j e k t i v e s Glück ist.
Es ist übrigens eines, dass es schon in der Urgesellschaft gegeben hat und immer geben wird, so lange menschliche Gesellschaften existieren.
"Dann wäre für Sie alles, was nicht der Fall ist, das oben zitierte böhmische Dorf?"
Auch das habe ich nie behauptet, wiewohl ich sehr gute Erinnerungen an böhmische Dörfer habe, zum Beispiel dasjenige, in dem ein freundlicher Mechaniker 1982 mein Rad repariert und seine Frau meinen Freund und mich auch gleich noch zu Mittag bewirtet hat (es gab Knödel mit Tomatensauce).
"den wesentlichen Unterschied macht der Grund dieses Gefühls, wenn dieser Unterschied nichts mehr zählt"
Das halte ich für arrogant. Sie behaupten hier, Ihr Glück sei wertvoller als das "einfache" Glück derjenigen, die nicht nach Wahrheit und Kunsterlebnissen suchen. Aber aus welchem Grunde würde das auf Gunter Gabriels "mit 'nem Mädchen ganz still und versteckt mal, ganz heimlich im Heu geträumt" zutreffen?
Wahrheit ist ganz sicher nicht das Feld der Politik. Dass Politiker habituell lügen oder verschleiern, ist nicht nur ein Klischee. Das resultiert aus Notwendigkeiten des Machtkampfes.
"Das freut mich, mein Mikrotrauma von 2019"
Ei, das war 2019 bei Ihnen bitter. Ich war gestern in zwei Stunden fertig. Das Zürcher Programm kennt alle Vorjahresdaten, man muss nur noch editieren.
Dann lesen Sie nochmal meinen Vorkommentar, da habe ich meine Vorvorkommentaraussage korrigiert, die wohl suggeriert hat, daß ich ein subjektives Glückserlebnis, das auf einem objektiven Grund beruht, der es als angemessen erscheinen läßt, einem solchen, das keinen solchen Grund vorweist, nicht nur vorziehe, sondern es für objektiv halte. Meine Vorkiommentarkritik war, daß Sie diesen Unterschied überhaupt nicht machen. Daß also, um es plakativ zu sagen, ein Glück, das auf einer Illusion oder einem Irrtum beruht, für gleichwertig und daher für gleicherstrebenswert halten wie ein substantiell begründetes. Das war keineswegs arrogant gemeint. Gerade darum habe ich ja die Drogen ins Spiel gebracht. Sie verhelfen zu Glückserlebnissen (kann manchmal schiefgehen), ich kritisiere nicht den mäßigen, die Gesundheit nicht wesentlich schädigenden Drogenkonsum, aber ich halte es für erstrebenswert, daß man lernt, das Glücksbedürfnis auf andere, bessere Art zu befriedigen. Darum meine Forderung, politisch die Suche nach dem Glück auf das Feld des Wahren, Schönen, Guten zu lenken. Es hat nichts mit Arroganz zu tun, wenn ich das Glück im Krieg, diese Beispiel habe ich ja auch gebracht, als ein falsches Glück bezeichne. Und so tendenziell auch das Glück durch Drogen.
Jeder mag sein Glück finden, wo er es sucht. Aber Politik muß auf das „richtige“ Glück zielen. Ihre „Arroganz“ ist eine Retourkutsche auf meine Kritik des balderdash. „Aber er hat angefangen, Mamma“ (mit balderdash), ich komme mir vor wie auf dem Kinderspielplatz – das muß doch nicht sein, oder?
Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen das einfache Glück („mit nem‘ Mädchen im Heu“), das ist durchaus substantiell und elementar, in ihm steckt die große Wahrheit, daß wir sozialbedürftige, uns gegenseitig wärmende und schützende Wesen sind und uns nicht mit synthetischem Ersatz abspeisen lassen sollten.
Wahrheit, objektive wie subjektive, ist ganz sicher die wesentliche Richtgröße für linke Politik, nämlich die Gesellschaft danach einzurichten, was objektiv gut für alle und was subjektiv als erstrebenswert für alle angesehen werden kann (worauf man sich einigen muß). Dies ist freilich ein substantieller Politikbegriff, der neutrale bezeichnet in der Demokratie den Lobbyismus, seine Interessen in der Allgemeinheit durchzusetzen. Bürgerlich ist die formale Gleichheit, alle Interessen sind gleichviel wert, das Interesse der vielen Armen und der wenigen Reichen, es muß nur ein Ausgleich gefunden werden, und nach der Berechtigung subjektiver Interessen wird nicht gefragt. Das freie Spiel der antagonistischen Interessen. Das ist der Unterschied von linker und bürgerlicher Politik. Der bürgerlichen stellt sich nicht die Frage der Wahrheit. Ich habe ganz vergessen die konservative Politik, sie beruht auf der zynischen „Wahrheit“ einer Herrschaftsordnung gemäß des Rechts des Stärkeren.
"daß ich ein subjektives Glückserlebnis, das auf einem objektiven Grund beruht, der es als angemessen erscheinen läßt, einem solchen, das keinen solchen Grund vorweist, nicht nur vorziehe, sondern es für objektiv halte."
Das halte ich für erkenntnistheoretisch und philosophisch gewagt.
Ich denke, es kann kein objektives Glückserlebnis geben (im Unterschied zu einem subjektiven), weil ein Erlebnis per se subjektiv ist.
Wenn Sie ein Glückserlebnis einem anderen vorziehen, dann deshalb, weil es f ü r S i e das grössere (meinetwegen auch tiefere) Glückserlebnis ist. Das sagt nur etwas über Sie aus, es etabliert keine allgemein gültige Skala des Werts von Glückserlebnissen. Der in allem subversive Funny van Dannen hat eine Glücksskala definiert, die der Ihren entgegengesetzt ist. Natürlich meint er das nicht bierernst, aber in gewissem Sinne ernst meint er das eben schon. Wenn Sie eine demokratischen Abstimmung machen, gewinnt Funnys Skala gegen Ihre.
"Ihre „Arroganz“ ist eine Retourkutsche auf meine Kritik des balderdash"
Nein. Ich habe es nicht so mit Retourkutschen. Ich meine das ernst. Im Englischen gibt es dafür den Begriff "better than thou", im Deutschen wird es wohl am Besten durch Selbstgerechtigkeit getroffen. Das bezeichnet den Irrglauben, höher zu stehen als andere Menschen, weil man andere Präferenzen hat als diese.
"Wahrheit, objektive wie subjektive, ist ganz sicher die wesentliche Richtgröße für linke Politik"
So wenig wie es so etwas wie objektive Glücksgefühle gibt, gibt es so etwas wie subjektive Wahrheit. "Subjektive Wahrheit" ist ein vornehmes Synonym für "sich selbst in die Tasche lügen". In diesem Sinne ist "subjektive Wahrheit" tatsächlich die Richtgrösse dessen, was sich heute als linke Politik versteht, nämlich die Ansicht, dass die eigenen Ansichten, die nichts weiter als Ansichten sind, die Wahrheit seien. Das ist - mit Verlaub - nichts weiter als Verblendung. Es ist die Verengung des Wahrheitsbegriffs auf den eigenen Horizont.
„ein subjektives Glückserlebnis, das auf einem objektiven Grund beruht“ (Endemann) ist kein „objektives Glückserlebnis“ (Unterstellung von Jeschke), so genau sollte man sein.
Hier muß ich doch einmal erklären, was „objektive“ und was „subjektive Wahrheit“ ist. „Wahrheit“ ist ein menschengemachter Begriff, mit dem das Ausmaß der Übereinstimmung, korrekter die Abbildungstreue von Denkkonstrukt und Realobjekt bezeichnet wird. Die „objektive Wirklichkeit“ ist die Vorstellung eines vom subjektiven Wahrnehmen und Erleben unabhängigen Seins (Kant hat das das Ding-an-sich genannt). Wahrheit ist keine Kategorie dieses Seins. Sein IST, es gibt nicht das Sein und die Wahrheit des Seins. Wenn wir von objektiver Wahrheit reden, meinen wir also, daß unser Denken das tatsächliche Sein getreu abbildet. Es gibt aber keine vollständige Kongruenz von Abgebildetem und Bild, es gibt keine absolute Deckung beider, keine absolute Wahrheit, so schlau war schon Popper, der jedoch nicht darüber hinaus denken konnte. Wir dürfen aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an eine hinreichende Abbildungsleistung unseres Denkens glauben. Wäre die Welt eine deterministische, würde der objektive Wahrheitsbegriff völlig ausreichen. Vielleicht sind Sie Positivist und von der (um Zufälligkeit erweiterten) vollkommenen Determiniertheit der Welt überzeugt. Ich will hier überhaupt nicht thematisieren, daß diese Position mE erkenntnistheoretischer Unsinn ist. Es reicht mir, darauf hinzuweisen, daß man davon nicht überzeugt sein muß. Dann ist die Welt kein geschlossenes System von wahr (was ist) und falsch (was nicht ist) – tertium non datur, sondern von Möglichkeiten, die davon abhängen, wie sich Subjekte, Entscheider, entscheiden. Und das Entscheiden hat auch nur Sinn, wenn die Entscheidungen nicht alle äquivalent sind. Dann gibt es bessere und schlechtere Entscheidungen, die man eben besser oder schlechter begründen kann.Dann und nur dann macht Politik Sinn, dh über die Verfaßtheit der Gesellschaft zu entscheiden, weil es ein Besser und ein Schlechter gibt.
Ich sehe in Ihrer Position eine Aporie: Wenn es kein Besser oder Schlechter, also keine besser oder schlechter begründbare, und eben von der Qualität dieser Begründung abhängige bedingte, vom Begründer subjektiv fomulierte und daher als „subjektiv“ bezeichnete Wahrheit gibt, gibt es keinen Grund mehr für Politik. Dann gibt es in einem vollständigen Determinismus ohnehin nichts zu ändern, oder dem Determinismus steht ein Voluntarismus zur Seite, das ist mit der „Welt als Wille und Vorstellung“ vereinbar, nicht mit einer aufgeklärten, humanistischen Welt.
Das Lied von van Dannen erinnert ja an Brechts „und erstens, vergeßt nicht, kommt das Fressen“, natürlich ist das Ironie, die tiefere Bedeutung liegt in der Ambivalenz, daß es richtig und falsch ist. Die menschlichen Basisbedürfnisse müssen befriedigt werden, sie sind gut/richtig/unkritisierbar, das ist die Bedingung für ein Leben in Würde, aber all die Linken, die das anmahnen, sind keine Feinde der Kultur, die andernfalls nur als Dekadenz verstanden werden kann, Marx sieht den „Neuen Menschen“, der ein emanzipierter Mensch ist, als einen Freien, der eben auch Wissenschaftler, Künstler und Philosoph ist.
