Tricksen und triumphieren

Italien Silvio Berlusconi könnte im Dezember noch einmal davonkommen. Dass seine Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 durchhält, ist dennoch unwahrscheinlich

Andere Länder, andere Metaphern: „Wie eine Auster an den Felsen“ klammere sich Silvio Berlusconi an sein Amt als Regierungschef, schreibt Gustavo Zagrebelsky in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica. Zu den berüchtigten Gesetzen „ad personam“, mit denen sich der Premier vor Strafverfolgung und wirtschaftlichen Nachteilen schützt, komme nun die „Privatisierung der Verfassung“ hinzu: Da Berlusconi nur noch in einer der beiden Kammern des Parlaments – dem Senat – über eine Mehrheit verfügt, will er die andere – die Abgeordnetenkammer – auflösen und neu wählen lassen.

Ein solches Votum nur für eine Kammer ist zwar laut Verfassung möglich; aber noch nie wurde dies mit der so offenkundig undemokratischen Absicht gefordert, dem amtierenden Regierungschef aus der Bredouille zu helfen. Zum Glück allerdings liegt die Entscheidung darüber nicht bei Marodeur Berlusconi, sondern bei Staatspräsident Giorgio Napolitano. Ob der demnächst in das parlamentarische Spiel eingreifen muss, ist noch offen. Eine wichtige Entscheidung fällt am 14. Dezember, wenn es in der Abgeordnetenkammer zur Vertrauensabstimmung über die Regierung kommt. Zwei Szenerien sind möglich: Verliert der Premierminister die Abstimmung, muss er seinen Rücktritt einreichen. Der Staatspräsident würde dann erneut Berlusconi oder einen anderen Kandidaten beauftragen, in beiden Kammern des Parlaments eine regierungsfähige Mehrheit zu suchen. Während Berlusconi das nach Lage der Dinge kaum gelingen kann, ist eine von einem parteilosen „Techniker“ gebildete Übergangsregierung durchaus möglich. Erst wenn ein neues Kabinett absolut unmöglich erscheint, wird das Parlament aufgelöst und frühestens im März kommenden Jahres neu gewählt.

Lukrative Posten

Nicht auszuschließen ist freilich, dass Silvio Berlusconi die Vertrauensabstimmung gewinnt – obwohl der Rechtsblock nach der Abspaltung von Gianfranco Finis Gruppierung Futuro e Libertà (Zukunft und Freiheit/FLI) nur noch 305 von 630 Abgeordneten stellt. Denn nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch ganz offen werden Abgeordnete der FLI und kleinerer Gruppierungen gedrängt, für Berlusconi zu votieren oder der Abstimmung fern zu bleiben. Nach dem Rücktritt diverser Staatssekretäre, nicht nur aus den Reihen der FLI, sind insgesamt elf lukrative Posten neu zu besetzen. Und das scheint verlockend.

So könnte Berlusconi also im Dezember noch einmal davon kommen. Dass seine Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 durchhält, ist dennoch unwahrscheinlich. Nach jüngsten Umfragen kommt Popolo della Libertà (Volk der Freiheit/PdL) zusammen mit der Lega Nord auf weniger als 40 Prozent der Stimmen – ein Verlust von mindestens sieben Prozent gegenüber 2008. Der um Tricks und Versprechungen nie verlegene Berlusconi wird einen solchen Abwärtstrend kaum umdrehen können. Denn der hat tiefgreifende Ursachen: Es ist vorrangig die von der Wirtschaftskrise ausgelöste Verunsicherung der mittelständischen Klientel, die Stimmen kostet. Die Parole „Bereichert euch!“ hat an Überzeugungskraft verloren, auch viele der (noch) Besserverdienenden legen wieder mehr Wert auf soziale Mindeststandards und ein staatliches Bildungsangebot für die eigenen Kinder. Weglächeln lässt sich die Angst vor dem sozialen Absturz jedenfalls nicht – Berlusconis penetranter Zweck­optimismus hat sich verbraucht. Das Image des Erfolgsmenschen, dem alles gelingt, hat durch die immer peinlicheren Skandale schweren Schaden genommen.

Seine schrumpfende Gefolgschaft rea­giert darauf zusehends aggressiv, etwa durch Verratsgeschrei gegen Fini und Partner. Immerhin kämpft jetzt auch die Opposition mit härteren Bandagen. Ein alternatives Regierungsprogramm hat sie leider nicht zu bieten. Nach wie vor dominieren die Taktierer. Um Berlusconi loszuwerden, sind sie selbst zu einer Allianz mit dessen langjährigem Partner Fini bereit. Dario Franceschini, Fraktionssprecher der Demokratischen Partei (PD) im Abgeordnetenhaus, rechtfertigt das gern mit einer historischen Analogie: In der antifaschistischen Widerstandsbewegung, der Resistenza, hätten neben Kommunisten und Liberalen schließlich auch Monarchisten gekämpft.

Jens Renner ist seit 1996 Italien-Beobachter und -Autor des Freitag

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