So eine Documenta ist eine anstrengende Sache, geistig wie auch körperlich. Um der Erschöpfung entgegenzuwirken, fanden sich bei der gerade sich zum Ende neigenden 15. Ausgabe allerorten unterschiedlich bequeme Sitzmöbel. Liegen mit und ohne Aussicht, Baumstümpfe und Hängematten, in und auf denen man sich von den Anstrengungen eines kunstbeflissenen Daseins erholen konnte. Auch die gastronomische Versorgung war in diesem Jahr stabil aufgestellt – vom offiziellen „Eat-Art“-Bistro („Brotgarten Focaccia“ in der vegetarischen Variante mit Feta aus Kuhmilch für 16 Euro) über den „documenta fifteen Food Market“ mit Burgern, Bowls und „rolled icecream“ nebst passendem Instagram-Gewinnspiel bis hin zum Biergar
garten vor dem Hallenbad Ost im Stadtteil Bettenhausen.Während drinnen die Retrospektive des in die Schlagzeilen geratenen indonesischen Kollektivs Taring Padi gezeigt wurde, gab es draußen Documenta-fifteen-Bier, Premium-Bio-Eis am Stiel (vegan und plastikfrei verpackt) oder Berliner Currywurst, wahlweise auch vegan. Ordentliche Festivalstimmung also. Klar, das Leben der Besuchenden geht auch während einer Documenta weiter. Sicher, das Gemüse im Bistro kam aus der Region, das Geschirr auf dem Food Market stammte unter anderem aus Haushaltsauflösungen, und die Mitglieder des kuratierenden Kollektivs ruangrupa sollen laut Medienberichten an der geschmacklichen Komposition des Biers beteiligt gewesen sein.Und trotzdem: Der Kontrast der zeitgeistigen gastronomischen Rahmung zu den Themen der Documenta hätte größer nicht sein können. Da fiel es mitunter schwer, die gedankliche Brücke zu schlagen – zwischen dem abendlichen Aperol Spritz in Kassel und der ganzjährigen Versorgung mit Trinkwasser im Nahen Osten. Wären da nicht zahlreiche künstlerische Positionen gewesen, die sich kritisch mit den weltweiten Produktions- und Verteilungsbedingungen von Lebensmitteln befassten und der leicht bierseligen Stimmung am Würstelstand immer wieder die Stirn boten.Etwa der üppige Hinterhofgarten des Nhà Sàn Collective, mit Obst und Gemüse aus Südostasien, angebaut von der vietnamesischen Community vor Ort. In einer kleinen Hütte am Rand versorgten sich die Teilnehmenden mit Saatgut für das nächste Jahr, mit Mais, Okra und Bohnen abseits des regulierten Handels weltweit agierender Samenhersteller.Oder im nachgebauten bangladeschischen Basar des Britto Arts Trust, komplett ausgestattet mit Lebensmitteln aus Keramik, Metall und Textil. Die Regale mit in detaillierter Handarbeit in Dhaka gefertigten Bananen, Fischen und Konservendosen boten eine ideale Fotokulisse und so manches Selfie unterschied sich dabei vermutlich kaum vom Erlebnisurlaub in Südasien. „Die kleinen Objekte treten nicht nur als Lebensmittel in Erscheinung“, hieß es aber in den mahnenden Erläuterungen, „sondern enthalten auch Statements über die Nahrungsmittelpolitik, die von den Agrar-Giganten aus den mächtigen Nationen bestimmt wird“.Denn Essen und Trinken sind in einer globalisierten Welt untrennbar mit Themen wie Klimawandel und Krieg sowie Fragen der Selbstbestimmung verknüpft. Sie haben für die überwiegend aus dem globalen Süden stammenden Künstler*innen und Kollektive der documenta fifteen eine unmittelbare Bedeutung, die weit über 100 Tage Kunstfestival in der Mitte Deutschlands hinausgeht. Es wird sich zeigen, ob wir vermögen, ihre Botschaften ernst zu nehmen – mal ganz abgesehen von recyceltem Geschirr, regionalem Gemüse und plastikfreier Verpackung. Vermutlich nicht erst in fünf Jahren.