Sie hätten ja recht, wenn ich fordern würde, die Menschen müßten alle in einer perfekten Welt Wissenschaftler, Künstler und Philosophen sein, wenn sie das nicht wären, wären sie schlechtere Menschen. Für das richtige Trinken gibt es die besten Gründe, für das Besaufen nur den Grund von Kontrollverlust und Regression. Selbst das kann unter bestimmten Umständen gut begründet werden, aber in der Regel eben nicht. Dann zu sagen, das Bedürfnis dessen, der sich immer wieder mit schlimmen Folgen bis zur Besinnungslosigkeit oder einer Alkoholvergiftung besäuft, ist nicht weniger wert als das intellektuelle Bedürfnis, ein Buch zu lesen, finde ich absolut unverständlich. Ich bin ja durchaus für ein weitgehend unreglementiertes privates Handeln, gegen Alkoholverbote usw, aber das ist etwas anderes, als fragwürdige Bedürfnisse politisch zu fördern. Meine ursprüngliche Aussage war, die Glückssuche, die sich nicht begründen läßt, politisch nicht zu fördern, im Gegensatz zu solcher, die sich gut begründen läßt. Ich muß das verschärfen, es ist durchaus sinnvoll, nicht wertvollen, sondern schädlichen menschlichen Präferenzen politisch gegenzuarbeiten. Opernhäuser sollten subventioniert werden, damit dieses Kulturgut erhalten bleibt, jeder sollte sich einen Opernbesuch leisten können. Das Oktoberfest sollte nicht subventioniert werden, ich finde es richtig, daß Alkohol und Tabak künstlich verteuert werden, um ein wenig zu steuern. Wenn Sie das für arrogant halten, verteidigen Sie doch Ihr Brot-und-Spiele-Konzept, eine verantwortbare Position ist das nicht.
"Dann und nur dann macht Politik Sinn, dh über die Verfaßtheit der Gesellschaft zu entscheiden, weil es ein Besser und ein Schlechter gibt."
Nein. Politik braucht es einfach als Interessenausgleich, wenn nicht ein Autokrat die ganze Welt beherrscht hat. Politik ist in diesem Sinne das Vermeiden von Krieg, der die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Dabei ist Krieg sehr weitgehend zu verstehen, Bürgerkrieg und gewaltsame Revolutionen gehören dazu.
"Wenn es kein Besser oder Schlechter, also keine besser oder schlechter begründbare, und eben von der Qualität dieser Begründung abhängige bedingte, vom Begründer subjektiv fomulierte und daher als „subjektiv“ bezeichnete Wahrheit gibt, gibt es keinen Grund mehr für Politik."
Das ist ein Zirkelschluss aus Ihrer Voraussetzung, dass es Politik um Wahrheit geht. Das mögen einzelne Politiker annehmen (die meisten sicher nicht), aber das ist Rationalisierung und ein Mangel an Kenntnis der eigenen Motive.
"Dann zu sagen, das Bedürfnis dessen, der sich immer wieder mit schlimmen Folgen bis zur Besinnungslosigkeit oder einer Alkoholvergiftung besäuft"
Hier handelt es sich nicht um ein Bedürfnis und das Ergebnis ist nicht Glück.
"Meine ursprüngliche Aussage war, die Glückssuche, die sich nicht begründen läßt, politisch nicht zu fördern, im Gegensatz zu solcher, die sich gut begründen läßt."
Sex lässt sich sehr gut begründen, weil es erstens zum Wohlergehen aller eine nächste Generation braucht und weil zweitens guter Sex einen anderen Menschen beglückt. Das Lesen eines Buches, so gut das Buch auch sei, muss daneben egoistisch erscheinen. Was nun?
Und was ist, wenn ich Glück dabei empfinde, ein Buch von Houellebecq zu lesen?
Sie sagen: es gibt kein besser oder schlechter, nur Interessenausgleich. Aber warum Interessenausgleich und nicht Interessendurchsetzung? Da sagen manche, der Krieg ist der Vater aller Dinge. Wie können Sie für den Interessenausgleich sein, wenn er nicht besser als Interessendurchsetzung ist? Keinen Sinn für diesen fundamentalen Widerspruch?
Jede Seite versucht, ihre Interessen durchzusetzen, ist also nicht primär an einem Ausgleich interessiert. Dabei trifft sie auf Widerstand. Diesen Widerstand zu überwinden, hat Kosten. Dadurch verschiebt sich die Interessenlage etwas. So kommt es zum Ausgleich.
Das muss so sein, damit die Gesellschaft die Balance nicht verliert, erfordert aber, dass alle Seiten durchsetzungsfähig und widerstandsfähig sind.
Das ist technokratischer bullshit, tut mir leid, das so hart formulieren zu müssen. Was Sie hier propagieren, ist (ich weiß nicht, ob typisch schweizerisches) biedermeierlich-bürgerliches Wunschdenken, das im wissenschaftlichen Denken keinen Platz haben sollte. Gesellschaften sind interaktive und kommunikative Systeme, die ihren Mitgliedern insgesamt Kooperationsvorteile bringen und sich daher bei vielen Tieren (meist als Kleingruppen) und den Menschen ausgebildet haben. Von dem systemischen Handeln profitieren aber die Mitglieder oft sehr unterschiedlich, manche gar nicht. Wenn zu wenige profitieren, zu viele sogar geschädigt werden, geht der gesellschaftliche Zusammenhang verloren. Die meisten bisherigen Gesellschaften, wohl nicht alle, da hat Marx vielleicht rhetorisch übertrieben, waren/sind wesentlich Klassengesellschaften, also Herrschaftssysteme, Gesellschaften, in denen sich (mindestens) ein innerer Antagonismus manifestiert oder zumindest latent ist.
Sie meinen also, das läuft schon, die Kapitalisten und die Lohnabhängigen versuchen, widerstands- und durchsetzungsfähig ihre Interessen durchzusetzen, bemerken dann den Widerstand und die daraus entstehenden Kosten, und dann stimmen sie einem Interessenausgleich und einer Machtbalance zu, die Politiker vermitteln diesen Prozeß. So kann der Kapitalismus die Balance halten. Na, dann Prost auf diesen ausgleichenden Kapitalismus, einen Mitstreiter haben Sie womöglich schon, Sloterdijk wollte auch den Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, dazu sollte das Steuersystem auf Freiwilligkeit umgestellt werden. Das nenne ich mal konsequent.
"Wenn zu wenige profitieren, zu viele sogar geschädigt werden, geht der gesellschaftliche Zusammenhang verloren. "
Wo wäre der Widerspruch zu dem, was ich erläutert habe? Das spricht genau den Punkt an, den ich mit Balance bezeichne.
Sloterdijk halte ich für verblasen - man merkt es schon an seiner Sprache.
Mit Kapitalismus hat das Ganze nichts zu tun. Meine Beschreibung erfasst nicht alle Aspekte von Politik, aber die Aspekte, die sie beschreibt, treten immer und überall auf.
Dann nochmal zum Mitschreiben. Unser Streit ging um Ihre Ablehnung eines Begriffs der „subjektiven Wahrheit“ und einer darauf gestützten Politik. Sie erklärten Interessen zur Basis der Politik und den Ausgleich der Interessen zu deren Ziel. Wenn aber Interessen sich nicht rechtfertigen müssen, also nicht richtig oder falsch sind (sein können), sondern nur sind, sind alle Interessen wertäquivalent. Dann geht es in der Tat nur noch um Interessenausgleich, jeder gibt ein wenig auf von seinen Interessen, bis man den Punkt findet, an dem die Interessendifferenz aushaltbar ist. So stellt sich der Bürger auch die Marktkonkurrenz vor. Da ergibt sich die Ideologie eines unschuldigen Lobbyismus, die Parlamentarier sind alle Lobbyisten, die den Ausgleich verhandeln. Das funktioniert auch mit einer Mafiagesellschaft, die Mafia hat ihre Lobbyisten im Parlament, der Steuerzahlerbund ebenso, wenn es genug von der Sorte gibt, auch die Mördergewerkschaft (Mörder haben das Interesse, in Ruhe gelassen ihrem Geschäft nachgehen zu können). Aber gut, lassen wir die Mörder weg. Es reicht, daß Kapitalisten als Kapitalisten ja auch leben wollen.
Damit, daß Sie der Politik den Maßstab einer freilich nicht völlig objektivierbaren Wahrheit entziehen, neutralisieren Sie die politiktheoretischen Begriffe, Politik sorgt nur noch dafür, daß das Ganze geordnet ist, die Ordnung hat keine ethische Dimension mehr, es gibt keine guten oder schlechten Ordnungen mehr, nur noch funktionierende und nichtfunktionierende. Das ist der Positivismus/Funktionalismus der schönen neuen Welt.
Das war schon von den Griechen anders gedacht, und sollte nach Kant nicht mehr gedacht werden können. Politik ist das Interesse an der Polis, an der Organisation der allgemeinen/verallgemeinerbaren Interessen aller Bürger, dieses Interesse muß bestimmbar sein, und darin ist ein subjektives Moment unauslöschbar, denn es gibt kein rein objektiv Gutes, „gut“ ist keine Seinskategorie. Wenn man aber nur objektive Wahrheit anerkennt, gibt es weder gute noch schlechte Gesellschaften. Wozu wäre dann Politik gut? Dies ist der fundamentale Widerspruch in Ihrer Argumentation.
Könnte Ihnen gefallen, beginnt nämlich gleich mit 2+2=4: Sternstunde Philosophie im SRF.
Claus Beibart ist an der Uni Bern, und nicht in Zürich, da liegt der Fehler. 2+2=5
:-D
"Wenn aber Interessen sich nicht rechtfertigen müssen, also nicht richtig oder falsch sind (sein können)"
Inwiefern kann denn Ihrer Meinung ein Interesse falsch sein und wer entscheidet das? Eine Person, die ein "richtiges" Interesse verfolgt? Und wie entscheidet man dann, welche Personen richtige Interessen verfolgen?
"sollte nach Kant nicht mehr gedacht werden können"
Ein zutiefst unphilosophischer Gedanke.
Die Folge habe ich tatsächlich noch nicht gesehen (und ich sehe viel zu wenige davon). Es gab übrigens sogar mal eine mit Sarah Wagenknecht.
Ich antworte, obwohl ich glaube, daß Ihre Fragen nicht ernst, sondern provokativ gemeint sind, sie könn(t)en sie sicher selbst beantworten.
