Kaj Kristiansen, Personalleiter der auf Industriefaser spezialisierten Firma Fibertex im dänischen Aalborg, kennt beim Thema Qualifizierung kein Pardon: "Die ersten Kurse 1991 und 1992 waren noch freiwillig. Danach haben wir mit der Belegschaft zwar auch noch diskutiert, aber dann entschieden, dass die Teilnahme für die betreffenden Personen Pflicht ist. Denn die Verantwortung für die Qualität der Produkte können wir nur tragen, wenn wir auch das Thema Qualifikation mit gleichem Ernst behandeln." So ist es bis 1998 geblieben, als die vierte Qualifikationswelle die Belegschaft erreichte, und dabei waren Betriebsräte und die örtliche Gewerkschaft AOF stets umfassend in die Umsetzung einbezogen. In Kooperation mit der örtlichen Technischen Hochschule un
hschule und gewerkschaftlichen Bildungsunternehmen wurde der ganzen Belegschaft nicht nur technisches Fachwissen, sondern auch "soft skills" wie Qualitätsarbeit, Verantwortungsbewusstsein und Kooperationsfähigkeit vermittelt. Für das Unternehmen, das 1968 mit sieben Personen anfing, hat sich der Weg vom anfänglich billigen Jakob zu einem innovativen Unternehmen mit heute fast 400 Beschäftigten, zahlreichen Büros in aller Welt und auswärtigen Produktionsstätten gelohnt.Fibertex ist heute keine Ausnahme. Eine derart ernsthafte Auseinandersetzung mittelständischer Unternehmen mit dem Thema Qualifikation war in Dänemark jedoch nicht immer an der Tagesordnung. Nicht alles, aber vieles an dieser Erfolgsstory lässt sich auf eine Formel bringen - Jobrotation. Was 1989 als kaum wahrgenommene Initiative einer Betriebsrätin begann, die für Kolleginnen ihres Betriebes Zeit zur Qualifizierung durchsetzen wollte, ist bis Mitte der 90er Jahre zu einem Instrument geworden, das über Dänemark hinaus in ganz Europa die Schlagzeilen der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik beherrschte. Mit 36.000 Teilnehmern erreichte Jobrotation 1996 den Höhepunkt in Dänemark - in Relation zur bundesdeutschen Erwerbsbevölkerung entspräche dies fast 300.000 Personen.Jobrotation bedeutet zunächst nur, dass die Arbeitsplätze von Mitarbeitern, die an einer längeren Qualifizierung teilnehmen, mit bislang arbeitslosen Stellvertretern besetzt werden. Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, ist allerdings nicht so einfach. Denn insbesondere Langzeitarbeitslose sind wegen erheblicher Defizite des Sprachvermögens, des Kooperationsverhaltens, des Selbstvertrauens und der Konzentrationsfähigkeit nicht ohne weiteres einsetzbar. Aber der Erfolg spricht für sich: So hat sich etwa die Produktivität bei Fibertex im Laufe der Jahre deutlich erhöht. Und im Landesdurchschnitt wurden 70 Prozent der Stellvertreter in die jeweilige Belegschaft oder von Nachbarbetrieben übernommen.Obwohl die Rahmenbedingungen in Dänemark immer noch exzellent sind (Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub, Interesse an Qualifikation in den kleinen und mittleren Unternehmen, Förderung der Stellvertreter durch die Arbeitsämter), gehen seit 1996 die Fallzahlen deutlich zurück. Im Jahr 2001 wurden nur 12.000 Personen im Rotationsmodell gezählt, und im vergangenen Jahr dürfte bestenfalls die selbe Zahl noch mal erreicht worden sein. Auch Fibertex nutzt Stellvertreter nur noch punktuell, um Neueinstellungen zu testen oder für den dreiwöchigen Urlaub im Sommer. Ist das Modell damit erledigt? Bestenfalls am eigenen Erfolg zugrunde gegangen, meint Jens Kruhöffer von der Gewerkschaft AOF in Aalborg: "Wir haben in Dänemark mittlerweile 6,1 Prozent registrierte Arbeitslosigkeit, nach OECD-Standards sogar knapp 4,3 Prozent. In dieser Situation ist es viel schwieriger als Mitte der 90er Jahre, aus dem Kreis der verbleibenden Arbeitslosen geeignete Stellvertreter zu finden. Denn die Nachfrage der Unternehmen ist trotz der momentanen Flaute immer noch recht groß."Hierzulande kann man von solchen Problemen nur träumen. Zwar gibt es seit Jahresbeginn 2002 eine