Traumschleife

Sie wandert durch einen Bürstenladen. Ein Supermarkt voll gestopft mit Haarbürsten und allerlei anderen Utensilien ausschließlich für lange Haare. ...

Sie wandert durch einen Bürstenladen. Ein Supermarkt voll gestopft mit Haarbürsten und allerlei anderen Utensilien ausschließlich für lange Haare. Das Angebot ist reichlich. Es gibt schmale und lange Bürsten, Riesen- und Zwergenbürsten, Bürsten mit weichen und harten Borsten. Außerdem Plastikbürsten und solche aus gemasertem Holz mit natürlichen Borsten. Eberschwänze.

Dazu Kämme in tausenderlei Farben fein säuberlich in durchsichtigen Kisten geordnet. Kisten, die sich übereinander türmen, bis an die hohe Decke emporragen, so weit oben, dass die einzelnen Kästen nicht mehr zu erkennen sind und nur noch als winzige Farbkleckse herableuchten.

Langsam bewegt sie sich vorsichtig weiter durch den Laden, zwängt sich zwischen den endlosen Regalen hindurch, die immer näher zusammen rücken. Ihre Füße, einer nach dem anderen, treten auf weichen Grund, sie will nicht wissen, auf was sie geht. Kein Laut ist zu hören, die Geräusche sind wie aufgesaugt und in einem Schwamm gesammelt.

Überall hängen Haare, Lianenhaare, quellen und wachsen hervor, streifen ihre Haut, umwickeln ihre Arme, halten sie fest. Sie will raus, findet den Ausgang nicht. Sie spürt, wie die Angst ungeduldig an ihren Beinen kratzt. Sie will weinen, um mit den Strömen von Tränen davon zu schwimmen, wenn sie denn schwimmen könnte, jetzt.

Es ist tropisch heiß. Heiß und feucht. Dicke Schweißperlen sitzen auf ihrem Körper. Sie irrt weiter umher, zwischen den Haarbüscheln, den geflochtenen und losen, und den Strähnen in allen Längen und Farben, gefangen in diesem Labyrinth. Denn was soll sie hier kaufen? Ihre Haare gibt es nicht mehr, zu kurz für Klammern, Bürsten und Gummis. Doch das Wissen, dass sie etwas kaufen muss, verfolgt sie hartnäckig, schleicht um die weiter wachsenden Traumregale und lugt frech aus allen Kisten. Etwas aussuchen. Etwas kaufen. Sonst findet sie nicht mehr aus diesem haarigen Irrgarten heraus.

Plötzlich sieht sie zwischen anderen Dingen eine aufdringlich rote Perücke, die nimmt sie schnell an sich und geht mit ihr weiter. Nun muss sich der Ausgang finden lassen, sich irgendwo auftun und sie heraus lassen. Sie setzt die grelle Perücke auf den Kopf, wie man einen Hut aufsetzt, den man zuvor von der Garderobe genommen hat. Und wirklich, nun beginnt sich der mittlere Flur zu weiten, wird durchlässiger, dehnt sich wie ein Gummiband und am Ende ist eine schmale, niedrige Türe versteckt. Die steuert sie an. Doch als sie die Türe öffnet und flink hinausschlüpft, mit der roten Perücke auf dem Kopf, ist sie erneut in dem Supermarkt der Bürsten und Haare.

Simone Rothweiler, geboren 1969 in Überlingen/Bodensee, ist Kulturwissenschaftlerin, arbeitet im Architektur- und Kulturmanagement und schreibt derzeit an ihrem zweiten Roman.


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