Ein Interesse kann nicht falsch sein, aber es kann ein Partial- oder egoistisches und es kann ein Allgemeininteresse sein. Das muß nicht heißen, daß man diesen Unterschied immer sieht und den Charakter des Interesses richtig einordnet. Jeder muß diese Entscheidung für sich treffen, und er muß damit nicht richtig liegen. Prinzipiell kann man kommunikativ, im Austausch der Argumente meistens entscheiden, was legitime Allgemeininteressen sind. Elementare Bedürfnisse sind immer umsetzbar in legitime Allgemeininteressen. Diese können Ziel einer Politik in dem von mir erläuterten Sinn werden. Für den Bereich des Ethischen hat Kant den Kategorischen Imperativ formuliert. Aber selbstverständlich gibt es auch ein objektives Maß des „richtigen“ Interesses jenseits der legitimen Allgemeininteressen. Die Partial- oder egoistischen Interessen sind objektiv an ihrer Nützlich- oder Schädlichkeit für das Individuum selbst zu messen. Ein in diesem Sinn falsches Bedürfnis wird als krankhaft gedeutet und muß behandelt werden. Und selbstverständlich müssen sozial unverträgliche Bedürfnisse gesellschaftlich mehr oder weniger stark unterdrückt werden. Für die Beurteilung vieler solcher Bedürfnisse/Interessen reicht der sogenannte gesunde Menschenverstand nicht aus, da müssen Psychologen und Sozialwissenschaftler befragt werden.
Auch in der Philosophie gilt nicht, daß alles Denken gleich gut ist, daß anything goes. Ich habe vor kurzem mal darauf hingewiesen, wie man diese Formel verstehen muß. Wir alle sind heutzutage ein bißchen Kantianer. Im engeren Sinne bin ich das nicht, aber das heißt nicht, daß man hinter das Reflexionsniveau von Kant zurückfallen sollte. Kant ist in manchem etwas überholt, aber jedes philosophische Denken muß die Problematisierungen von Kant auf dem Schirm haben. Vorkantisch zu denken ist so töricht wie in unserem Vorstellen der physischen Welt vorrelativistisch zu denken.
Wenn der Relativismus dominiert, kannst Du nicht mehr 'kantig' argumentieren. :-)
Allerdings hebt der sich ja bekanntlich ab einer gewissen Strenge selbst wieder auf, zumindest was die Logik betrifft.
"aber es kann ein Partial- oder egoistisches und es kann ein Allgemeininteresse sein"
Ja, aber man braucht eben eine Balance zwischen den Rechten des Individuums und denen der Allgemeinheit (und der Untergruppen dieser Allgemeinheit). Denn die Allgemeinheit besteht aus Einzelnen. In j e d e m Einzelnen gibt es daher einen Konflikt zwischen Individual- und Allgemeininteressen.
Deshalb braucht man eben auch Interessenausgleich zwischen individuellen Interessen, Partialinteressen und Interessen der Allgemeinheit.
"Und selbstverständlich müssen sozial unverträgliche Bedürfnisse gesellschaftlich mehr oder weniger stark unterdrückt werden. Für die Beurteilung vieler solcher Bedürfnisse/Interessen reicht der sogenannte gesunde Menschenverstand nicht aus, da müssen Psychologen und Sozialwissenschaftler befragt werden."
Nein. Letzteres wäre Diktatur, bestenfalls Technokratie. Und Psychologie und Sozialwissenschaften können nun mal wirklich nichts beweisen.
In einer Demokratie entscheidet die Gesellschaft, also der gesunde Menschenverstand, nach breiter Diskussion, was unterdrückt werden sollte und was nicht unterdrückt werden darf.
"Auch in der Philosophie gilt nicht, daß alles Denken gleich gut ist, daß anything goes. "
Das sah der Philosoph Paul Feyerabend anders (Against Method. Outline of an anarchistic Theory of Knowledge).
Nun muss man Feyerabend sicher mit einem Augenzwinkern lesen. Der Punkt ist aber, dass man j e d e n Philosophen (sowie jede der wenigen Philosophinnen) mit einem Augenzwinkern lesen muss.
Sie denken fast immer vorrelativistisch über die Welt und ihre Umgebung. Wetten das?
Kant ist der Philosoph der klassischen Newtonschen Physik. Daß gerade auf dem Feld, wo man größte Objektivität und einen festen Halt zu haben vermeinte, alles mit einer Relativität ins Rutschen gerät, die Logik von 0 und 1 zum Grenzfall wird usw, das ist doch eine schöne Ironie der Geschichte.
Selbstverständlich gibt es Konflikte, äußere und innere, die nach einem Ausgleich verlangen. Ich habe ja nur Ihr eindimensionales bürgerlich-biedermeierliches Weltbild kritisiert, alle Konflikte für im Kompromiß lösbar zu halten. Daß es das Geschäft der Politik ist, Kompromisse zu finden. Als müsse etwa heute ein Kompromiß zwischen den Ökonomen und den Ökologen gefunden werden. Die Ökonomie muß revolutioniert werden, wenn die Ökologie eine Chance haben soll. Da reicht nicht „darf es denn ein bißchen grüner sein?“. Und nicht, „darf der Hartz4-Satz ein bißchen angehoben werden?“
Es ist schon keck, das dualistische Weltbild der Positivisten. Einerseits das Streben nach einer objektiven, unbezweifelbaren Wahrheit, in der die Bedingtheit des Denkens ausgelöscht ist, andrerseits die soziale Welt, in der Wahrheit keinen Platz haben soll, reiner Voluntarismus herrscht.
Den Urknall kann man beweisen, aber „Psychologie und Sozialwissenschaften können nun mal wirklich nichts beweisen.“ Daher brauchen wir alle diese Pseudowissenschaften und Pseudowissenschaftler nicht. Na, dann hoffe ich nur, daß Sie nicht mal in eine Lebenskrise geraten und die Hilfe dieser Scharlatane in Anspruch nehmen müssen resp sich in deren Diktatur verfangen.
„In einer Demokratie entscheidet die Gesellschaft, also der gesunde Menschenverstand, nach breiter Diskussion, was unterdrückt werden sollte und was nicht unterdrückt werden darf.“
Und Sie meinen, dabei sollte die Wahrheit keine Rolle spielen (Sie ersetzen hier die Wahrheit nicht als Diktator, sondern als regulative Idee durch das Meinen und den Willen)? Das Netz hat immer recht, denn breiter geht die Diskussion ja nicht? Es ist schon erstaunlich, wie sehr Sie als Wissenschaftler die Wissenschaft verachten und die Trommel des gesunden Menschenverstands rühren. Auch ‘33 hat der gesunde Menschenverstand gesiegt, oder wollen Sie sich zum Richter über Bedürfnisse, Interessen, Denkgewohnheiten aufspielen und definieren, was der gesunde Menschenverstand ist? Ich glaube, Sie haben sich hier schwer verheddert.
„Sie denken fast immer vorrelativistisch über die Welt und ihre Umgebung.“
Aber sicher. Sogar vorrational. Wir schleppen Überreste der gesamten Menschheitsgeschichte wie geistige Blinddärme mit uns rum, die alten Schichten sind nicht sauber entfernt worden, als sich neue abgelagert haben. Die meisten Menschen zeigen noch viel magisches Denken, obwohl fast jeder irgendwo weiß, daß das Quatsch ist. Wobei es einen großen Unterschied macht, praktisch korrekt in der Mesoperspektive oder in Konstrukten von Sternenhoroskopien zu denken. Der Neue Mensch, wenn es einen gibt, ist der alte mit einer starken Schicht Anpassung an den aktuellen Wissensstand, der Neue Mensch wird mit einem postmodernen Paradigma die Welt sehen. Er entsteht gerade.
Man muß jedoch Alltagsdenken und elaboriertes Denken unterscheiden. Als Alltagsmensch darf ich an Horoskope glauben, als Wissenschaftler nicht. Wildes Denken hat seine Berechtigung. Aber Wissenschaft erhebt nun mal notwendig den Methodenzwang. Wie gesagt, Feyerabend hat recht, daß wie uns nicht vor dem Denken grundlos festlegen dürfen. Am Anfang der Wissenschaft steht die Offenheit, aber die wissenschaftliche Arbeit schließt immer mehr Sackgassen des Denkens. Man kann heute nicht mehr an die Ptolemäische Himmelsmechanik glauben. Als Physiker darf ich nicht mehr naiv vorrealistisch denken. Der Physiker ist natürlich ein Mensch, also darf er in seiner Freizeit sehr wohl über Horoskope schmunzeln und sich fragen „stimmt denn, was die Sternendeuter mir sagen?“
" Ihr eindimensionales bürgerlich-biedermeierliches Weltbild kritisiert, alle Konflikte für im Kompromiß lösbar zu halten"
Das habe ich nicht behauptet. Ich habe behauptet, dass es Interessenkonflikte gibt, bei denen Ausgleich möglich ist und dass Politik dazu da ist, diesen zu schaffen. Das sagt nichts darüber aus, ob es auch Probleme gibt, die nicht auf diesem Wege lösbar sind.
"Als müsse etwa heute ein Kompromiß zwischen den Ökonomen und den Ökologen gefunden werden."
Ganz schlechtes Beispiel. Hier muss tatsächlich ein Kompromiss gefunden werden. Die möglichen Ökologien sind durch ökonomische Randbedingungen eingeschränkt.
"Daher brauchen wir alle diese Pseudowissenschaften und Pseudowissenschaftler nicht."
Da legen Sie mir schon wieder etwas in den Mund, was ich nicht gesagt habe.
Es braucht Psychologie und Soziologie und ich lese Bücher auf diesen Gebieten, weil man daraus etwas lernen kann (die besseren sind auch unterhaltsam, aber das ist nicht die Hauptsache). Daraus folgt aber nicht, dass die Schlussfolgerungen auf diesen Gebieten stabile Wahrheiten wären wie etwa das Fallgesetz.
Psychologie und Soziologie können keine sicheren Vorhersagen machen.
"Und Sie meinen, dabei sollte die Wahrheit keine Rolle spielen...?"
Sie nehmen da ein grosses Wort in den Mund. Soziologie etwa hängt vom Zustand einer Gesellschaft ab. Die soziologische "Wahrheit" in Deutschland ist nicht die soziologische Wahrheit in Nigeria und die deutsche von 2021 ist nicht diejenige von 1990 - was sage ich? - diejenige von März 2021 ist nicht diejenige von Januar 2020.
