Trickbetrüger in Stuttgart

Ausstellung Der Titel geht nicht so leicht über die Lippen: Weder Entweder Noch Oder. Soll es keine klaren Unterscheidungen mehr geben? Entweder - oder? Wir sind ...

Der Titel geht nicht so leicht über die Lippen: Weder Entweder Noch Oder. Soll es keine klaren Unterscheidungen mehr geben? Entweder - oder? Wir sind gewohnt in Gegensätzen zu denken, schwarz - weiß, hell - dunkel, groß - klein, doch was die Deutung von Bildern, Gesten und Worten angeht, gilt dieses Schema nicht. Die Erkenntnis, dass Bedeutung nicht klar festlegbar ist, vielmehr - beeinflusst durch sprachliche und kulturelle Prägungen - Grauzonen erzeugt, zieht sich wie ein roter Faden durch die strukturalistische und poststrukturalistische Theorie, sagt die Kulturwissenschaftlerin Katrin Mundt, die Gast-Kuratorin der acht Positionen präsentierenden Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart.

Der Betrachter wird also bewusst in eine Zwickmühle gebracht. Das Problem der Deutung von zeitgenössischer Kunst wird selbst zum Thema. Der Belgier Sven Augustijnen etwa drehte einen fast einstündigen Film über Taschendiebe, wie sie in einem schummrigen Kellerraum einem jungen Mann ihr "Handwerk" beibringen. Der "Schüler" übt an einer Puppe die Handgriffe, lauscht den Instruktionen der Profis, die ihre Profession als Kunst ansehen. Der Betrachter wird unweigerlich in diese Machenschaften hineingezogen, denn die Faszination überwiegt gegenüber den Skrupeln, die sich einstellen. Und nicht nur die Frage, was moralisch von der Aktion zu halten ist, bewegt den Voyeur, sondern auch die Eleganz und Virtuosität der Diebe. Der Künstler ein Trickbetrüger?

Natürlich nicht! Jedenfalls nicht alle. Denn was einen guten Künstler ausmacht, ist eine gute Portion Besessenheit, und zwar Besessenheit von der Sache und nicht von sich selbst, Selbstzweifel eingeschlossen: Renzo Martens, der in Amsterdam, Brüssel und Kinshasa lebt, räumt der Frage nach der Rolle des Künstlers Raum ein. Wie Augustijnen erzeugt er mit seiner Filmarbeit eine ambivalente Situation, doch ist es eine Zweideutigkeit, die beabsichtigt ist. Entgegen der üblichen Rollenverteilung leitet er im Kongo einheimische Fotografen an, den Job der ausländischen Kollegen zu tun, also selbst das Leid ihres Volkes in Bilder umzusetzen. Gemeinsam mit ihnen reiht er sich ein in die Trecks der Agentur-Fotografen, die durch den Dschungel ziehen, um dann zu zehnt um einen Kämpfer und sein Opfer herumzustehen und Bilder zu schießen. Martens macht mit seinem Film die Bedingungen, unter denen diese Bilder entstehen, sichtbar, ihre Absurdität und ihre menschenverachtende Dimension. "Ihr müsst Kinder fotografieren, bei denen die Rippen zu sehen sind", unterweist er seine Schüler in der Logik der Vermarktung des Leids, "diese Bilder könnt ihr gut verkaufen." Die jungen Männer, die bislang mit der Ablichtung von Familienfeiern nur wenige Cent verdient haben, sollen Teil haben an dem Handel mit dem Leid. Martens macht alles transparent, auch seine eigenen Zweifel. Was ist gut und was ist schlecht? Die Fragwürdigkeit der Strategien der internationalen Medien kommt genauso ans Tageslicht wie die Fragwürdigkeit des künstlerischen Projekts, das sich hinein begibt in diese Strukturen. In Stuttgart ist das Fragment eines Langzeitfilms zu sehen, den Martens im Herbst 2008 fertig stellen will.

Überzeugend in ihrer slapstickartigen Einfachheit ist die Performance Board, die John Wood und Paul Harrison als Video produziert haben. Die zwei Männer brauchen nicht mehr als ein etwa einzelbettgroßes Brett, um den Raum, den white cube der Galerie, immer wieder neu zu teilen und mit ihren Körpern zu markieren. Die Perfektion der Aktion steht ihrer kompletten Sinnlosigkeit gegenüber, so dass eine Deutung zunächst unmöglich wird. Der Künstler wird zum Akrobaten, der mit Deutungsmustern spielt, sie bewusst einsetzt oder hintergeht. Vielleicht ist diese Strategie eine der wenigen Alternativen zu Kunstwerken, die in ihrer Offenheit sich selbst zum Verschwinden bringen oder aber die Botschaft ungebrochen herausschreien.

Weder Entweder Noch Oder. Württembergischer Kunstverein Stuttgart. Noch bis zum bis zum 3. August.

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