Tretmine

Linksbündig Der Anti-Islamismus hält sich sehr genau an die Muster des Antisemitismus

Neulich hörte ich, wie im Rundfunk eine hochintelligente, kritische Journalistin den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland zur Rede stellte: Sie wollte wissen, wie es möglich wäre, keine Angst mehr vor Muslimen haben zu müssen. Die einzig vernünftige Antwort wäre die Gegenfrage: Wieso haben Sie überhaupt Angst vor Muslimen? Gewiss, es gibt Terrorismus seitens islamischer Fundamentalisten. Die statistische Wahrscheinlichkeit, von einem Terrorattentat getroffen zu werden, ist unendlich viel geringer als auf der Autobahn von einem der 300-PS-Irren über den Haufen gefahren zu werden. Und rein statistisch ist wahrscheinlich auch die Chance größer, zu einem Kollateralschaden im angeblichen Krieg gegen den Terrorismus zu werden. Man muss einfach einmal daran erinnern, dass in den letzten Jahren Zehntausende völlig unschuldiger Zivilisten dafür gestorben sind, damit sich die freie Welt in Sicherheit wiegen kann. Auch wenn jeder Experte versichert, dass man den Kampf gegen Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln gewinnen kann.

Es wird Zeit, sich Gedanken zu machen, was mit aufgeklärten Mitteleuropäern wie jener Journalistin zur Zeit geschieht. Der Dame scheint entgangen zu sein, dass die Wertegemeinschaft der freien Welt zur Zeit drei Kriege gegen islamische Länder führt: in Afghanistan, in Palästina und im Irak. Von verdeckten militärischen Operationen ganz zu schweigen. Und leider gehört es nun einmal zur erbärmlichen Logik des Krieges, dass hin und wieder zurückgeschossen wird. Darüber hinaus gibt es für den Rest der Welt zahllose bittere Gründe von der moralischen Integrität der Demokratien nicht ganz so überzeugt zu sein, wie die westlichen Demokratien es sind. Es genügte einfach, sich mal aus der Nähe anzuschauen, wie es so zugeht in der Welt.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich zur Zeit wesentlich mehr Angst vor den bösen Blumen des geschürten Antiislamismus. 1933 lebten in Deutschland nur etwas mehr als eine halbe Million Juden, von denen die meisten bis zur Selbstvergessenheit assimiliert waren. Erst die antisemitische Propaganda machte sie wieder zu Juden. Und es gelang dieser Propaganda, in eine unauffällige Minderheit die Fratze des Bösen zu projizieren. In Deutschland war es ausgerechnet der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger, der den primitiven Antiislamismus zur neuen staatsbürgerlichen Gesinnung erhob. 1990 heizte er in einem Artikel im Spiegel den bevorstehenden Golfkrieg an, indem er Saddam Hussein mit Hitler verglich, und Deutschland insofern seine Vergangenheit am Golf tätig bewältigen müsste. Außerdem entdeckte Enzensberger, dass überall auf Erden die Horden Allahs lauerten, um bei erstbester Gelegenheit über uns friedlich schlummernde Menschen herzufallen. Im Grunde steckt in jedem Muslim nämlich ein Saddam. Dass dann die Horden Allahs auf grausame Weise zu Hundertausenden von High-Tech-Waffen und fast ohne Gegenwehr zusammengeschossen wurden, tat der Propaganda keinen Abbruch.

Ähnlich hatten die Nationalsozialisten ihrem hysterischen Publikum erklärt, wie die Weltverschwörung des Weltjudentums funktioniere. Einerseits gab es die superreichen Hintermänner, die kapitalistischen Juden à la Rothschild. Dann gibt es die fundamentalistische Basis, das sind die Ghetto-Juden mit ihren streng religiösen Regeln. Schließlich gab es die für Deutschland besonders wichtige Gruppe der "Schläfer": damit waren die assimilierten Juden gemeint, denen niemand ihr Judentum anmerkte. Auf die islamische Variante der letzten Gruppe der Schläfer schien sich die Journalistin zu beziehen, als sie bereit war, in dem harmlosen türkischen Gemüseladen nur eine Tarnung für die islamistische Terrorzelle zu vermuten - einen klassischen "Schläfer" eben. Während die Rothschilds von damals heute von den arabischen Scheichs repräsentiert werden: Dunkelmänner von legendärem Reichtum. Und die orthodoxen Juden, das sind die jubelnden fundamentalistischen Massen, die vor allem der Hass auf uns eint.

Kurzum, ich würde dem aufgeklärten Mitteleuropäer unserer Tage dringender empfehlen, auf die Tretmine zu achten, die in seiner Seele schlummert, als auf die Gefahr, die ihm von den Horden Allahs droht.


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