Wenn Sie so gegen Demokratie sind - wer soll denn dann entscheiden? Und wie wird ausgewáhlt, wer das ist?
"Die meisten Menschen zeigen noch viel magisches Denken, obwohl fast jeder irgendwo weiß, daß das Quatsch ist."
Ist es das?
Mir scheint, wenn es psychosomatische Krankheiten gibt, muss magisches Denken nicht notwendig Quatsch sein.
Für eine Blinddarmentzündung oder einen Schlüsselbeinbruch brauchen Sie Schulmedizin.
Wenn Ihnen die Verhältnisse auf Arbeit "auf die Leber schlagen", könnte Vodoo unter Umständen effektiver sein als ein Medikament.
"Man muß jedoch Alltagsdenken und elaboriertes Denken unterscheiden."
Sicher. Das Alltagsdenken ist den Alltagsproblemen angemessen. Nur sind eben die meisten Probleme Alltagsprobleme.
Das Alltagsdenken (bzw. Intuition) dürfte sogar in der Politik in der Mehrzahl der Fälle besser funktionieren als politikwissenschaftliche Ansätze, die komplexe Zusammenhänge grotesk vereinfachen und vor allem von der menschlichen Komponente, dem Allzumenschlichen, abstrahieren.
Hinterher steckt der Teufel dann im Detail und das Detail ist das Allzumenschliche.
„Das habe ich nicht behauptet.“ - Indirekt ergibt sich das schon, wenn Sie Politik als Interessenausgleich definieren. Was ist dann Machtpolitik? Aber darauf will ich gar nicht hinaus, sondern auf die konstruktive Rolle der Politik. Das ist, die Polis zum Objekt der Überlegungen zu machen. Da ist die Neutralisierung von zentrifugalen Kräften nur ein kleiner Aspekt. Wenn Konflikte weder lösbar noch als Dauerkonflikt akzeptabel sind, muß Politik die Konflikte lösen, indem sie die eine Seite verwirft und sich für die andere entscheidet, und welche Seite das ist, muß durch gute Argumente begründet sein, wie denn sonst? Wichtiger aber ist, daß Politik nicht nur Interessen verwaltet/moderiert; sie ist das Feld, auf dem Interessen generiert werden. So organisiert Politik eine allgemeine Willensbildung und eine Gestaltungsmacht zur Konstitution eines das Leben aller oder möglichst vieler befördernden Gesellschaftssystems. Das sollte zumindest die Rolle der Politik sein.
Kompromiß von Ökonomie und Ökologie? Da sind sich die meisten Linken einig, daß es keinen stabilisierbaren Kompromiß zwischen dem auf Wachstumszwang beruhenden Kapitalismus und der ökologischen Nachhaltigkeit gibt.
„Psychologie und Soziologie können keine sicheren Vorhersagen machen.“ - Ja und, funktionieren denn Ihre Ausgleichspolitiker nach Naturgesetzen? Die Naturwissenschaft kann mir sagen, wie ich mich verhalten muß, um nicht hinzufallen, aber nicht, wie ich mich verhalten muß, um ein gutes Leben zu führen. Vielleicht erläutere ich Ihnen mal in Ihrem Nachbarblog, was allgemeingültige und was bedingte Wahrheit ist. Per definitionem liefern die Geisteswissenschaften keine allgemeingültigen Wahrheiten, aber sie liefern die bedingten, und die sind dann anwendbar und können das Handeln sinnvoll leiten.
Die Gesellschaft bzw die soziale Interaktion und Identität ist der Forschungsgegenstand der Soziologie. Sie untersucht verschiedene Gesellschaften und versucht dann, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Falls Sie das hier aussagen wollten, kann ich nur zustimmen.
Nein, ich bin keineswegs gegen Demokratie. Wie ich in anderen Kontexten schon bemerkt habe, gilt das Selbstbestimmungsrecht auch für die Dummen. Wenn die Gesellschaft sich demokratisch „falsch“ entscheidet, dann ist das zu respektieren. Aber eine gute Gesellschaft/Demokratie zieht in ihren Entscheidungsfindungen die Wahrheit als regulative Idee zu Rate. Sie diskutiert und läßt Wissenschaftler zu Wort kommen. Aufgeklärte Menschen sind sehr stark wahrheitsorientiert. Und die Mündigkeit ist ein politisches Ziel jenseits aller partikularen Interessen.
„Ist es das?“ - Selbstverständlich. Daß es Quatsch ist, heißt ja keineswegs, daß es nicht funktional sein kann. Im Fall psychischer Probleme oder Erkrankung lehne ich die méthode Coué keineswegs ab. Ich habe auch kein schlechtes Gewissen, einem geliebten Menschen auf dem Sterbebett die bittere Wahrheit über seinen Zustand zu verschweigen. Oder ein Kind, das etwas kindisches gemacht hat, mit den Worten „das hast du gut gemacht“ aufzumuntern. Wie gesagt: das magische Denken steckt noch in uns allen. Unsere kleinen Fluchten aus der Realität. Und im Alltag laufen mehr Routinen ab als Überlegungen. Nur sollte man latent wissen, wo man auf Magie regrediert oder bewußt auf Phantasie umsteigt, und immerhin, den meisten ist das meistens klar.
"Indirekt ergibt sich das schon, wenn Sie Politik als Interessenausgleich definieren. Was ist dann Machtpolitik?"
Machtpolitik ist der Versuch, eigene Interessen durchzusetzen oder bessere Voraussetzungen zu schaffen, um das in der Folge zu tun.
Wenn das alle Seiten machen, resultiert daraus Interessenausgleich. Ob dieser Ausgleich "fair" ist, ist eine ganz andere Frage. Das ist auch in vielen Fällen schwer zu entscheiden.
"Wenn Konflikte weder lösbar noch als Dauerkonflikt akzeptabel sind, muß Politik die Konflikte lösen, indem sie die eine Seite verwirft und sich für die andere entscheidet"
Keineswegs. Um mal auf Marx zurückzukommen, lebt der Kapitalismus seit seiner Entstehung mit einem Dauer(interessen)konflikt zwischen Kapitaleignern und lohnabhängigen Arbeitern (in weitestem Sinne, heut: unselbstständig Beschäftigten). Der Interessenausgleich wird immer wieder neu ausgehandelt.
Gesellschaft ist ein dynamisch Ssytem und Gegensätze bedingen einander. Es besteht kein Grund, Dauerkonflikte zu lösen, indem man eine Seite verwirft.
"zwischen dem auf Wachstumszwang beruhenden Kapitalismus"
Sie haben gerade Kapitalismus und Ökonomie gleichgesetzt. Das ist eine sehr kühne Idee.
"Ja und, funktionieren denn Ihre Ausgleichspolitiker nach Naturgesetzen?"
Nee, es geht darum, ob es in der Politik eine Wahrheit gibt, in dem Sinne, wie es in der Physik eine Wahrheit gibt.
Das ist nicht der Fall.
"Wenn die Gesellschaft sich demokratisch „falsch“ entscheidet, dann ist das zu respektieren. Aber eine gute Gesellschaft/Demokratie zieht in ihren Entscheidungsfindungen die Wahrheit als regulative Idee zu Rate. "
Da sind wir uns einig. Es muss nur auch diskutierbar bleiben, was Wahrheit ist und in welchen Fragen man sie kennt. Mit dem Begriff wird viel Schindluder getrieben.
Leute, die im Politischen "Wahrheit" sagen, betreiben in aller Regel Propaganda.
"Selbstverständlich. Daß es Quatsch ist, heißt ja keineswegs, daß es nicht funktional sein kann."
Nein. Nein. Nein.
Was funktional ist, ist nicht Quatsch.
Dass es in einer anderen Weltsicht keinen Sinn ergibt, ist kein Gegengrund. Genau das ist der wahre Kern an Feyerabends Idee.
Ihren Smith haben Sie gelesen, Sie hätten auch mal Marx lesen sollen. „Machtpolitik ist der Versuch, eigene Interessen durchzusetzen“ - eben, Politik nicht als Interessenausgleich, sondern als Elimination fremder Interessen. Aber da kommt Smith: Indem alle egoistisch handeln, kommt – oh Wunder – das Wohl aller zustande. Jaja, durch den Krieg aller gegen alle kommt der himmlische Frieden zustande. Das ist ein tolles Argument. Übrigens steckt in dem Argument das vom Krieg als Vater aller Dinge, das kapitalistische Elend ist notwendig, damit es allen mal besser geht. Sie sind ein Dialektiker. Und haben in der schönen Schweiz Ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht. Das nehme ich kopfschüttelnd zur Kenntnis, kritisiere ich als persönliche Strategie aber nicht. Andere sind angepaßt, ohne ein(e) Rechtfertigungsideologie/-konzept zu haben. Ich habe Verständnis für alle, das ist der marxsche Wissenschaftsstandpunkt, alles zu verstehen, bevor man es beurteilt. Die bürgerliche Welt ist kapitalismusaffirmativ, und man kann niemandem vorwerfen, auf die Macht der Ideologie hereinzufallen.
„Sie haben gerade Kapitalismus und Ökonomie gleichgesetzt.“ - Wieso denn das, nur wenn der Kapitalismus zur Natur des Menschen gehört, daher ewig ist. Marxisten wollen eine grundsätzlich andere Ökonomie, oder wenn Sie so wollen, eine andere Form, ökonomischen Notwendigkeiten gerecht zu werden.
Richtig, es gibt „in der Politik“ keine „Wahrheit in dem Sinne, wie es in der Physik eine Wahrheit gibt“. Nur schließen Sie daraus, weil Sie Positivist sind, daß es keine gesellschafts- oder geisteswissenschaftliche Wahrheiten gibt, sondern nur absolute der Physik. Das ist doppelt falsch, denn weder die physikalischen Wahrheiten sind absolut, noch sind die geisteswissenschaftlichen reine Hirngespinste/vormoderne Metaphysik.
„Was funktional ist, ist nicht Quatsch.“ - völlig richtig. Nur warum widersprechen Sie mir mit dreifachem Nein? Ich sage doch, der Quatsch, oder sagen wir: der Irrtum, die Täuschung funktioniert. Bestes Beispiel die self fullfilling prophecy, oder das Placebo. Letzteres für ein an-sich-wirksames, also objektiv wirksames Medikament zu halten, ist Quatsch. Aber es wirkt, weil man es für ein solches hält, krasser noch, weil man sich das suggeriert.
"Indem alle egoistisch handeln, kommt – oh Wunder – das Wohl aller zustande."
Das ist etwas verkürzt formuliert.
