Töne treffen

Sportplatz Ästhetik der WM (4)

Wie sitzt man in den Stadien? Sehen die Fußballer eigentlich gut aus? Passend frisiert? Was machen Waden, Strümpfe, Hosen? Gilt Knigge bei den Trainern, und gibt es noch fußballerisches Liedgut? Der Freitag-Sportplatz kommentiert die Weltmeisterschaft 2002 als ein ästhetisches Phänomen.

Musikalisch sind sie ja, die Japaner, und auch die Koreaner stehen ihnen in diesem Punkt in nichts nach. Das haben wir aus den vielen Fußballsendungen vor und während der WM gelernt, in denen uns zwar kein Fußball gezeigt wurde, aber immerhin Land und Kultur der Gastgeber nahegebracht wurden. Der Asiate schmettert gern ein paar Strophen in geselliger Runde, nachdem er sich in einer Kneipe oder Karaokebar zu diesem Zwecke zusammengefunden hat. Wer da nicht mitzieht, ließ uns die Süddeutsche Zeitung vergangenes Wochenende wissen, riskiere gar seinen guten Ruf.
Um so verwunderlicher die zwar freundliche, aber eben auch recht reservierte Stille, die zu Beginn des Turniers in den Stadien zu, nun ja, zu hören war. Vielleicht hätte die FIFA den Text einiger gängiger Schlachtengesänge auf der Anzeigetafel einblenden sollen. Vielleicht aber wollte man einfach die Spieler nicht stören. Das wäre zum Beispiel in Uruguay anders: die dortigen Fans machten schon während der Qualifikation auf sich aufmerksam. Sicherheitshalber feierten und besangen sie ihre Mannschaft schon in der Nacht vor dem alles entscheidenden Relegationsspiel gegen Australien ausgiebig und lautstark - direkt unter den Hotelfenstern des Gegners ...
Aber auch während des Turniers ist musikalische Betätigung einiger der von auswärts angereisten Anhänger überliefert. So berichtete die Sun auf ihrer Internetseite zwischen den Bildern weiblicher Fußballfans, denen man per Knopfdruck aus den Trikots von ManU, Arsenal und dem FC Sunderland helfen konnte, von einer englischen Fan-Kapelle, die auf einer Rikscha musizierend durch Tokio fuhr. Gut für den Ruf Englands: den Tokiotern habe es gefallen, schrieb die Sun, verschwieg aber, was da genau zu Gehör gebracht wurde.
Das Lieblingslied der deutschen Schlachtenbummler hingegen ist unschwer zu erraten: "Ohne Holland fahrn wir zur WM ..." Dank U wel! Der Text ist kurz und nicht wirklich originell, aber was wahr ist, ist nun mal wahr. Schließlich soll es wehtun, und wir schulden ihnen ja noch was seit der Lama-Attacke auf den Teamchef ...
Noch freundlicher freilich würde sich alles gestalten, wären wir auch ohne Sasha und Anastacia zur WM gefahren - deren "WM-Songs" This is my life und Boom! seien ob ihrer völligen Beliebigkeit mit Missachtung gestraft. Bezeichnend und erwähnenswert ist nur, dass sich vor dem Turnier eine Faninitiative gründete, um unter dem Slogan "Stop Anastacia" das Schlimmste zu verhindern.
Dann gibt es da noch, nicht ganz so schlimm und für einen guten Zweck, Love United, vielstimmig besungen von einem Chor Nachhausefahrer (Zinedine Zidane, Willy Sagnol u.a.) oder Gleichzuhausebleiber (Mehmet Scholl). Man kann nicht sagen, sie sängen gut, aber immerhin treffen sie die Töne, und so drängt sich die Frage auf, ob guter Gesang von Fußballern schlechtes Spiel bedingt und umgekehrt. Zur empirischen Untermauerung dieser These sollen hier nur die Guten Freunde von Franz Beckenbauer und Dann macht es Bumm! von Gerd Müller angeführt werden. Auch die Nationalmannschaft klang ja ganz fantastisch fürchterlich damals, als wir noch wer waren - fußballerisch. Die brachialmusikalische Einschüchterungstaktik im Stile von Buenos Dias, Argentina oder Ole, España (mit Michael Schanze! Krass!) wurde schließlich aufgegeben, als es trotz eines wirklich grottenschlechten Rap-Songs zur WM 94 in den USA im Viertelfinale von den Bulgaren Dresche gab.
Ein letztes Mal Dresche gab es dann zuhause, als nach dem katastrophalen Abschneiden bei der EM 2000 fröhlich der Anton aus Tirol geschmettert wurde mit in den Nachthimmel gestemmtem Hefeweizenglas. Jetzt schweigen sie sogar beim Abspielen der Hymne, und das Volk versteht sie und schöpft Hoffnung. Anders sieht man das in Italien: auch die Azzurri verziehen keine Miene bei der Hymne, und das nimmt man ihnen übel zuhause. Staatspräsident Ciampi forderte mehr Engagement beim Singen, Zeitungen verteilten Tausende von CDs mit Fratelli d´ Italia. Die Mannschaft indes bleibt unbeeindruckt und unmusikalisch: "Meine Hymne sind die Tore", ließ Stürmer Christian Vieri wissen.

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