Der Freitag: „Als wir träumten“ hatte seine Premiere kürzlich auf der Berlinale. Sie waren da nicht zum ersten Mal, und Sie arbeiten nicht erst seit gestern für den Film. Ist das noch aufregend?
Wolfgang Kohlhaase: So routiniert ist man nicht, dass man auf ein Festival wie die Berlinale geht, als wäre das nichts. Was mir aber auffällt: Ich habe da viele Interviews gegeben, da höre ich mich dann manchmal selbst sprechen. Moment, das hast du doch da schon gesagt, und zwar besser.
Worum ging es denn in den Gesprächen?
Die meisten wollten wissen, ob das Jahr 1945 ein Punkt war für mich, der vergleichbar gewesen ist mit dem Einschnitt für die Jungs im Film. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht und fragt deshalb an der eigentlichen Arbeit vorbei. Man kann nicht überall wohnen, wo man Filme macht.
Wie wird aus einem Roman von Clemens Meyer ein Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase?
Ich hatte von dem Buch gehört. Andreas Dresen hatte die Absicht, es zu verfilmen. Das kam zunächst nicht zustande, die Rechte waren woanders. Als sie wieder frei waren, hat er mich gefragt, ob ich das machen könnte. Dann hab ich es gelesen und versucht, den Punkt zu finden, der für mich ein Grund ist, sich zu beteiligen. Man kann den Stoff ja nicht nur anders sortieren.
Heißt das, Sie haben einen Grund gefunden?
Der universelle Stoff, als den man Als wir träumten lesen kann – junge Leute werden groß und die Revolte ist die angemessene Haltung für dieses Alter –, kriegt eine besondere Farbe, weil das in den Jahren nach 1989 stattfand, wo alles sich geändert hatte. Das war ein Sujet, das mich interessiert hat: auf die Zeit in diesem Zusammenhang zu blicken.
Denken Sie beim Lesen in potenziellen Drehbüchern?
Eigentlich nicht. Für die Arbeit brauche ich immer eine Partnerschaft. Ich würde nicht losgehen mit einem Roman und von mir aus denken, da sollte man einen Film draus machen, wenn ich nicht weiß, mit wem und für wen.
„Als wir träumten“ besteht aus 500 Seiten Prosa. Die kriegt man nicht in knapp zwei Stunden Film unter.
Manches kann man einfach nicht machen. Es gibt im Buch ein schönes und ausführliches Kapitel über Fußball in Leipzig. Da spielen aber 20.000 Zuschauer und 2.000 Polizisten mit. Bei solchen Stellen ist es einfach, zu fragen: Können wir uns das leisten? Kann man das überhaupt ästhetisch bewältigen?
Wie gehen Sie vor bei der Bearbeitung?
Ich habe das Buch gelesen und mir Notizen gemacht. Manche Sachen merkt man sich auch, wunderbare Situationen behält man im Kopf. Das Drehbuch schreibe ich bei offener Tür. Ich weiß, dass Dresen den Film inszenieren wird. Also schreibe ich das Buch für ihn, und mich interessiert seine Meinung auch zwischendurch. Film ist gesellige Arbeit.
Ein offener Prozess?
Dialoge sind verbindlich. Damit sie verbindlich sind, müssen sie gut sein, spielbar für Schauspieler. Sonst kommen alle in Versuchung, sich selbst welche auszudenken. Das wird dann nicht besser.
Woher wissen Sie, wie die Jugend vor 25 Jahren gesprochen hat?
Wenn man keine modischen Redensarten kopiert, was man nie machen sollte, ist das nicht so schwer. Man schreibt meistens über Leute, deren Sprache man nicht spricht. Ein großer Teil beim Schreiben ist Erfindung, Freude an den Tonlagen, die immer wechseln, verbunden mit der Überlegung, was die Schauspieler brauchen. Gib ihnen gute Sätze! Oder auch: Gib ihnen Pausen in der Szene, damit sie auch etwas spielen können. Zwischenräume sind wichtig.
Begegnen Ihnen in den Figuren frühere? Dass also ein Daniel aus „Als wir träumten“ Sie an den Dieter aus „Berlin – Ecke Schönhauser“ erinnert?
