Wer sich zu Beginn des NSU-Prozesses 2013 Transparenz über das Netzwerk der Naziterroristen in Deutschland erhoffte, wurde bald enttäuscht. Kurz nach Prozessbeginn zeigte sich, dass der Staat nicht zur Aufklärung über die Hintergründe der NSU-Morde beitragen wollte. Geheimdienste und Polizeibehörden verweigerten Aussagegenehmigungen und versäumten es, Zeugen zu benennen. Oft brachte der Prozess weitere Verdunkelung. Nicht nur vor dem Landgericht München, auch in Untersuchungsausschüssen in Bundes- und Landesparlamenten wurde bekannt, dass neben dem Verfassungsschutz auch bei der Bundesanwaltschaft Dokumente zum NSU vernichtet wurden. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz behauptete im Fall eines Neonazis und ehemaligen V-Manns, eine über ihn angefertigte Akte sei 2010 beim Hochwasser in Sachsen verschollen.
Strafrechtliche Konsequenzen musste keiner der an den Aktenvernichtungen Beteiligten fürchten. Ein klares Signal an die Beamten: Wer mauert, gewinnt. So erdreistete sich das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz, eine Akte zum Mord an Halit Yozgat mit einer Sperrfrist von 120 Jahren zu belegen. Erst im Jahr 2134 darf sie geöffnet werden.
Und auch der Gesetzgeber machte sich zum Komplizen: 2016 vereinbarten SPD und Union in Reaktion auf Enthüllungen zu den Geheimdiensten, das Bundesarchivgesetz zu reformieren. Sie setzten durch, dass Verfassungsschutz und BND ihre Akten selbst nach Ablauf aller Sperrfristen gar nicht mehr ins Archiv geben müssen. Was einmal geheim ist, bleibt für immer geheim. Der BND jubelte sogleich, der „schleichenden Aushöhlung der Nachrichtendienste“ sei Einhalt geboten worden. Statt Aufklärung gibt es ewige Verklärung.
Das Beispiel der Geheimdienste macht unterdessen Schule. So löschte das Bundespresseamt im Nachgang zum Hamburger G20-Gipfel rechtswidrig sämtliche Aufzeichnungen über seine „schwarze Liste“, aus denen hervorging, welchen Journalisten warum Akkreditierungen entzogen worden waren. Gut möglich, dass davon auch Bundeskanzlerin Angela Merkel informiert war.
Bayerns Innenminister sorgt sich
Eigentlich müsste sie gut über ihre Transparenzpflichten informiert sein: Schließlich müssen alle Bundesbehörden seit 2006 auf Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz die meisten ihrer Akten an Bürger herausgeben. Doch das Gesetz ist lückenhaft und gilt nicht für die Bundesländer, die unterschiedliche eigene Regelungen haben. Das neue hessische Informationsfreiheitsgesetz beispielsweise besteht vor allem aus Ausnahmen. Verfassungsschutz und Polizei sind grundsätzlich nicht auskunftspflichtig, für Kommunen ist die Teilnahme am Gesetz freiwillig.
In Bayern gibt es ein solches Gesetz noch nicht einmal. Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, die Herausgabe von Akten könnte Bürger schließlich überfordern. In Niedersachsen und Sachsen ist die Einführung von Informationsfreiheitsgesetzen bisher daran gescheitert, dass die Vorhaben in Koalitionsverhandlungen gegen andere Vereinbarungen eingetauscht wurden. Demokratie als Verhandlungsmasse.
Trotz der schwachen Gesetze ist aber auch die seltene Nutzung der Auskunftsrechte ein Problem. Wo vorhanden, müssen Bürger noch viel häufiger Dokumente vom Staat anfragen. Und wo der Staat nichts herausgeben muss, helfen nur noch große Leaks. Etwa bei den Geheimdiensten.
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