Es handeln alle egoistisch und das werden Sie nicht ändern. Damit dadurch das Wohl aller nicht ganz unter die Räder kommt, müssen die Interessen einigermassen ausgeglichen werden. Da Gott das nicht für uns tut, funktioniert es nur, wenn die Akteure auf allen Seiten standfest sind.
"Wieso denn das, nur wenn der Kapitalismus zur Natur des Menschen gehört, daher ewig ist."
Ich darf Sie noch einmal erinnern, wie wir dahin gekommen waren. Sie hatten gesagt, es könne keinen Kompromiss zwischen Ökologie und Ökonomie geben. Ich hatte geantwortet, dass es gerade diesen geben muss, weil Ökonomie Randbedingungen für mögliche ökologische Lösungen setze. Daraufhin hatten Sie argumentiert, ein auf Wachstum beruhender Kapitalismus sei mit Ökologie unvereinbar.
Das nenne ich eine Gleichsetzung von Ökonomie und Kapitalismus.
"Es handeln alle egoistisch und das werden Sie nicht ändern."
Können Sie das belegen?
So würden Sie doch normaleweise vorgehen?
"Das ist doppelt falsch, denn weder die physikalischen Wahrheiten sind absolut, noch sind die geisteswissenschaftlichen reine Hirngespinste/vormoderne Metaphysik."
Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist eine praktische: Kann ich Vorhersagen einer Theorie trauen? Und kann ich den Ausgang auch beeinflussen?
Das funktioniert in der Physik fast immer. In der Soziologie funktioniert das mit den Vorhersagen gelegentlich und dass mit dem Einfluss auf den Ausgang fast nie.
Daraus folgt nicht, dass Soziologie nur aus Hirngespinsten bestünde. Aber sie ist viel eher eine deskriptive Wissenschaft als eine Wissenschaft, die Handlungsempfehlungen geben kann.
Lesen Sie doch mal, was Vance Packard Ende der 1950er bis 1990 über soziale Phänomene geschrieben hat. Das ist vielleicht keine akademische Soziologie, sondern eher populärwissenschaftliche, aber es ist sehr klar gedacht. Dort gibt es Analysen darüber, wohin bestimmte, damals zu beobachtende Entwicklungen führen werden. Sie sind in grossen Teilen eingetroffen, obwohl gerade die Linke das in vielen Fällen ungern hört.
Nur folg(t)en auch aus Packards Analysen keine Handlungsempfehlungen, weil diese Prozesse nicht steuerbar sind.
"Letzteres für ein an-sich-wirksames, also objektiv wirksames Medikament zu halten, ist Quatsch."
Was wirkt, wirkt. Was bedeutet "objektive Wirksamkeit"?
Ich würde sagen, dass hier Sie es sind, der szientistisch argumentiert. Sie behaupten letztlich, dass nur biochemisch vermittelte Wirksamkeit objektive Wirksamkeit ist.
Angenommen, ich habe ein Medikament, das in 30% der Fälle heilt und starke Nebenwirkungen hat. Das Placebo heile in 25% der Fälle. Die Krankheit sei nicht lebensbedrohlich und nicht sehr schwer.
Man sollte das Placebo verabreichen. Auch dieses hat Nebenwirkungen, aber nur diejenigen, die auf dem Beipackzettel stehen und beim Placebo kann man anpassen, was man auf den Beipackzettel schreibt.
Das Problem ist, dass bei dem Medikament Placebol zu viele Verdacht schöpfen würden und dass es dann nicht mehr wirkt.
Dass alle egoistisch handeln, bedarf nun wirklich keines Beweises. Wir haben uns in der Evolution durchgesetzt, weil wir so sind.
Die Geschichte von Jesus Christus hätte übrigens niemanden auch nur im Geringsten angehoben, wenn es anders wäre.
Dass es nicht zu ändern ist, sieht man daran, wie viele sich daran schon versucht haben, erfolglos. Das ist wie beim Perpetuum mobile - wenn es so viele probieren und es nie geht, darf man wohl schliessen, dass es nicht möglich ist.
Der unzutreffende Vergleich wird auch nicht mit Jesus 'geheilt'.
Sie argumentieren biologistisch/naturalistisch und heben das auf die Ebene des menschlichen Verhaltens generell, also auch auf die Ebene moralisch/ethischen Erkenntnisvermögens.
Es sei denn, Sie sehen sich als deterministisch festgelegte Person, die auch in ihrer Personalität diesem evolutionären Prozess unterworfen wäre.
Aber sicher kann man auch noch den Altruismus so begründen, dass dieser der persönlichen 'Selbstbefriedigung' dient. Nun kann sich ja jeder mal selbst prüfen, wo er oder sie schon mal so irrational war und diesem 'Gefängnis' entkommen ist.
Auch wenn das Weltgeschehen einer inne liegenden 'Dummheit'/(Zufall-Notwendigkeit) zu entsprechen scheint, gibt es doch auch positive Verläufe, die sich nicht so einfach erklären lassen.
Außerdem, nach dem 1ten gesichteten "schwarzen Schwan", bricht diese Theorie zusammen. Was aber nicht besagt, dass unsere Verbindung zur evolutionären Natur völlig unbelastet ist.
"Außerdem, nach dem 1ten gesichteten "schwarzen Schwan", bricht diese Theorie zusammen."
Nee. Erstens habe ich schon mal einen gesehen, 1993 in japan (hübsches Foto, ein weisser und ein schwarzer Schwan einander gegenüber, keine zwei Meter voneinander entfernt, ich glaube glatt, die hatte jemand für dieses Fotomotiv dressiert).
Zweitens hilft bei Egoismus der eine schwarze gegen die 6,999 999 999 Milliarden weissen Schwäne nix. Der eine Jesus hat die Welt ja auch nicht erlöst. Das politische System muss schon so gebaut sein, dass es mit dem Egoismus der rundgerechnet 7 Milliarden fertig wird.
Sie befinden sich hier eher in der Position von Abraham, der Sodom und Gomorrha hätte retten können, wenn sich dort 10 Gerechte gefunden hätten. Fanden sich aber nicht.
Wo/womit haben Sie denn jetzt ihre steile These bewiesen: "Es handeln alle egoistisch und das werden Sie nicht ändern."
Das Beispiel mit dem "schwarzen Schwan" ist Ihnen in dem Kontext nicht bekannt? Aber sicher doch. Ok, Jesus zählen Sie dann nicht, der hatte ja auch ein theologisches Gender-Problem.
Es reicht bereits eine Ausnahme und ihre These ist widerlegt!
Aber besser diskutieren Sie das mit Moorleiche weiter, der hat da einen längeren Atem.
"Es reicht bereits eine Ausnahme und ihre These ist widerlegt!"
Nee, da verwechseln Sie jetzt gerade strenge Mathematik mit Soziologie.
Der Satz "Es handeln alle egoistisch und das werden Sie nicht ändern." ist in für alle praktischen Zwecke ausreichender Näherung richtig.
Meinetwegen können Sie ein politisches System für die Jesusse dieser Welt entwerfen. Es wird sich in der Menschheit nicht durchsetzen.
"Es wird sich in der Menschheit nicht durchsetzen."
Oder: Wie viele Gerechte finden Sie in der Bundestagsfraktion der Union?
@ Gunnar Jeschke, zu den vorstehenden Kommentaren, auch zu @ Pleifel
Werter Herr Jeschke, ich bitte Sie, noch einmal das zu lesen, was Sie Paul und mir hier geantwortet haben. Ich sehe Sie immer noch als einen ernst zu nehmenden Wissenschaftler, aber diese Äußerungen sind plumpste Ideologie. Man kann Egoismus definieren als ein Handeln, das ohne Rücksicht auf die Folgen für andere zum Wohle des Egos praktiziert wird, und umgekehrt Altruismus als ein Handeln, das zum Wohle von anderen praktiziert wird, ohne Rücksicht auf die Bedeutung, die es für einen selbst, das Ego, hat. Es ist natürlich in den Geisteswissenschaften immer ein Problem, wie klar man solche Begriffe mit Wirklichkeit identifizieren kann, aber die Anwendbarkeit unterstellt ist das vorstehende Definitionspaar konsistent. Im Tierreich sind beide Verhaltensformen evolutiv entstanden und immer weiter verfeinert worden. Und zwar bei jeder Tierart in einem charakteristischen Mischungsverhältnis. Der Mensch ist ein Tier, auch er verfügt über diese beiden Verhaltenstendenzen in einem charakteristischen Verhältnis. Das kann man naturwissenschaftlich genau ermitteln. Bislang spreche ich von dem spontanen Verhalten. Beim Menschen kommt ganz wesentlich das Bewußtsein hinzu, also das bewußtseinvermittelte Handeln. Dieses Bewußtsein ist nicht auf bestimmtes Verhalten festgelegt, es existiert ja gerade, weil damit die angeborenen Verhaltenssteuerungsimpulse modifizierbar sein sollten, und Handlungsalternativen entwickelt werden können sollen. Wir haben also nicht nur ein genetisch programmiertes Verhältnis von egoistischen und altruistischen Impulsen, sondern auch ein in der je spezifischen Gesellschaft durch Bewußtsein modifiziertes Verhältnis von Egoismus und Altruismus. Eine Gesellschaft kann zB sehr eng das Handeln ethisch oder moralisch (der Unterschied dabei ist: das ethische Handeln ist freiwillig, das moralische geschieht unter Druck, psychologisch redet man vom Über-Ich) reglementieren. Daher kann es egoistische und altruistische Gesellschaften geben, das heißt aber nie, daß es nur Egoismus oder nur Altruismus gibt. Tatsächlich sind fast alle Tierarten und besonders der Mensch nicht überlebensfähig mit nur einem von beiden Impulsen. Also: die Aussage „jeder Mensch handelt auch egoistisch“ ist richtig, „jeder Mensch handelt primär (oder ausschließlich) egoistisch“ ist absolut falsch. Ich befürchte, Ihre Aussagen hier kann man nicht anders verstehen als im letzteren Sinne. Nehmen Sie das bitte zurück, denn sonst können Sie nicht mehr ernst genommen werden. Der letzte wissenschaftliche Salto mortale war die Eigennutz-der-Gene-Theorie, die kläglich auf dem Bauch gelandet ist. Solche Dummheiten muß man nicht wiederholen.
Schauen Sie doch nur einmal vorurteilslos auf die soziale Realität. Da sehen Sie jede Menge egoistisches wie altruistisches Handeln. Und kommen Sie nicht mit dem Versuch, das altruistische Verhalten als raffiniertes Täuschungsmanöver wegzurationalisieren und auf Egoismus zurückzuführen. Das mag im Einzelfall einmal zutreffen, aber verallgemeinert widerspricht es selbst einem rein naturwissenschaftlichen Verständnis von Biologie. Was ist denn das für eine kranke Vorstellung, daß etwa die Mutterliebe (zur Deutlichkeit, ich will nicht die Vaterliebe unter den Tisch kehren) reiner Egoismus sei.
