Todessucht

Ein Verbrecher als Held, ein Held als Verbrecher "Roberto Zucco" am Schauspielhaus Salzburg

"Schauen Sie sich all diese Verrückten an," sagt Roberto Zucco, zu uns, dem Publikum, gewandt, "sie sind Mörder. Ich habe nie so viele Mörder auf einen Haufen gesehen." Und formuliert damit die zentralen Thesen des Stückes: dass jeder grundsätzlich zu töten bereit ist. Und dass ein Mord kaum zählt im Vergleich mit der verkommenen Gesellschaft, in deren Mitte er geschieht.

Roberto Zucco ist der letzte Dramentext des 1989 gestorbenen französischen Autors Bernard-Marie Koltès. Er beruht auf einem Kriminalfall, der seinerzeit die Gemüter erregte: Ein junger Italiener tötet im Streit seine Eltern, wird verhaftet, kann fliehen, mordet, vergewaltigt, wird von einem Mädchen verraten, festgenommen und nimmt sich in seiner Zelle mit nur 26 Jahren das Leben. Koltès stilisiert den offenbar schizophrenen Mann zum schillernden Helden: Roberto Zucco ist Killer und Poet, Baal und Querelle de Brest, ein Junge mit traurigen Augen, Bestie, Rebell, Wahnsinniger. Er redet, schläft und mordet sich durch eine Welt, um deren Ausweglosigkeit er weiß und die Koltès kolportagehaft und holzschnittartig skizziert: mit funktionierenden Polizeimarionetten, bigotten Familienmitgliedern und pittoresken Huren.

Am Schauspielhaus Salzburg, einem freien Theater mit Stagione-System, das sich neben dem subventionierten Landestheater mit einer Konzentration auf die Dramatik des 20. und 21. Jahrhunderts positioniert, hat der Ausstatter Stephan Bruckmeier für diese Situation einen treffenden, vieldeutigen Raum geschaffen. Die weißen Wände bilden mit ihren klinkenlosen Türen, mit Fenstern, deren Pergamentscheiben undurchsichtig bleiben, einen abweisenden Platz, der Gefängnishof sein kann, Piazza einer italienischen Kleinstadt, verwinkelte Gasse. Schwarze Farbe rinnt herunter. Ein quadratisches Schlammloch, in der Mitte drei gestapelte Autoreifen, bildet das Zentrum. Hier liegt das Kraftfeld der Inszenierung von Eva Hosemann, verwandeln sich Zucco und das Mädchen, das ihn liebt, zunehmend in dreckstarrende Gestalten, erleben sie eine Ahnung von anarchistischer Freiheit. Der Schmutz dieser Inszenierung, das wird bald offensichtlich, adelt die Besudelten.

Es bleibt eines der wenigen starken Bilder. Hosemann verlässt sich vor allem auf ihre Schauspieler. Im Fall von Christoph Kail ist dieses Vertrauen berechtigt. Sein Roberto Zucco ist ein unauffälliger Mann mit weicher Stimme und bravem Mittelscheitel, ein blasser Sympath, der übergangslos zum Seher oder zum Monstrum wird, der tötet, "wie man eine Zigarette wegwirft." Je öfter er mordet, desto zerbrechlicher wirkt er; mit der Dreckkruste wächst seine Schönheit und die Intensität seines Blicks. Manchmal erzeugt seine Stimme einen Klang, der beängstigt, manchmal singt er die Silben wie ein Kind; so wird offenbar, warum die elegante Dame (mit Haltung: Elke Hartmann) ihm folgt, obwohl er eben ihren Sohn erschoss und warum das Mädchen (mit Gefühl: Agnieszka Wellenger) ihn, ihren Vergewaltiger, liebt.

Alle drei Figuren hat Koltès mit einer poetischen Sprache bedacht, die sich abhebt von den Seifenoperndialogen der anderen, alle drei sind sie Gefangene, die sich nach Freiheit sehnen. Ihr Weg dahin führt über die Gewalt: Das Mädchen ersehnt die Entjungferung, die Frau ihren Tod, Zucco den nächsten Mord.

Daneben gibt es vor allem Karikaturen, Klischees, Schablonen: der Vater ist ein Säufer im Unterhemd, der Hüne trägt als Schläger eine Lederjacke, die Prostituierten lassen ihre strapsenbekleideten Beine aus den Fenstern baumeln. Zu ihnen, den Nicht-Erwählten, fällt der Regisseurin wenig ein. Es gibt kleine, bewegende Gesten, etwa wenn der Bruder seiner Schwester, die er zur Hure gemacht hat, seine Wollmütze überstülpt - ein Zeichen der Fürsorge wie der Herrschaft. Insgesamt aber entwickelt sich zu wenig Spiel; weite Textpassagen klingen deklamiert, wo die dreckige Sprache Koltès hingerotzt werden müsste.

Koltès ist nach Heiner Müller "ein Autor, der mit Steinen wirft." Als Roberto Zucco, der Vielgesichtige, einem alten Mann im U-Bahn-Tunnel hilft, verwehrt er sich gegen dessen Dank, ruft: "Ich bin kein Held. Helden sind Verbrecher!" Und blickt uns an


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