Totengräber der SPD

Ungerecht, asymmetrisch, wirkungslos Schröders Offenbarungseid

Der Kanzler und seine Schreibtruppe haben sich verrechnet. Wochen im voraus für eine »bahnbrechende Rede« zu trommeln und eine gigantische Erwartungskulisse aufzubauen, um dann mit alten schwarzen, gelben und grünen Hüten vors Publikum zu treten, das passt nicht zusammen. Wie der Geschäftsführer einer schwächelnden GmbH stand Schröder vor dem Bundestag, präsentierte die buchhalterische Lage und nannte »seine« Lösungsvorschläge: »Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt«, »Lockerung des Kündigungsschutzes«, »Sozialhilfe statt Arbeitslosenhilfe«, »Kürzung des Arbeitslosengeldes«, »Öffnungsklauseln in den Flächentarifverträgen«, »höhere Selbstbeteiligung« und so weiter.

Schröder und sein Klempner Clement haben nichts, aber auch gar nichts anzubieten, was sozial weniger ungerecht, weniger asymmetrisch und weniger wirkungslos wäre als die Rezepte von Kohl und Waigel. Die hatten wenigstens noch Blüm im Nacken, der dafür sorgte, dass auf dem Arbeitsmarkt chancenlose über 55-Jährige bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld bekommen konnten. Die Schröder-SPD exekutiert jetzt, was der Rezeptladen des Biedenkopf-Zöglings Meinhard Miegel, die Barrikaden-Liberalen oder die wirtschaftsnahen Kommentatoren schon lange predigen. Sie fordern den »Rückzug des Staates aus der Sozialordnung« (FAZ) und reduzieren die »Freiheit« handlich auf »die Befreiung des Arbeitsmarktes von den Fesseln einer jahrzehntelangen Verkrustung«.

Was solche »Befreiung« bedeutet, kann an der fortschreitenden Verrottung der Bundesbahn nach der Privatisierung und dem weitgehenden Rückzug des Staates abgelesen werden. Beim »Umbau« des Sozialstaats unter Schröders Geschäftsführung wird allerdings mehr auf der Strecke bleiben als bei der Kaputtsanierung der Bahn: jene Millionen, Junge wie Alte, die künftig nach 12, höchstens 18 Monaten Arbeitslosigkeit von einem Tag auf den andern in die Sozialhilfe abrutschen, sind nicht länger Bürger in einem Sozialstaat, sondern deklassierte Bittsteller, die nach dem Sozialgesetzbuch ihren »besonderen Bedarf« nachweisen müssen. Aus »Leistungsberechtigten« werden massenweise »Hilfsempfänger«, und die werden sich fragen: »Wer hat uns verraten?«

Schröder soll seine Redenschreiber angewiesen haben, »schreibt mir nichts auf, was ich nicht bin.« Das Bekenntnis zur Schlichtheit wurde offenbar als Anweisung verstanden, die dümmsten Vorschläge seiner politischen Kontrahenten abzuschreiben. Dabei hätte Schröder doch nur auf simple Tatsachen hinweisen müssen, um selbst Boden unter die Füße zu bekommen. Erstens geht es nicht um die Leistungsfähigkeit der Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb ihre Marktpositionen gut behaupten, sondern um die schwache Binnennachfrage, die zu verbessern sein zentrales Anliegen hätte sein müssen.

Zweitens denkt die von rot-grünen »Reformen« steuerlich bis zu lächerlichen Restbeiträgen entlastete Wirtschaft gar nicht daran zu investieren. Allein die Deutsche Bank verspekulierte in den vergangenen zwei Jahren 15 ihrer 16 Milliarden Euro Rücklagen an der Börse. Jetzt helfen nur noch Entlassungen im großen Stil, um aus der selbstverschuldeten Misere herauszukommen.

Drittens haben alle Sozialsysteme (Kranken, Renten-, Arbeits- und Pflegeversicherung) schwere Konstruktionsmängel, weil keineswegs alle Bevölkerungsschichten einbezogen werden und auch nicht alle nach ihrer Leistungsfähigkeit zum sozialstaatlichen Budget beitragen. Das gilt für Beamte und Selbstständige sowie für alle Großverdiener. Das deutsche Gesundheitssystem wiederum ist eine Art Selbstbedienungssystem für die Ärzteschaft und die Pharmaindustrie.

Ausgehend von diesen drei Einsichten hätte Schröder ein mittelfristig angelegtes, genuin sozialdemokratisches Programm vorlegen können. Wie zuvor in der Außenpolitik hätte er damit sein innenpolitisches Profil geschärft. Mit seiner Rede vom 14. März wird er jedoch als Totengräber der SPD und »Kanzler der Anpassung« (FR) in die Chronik der Partei eingehen.

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