Das ist schön und treffend dargestellt.
„Was ist denn das für eine kranke Vorstellung, daß etwa die Mutterliebe (zur Deutlichkeit, ich will nicht die Vaterliebe unter den Tisch kehren) reiner Egoismus sei.“
Nennen wir doch Ross und Reiter. Diese kranke Vorstellung ist von Richard Dawkins, ein Szientist (knallharter Biologist und in meinen Augen ein antireligöser Hetzer), der die These vertritt, dass alles lebendige Verhalten im Kern auf Egoismus beruht. Dieser Egoismus, so Dawkins, müsse nicht zwingend aggressiv, drohend, offen egoistisch oder konkurrierend daher kommen – tut es aber laut Dawkins dennoch überwiegend –, sondern kann auch zu (letztlich berechnenden) Kooperationen führen: Man hilft, in der berechnend-rationalen Erwartung, dass einem der andere zukünftig etwas schuldet, wenn man so vorgeht, oder wenn das persönliche Ansehen in der Öffentlichkeit dadurch steigt. Der so entstehende Altruismus wird 'reziproker Altruismus' genannt und bleibt um Kern egoistisch.
Dawkins ist heute durch. Problematisch ist, dass 'die Wissenschaft' (besonders die Naturwissenschaft) diesen Scheiß noch vor wenigen Jahren vollkommen ernst genommen hat.
Dabei sind die Selbstwidersprüche von Dawkins, für die es kein Messgerät gibt, die man aber klar und einfach erkennen kann, jedem der es wissen wollte und verstehen konnte – in der intellektuellen Begrenztheit liegt in der Tat die eine große Hürde, ideologische Verbohrtheit ist die andere – immer schon offensichtlich gewesen.
Dass in der Wissenschaft heute so gut wie niemand mehr Dakwins ernst nimmt, ist richtig, aber es ist eine Eigenart derselben, stillschweigend darüber hinweg zu gehen und keine 10 Jahre später das exakte Gegenteil von dem zu behaupten, was gestern noch erste Sahne war. Das wirkt so unüberzeugend, wie es tatsächlich auch ist, weil der gar nicht mal so naive Betrachter daraus ableiten könnte, dass in weiteren 10 Jahren nun wieder das exakte Gegenteil richtig sein könnte, denn letztlich meint man, richtig sei, was die Scientific Community als richtig erachte. Dass dies als 'wissenschaftlicher Fortschritt' verbrämt wird, macht die Sache nicht bessser.
Dass dieser Stern sinkt, ist Fakt :-) aber der Schluss, dass alles beliebig sei, ist Mist. Dawkins ist nicht für die Urne, weil zufällig der Wind gedreht hat, sondern weil er sich eklatant selbst widerspricht und das war auch schon der Fall, als große Teile der Scientific Community – insbesondere Naturwissenschaftler – ihm noch tief hinten rein gekrochen sind. Warum ist das so? Weil es ihnen an philosophischem Durchblick mangelt.
Die These, es sei ja sowieso irgendwie alles beliebig und wenn man es nicht messen kann, letztlich nur Gelaber, ist grundfalsch. Leider kursiert sie auch unter vielen Linken, dort in der nur minimal abgewandelten Form, dass die Tat grundsätzlichen Vorrang vor den Argumenten hat, das ist – freundlich formuliert – von der These des Rechts des Stärkeren nicht immer gut zu unterscheiden.
Jetzt liegt es EINMAL an mir, Essig-Essenz in den nicht enden wollenden „Schweizer-DDR-Eintopf“ zu gießen, um das starke Geschmäckle zumindest zu isolieren.
Was den konkreten Inhalt Ihres Kommentars anbetrifft, so haben sie meine volle Zustimmung. Diesbezüglich lassen sich heutzutage zahlreiche Beispiele anführen.
Etwas anderes, viel Grundlegenderes droht ohne „Essenz“ die eigene Wahrnehmung langfristig in Mitleidenschaft zu ziehen. w.endemann: »Ich sehe Sie immer noch als einen ernst zu nehmenden Wissenschaftler« …
Ich halte das im Kontext dieses Forums (unabhängig von Jeschkes beruflicher Tätigkeit, über die ich keine Aussagen zu machen vermag) für eine unangemessene Projektion in zweifacher Hinsicht.
1) In Bezug auf die eigene Selbstdarstellung: »Gunnar Jeschke, Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich«.
Im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit ist die Darstellung als Naturwissenschaftler faktisch richtig. Im Zusammenhang mit seinem Agieren hier im Forum ist für mich der „Professor Dr. …“ Augenwischerei.
2) In Bezug auf die Wahrnehmung durch Dritte, die sich trotz wiederholt teilweise kruder Inhalte (s. z. B. oben) vom „Naturwissenschaftler“ bzw. vom „Professor Dr.“ blenden lassen und die sich immer wieder neu auf Endlos-Diskussionen einlassen. Dabei stößt man eher weniger auf seriöse, wissenschaftlich geprägte Erkenntnissuche als vielmehr um Missionierung und Verteidigung der jeweiligen Inhalte.
Warum diese Einschätzung?
Gunnar Jeschke ist in der Vergangenheit bereits an mehreren Stellen von mehreren Foristen entzaubert worden. Stellvertretend hier ein Disput zwischen @Moorleiche und ihm:
@Moorleiche: »Aber ich rolle das jetzt nicht wieder von vorne auf, weil Sie hier ja nicht als Wissenschaftler, sondern als politischer Akteur wirken möchten und das interessiert mich nicht so.«
»Ihre ganze Argumentationsstrategie ist politisch«
@Gunnar Jeschke: »Ich mache tatsächlich kein Hehl daraus, dass ich h i e r politisch unterwegs bin. Deshalb darf es mich trotzdem noch stören, wenn andere Wissenschaftler, die in die anderer Richtung politisch unterwegs sind, so tun, als sei ihre Meinung die einzig wissenschaftliche - und dabei n i c h t mit Daten argumentieren, sondern nur mit plausiblen Geschichten.«
► https://www.freitag.de/autoren/gunnar-jeschke/keine-evidenz-fuer-einen-nutzen-des-shutdowns#1607713256816318
An diesem Punkt wird deutlich, dass Jeschkes grundsätzliche Haltung aus seiner politischen Motivation heraus stets eine einseitige ist, eine seine ureigene Sicht zementierende Argumentation.
Wirkliche Erkenntnissuche aber verlangt eine ergebnisoffene Vielsichtigkeit und ein tabuloses Abwägen der unterschiedlichen Aspekte mit der ernst zu nehmenden Bemühung um Angemessenheit – völlig unabhängig von jedweden Partikularinteressen. Wie oft schon wurde Jeschke genau diesbezüglich kritisiert und ihm fehlende Lernbereitschaft und Missionsdrang angekreidet.
Die Frage die sich mir dann aufdrängt: Was will Jeschke hier in diesem eigentlich linken Forum mit seinem nahezu besessenen Auftreten?
▪ Lässt sich seine enorme Foren-Freizeitaktivität einzig durch sein inhaltliches Interesse und seine fehlende familiäre Bindung in der Schweiz erklären?
Wohl eher nicht, denn als Hochschullehrer ist die Nähe zu Kollegen und vor allem der Austausch mit wissbegierigen jungen Leuten weit mehr Familienersatz als eine im Vergleich dazu eher dröge Forentätigkeit. Das müsste dann schon durch ein nicht unerhebliches Suchtverhalten unterstützt werden.
▪ Oder ist es dann doch viel mehr der von ihm gefühlte bzw. verinnerlichte politische Auftrag, der ihn zu einer derartigen Schlagzahl an Beiträgen und Kommentaren treibt?
Dann aber muss dieser innere Antrieb schon sehr mächtig sein, denn sonst ließe sich seine Forentätigkeit hier in keiner Weise erklären.
Wo aber ist Jeschke dann politisch anzusiedeln?
Als in der DDR Sozialisierter und dann in die kapitalistische Verführungs-Welt Freigelassener, fehlt ihm der im Westen für viele durch Erfahrung gewonnene kritische Abstand zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Das zeigt sich unter anderem auch in seiner Übernahme der wissenschaftlich völlig antiquierten „Egoismus-Sicht“.
Ist aber eine überschwängliche pro-kapitalistische Stimmung Grund genug, um sich derart in ein linkes Forum einzuklinken?
Selbst, wenn man seine kritischen Haltungen zur Klima- und Corona-Problematik hinzuzählt, reicht das normalerweise nicht für solch einen ausgewiesenen Missionsdrang.
Was beim Stochern im Nebulösem übrig bleibt, sind als Erklärung radikalere politische Ansichten (womöglich mit Weltrettungsfantasien einhergehend) und deren explizite Antihaltungen zu linkem Denken.
Schon seit längerem werde ich den Verdacht nicht los, dass eines der Ziele von Jeschkes politischer Agitation hier in diesem Forum das Binden von Aufmerksamkeit und kreativer Leistung möglichst vieler Foristen ist. Solange sich diese mit ihm beschäftigen, solange werden sie mit den „richtigen“ Inhalten zugetextet und solange können sie sich nicht mit anderen Themen beschäftigen. Das ist zumindest eine Erklärungsmöglichkeit.
Nachdem Jeschke und Konsorten bereits im Sommer die Pandemie für beendet erklärt hatten, wurde es dann zum Jahreswechsel um Jeschke endlich merklich stiller. Infolgedessen, betätigte er sich plötzlich in fremden Blogs, offensichtlich um dort gesehen und angesprochen zu werden. Nachdem ihm das gelang, folgten dann sogleich wieder neue eigene Beiträge, sogar von anderen Foristen inspiriert.
Wer Jeschke durchschaut und ihm in diesem Forum nicht immer wieder neu unzählige Präsentationsmöglichkeiten geben möchte, der sollte aufhören auch nur in irgendeiner Weise auf ihn einzugehen. Selbst intellektuelle Konversation und entsprechendes Kräftemessen befeuern einen Gunnar Jeschke immer weiter. Dabei lohnt es sich nicht, auf mögliche Einsicht und Lernbereitschaft zu setzen. Das hat die Erfahrung gezeigt. Schon viel zu viel hat Jeschke an sich abprallen lassen.
