A
Airport Art ist Kunst, die man schnell noch vor der Abreise kauft. Das kann zum Beispiel eine westafrikanische Holzschnitzerei auf einem nordafrikanischen Flughafen sein oder ein Pariser Eiffelturm aus Neapel, eben noch schnell erstanden, bevor der Zug abfuhr. Der Adressat dieser Flughafenkunst ist ausschließlich der Tourist, der hier vor allem seine eigene Vorstellung (➝ zähflüssig) über das Fremde erwirbt. Exotische Souvenirs, schreibt die Wiener Kultur- und Sozialanthropologin Ingrid Thurner, sind „Symbol und Bedürfnis“.
Airport Art kommt aus der Massenproduktion, wird alles andere als fair gehandelt, bedroht das traditionelle Kunsthandwerk, ersetzt als Symbol für das Reiseziel persönliches Erleben und erzählt zumeist mehr über den Käufer als über sich selbst. Doch womöglich sind all die Projektionen, Verfremdungen, Stereotype, Mythisierungen, Eskapismen und Exotismen der Airport Art immer noch besser als verlogene Authentizität und biedere Traditionspflege. Marc Peschke
Amsterdam Erster Aufenthalt. Vorfreude, Reisefieber, Neugierde. Die weiß glänzenden Tesla-Limousinen, die uns nahezu lautlos in die City nullaufhundern, hätten eine Warnung sein können; mit den ersten Schritten entlang der Grachten, schnappt die Falle erbarmungslos zu. Aus Besuchern, die eigentlich das Atelier eines Malers besuchen wollen, werden Touristen. Auch wir flanieren nun blödsinnig ziellos in eigentlichen Wohnvierteln herum und decken uns, statt mit Lebensmitteln für die drei Tage, mit Souvenirs ein – vom Gouda über die Vinylrärität bis zur Tulpenzwiebel.Auf den an sich wundervollen Plätzen, die zu Sammelpunkten von Freizeit-Kohorten verkommen sind, fehlt nur, dass wir auch noch die schlechten Manieren der Invasoren übernehmen.
Scham erfüllt mich, an der Schändung einer sich ganz den Fliehkräften der Reiseindustrie(➝ Street Food Market) hingebenden Stadt mit zu beteiligen. Nur die wundervollen Zeichnungen des Freundes im Atelier schmälern dieses unangenehme Gefühl. Marc Ottiker
B
Berlin Nicht nur einzelne Hot Spots (➝ Eintritt) können eine Touristenfalle sein, sondern ganze Städte. Berlin zum Beispiel ist eine Touristenfalle. Das fängt schon mit dem „Fluss“ an, der der Hauptstadt doch die Identität geben soll: die Spree. Ein Rinnsal, gerade so breit, dass zwei der ungezählten Touristenboote der Schifffahrtsgesellschaft Stern und Kreis sich kreuzen können. In Treptow kommt das alberne Badeschiff dazu.
Das Stadtschloss ist nur Fassade, die letzten Mauerreste muss man mit der Lupe suchen, und der Checkpoint Charlie hat nur noch den Namen mit dem ehemaligen Grenzübergang gemein. Das als Warnung für die Touristen, die sich von der „Geschichte“ dieser Stadt haben blenden lassen. Warnen muss man aber auch die jüngeren Event-Touristen, die sich für Geschichte null interessieren, und ein Cluberlebnis mit Drogen und Sex und so suchen. Ist nicht im Angebot. In falschem Englisch werden die Besucher für blöd verkauft. Beispiel der „angesagte“ Avenue Club in der Karl-Marx-Strasse.: „Drink a tall glass with ice, lime wedges and rum, feel the beat and let go!“ Michael Angele
E
Eintritt Die schlimmsten Fallen sind die, an denen man nicht vorbeikommt: Eintrittspreise. Aber was soll man in Pisa, wenn nicht auf den schiefen Turm klettern (18 €)? Oder will man in York die zweitgrößte Gotikkathedrale Nordeuropas wirklich verpassen (16 £)? Was tun, wenn der Tour Montparnasse (18 €) schon als günstige Alternative zum Pariser Eiffelturm gilt? Mit schmalem Geldbeutel bleiben viele Sehenswürdigkeiten äußerer Natur. Findige steigen anderen Hochhäusern für den Rundblick aufs Dach.Statt Stadtrundfahrten bietet sich eine reguläre ÖPNV-Linie an. In ➝ Berlin ist das der 100er Bus. In Venedig kann man den Wasserbus nehmen – gesungen wird dort auch nicht. Tobias Prüwer
