Tödliche Verständigung

Gewalt Mord als monströse Live-Performance und die Medien als Vermittler des nötigen Genre-Wissens: Warum die Amokläufe nicht aufhören. Ein Kommentar zum Massaker in Winnenden

Nach einem Amoklauf scheint vieles so einfach. Und vielleicht muss es so sein. Schon allein, damit wir Zuschauer, Hörer, Leser das Grauen aushalten, das diese Tat erzeugt.

Es ist zum Beispiel einfach, nach Gründen für die Tat zu suchen. Nicht, dass es einfach wäre, sie zu finden. Aber wie sich eine solche Suche gestaltet, davon haben wir eine entlastend genaue Vorstellung – anders als von den Gründen selbst. Schließlich gibt es Experten, die Bekanntes in die Mikrofone und Blöcke diktieren. Das beruhigt selbst den, der nicht teilt, was die Entwicklungspsychologen, Spieleforscher und Schusswaffenexperten sagen. Deren Funktion besteht ohnehin eher darin, dass sie aus der riesigen Anzahl von möglichen Ursachen die naheliegenden aussprechen. Bei Amokläufen blieben bisher stets drei Kandidaten übrig, auf die sich die Diskussion konzentrierte: der Zugang zu Waffen, psychologische Probleme des Täters und der Einfluss der Medien.

Vielleicht machen solche Debatten Amokläufe in Zukunft weniger wahrscheinlich. Wahrscheinlich geben sie etwas von dem Gefühl der Kontrolle zurück, das jeder Amokläufer seinem Publikum raubt. Dennoch: Sie bringen nicht nur bestimmte Ursachen ans Licht, sie verschatten auch andere.

Ein Ausdrucksmittel, das verstanden wird

So tauchen nach jedem Amoklauf zum Beispiel reflexhaft Fragen nach Killerspielen und Horrorvideos auf, nach fiktionalen Medienformaten also. Die Wirkung der realen Geschehnisse und ihrer medialen Vermittlung werden dagegen selten erwogen. Dabei scheint es, als habe spätestens das Massaker an der Columbine Highschool 1999 in den Köpfen eine Art Genre etabliert, dessen Elemente seither bei Tätern wie Zuschauern bekannt sind und nun variiert werden können, um Aussagen zu produzieren.

Denn darum geht es den Tätern ja oft: Zeichen zu setzen. Und sei es nur, dass sie, anstatt einen Abschiedsbrief zu schreiben, ihren Tod selbst als monströse Live-Performance inszenieren. Der Amoklauf bietet diesen Männern etwas, was ihnen sonst verschlossen ist: ein Ausdrucksmittel, das verstanden wird.

Das dafür nötige Genre-Wissen aber wird nachhaltiger von den Fernsehberichten über Columbine, Erfurt, Emsdetten selbst geprägt als von Counterstrike, Doom und Splatter-Filmen. Nicht allein, dass diese Bilder weiter verbreitet werden als nur in den eng umgrenzten Zirkeln der Spieler und Video-Freaks. Mit ihrem Anspruch, Realität abzubilden, sind sie auch viel eindrücklicher.

Mord als "gut gemachte" Kunst?

Wer sich Gewalttaten auf diese Weise nähert, tut gut daran, vorsichtig zu sein. Ansonsten kommt er schnell zu Urteilen wie Karlheinz Stockhausen, der den 11. September 2001 einmal als „das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat“ bezeichnet hat. Das geschähe dann, wenn die Rede vom Amoklauf als Genre dazu diente, das Ereignis aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu reißen und in eine davon scheinbar abgelöste Welt der Kunst zu transportieren, in der selbst schreckliches Geschehen als „gut gemacht“ bezeichnet werden darf. Aber darum geht es nicht.

Handlungsmuster finden sich nicht allein in Inszenierungen fiktionaler Gewalt, sondern eben auch in realer. Die Folge aus dieser Überlegung kann nun nicht sein, dass die Medien ihre Berichterstattung zurücknehmen. Schließlich benötigen wir als Zuschauer Anhaltspunkte, wie wir das Geschehene verarbeiten, die Aussagen des Täters lesen können. Sonst kämen wir mit dem Schrecklichem gar nicht zurande.

Wenn dem allerdings so ist, ist hier vielleicht etwas in Gang gekommen, was nur schwer zu stoppen sein wird: eine – im Wortsinn – fatale Kommunikationsform, die sich gegenüber der Strategie „striktere Waffengesetze, mehr Schulpsychologen und weniger Ballerspiele“ als resistent erweisen könnte.

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