Ein in diesem Forum ernst zu nehmender Wissenschaftler ist Gunnar Jeschke nach meiner Überzeugung sicherlich nicht. Auch kein angemessener Sparringspartner für geistvolle Stunden an der Tastatur. So viel Essenz muss dann doch sein.
Wundert mich nicht, dass es stumm geblieben ist. Ich könnte da etwas konkreter werden, bringt aber eher nichts.
Meine Gedanken dazu hatte ich ja in etwa formuliert und diese Karte hier zieht noch immer: "es muss wohl an seiner Kindheit liegen".
Ansonsten fehlt eigentlich nur noch: "Ist doch egal, aus welchen Gründen jemand schreibt, Hauptsache, man kann sich mit den Texten 'zutexten'. So nach dem Schluss: "Das was da zu lesen ist, sollte nicht auf den Schreiber übertragen werden".
Ihre diesbezüglichen Kommentare habe ich interessiert verfolgt. Die obigen konkreten inhaltlichen und personalen Gegebenheiten haben mich dann dazu bewegt, ein weiteres Mal zur „Causa Gunnar Jeschke“ etwas beizutragen.
Wären / Sind früher Heerscharen von Verteidigern der vermeintlich einzigen „guten Sicht“ über mich hergefallen, so hat sich spätestens seit der beachtenswerten Metamorphose von @Goalive, seinerzeit übrigens einem Fan von @Gunnar Jeschke, in diesem Forum die Strategie verändert: Statt Frontalangriff ist heute sofortiges völliges Ignorieren angesagt. So wird versucht, die Aufmerksamkeit möglichst effektiv auf eine andere Thematik wegzulenken, damit die Fremd-Kritik und die damit einhergehende eigene „Beschädigung“ von anderen möglichst unentdeckt bleibt.
Böse Zungen könnten jetzt behaupten, das verringere die Notwendigkeit zum Foren-Austausch, da die jeweilige Stimme „verbraucht“ ist. Wie oft hat man das in diesem Forum schon erlebt!
In diesem Zusammenhang möchte ich an @Goalives Abgang erinnern, der entgegen seiner folgenden Aussage einzig von ihm selbst provoziert und durch Andere bei der Reaktion bewirkt wurde.
@Goalive unter dem Ersatz-Pseudonym @justice: »Gerade wurden mein Kommentar und mein Account beim Abschicken gelöscht. Ich schreibe Ihnen hier unter anderem Account, da ich von der Insel-Banker / pleifel-connection aus dem Rennen genommen worden bin:)«
► https://www.freitag.de/autoren/martin-franz/derzeit-geist-ergibt-dann-die-zeitgeschichte#1603281759151253
Mit @Gunnar Jeschke sollte das alles aber wohl eher nicht in Zusammenhang gebracht werden. Denn, wer es bezüglich der Kommentierungs-Zahlen so unangefochten weit gebracht hat, der ist wohl von keiner Seite mehr anfechtbar – weder von seinem eigenen „Background“ noch von seiten der Redaktion, vor allem aber auch dann, wenn er von so vielen auch weiterhin unentwegt als „Sparringspartner“ gebraucht und vielleicht sogar benutzt wird.
Nicht ohne Grund schreibe ich weiter oben: »Wer Jeschke durchschaut und ihm in diesem Forum nicht immer wieder neu unzählige Präsentationsmöglichkeiten geben möchte, der sollte aufhören auch nur in irgendeiner Weise auf ihn einzugehen.«
Die Sprachlosigkeit der anderen Kommentatoren könnte in der Tat „konkreter“ benannt und analysiert werden, bringt aber ganz offensichtlich nichts.
Sprachlosigkeit als neumodisches Kommunikationsmittel beim Distanz-Kommunizieren in den Weiten des digitalen Seins bedürfte einmal einer gesonderten Betrachtung hier im Forum. Zur Zeiten „gepflegter“ Tresen-Kommunikation hätte man sich derartiges Verhalten nicht allzu oft erlauben dürfen, wenn man am Ende nicht als Sonderling hätte dastehen wollen.
..."Dawkins ist nicht für die Urne, weil zufällig der Wind gedreht hat, sondern weil er sich eklatant selbst widerspricht und das war auch schon der Fall, als große Teile der Scientific Community – insbesondere Naturwissenschaftler – ihm noch tief hinten rein gekrochen sind. Warum ist das so? Weil es ihnen an philosophischem Durchblick mangelt.
Die These, es sei ja sowieso irgendwie alles beliebig und wenn man es nicht messen kann, letztlich nur Gelaber, ist grundfalsch"...
Das stimmt nur zum Teil:
Die Messeinheiten muessen immer nur kleiner werden, da wird der Durchblick immer groesser. Natuerlich sind Maeusefoeten ohne Uterus 11 Tage Lebensfaehig noch kein Durchbruch, aber ich prophezeihe dir dass man noch zu unseren Lebzeiten die/das Drogengene/en entschluesselt hat, kombiniert mit "worst - case" Familien - Verhaeltnissen.
Es gibt Studierende mit Abschluss aus Vater - Mutter krassen Drogenverhaeltnissen, d.h., der die hatte das Gen doppelt drin, absolutes Risiko was die Vorgeschichte angeht, wer hats gerettet? Die Omi!
Das heisst das Genmaterial hat nur einen beschraenkten Einfluss auf unseren Lebenslauf, das heisst aber nicht dass es gar keine Tendenzen zu unserem Lebenslauf und unseren Genmaterialien gibt, ich schaetze sogar 60-40 Genmaterial vs. Umwelteinfluss.
Langes Thema, ich weiss.
:-(
:-D
Interessant, was es alles im Freitag gibt... Da sind ja ganze Psyscholochie - Doktorarbeiten faellich.
Ich dachte Goalive hat sich selber gehen lassen da ihn ein "Feind" mit Klarnamen geoutet hatte...
Oder wie war das?
„Die Messeinheiten muessen immer nur kleiner werden, da wird der Durchblick immer groesser.“
Das mag sein, aber es ist der Durchblick in Teilen. Und Teilbereiche zu verabsolutieren und nun zu sagen, der Mensch sei nur ein Haufen Zellen, ist eben genau der angeprangerte Reduktionismus.
Man kann das schon machen, es muss nur was bei rauskommen und das tut es eben nicht, weil der Haufen Zellen eben auch noch Beziehungen zu anderen Zellhaufen pflegt und die Qualität dieser Beziehungen ist nicht ganz unwichtig. Ferner steckt er in politischen, ökonomischen, zeitgeistigen, weltanschaulichen usw. Umständen, die man nicht mal eben so abstreift.
„Natuerlich sind Maeusefoeten ohne Uterus 11 Tage Lebensfaehig noch kein Durchbruch, aber ich prophezeihe dir dass man noch zu unseren Lebzeiten die/das Drogengene/en entschluesselt hat, kombiniert mit "worst - case" Familien – Verhaeltnissen.“
Weißt Du wie lange man da schon dran forscht, den einen Schalter für Aggression, Depression, Psychose, Intelligenz … zu finden? Falsch ist die Idee, dass es diesen einen Schalter gibt, die zugehörige Abteilung, die das belegt, ist die Epigenetik.
„Es gibt Studierende mit Abschluss aus Vater - Mutter krassen Drogenverhaeltnissen, d.h., der die hatte das Gen doppelt drin, absolutes Risiko was die Vorgeschichte angeht, wer hats gerettet? Die Omi!“
Eben, die Gene sind in aller Regel ein Faktor unter vielen weiteren. Das Problem ist, dass monokausale Theorien immer attraktiv sind, weil sie hübsch einfach die Welt erklären.
Da muss man nur die Wände grün streichen, passende Gene finden, den Kapitalismus abschaffen oder stets lächeln und alles scheint geregelt. Primitive Theorien werden besonders in regressiven Zeiten populär.
„ich schaetze sogar 60-40 Genmaterial vs. Umwelteinfluss.“
Der eine schätzt dies, der andere das, tatsächlich ist das Spektrum noch viel breiter. Es gibt schwere Erkrankungen, die zu 100% auf einem Gendefekt beruhen, manchmal spielen Gene ein vollkommen untergeordnete Rolle, man kann z.B. genetisch ein Mann sein, aber den Körper einer Frau haben und alles in allem ist das ganz beschissen kompliziert, schon die biologische Seite und Gene decken längst nicht alles ab, was biologisch ist und zur Gesamtheit des Biopsychosozialen fehlt erst recht noch ein ganzes Stück.
Zudem ist es ja auch nicht so, dass die Welt des Psychologischen und Sozialen eine immer gleiche, fixe Größe wäre, sondern das sich selbst unendlich komplizierte Welten, die mit der biologischen Welt interagiert.
Man sagt zwar „die Wahrheit liegt im Detail“, das ist aber iA nicht richtig. Richtiger ist, daß man die richtige Entfernmungsdistanz braucht, um bestimmte Dinge richtig zu sehen. Daher ist die Formulierung „Da muss man nur …. den Kapitalismus abschaffen“ mißverständlich und in die Irre führend, und da trickst Du selbst Dein Denken manchmal aus. Denn natürlich ist aus einer bestimmten Perspektive die Aussage völlig richtig. Womit Du recht hast, ist die Kritik der Monokausalität, denn: den Kapitalismus abschaffen besagt noch fast gar nichts über das Danach. Der Fehler liegt darin, daß man nicht versteht, was Komplexität ist. Es war Eisler, der nicht nur einer der bedeutendsten Komponisten der Neuen Musik war, sondern ein Philosoph, ein marxistischer Dialektiker, der „vom Einfachen, das schwer zu machen ist“ sprach. Das Komplexe ist äußerlich betrachtet einfach, und kann nur in dieser Einfachheit verstanden werden, allerdings ist es innerlich hoch differenziert, und nur daraus schöpft es seine Kraft, sehr differenziert nach Außen wirken zu können. Es ist die Irreduzibilität von Teil und Ganzem, die das Ganze zum Komplex macht, und damit sein Verstehen von der Einsicht in die Dialektik von Teil und Ganzem abhängig macht. Und damit die Notwendigkeit, nicht positivistisch zu denken.
Um auf den Kapitalismus zurückzukommen. Er wirkt sehr komplex, weil er sehr komplex ist. Wir müssen ihn, dh seine komplexe Einheit verstehen, die wir dann „Kapitalismus“ nennen, und müssen das als einen komplexen Tatbestand auffassen. Die Schwierigkeit, ihn zu überwinden, liegt vor allem daran, daß er in uns allen steckt. Das Wort kann man einfach streichen, damit verschwindet aber nicht die komplexe Wirklichkeit. Der Kapitalismus steckt in jedem Einzelnen und er steckt in der institutionalisierten Gesellschaftlichkeit. Und da nützht es nichts, an einzelnen Schrauben zu drehen, man muß auf das Innerste kommen, das Innerste ist die fundamentalste Struktur des Kapitalverhältnisses (das Privateigentum an den Produktionsmitteln) auf der institutionellen Seite und das gesellschaftliche Paradigma (des homo oeconomicus) auf der Seite der individuellen Subjekte.
