Trampelpfade der Kultur

Irritation Wie kommt es, dass in der Theorie die moderne Kunst den Bruch mit allen Regeln bedeutet – die Museen ihre Exponate aber immer nach den gleichen Prinzipien präsentieren?

Der Verlag zum Buch:

Wie konnte aus der großen ästhetischen Revolution eine derart vorhersehbare und gleichförmige Veranstaltung werden? Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil die Ordnungsraster, mit denen Kunstgeschichte und Kunstkritik des frühen 20. Jahrhunderts der überbordenden Fülle neuer künstlerischer Formen Herr werden wollten, allesamt längst obsolet geworden sind. Kein Mensch glaubt heute noch an eine Avantgarde, die immer auf der Überholspur fährt, niemand redet mehr ernsthaft vom endlosen künstlerischen Fortschritt, in Festreden und Katalogvorworten wird feierlich der Abschied von der Verbindlichkeit beschworen, das Wort »Kanon« findet man allenfalls noch an der Volkshochschule. Dennoch präsentieren die Museen weltweit auch weiterhin eine Geschichte der Kunst der Moderne und Gegenwart, die so tut, als sei die Vielfalt allenfalls ein quantitatives Problem, dessen Lösung man sinnvollerweise denen überlassen sollte, die am meisten davon verstehen: den Fachleuten. Mit welchem Recht eigentlich? Worauf aber gründet sich der Expertisevorsprung der Insider gegenüber dem Publikum? Wie unterscheidet man zwischen einem Experten- und Laienurteil, wenn die normative Ästhetik erst einmal verabschiedet ist? Weshalb sollte man sich eigentlich nicht auch seines Geschmacks ohne die Leitung eines anderen bedienen dürfen?

Leseprobe:

Vor einiger Zeit hatte ich durch Zufall Gelegenheit, kurz hintereinander drei große, international renommierte Sammlungen Moderner Kunst besuchen zu können. Da der museale Stafettenlauf als unvorhergesehenes Beiprogramm einer ganz anderen Aktivitäten gewidmeten Reise zustande kam, hatte ich weder Veranlassung noch Gelegenheit, mich besonders darauf vorzubereiten. Statt also mit einer persönlichen Prioritätenliste und damit einem privaten Wegeplan in der Tasche, betrat ich alle Häuser gleichermaßen in der Vorfreude auf einen anregenden Gesamtrundgang mit anschließender Rast im Museumscafé und überließ mich wohlgemut dem Menschenstrom auf dem allgemeinen Besucherpfad.

Beim ersten Mal klappte die Sache noch recht gut. Ein paar unverhoffte Wiederbegegnungen mit Arbeiten, die ich gut zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatte, überlagerten das leicht schale Gefühl, mit dem ich das Museum letztlich verließ, ohne ihm aber weiter nachzugehen. Nach der zweiten Station verspürte ich die gleiche Empfindung, diesmal allerdings deutlich stärker und ich begann mich zu fragen, woran es wohl liegen könnte, daß meine Stimmung vor dem Besuch so viel besser gewesen war als danach. Als ich dann, nach dem dritten, von identischen pädagogischen Schautafeln eingehegten Volkslauf durch die Kunst des 20. Jahrhunderts wiederum auf die kubischen Phantasien Picassos und Mondrians getroffen war, anschließend Malewitsch und Kandinsky bei ihren esoterischen Kunststücken hatte beobachten dürfen, über Man Ray und Duchamp zu Max Ernst gelangt war, um danach auf Pollock, Newman und Rothko zu treffen sowie auf einen Saal mit Warhol und Rauschenberg, gefolgt von einer Halle voller Beuys, Stella, Richter und Twombly, dämmerte es mir: Ich war gar nicht ins Museum, ich war versehentlich in den Zoo geraten – es fehlten eigentlich nur die Dromedare. Kein Wunder, daß ich mich so elend fühlte...


© 2010, zu Klampen Verlag, Springe


Aufgrund von Absprachen mit den Verlagen, die uns die Leseproben zur Verfügung stellen, können wir diese nur für eine begrenzte Zeit online stellen. Vielen Dank für Ihr Verständnis!

Buch der Woche:
Christian Demand: Wie kommt die Ordnung in die Kunst?
zu Klampen Verlag
ca. 200 S., 18

Christian Demand, Jahrgang 1960, studierte Philosophie und Politikwissenschaft. Er war als Musiker und Komponist tätig, später als Hörfunk-Journalist. Seit 2006 hat er den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akdemie der Bildenden Künste in Nürnberg inne. Zuletzt erschien von ihm Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte.

Das Buch erscheint im März 2010

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