I
Istanbul Alle Zeichen standen auf Verarsche. „Du siehst aus wie ein Türke, warum liest Du einen Reisführer?“ fragten die zwei Jungs. Nie im Leben sehe ich aus wie ein Türke. Okay, ich werde schnell braun. Außerdem ist es schmeichelhaft, für einen Einheimischen gehalten zu werden, wer will schon Tourist sein? Außerdem war ich schon leicht blau, Goldenes Horn, großes Bier, alleine reisen. Einsam. Noch ein paar Bier, die Jungs zahlen’s. Schmeckt, bei 32 Grad. Dann geht’s woanders hin, was essen auch. Aber diesmal soll ich zahlen. Umgerechnet 240 Euro für ein paar Bier und ein paar Spieße. Mach ich auch. Die klauen mir noch meine Sonnenbrille. Reisen bildet. Mladen Gladić
S
Street Food Market 38 Grad im Schatten. Dir tut alles weh, vom Sightseeing. Der Stoffbeutel mit deinem Handy, dem Pass und dem Portemonnaie und der Wasserflasche drin schneidet hart in deine Schulter. Du stehst Schlange, du hast Hunger, aber du bist glücklich: Du bist auf einem Street Food Markt im Herzen einer europäischen Metropole (➝ Amsterdam).
Aus den Boxen dröhnt Melodic Techno und schlecht gelaunte Koreaner verkaufen dir gleich frittierte Großmarkt-Hühnerbeine in brauner Klebesauce zu Mondpreisen. Die verzehrst du dann, auf einer Bordsteinkante sitzend, denn die Schattenplätze auf den Bierbänken sind schon besetzt. Am Ende hast du klebrige Hände. Die Aluschale und die Plastikgabel lässt du danach einfach auf der Bordsteinkante stehen. Weiter gehts! Ruth Herzberg
R
Recherche „Best f***ing Pizza in town!“ Falls Sie Ihren Urlaub möglichst sicher ruinieren wollen, informieren Sie sich über Ihr Reiseziel im Vorhinein ausschließlich über die Bewertungsplattform TripAdvisor. Aus einem mathematisch weitgehend unerforschten Grund kommt es hier zu einer Aggregation unerklärlicher Banalitäten. Der Algorithmus verhält sich beim Erstellen der Rankings allerdings entweder extrem genau oder aber sehr wankelmütig, weshalb Sie besser minutengenau aktualisieren sollten. Falls Sie gerade keine Reise planen, können Sie das Prinzip auch bequem in ihrer Heimatstadt austesten. In ➝ Berlin führt gerade das Restaurant „Das Team ‚Die Eselin von A.’“ die Liste von 7.176 Einträgen an. Tilman Ezra Mühlenberg
K
Kellnerin Ziemlich hüten musste sich der Tourist noch in den 1990ern in der schönen Vulkaneifel, im Burg-Café zu Niedermanderscheid. Schön saß man da im Postkartenpanorama, perfekt für einen Draußen-Nur-Kännchen-Kaffee. Eigentümer war der diktatorische Herr M. mit dem Dackel, eigentlich Franchise-Nehmer einer Coca Cola-Fabrik, der sich das Café (➝ Trinkgeld) für seine schöne Frau leistete, einer Macherin, sie erinnerte ein bisschen an Friede Springer in jungen Jahren.
Die Kellnerinnen: Abiturientinnen, null weltläufig, die vor allem arbeiteten, um sich die weite Welt bald leisten zu können. Da fragte ein Gast vielleicht „Haben Sie Exportbier?“ und bekam als Antwort: „Äh? Leider nur Importbier.“ Später im Schankraum hysterische Lachkrämpfe oder S. gab den alten running gag zum Besten: „Gib’ mal den Eisproportionierer.“ A propos Eisproportionierer. Einmal fragte der französische Familienvater: „Vous avez quels parfums?“ Sie, Leistungskurs Französisch, parierte stolz: LouLou de Cacharel. Katharina Schmitz
Kinder Die Stadt, aus der ich komme, ist nicht groß, aber sie hat viele Attraktionen: Einen Quelltopf mit türkisgrünem Wasser, ein Urgeschichtliches Museum, ein Benediktinerkloster. Fahren Sie hin, Sie werden es nicht bereuen! Und wenn Sie dort sind, werfen Sie eine Münze in den Brunnen. Sie wird dort unten kein Moos ansetzen.