Regelförderung der Arbeitsämter für Jobrotation. Aber nach der Einführung des neuen Instruments haben sich die Arbeitsmarktexperten der rot-grünen Koalition erfolgreich bemüht, das Thema nicht mehr anzurühren. Denn sämtliche Erwartungen wurden enttäuscht. Die letzte verfügbare Statistik (November 2002) weist nur 395 bundesweit registrierte Fälle vom Arbeitsamt geförderter Jobrotation aus. Unter Berücksichtigung sonstiger, nicht vom Arbeitsamt geförderter Fälle dürfte sich die Zahl vermutlich verdoppeln. Aber summa summarum ergibt sich ein trostloses Bild. Insgesamt waren die vor Beginn der Regelförderung bereits erreichten Fallzahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar höher als heute. Aufs Neue scheint sich zu bestätigen, dass bundesdeutsche Arbeitsämter unfähig sind, innovative arbeitsmarktpolitische Instrumente umzusetzen. Dem beträchtlichen Koordinationsbedarf, der bei der Jobrotation zu bewältigen ist, sind die Vermittler und Betreuer in den Ämtern offenbar nicht gewachsen. Hinzu kommt, dass die Finanzierung zu schematisch vollzogen wird. So könnten die Arbeitsämter auch mehr als die Hälfte der Lohnkosten des Stellvertreters bezuschussen. In der Praxis aber gelten 50 Prozent fast überall als Höchstgrenze. Die Kosten für die Qualifizierung der Freigestellten sind dagegen fast immer von den Betrieben allein zu tragen. Kleinere Unternehmen sind allerdings häufig kaum in der Lage, die Qualifizierung und die personalaufwendige Koordinierung der beteiligten Akteure aus eigenen Mitteln zu finanzieren. In der Vergangenheit haben kleine Unternehmen zumindest von ihren jeweiligen Bundesländern Unterstützung erhalten. Seitdem aber auf Bundesebene eine umfassende Regelförderung geschaffen worden ist, haben viele Bundesländer ihr finanzielles Engagement im vergangenen Jahr beendet. Vor allem der Ausfall Nordrhein-Westfalens macht sich in der Statistik bemerkbar. Bleibt alles wie es ist, wird aus dem Hoffnungsträger Jobrotation ein weiterer Reinfall rot-grüner Arbeitsmarktpolitik. Soll wenigstens ein verspäteter Start gelingen, müssten gerade jetzt die nötigen Anpassungen vorgenommen werden. Die politisch Verantwortlichen sind jedoch offenkundig paralysiert oder zumindest nicht gewillt, sich mitten in der aktuellen Hartz-Hysterie an sinnvolle Ideen zu erinnern. Und die Vereine und Interessengemeinschaften, die sich trotz dieser Widrigkeiten von ihrem Engagement pro Jobrotation nicht abhalten lassen, tun derzeit alles andere, als ihre scharfe Kritik an den Arbeitsämtern zu veröffentlichen. Sie befürchten, dass es noch schlimmer kommen könnte, und wollen die Ämter nicht verärgern. "Wir haben im vergangenen Jahr nie großes Interesse im Arbeitsamt gespürt, die Zahlen wirklich deutlich zu steigern. Jobrotation gilt dort als zu teuer, zu arbeitsaufwendig, und viele Mitarbeiter der Ämter trauen sich gar nicht, mit dem Instrument offen umzugehen.", so Monika L., Managerin eines Projektes in Mecklenburg-Vorpommern. Zudem existiert eine direkte finanzielle Konkurrenz zu den als Teil des Hartz-Konzeptes geplanten Personal-Service-Agenturen, denen schon aus politischen Gründen erhebliche Mittel zufließen werden. Auch das interne Personalkarussell der Bundesanstalt für Arbeit ist mehr als hinderlich. Wenn in den Ämtern überhaupt Unterstützung gewonnen werden konnte, meint Monika L., sitzen engagierte Mitarbeiter in den für Arbeitgeberkontakte geschaffenen "P-Teams". Ein großer Teil der Arbeitsverträge dieser Mitarbeiter ist zum Jahresende 2002 ausgelaufen. Die freien Stellen werden intern mit Personal neu besetzt, das in der Regel keinerlei Vorkenntnis über Jobrotation besitzt. So ist es mehr als fraglich, ob ein Instrument wie Jobrotation, das im Erfinderland Dänemark seine historische Mission bereits weitgehend erfüllt hat, in der Bundesrepublik jemals aus dem Stadium eines belächelten Nischendaseins herausfinden wird.
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