"Dieses Bild der sich auf einer Bank ausruhenden schwangeren Frau wirkt auf mich wie ein tröstlicher Traum", sagt die Jamaikanerin Lydia Tulloch-Déhee, die in Berlin-Wilmersdorf das mobile Galerieprojekt Caribbean Art Collection ins Leben gerufen hat. Das Ziel des ehemaligen Mannequins, die für die großen Modehäuser gearbeitet hat, ist es, in Kooperation mit europäischen und karibischen Institutionen in Europa ein differenziertes Bild karibischer Kultur zu fördern. Sie legt ihren Schwerpunkt dabei auf die zeitgenössische Malerei aus Haiti.
In ihrer Berliner Ausstellung präsentiert sie mit den Haitianern Turgo Bastien und Patrick Cauven zwei Maler, bei denen die Traditionen der bereits weltbekannten haitianischen naiven Malerei mit westlichen prof
t westlichen professionellen Formen verschmelzen. Mit ihrer Vorliebe für pure, starke Farben, die flach und ohne Schatten oder Perspektiven aufgetragen werden, verbindet sich Natürliches mit Übernatürlichem. Die Bilder sind ein eigenes, selbständiges kulturelles Erbe, das auf die historische Isolation Haitis vom Rest der Welt zurückzuführen ist. Das Land hat sich bereits im Jahr 1804 für unabhängig erklärt. Erstmals in der Geschichte war es schwarzen Zwangsarbeitern nach zahlreichen blutigen Aufständen gelungen, die Kolonialherren abzuschütteln.Zum Förderer und Mentor der haitianischen Malerei wurde der Amerikaner De Witt Peters. Er war als Kriegsdienstverweigerer im Jahr 1943 nach Haiti gekommen, um als freiwillige Alternative zum Einsatz mit der Waffe Unterricht in Englisch zu geben. Peters, selbst Maler, war von dem farbenprächtigen Port-au-Prince und der exotischen Landschaft so fasziniert, dass er bereits ein Jahr später gemeinsam mit Freunden eine Mal- und Kunstschule, das "Centre de Art" gründete. Eines Tages brachte ihm ein Bote ein Paket, das ein auf Pappe gepinseltes Gemälde und einen Brief enthielt. Das Bild stellte die Ankunft Präsident Roosevelts in der Hafenstadt Cap Haitien anlässlich der Aufhebung der US-Besatzung im Jahr 1934 dar. In dem Brief stellte sich der Maler als Philomé Obin aus Cap Haitien vor: "Ich male nun schon mein ganzes Leben lang. Aber niemand will an mein Talent glauben", schrieb er.An dem Bild stimmte nichts - die Perspektive, die Licht- und Schatteneffekte, die Wirklichkeit der Proportionen, meinte Peters später. Aber der Amerikaner war von der seelischen Kraft der künstlerischen Naivität so beeindruckt, dass er das Werk kaufte. Heute zählt Obin zu den berühmtesten naiven Malern der Welt. Sein erschütterndstes Bild ist der Tod des Freiheitskämpfers Charlemagne Péralte, der während der US-Okkupation (1918 - 1922) ermordet wurde und dessen Leichnam nur mit einem Lendenschurz bekleidet im Hauptquartier der amerikanischen Marine zur Schau gestellt wurde. Später ging Peters in Haiti systematisch auf Talentsuche. Er entdeckte viele einfache Menschen, die sich neben ihrer Arbeit der Malerei verschrieben hatten. So traf er Rigaud Benoit, ein malender Lastwagenfahrer, den Flugzeugmechaniker Louveture Poisson, den Tischler Préféte Duffaut sowie den Gelegenheitsanstreicher und Voodoo-Priester Hector Hippolite - heute sind die Namen den Sammlern und Museen aus der ganzen Welt ein Begriff. Zu ihnen gehörte auch André Pierre, ein Voodoo-Priester wie Hector Hippolite. Die Menschen auf seinen Bildern werden hauptsächlich in Anbetung der Götter gezeigt. André Pierres Bilder fanden aufgrund ihrer starken Spiritualität viele Käufer in den USA. Aus den Einnahmen erfüllte sich der Maler einen Jugendtraum, indem er sich ein pinkfarbenes Chevi-Cabriolet zulegte, das meiste Geld verteilte er jedoch an die Armen in den Slums von Port-au-Prince. Heute gibt es kein Buch über naive Malerei, in dem nicht einige seiner Bilder beschrieben werden.Mittlerweile gibt es in Haiti eine gut ausgebildete dritte Generation von Künstlern, wie die in Berlin ausgestellten Turgo Bastien und Patrick Cauven, die in der Kunstwelt schon einen Namen haben. Die Synthese von westlicher und afrikanischer Kulturgeschichte in ihren Bildern belegt die Globalisierung der Kunst. Sie erinnern in ihrer Malerei daran, dass Pablo Picasso und Georges Braque im Pariser Quartier Latin regelmäßig einen Händler besuchten, der Holzmasken aus dem afrikanischen Humb-Gebiet (heute Gabun und Kongo) verkaufte, und sich von diesen inspirieren ließen.Die beiden Haitianer erhielten bei der Vernissage ihrer Ausstellung von den 200 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Diplomatie und Medien viel Beifall. Am Warenmarkt für Kunst notierten sie jedoch noch nicht. Madame Tulloch-Déhee gestand unter schmerzlichem Lächeln, dass noch keines der Traumbilder verkauft wurde. - Schöne Bilder allein sind noch kein Scheck an der Wand.Die Ausstellung in Berlin-Wilmersdorf, Pariser Straße 40, ist noch bis zum 17. Oktober geöffnet.