Als ich noch zur Grundschule ging, besaß jeder gut sortierte Haushalt einen Magneten an einer Schnur, Geldangeln nannte sich dieser Sport. Klar, gab es da Verteilungskämpfe. Mein kleiner Bruder und sein Freund Nico stellten sich eines Tages schon an der Klosterpforte auf: „Ein- und Austritt ein Pfennig“. Total niedlich. Und so bescheiden! Die Touristen fanden, das müsse man honorieren. Als mein Bruder mit Zweimarkstücken in der Tasche nach Hause (➝ Wechselstube) kam, schritt meine Mutter ein, das Geld musste er einer Organisation seiner Wahl spenden. Erfolgreicher war das Modell des Musiklehrersohns, der sich in einen Karton setzte und für 20 Pfennig das Stück Witze erzählte. So mancher Tourist lacht vermutlich heute deshalb noch über sich. Christine Käppeler
T
Trinkgeld Nur Bares ist Wahres, heißt es hierzulande. Es gibt wohl nichts Angenehmeres als „cash in de Täsch“. Für beide Seiten kann das Trinkgeld aber überaus schamhaft werden, wenn die Bedingungen nicht geklärt sind. Wie viel Prozent gibt man? Die App „myTaxi“ hat feste Trinkgeld-Stufen, wenn man seine Kraftdroschke per App bezahlt. Die 5-Prozent-Stufe wurde gestrichen – vielleicht weil zu viele Anzugträger sparten? Ein Drama ereilte meinen geliebten Friseur R. Ein vermeintlich Verwahrloster betritt den Salon. R., wie immer im Stress, drückt ihm eilig zwei Euro in die Hand. Als der Herr den Laden verlässt, raunt er: eigentlich wollte ich nur einen Termin. R. erfüllt es bis heute mit Scham. Jan C. Behmann
W
Wechselstube Hier wird das Geschäftsgebaren immer wieder von Reisenden beklagt. Touris mit Bibelkenntnis denken an jene wunderbare Stelle in der Heiligen Schrift: „Jesus vertreibt die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel.“ Und dies unter Anwendung ziemlicher Gewalt. So umstritten der historische Hintergrund der Bibelgeschichte ist, es wäre doch bei Umtauschgebühren von fast 30 Prozent, so die Horrorberichte über manche Prager Wechselstube, eine durchaus verständliche Maßnahme, die unverschämte Gier nicht nur verbal zu geißeln.
Die „Goldene Stadt“ taucht mit ihren rauen Wechselsitten immer wieder in den Medien auf. Es treffe doch keine Armen wird ein etwas rigides Statement aus der Branche zitiert. Einheimische kommen besser weg. Demnächst soll ein kurzfristiges Rücktrittsrecht vom Tauschgeschäft möglich sein, damit die Kunden in Ruhe prüfen können (➝ Recherche), was sie da unbesonnen gewechselt haben. Das verkündete kürzlich die Finanzministerin Tschechiens. Magda Geisler
Z
Zähflüssig Das Wort „Touristenfalle“ hat Tante Hertha Mitte der 1960er Jahre erfunden. Im westdeutschen Fernsehen liefen abwechselnd Turnen mit Adalbert Dickhut und der Blaue Bock, jeder kannte seinen Platz in der formierten Gesellschaft (➝ Kinder). Tante Hertha wollte mal raus, mit der Lufthansa, das hatte sie sich auch verdient. Jahrzehnte später erzählte sie uns von der gelungenen Reise zu den stolzen Preußen des Mittelmeeres, alles „picobello“. Und trotzdem: Der Spanier versuchte in einer landestypischen Bodega der Rommee-Partnerin von Tante Hertha einen iberischen Muckefuck als echten Bohnenkaffee anzudrehen, für umgerechnet eine Mark fünfzig. Das Wirtschaftswunder geriet erstmals ins Stocken und dann sollte auch noch 1968 anrufen, mit Münzfernsprecher. Tante Hertha hat sich davon leider nicht mehr erholt. Gerald Fricke
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