Trippelschritte

AUFTRAG OST Rolf Schwanitz und die moderne Politik

Zu Zeiten, als die SPD noch für ihre Ostpolitik berühmt - und bei manchen berüchtigt - war, da hieß der Kanzler Willy Brandt, und die Ostpolitik war eine Chefsache, die der Chef natürlich nicht selber machte, für die er aber einen Egon Bahr aus Thüringen hatte, der wenig charismatisch, dafür zupackend und intelligent daher kam. Das ist rund 30 Jahre her, und so wie das Bildungsniveau, oder die Popmusik abgeflacht sind, seither, so sind auch die Protagonisten im Kanzleramt, damals noch Bonn, jetzt Berlin, bloß noch Schmalspur-Ausgaben der legendären Vorgänger. Schwanitz, Rolf, Staatsminister für den Aufbau Ost, geboren 1959 in Gera, nicht zu verwechseln mit dem anderen Schwanitz, Dietrich Schwanitz, jenem ehemaligen Anglistik-Professor, dem es viel zu oft nicht an talkshowtauglichen Auftritten fehlt. Den eher unscheinbaren Rolf hingegen macht seine DDR-Vita schwer einschätzbar: Baufacharbeiter, Ökonomie-Studium in Jena, später Fernstudium Jura in Berlin, Assistent an der Technischen Hochschule Zwickau, Plauen. Dann: 1989. Wende. Neues Forum. SPD Sachsen. Volkskammer. Bundestag.
Da macht es einem Wolfgang Thierse schon leichter. Den kann man mir nichts, dir nichts zu den bärtigen Pfarrern in die Schublade stecken, die seit 1989 immer mal wieder als gutmenschelnde Lichtgestalten in den Medien vorkommen. Zwar ist der Bundestagspräsident weder evangelisch, noch Theologe (sondern Kulturwissenschaftler), aber immerhin bärtig, und außerdem ist er aus Berlin, das ja längst im Westen angekommen ist - oder umgekehrt. Wer Thierse reden hört, immer eine Spur gehetzt, als müsste er schnell noch den Vortrag zu Ende bringen, bevor ihm der Verfassungsschutz das Manuskript stiehlt, der ahnt: dieser Mann ändert bestenfalls unser Denken, nicht unser Leben. Da ist man sich bei Schwanitz schon weniger sicher.
Schwanitz und Thierse sind die großen Bundespolitiker der Ost-SPD, oder genauer: die verbliebenen, wenn man von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, die das Ost-Feigenblatt des Bundeskabinetts gibt, absieht. Nur Thierse aber wird auch von Wessis, möglicherweise sogar von SPD-Chef Schröder für unverzichtbar gehalten, so einen braucht man als das schlechte Gewissen, als moralische Instanz, insbesondere in Zeiten, in denen der Bundespräsident diese Rolle nicht ausfüllen kann. Aber das reicht nicht, um im Osten die Stimmen zu gewinnen, wenn Edmund Stoiber weiterhin so beherzt durch Fabrikhallen stiefelt und Schokostückchen für Deutschland mümmelt. Für die Rolle als kernigen Ostschwungmacher, so fürchten SPD-Strategen, braucht man für den Wahlkampf dringend einen Anti-Thierse, einen, der was schafft, der auf Menschen zugehen kann, der von Wirtschaft so reden kann, als habe er "Kenne", kurzum: einen Wessi, nur dass er kein Wessi sein darf; so eine Art Lothar Späth ohne den Geburtsfehler, von der Schwäbischen Alb zu kommen. Edmund Stoiber, so heißt es, suche auch noch so einen, nachdem er seinen Thierse in Günther Nooke gefunden hat.
Es mag für den Vogtländer Schwanitz ein Glück sein, dass solche Personalprofile von Kampagnen-Profis und ehemaligen BamS-Chefredakteuren ausgeheckt werden. Denen schwanitzt nämlich langsam, dass es solche Leute vielleicht gar nicht gibt. Und es mag auch das Glück der Wählerinnen und Wähler sein. Schwanitz hat vor seinem Amtsantritt gesagt: "Die Zeit der großen Sprüchemacher ist in West und Ost mittelfristig vorbei." Hat seine Klarsichthüllen ausgepackt, Akten gefressen wie ein Stoiber und sich an die Arbeit gemacht, unauffällig, aber beharrlich, genau so, wie er seit 1990 im Bundestag geackert hat. Er hat immerhin in einer Regierung, die für Ostköpfe und Ostpolitik wenig Sensus hatte, zweieinhalb Projekte durchgezogen. Manchmal sagen Politikverdrossene, die Politiker sollten weniger reden, mehr arbeiten, die Ärmel hochkrempeln und etwas tun. Dann kommt ein Schwanitz, macht das - und unwillkürlich denkt man bei dieser Erscheinung an die siebziger Jahre, als die nicht mehr cool waren. Ist das die neue, moderne Politik? Oho. Brandt und Bahr übrigens verkauften ihre Ostpolitik unter dem bescheidenen Motto "Politik der kleinen Schritte". Beim allgemeinen Stillstand unserer Tage sei Rolf Schwanitz gedankt. Die Trippelschrittchen, die diese West-Bundesregierung im Osten geschafft hat, muss ihr ein Bayer erst einmal nachmachen.

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