Tipps aus Crawford

Bushs Nahostpolitik Eine Melange aus Strategie, Unvermögen und Arroganz

Selbst die besten Kaffeesatzleser haben Schwierigkeiten, George W. Bushs Nahostpolitik zu deuten: Wohl durchdachte Strategie, Unvermögen, blinde Arroganz? Der Krieg in Ramallah, Nablus und dem Rest der Westbank, die in die Enge gedrängten und menschenverachtenden palästinensischen Kamikazes gegen jüdische Zivilisten, Sharons "Gunboats" und Panzer, die de facto Eliminierung einer ohnehin nur dürftig funktionierenden palästinensischen Ein-Mann-Regierung, die Angst "moderater" arabischer Regierungen vor den eigenen empörten Bevölkerungen und die europäische Kritik - das alles kann Bushs vermeintlichen Absichten nicht dienen, weder im Nahen Osten (Schaffung einer Koalition gegen Irak) noch im "Antiterrorkrieg" (weltweite Koalition gegen die bösen Achsenmächte). Oder vielleicht doch?

Die amerikanische Außenpolitik versinkt im Chaos, will man von ausländischer Warte sagen, und ruft die nach dem 11. September ausgeschriebenen Blankoschecks zurück. Nur der getreue Tony Blair zieht noch mit. Ganz Westeuropa appelliert an die USA, das Desaster auf der Westbank zu stoppen, hat doch Sharon die EU-Delegation abserviert.

Bush wartete ein paar Tage, dann verkündete er, sein Außenminister werde in ein paar Tagen "in die Region" kommen und "vielleicht auch mit Arafat zusammentreffen". Bis dahin durfte Sharon weitermachen, der wohl verstanden hatte, dass Bushs Rückzugsforderung doch nicht wörtlich zu nehmen war. General Zinni konnte die israelischen Übergriffe protokollieren und festhalten, wie sich der arabische Hass aufstaute. Kaum mehr vorstellbar, wie aus der militärischen Lösung eine politische werden soll.

Aus Washingtoner Sicht sieht es anders aus. In den USA gibt es kaum Protest gegen diese Außenpolitik. Was Bush tut, kostet innenpolitisch nichts. Sicher, kluge Leitartikel warnen den Präsidenten vor zu viel Unilateralismus. Zbigniew Brzezinski fordert die Entsendung von Friedenstruppen nach Palästina mit amerikanischer Beteiligung, aber viel kommt da nicht zusammen. In der Republikanischen Partei haben anscheinend die Scharfmacher das Sagen und die christliche Rechte, die schon aus theologischen Gründen auf Seiten Sharons ist. Jüdische Verbände in den USA, die der ölgetränkten Republikanischen Partei eigentlich eher skeptisch gegenüber stehen, haben einen neuen Freund im Weißen Haus entdeckt. Die Demokratische Partei ist mundtot, prominente Demokraten kritisieren höchstens, dass Bush Sharons Krieg gegen den "Terrorismus" behindere.

Die amerikanische Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice hat kürzlich in einem Interview mit dem Wochenmagazin New Yorker über die neuen Leitlinien amerikanischer Sicherheitspolitik doziert. Die Jahre der Selbstfindung nach dem Ende des Kalten Krieges seien vorbei. Im "nationalen Interesse" würden die USA Terrorismus bekämpfen und "verantwortungslose Staaten" hindern, Massenvernichtungswaffen anzusammeln. Im Alleingang oder in Koalitionen. Auf Israel angewandt, bedeutet das anscheinend: Sharon ist erst einmal ein Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus. Der von Israels Premier zum Terroristenchef und Feind abgestempelte Arafat - das haben Bush und Co. mehr als deutlich gemacht - genießt kein Vertrauen mehr. Die USA und Israel "wählen" den Palästinensern eine neue Regierung, mögen sich Europäer und Araber auch noch so beschweren.

Eine gefährlichere Kombination aus Strategie, Unvermögen und Arroganz, wie wir sie gegenwärtig vorfinden, gibt es wohl kaum: Da ist zum einen die falsche Strategie, den Terrorismus erstrangig mit Waffengewalt zu bekämpfen, in Afghanistan, Palästina, im Irak und in den anderen Achsenmächten. Hinzu kommen Unvermögen und Arroganz, weil man so tut, als zählt in der neuen Weltordnung nur das, was im Weißen Haus und auf der Ranch in Crawford beschlossen wird. Als könnte man sich dank der überragenden militärischen Kapazitäten auch langfristig über die Bedürfnisse anderer Völker und über internationales Recht hinwegsetzen. Das geht lange gut, aber nicht ewig. Und viele Amerikaner wundern sich: Warum mögen uns so viele Menschen nicht?

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