Wenn Sie das sagen, fällt mir eher auf, dass „Berlin – Ecke Schönhauser“ fast 60 Jahre her ist. Das kommt mir unglaublich vor. Man hat etwas zu erzählen, wenn man Kindheit in sich selbst nicht verliert. Was nicht heißt, dass man über diese Kindheit erzählt, sondern nur: Was man in den ersten sechs, acht Jahren aus dem Küchenfenster sieht, das ist wichtig, davon bleibt etwas. Und sonst weiß man es Gott sei Dank nie endgültig. Man kann immer mal wieder etwas falsch machen, das ist das Schöne daran.
Wie findet man gute Sätze? Sprechen Sie die laut vor sich hin?
Ich spreche nicht vor mich hin, das wäre ja schlimm, (lacht).
Ich meinte, um zu prüfen, wie es sich anhört.
Ich sitze zwar am Computer, aber ich schmiere die Sätze auf irgendwelche Zettel. Aus dem Handgelenk. Ich schreibe es nur auf, damit es da ist, aber noch nicht endgültig. Manchmal ist es so gekritzelt, dass ich es lesen kann. Wenn mir nichts mehr einfällt, übertrage ich den Text in den Computer und korrigiere ihn schon mal. Da ist er schon ein bisschen fremd. Es gibt eine Kontrolle mit dem Auge, ich kann das schwer erklären.
Klingt nach Rhythmus, Partitur, Beurteilung nach dem Schriftbild.
Nicht zu vergessen Dramaturgie. Es gibt eine schöne Geschichte von Richard Eichberg, der den Tiger von Eschnapur gemacht hat. Eichberg sitzt mit einem Autor zusammen. Eichberg: Schreib mal mit, ich werf dir die Bälle zu. Musste aber auffangen. Also: Ein Mann, gefangen in einem Raum. Der Mann soll am nächsten Morgen umgebracht werden, er muss also fliehen. Es gibt vier Türen. Der Mann macht die erste Tür auf. Eichberg: Was sieht er da? Der Autor guckt fragend. Eichberg: Tiger. Schreib mal auf, Tiger. Zweite Tür. Was sieht er da? Der Autor denkt nach. Na ja, vielleicht Löwen? Nein, sagt Eichberg, noch mal Tiger. Dritte Tür, was sieht er da? Der Autor überlegt und denkt sich: Tiger hatten wir zweimal, Löwen will er nicht, also – Schlangen! Ist doch Quatsch, sagt Eichberg, wieder Tiger. Und jetzt macht er die vierte Tür auf. Was sieht er da? Sagt der Autor: Tiger! Nein, sagt Eichberg, was ganz anderes. Aber was, das weiß ich noch nicht. – Das Schema ist richtig. Erwartung, Erwartung, Erwartung – und dann etwas anderes.
Sie werden bald 84. Haben Sie neue Filme im Kopf?
Ich habe, Vorsicht jetzt, einen, zwei oder drei mögliche Filme, an die ich immer mal denke. Ich notiere mir mal einen Satz dazu, aber ich schreib das nicht auf, um jemanden damit zu überraschen. Ich will es nur nicht verlieren. Manchmal hilft es, eine Idee in eine Formulierung zu bringen, dann ist sie haltbarer. Blanke Notizen verblassen. Man hat am Ende die Stichworte und wundert sich: Ich habe das doch mal so schön gefunden, warum nur?
„Als wir träumten“ wird also nicht der letzte Film nach einem Buch von Wolfgang Kohlhaase sein?
Fatale Frage! Ich will noch etwas machen. Über das, was ich vorhaben könnte, will ich aber nicht reden. Ich habe das Gefühl, dass man seine Unschuld verliert, wenn auch nur drei Leute rumlaufen, die etwas von einem erwarten.
Werden Sie eigentlich häufig um Mitarbeit gebeten?
Ich kriege immer mal wieder Post, auch von Produzenten. Meist sind das Vorschläge, die sich auf Literatur beziehen oder auf Drehbücher, die überarbeitet werden sollen. In den meisten Fällen sage ich ab, weil es mir persönlich nicht wichtig genug ist. Ich will das nicht pathetisieren, aber ich mache nur noch Geschichten, wo es wenigstens mir so erscheint, dass nur ich sie machen kann.
Film
Als wir träumten Andreas Dresen Deutschland 2015, 117 Minuten
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