Übrigens benutzt Du selbst oft einen hochkomplexen Begriff in Deiner Argumentation: den Utilitarismus. Er ist ein wesentlicher Aspekt des Kapitalismus. Er hat wie alles eine natürliche Grundlage, woraus manche schließen, daß der Kapitalismus nicht überwindbar ist, daß er schon immer existiert hat. Der Mensch ist halt ein Egoist. Ich brauche Dir nicht erklären, wo hier der Fehler liegt. Der Kapitalismus ist eine historisch begreifbare Form der Selbstorganisation, die einem bestimmten Stand menschlicher Interaktion, Kommunikation und Reflexion durchaus entspricht, aber weder kategorisch notwendig noch Endziel einer teleonomischen Entwicklung ist. Wir können anders. Das paßt gut als Schlußwort zum Thema „Fakten“.
„Der Kapitalismus steckt in jedem Einzelnen und er steckt in der institutionalisierten Gesellschaftlichkeit. Und da nützht es nichts, an einzelnen Schrauben zu drehen, man muß auf das Innerste kommen, das Innerste ist die fundamentalste Struktur des Kapitalverhältnisses (das Privateigentum an den Produktionsmitteln) auf der institutionellen Seite und das gesellschaftliche Paradigma (des homo oeconomicus) auf der Seite der individuellen Subjekte.“
Ich stimme Dir darin zu, dass auch der Kapitalismus in uns steckt. Aber auch der Funktionalismus. Der Individualismus. Die Idee vom Tausch von Werten (wir müssen irgendwann diskutieren, ob Marx das meinte, was Bockelmann meint, aber ich bin immer noch nicht weiter, in dem hochinteressanten Buch). Vom Naturalismus. Und so weiter, je nach individueller Prägung.
Selbst wenn der Kapitalismus die fundamentalste Struktur sein sollte, wäre das Argument, er würde alles wenden ja fast selbst ein bottom up Argument. Du siehst es ja auch eher komplexer, nämlich die materiellen Grundlagen der Produktionsverhältnisse und ihre Internalisierung und (fehlerhafte oder zumindest fragwürdige) Übertragung auf andere Bereiche, das ist ja eigentlich die Kernkritik von Marx.
Dem kann ich durchaus was abgewinnen, ich verstehe nur nicht, warum dieser Bereich der Dreh- und Angelpunkt schlechthin sein soll.
Da ich weder sehe, wieso alles gut werden sollte, wenn nur der Kapitalismus weg ist und auch nicht alles schlecht finde, was im Kapitalismus geschieht, sehe ich auch nicht, wieso man keine Einzelbereiche verändern (können) sollte. Bockelmanns Buch über das Geld hat vielleicht das Potential das zu ändern, ich nehme es auch gerne auf mich, dass ich einfach zu doof bin, den Wachstumszwang zu erblicken und seine Folgen unterschätze, aber so richtig hat mich das nie geflasht. Aber ich kann mich dazu erst äußern, wenn ich mehr gelesen habe, was ich jetzt schon erkenne ist, dass Bockelmann äußerst gründlich argumentiert.
fundamental ist der kapitalismus nicht.
er ist eine historische form des wirtschaftens und herrschens.
und hat eine spezifität, die mutiert,
die oft nicht erkannt, teilweise auch umstritten ist.
die abgegriffen münze "egoistisch handeln"
läßt die ganze wahrheit außen vor:
wir handeln relational-egoistisch !
relational in bezug auf unsere familiale/nachbarschaftliche/obrigkeitliche
um-welt
und in bezug auf märkte.
bei aller ego-zentrik hat der nicht-psychopath: die soziale umwelt in sicht.
Ob es die Produktionsweise ist oder das Geld, worauf ich mich einlassen würde, ist, dass die Idee der Welt als immer schon gewesenes Tauschgeschäft, so fehlerhaft wie folgenreich sein könnte.
Andererseits kann man die Idee von Wert gegen Wert auch ins nicht nur Monetäre erweitern, was m.E. ähnliche Konsequenzen hätte.
Man kann dabei auch intellektuell redlich bleiben, da es zumindest meine feste Überzeugung ist, dass es äußerst wichtige Werte jenseits des Geldes gibt, die man auch nicht kaufen kann.
soll die tausch-fiktion fundamental sein?
dann eher die (oft unausgesprochene) idee des: vorteilhaften tauschs.
auch die reine teilhabe an prozessen
der addition gleiche, un-spezifizierter, serieller elemente macht den deichbau,
das ziehen der großen roten rübe* zu einer vorteil-generierenden kooperation.
*fredrik vahle.
„warum dieser Bereich der Dreh- und Angelpunkt schlechthin sein soll“
Nicht schlechthin, sondern nur, wenn man mit dieser Form der Selbstorganisation nicht einverstanden ist. Und es gibt beileibe nicht nur eine Alternative zum Kapitalismus. Auch die Rechten wollen eine andere Selbstorganisation. Es gibt also den Dreh- und Angelpunkt für eine konservative Revolution, wie es einen für eine emanzipative gibt. Es hängt davon ab, wie wir uns selbstorganisieren wollen. Die Bürgerlichen wollen, daß es bei dieser Form bleibt. Auch die kann noch sehr unterschiedlich dekoriert werden, da gibt es angenehmere und scheußlichere Varianten.
Weder wird alles gut, wenn nur der Kapitalismus weg ist, noch ist alles schlecht, was im Kapitalismus geschieht. Wenn Du das aus meinen Worten herausliest, dann liegst Du falsch. Im Marxismus wird mit einer historischen Wahrheit operiert, wonach es unterschiedlich entwickelte Gesellschaftsformationen gibt, die Resultat historischer Erfahrungen und solcher der Entwicklung des reflexiven Denkens sind. Danach ist der Kapitalismus durchaus fortschrittlich, allerdings, wie nicht erst die Kritische Theorie, sondern Marx selber betont hat, daß es sich um eine dialektische Fortschrittsentwicklung handelt, das nennt Marx den Doppelcharakter dieses Systems. Und die Elemente, aus denen der Kapitalismus gebildet sind, sind wie die aller Gesellschaftssysteme natürlich gegeben. Alle Formen der Selbstorganisation der Menschen sind Realisierungen der natürlichen Substanz, Realisierungen im Möglichkeitsraum, der sich durch Emergenz ausdehnen kann. Das hat man im metaphysischen Zeitalter als Unterschied von Wesen(Substanz) und Erscheinung (Akzidenz) bezeichnet, heute redet man richtiger von Aktualisierungen im ontologisch nicht festgelegten Möglichkeitsraum. Darum redet man von Selbstorganisation, weil es in unserer (Gestaltungs-)Macht liegt, eine Form zu wählen, die wir für wünschenswert halten. Die Natur hat uns mit der Fähigkeit des Denkens ausgestattet, uns sinnvoll über das Wünschenswerte zu verständigen, das läuft intuitiv ab oder besser organisiert.
Wie handeln n i c h t n u r egoistisch - wenn Sie das meinen.
Mein Punkt ist, dass Politik bzw. unser Gesellschaftssystem damit umgehen können müssen, dass wir a u c h und in nicht vernachlässigbarem Ausmass egoistisch handeln.
Bockelmann zieht das von der ganz anderen Seite auf und knüpft an die Praxis archaischer Kulturen an, in denen Traditionen der Mitgift herrschten und ein Privateigentum nicht existierte.
Aber ich muss das noch besser verstehen.
es kommt hinzu, daß "egoistisches handeln " eine zuschreibung an ein etwas ist,
das in seinen instanzen/loyalitäten alles andere als aufgeklärt ist.
was an bedürfnissen einer person ist ego-istisch, was umwelt-präformiert?
die biologische programmierung
ist ein notwendiger, aber umstritten kleiner teil dessen,
was dem (bewußten)ego zugesprochen wird.
"was an bedürfnissen einer person ist ego-istisch, was umwelt-präformiert?"
Ei, das sind wir in der "Freier-Wille-Diskussion" des Parallelblogs.
Es macht aber hier nichts aus, ob das nun freie Entscheidungen sind. Mein "egoistisch" ist durchaus nicht moralisch befrachtet. Mein Argument benötigt nur den Umstand, dass Menschen zumeist nach ihren eigenen Interessen handeln und dass nicht all diese Interessen aller kompatibel sind. Daraus folgt, dass es einen Interessenausgleich braucht.
Meine obigen Erklärungen sind derart einfach gehalten, dass sie von jedem, der das überhaupt will, so nachzuvollziehen sind, wie sie auch gemeint sind. Eine weitere Etikettierung ist da überflüssig.@Biene: »Ich dachte Goalive hat sich selber gehen lassen da ihn ein "Feind" mit Klarnamen geoutet hatte...«Es ist genau umgekehrt.Wenn sie meinem Link nachgehen und dann auch die Kommentare darüber beachten, sollte der Zusammenhang klar werden. Zum Beispiel auch durch die folgende Äußerung dort.@Goalive: »Man muss sich entscheiden, ob man es riskiert - gelöscht zu werden. Alles gute - ich denke, meine Zeit im dF ist um:)«
na, dann switchen wir halt zum anderen blog
(haben wohl beide was miteinander zu tun).
das persönliche, sozial-generierte ansehen in vor-modernen, lokal-integrierten
gesellschaften hat etwas von "kulturellem kapital", das nicht-notwendig
mit pekuniären prämierungen einhergehen muß,
aber es meist tut.
obwohl die produktionsmittel nicht exklusiv-getrennt/privat sind.
Ich werde das mal demnächst in die Beiträge einflechten, in der nächsten Woche habe ich zwei mal Zeit zum lesen.
"soll die tausch-fiktion fundamental sein?"
Vergleichsweise neu, aber verbreitet, ist die Deutung. Und folgenreich im Sinne der Internalisierung dieser Idee des Lebens als Tauschgeschäft, dass man dann in der Vergangenheit wieder zu entdecken meint, obwohl man es nur hinein liest.
Ach so, mir ist gleich, in welchem wir diskutieren. Ich will Ihre Beiträge gewiss nicht wegklappen und ob ich das könnte oder nicht könnte, ist der einzige Unterschied.